02 - Eine kurze Zündschnur
Ich erreichte das Restaurant mit etwas Verspätung. Geradewegs steuerte ich auf unseren Stammtisch zu, an dem schon die Anderen auf mich warteten – wie so oft.
"Hey, tut mir leid", setzte ich an, doch Helen unterbrach mich. "Du hast dir deine Bilder angesehen, oder?"
Ich nickte. "Erwischt."
"Ich wusste es!" Sie lachte. "Habe ich es euch nicht gesagt?" Helen sah in die Runde und reckte das Kinn.
"Hast du", bestätigte Julet und verdrehte gespielt die Augen.
Kopfschüttelnd legte ich meinen Mantel über den Stuhl und nahm Platz." Anela, kannst du mir bitte die Karte geben? Habt ihr schon bestellt?"
"Du kannst die Karte gerne haben", Anela schmunzelte. "Aber wir haben schon für dich bestellt."
"Was? So unpünktlich war ich jetzt auch nicht!"
"Der Kellner war einmal da", Helen hob die Schultern. "Es war der Süße, weißt du, der Neue, mit den brauen Locken und wunderbar grünen Augen."
"Ja, wir konnten nicht anders!", gab Julet, mit Unschuldsmiene, ebenfalls zu.
"Ist ja gut", lenkte ich ein. "Was bekomme ich denn?"
"Gemüsepfanne mit Reis", antwortete Carla. Meine Augen wurden groß. "Ich liebe euch. Das ist perfekt!" Ich warf einen Kuss in die Runde.
"So sind wir halt." Julet grinste und band sich die langen braunen Haare zu einem Zopf.
"Entschuldigen Sie?" Es war der Kellner. Mit einer Eleganz, von der ich nur träumen konnte, stellte er Weingläser auf den Tisch und goss, ohne auch nur einen Tropfen zu verschütten, Weißwein hinein. Neidisch sah ich ihm hinterher. Er war wirklich süß. Kopfschüttelnd wand ich mich ab, nur um in die amüsierten Gesichter, meiner Freundinnen zu blicken.
"Betrügst du etwa gerade Maxi?", gab Anela entgeistert von sich.
"Der arme Maxi!" Helen fasste sich an die Brust und schüttelte gespielt ungläubig den Kopf.
"Er heißt Max und ich kann ihn gar nicht betrügen, weil wir nicht zusammen sind! Er ist mein Kollege. Wie oft, soll ich euch das noch sagen?", seufzte ich.
Ihnen von Max erzählt zu haben, bereute ich seit geraumer Zeit. Es war nur beiläufig und ich hatte auch nie behauptet, dass wir mehr wären, als nur Freunde oder Kollegen. Ich wollte lediglich eine Geschichte von der Arbeit erzählen, in der er nun mal vorkam. Aber alles, was sie an meiner Erzählung interessiert hatte, war Max gewesen und seitdem musste ich diese Neckereien über mich ergehen lassen.
"Das behauptest du ja immer." Carla hob amüsiert die Augenbraue.
"Ja, aber wir kennen dich und können hinter deine 'Wir sind nur Kollegen' Fassade schauen." Böse funkelte ich Julet an, dann die Anderen. "Ihr spinnt." Zu Beginn hatte ich das Aufziehen wenigstens etwas lustig gefunden, doch mittlerweile störte es mich. Ich wollte mir keine Flausen in den Kopf setzen lassen. Irgendwann würde ich noch meinen Job kündigen müssen, nur weil meine Freundinnen es nicht lassen konnten, mir etwas einreden zu wollen.
Ich wollte gerade verzweifelt das Thema wechseln, da kam der gutaussehende Kellner wieder und brachte das Essen. Es duftete herrlich. Wir bedankten uns, dann verschwand er wieder - ohne etwas umzuschubsen. Ich war ja so neidisch! Sehr zu meiner Freude, läutete er den, von mir erwünschten, Themenwechsel ein.
"Er ist wirklich mein Traummann", flüsterte Helen.
"Diese Augen", kam es von Julet. Ich schmunzelte. Es war selten, dass wir Alle, den gleichen Mann gutaussehend fanden, doch es gab Ausnahmen, wie eben jetzt diesen Kellner.
"Ihr wisst was das bedeutet." Carla zog die Mundwinkel nach Unten.
"Ja, leider", kam es von Anela, die ebenfalls die Schultern hängen ließ. Wir hatten vor etwa einem Jahr beschlossen, dass wir im seltenen Fall, dass uns derselbe Mann gefiel, Alle auf ihn verzichten würden.
Wir schwiegen betrübt für einige Sekunden. Stellten uns vor, wie es wohl ohne unseren Pakt geworden wäre. Wieso sah er auch so gut aus?
"Okay, Schluss mit Trübsal blasen. Ich wollte euch doch vorhin noch etwas erzählen, dass habe ich total vergessen, als Mel dazukam." Julets Blick fiel anklagend auf mich. Ich lächelte entschuldigend.
"Ja, ich erinnere mich", gab Carla zu. Sie strich sich die kurzen, blonden Haare hinter die Ohren und lehnte sich etwas nach vorne.
"Jetzt erzähl schon." Helen rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, so neugierig, wie eh und je.
"Also, ich hatte euch ja erzählt, dass ich vorgestern bei einem neuen Kunden zum Shooting war. Ein eher unbekannter Fotograf." Ich nickte. Julet erzählte gerne Geschichten, die sie bei diversen Modeljobs erlebt hatte und ich hörte sie gerne. Es interessierte mich einfach, wie es in der professionellen Branche so abging. Gerne fragte ich dann, welche Kamera sie verwendet hatten, welches Licht, oder zu welchem Thema die Fotos gemacht wurden.
"Ich war zur vereinbarten Uhrzeit da", erzählte sie weiter. "Das gehört sich auch so. Immer pünktlich beim Kunden sein. Allerdings bin ich es auch gewöhnt, dass die Kunden ebenfalls pünktlich sind. Dieser jedoch nicht. Ich stand schon eingekleidet da und habe mir den Arsch abgefroren, weil ich wirklich knappe Kleidung zum shooten tragen sollte und er kam einfach nicht. Bestimmt eine halbe Stunde später ist er dann endlich eingetroffen und hat sich nicht mal dafür entschuldigt. Wir fangen also an die Bilder zu machen, als er auf einmal allen Ernstes sagt: Etwas fülliger bist du ja schon. Ich kann mich erinnern ein schlankeres Model bestellt zu haben. Ich meine ist das zu fassen? Was erlaubt der sich? Was denkt er, wer er ist?"
"Gibts ja nicht!" Carla schüttelte den Kopf. Die Anderen taten es ihr gleich. Ich konnte Julet nur fassungslos anstarren. Sie entsprach absolut dem, was man als Normschön bezeichnen würde. Superschlank, wunderschön und dazu ihre langen Beine.
"Ich habe schon für viel größere Kunden gearbeitet und er denkt ernsthaft, dass er so etwas sagen könnte. Ich bin immer noch sauer!" Julet ballte die Fäuste.
"Nimm dir das nicht zu Herzen, einige Kunden vergessen gerne, dass immer noch ein Mensch vor ihnen steht", versuchte Helen sie zu beruhigen.
"Also sowas hatte ich noch nicht erlebt." Julet zuckte mit den Schultern. "Bisher habe ich nur positives Feedback bekommen, aber sowas muss man wohl auch mal erleben."
"Es ist trotzdem nicht fair, ich verstehe warum du dich darüber aufregst." Ich nickte zur Bestätigung. Anela sprach wie so oft aus, was wir alle dachten.
"Ja ... Gut. Genug aufgeregt. Neues Thema", Julet machte eine wegwerfende Handbewegung. "Anela, du wolltest von deinem letzten Date erzählen. Stimmt. Wie wars mit dem Schönling?" Jetzt war es an Anela, die Augen zu verdrehen. "Er heißt Timo und es war ein gutes Date. Wirklich nett."
"Nett ist langweilig!" Die Enttäuschung in Helens Stimme war nicht zu überhören.
"Genau. Also, wenn mein Date gut war, dann benutze ich nicht das Wort nett." Julet schüttelte den Kopf. "Ich hatte alle Hoffnung den Schönling gesteckt und jetzt war alles umsonst."
"Wir haben übermorgen unser zweites Date", warf Anela ein.
"Ernsthaft? Du triffst ein nett ein weiteres Mal?", mischte sich nun auch Carla ein. Ich konnte nur schadenfroh grinsen, glücklich gerade nicht selbst im Zentrum der Neckereien zu stehen.
"Ihr wisst doch genau, was ich meinte. Er war nett, also ..."
"Das wird ja immer schlimmer!" Entgeistert sah Helen zu Anela, während Carla und mein Blick sich begegneten und wir auf der Stelle in Gelächter ausbrachen. Egal, wer aus der Gruppe gerade datete, hatte immer das Nachsehen. Zu gerne zogen wir einander auf. Obwohl, wie man in meinem Fall gesehen hatte, nicht mal ein Date nötig war.
Wir saßen noch eine Weile und zogen gemeinsam Anela auf, dann riefen wir den süßen Kellner zu uns, um zu bezahlen. Dabei gab nicht nur ich ein großzügiges Trinkgeld. Gutauszusehen brachte eben, wie so oft, Vorteile mit sich.
Vorm Restaurant verabschiedeten wir uns und ich lief nach Hause. Jedoch nicht, ohne mich dabei tausendmal zu verfluchen, dass ich meine Kamera nicht dabei hatte und so mindestens hundert perfekte Augenblicke nicht einfangen konnte. Ich konnte nur zusehen und versuchen, sie mir so genau wie möglich einzuprägen, um sie wenigstens später malen zu können.
Eine alte Dame, mit wunderbar weißem Haar, stand lächelnd vor einem Schaufenster und erfreute sich am Anblick eines schwarzen Etuikleides. Ein Mädchen, das noch im Grundschulalter sein müsste, kuschelte sich an ihre Mutter und bestaunte mit ihren großen Augen die Umgebung. Ein Mann, der seinen kleinen Hund ausführte und dabei in einer fremden Welt versunken schien. Das dunkle Blau des Himmels, das warme Gelb der Straßenlaternen und schließlich das bunte Laub, das wie in Zeitlupe, von den Ästen hinabfiel.
Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich rieb die Hände, die viel zu kalt geworden waren, aneinander und hoffte, dass sie wieder auftauen würden. Für meinen Geschmack war es bereits viel zu kalt, dabei war gerade erst Herbst.
Ich streifte meinen Mantel ab und hing ihn an den Kleiderhaken, direkt neben der Tür. Dann erblickte ich mich. Ich trat etwas näher an den Spiegel heran, zog die Bluse enger und starrte einfach nur.
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