s u m m e r


-Kalifornien, USA

Ich fahre mit meinem Finger die Regentropfen nach, die sich langsam ihren Weg über die Fensterscheibe bahnen. Regen ist so selten in Kalifornien, dass es fast an ein Wunder grenzt, dass der Regenschauer unseren bescheidenen Garten nun wässert. Mein Vater sagt es ist ein Zeichen, dass sich alles zum Guten wenden wird. Außerdem sagt er, dass der Regen für unsere neue Hoffnung steht, wenn wir nur ganz fest daran glauben würden. Er ist ein hoffnungsloser Optimist. Ich finde, der Regen passt zu meiner Stimmung. Die Kälte, die er mit bringt. Dass grau Wolkendach, welches die Sonne verdeckt. Es ist als würde mein Inneres vom Himmel zurückgeworfen werden. Als hätte irgendjemand da oben erkannt, wie es mir geht, und wollte mich nicht länger mit Sonnenschein und Wärme plagen. Ich schicke einen stummen Gruß zu diesem jenigen. 

Leise klopft es an meiner Zimmertür und ich reiße meinen Blick von meinem Fenster los. Mein Vater steht im weißen Türrahmen und sieht mich an. Seine Augen sind gerötet, auch wenn er vor mir nie zugeben würde, dass er geweint hat. Oder das er trinkt. Er schenkt mir ein schwaches Lächeln, und in seinen Augen spiegelt sich nicht nur Sanftheit wider, sondern auch Traurigkeit, ein ständiger Begleiter, und das Mitleid, welches er mit mir und wahrscheinlich auch mit sich selbst hat. Ich bin zu müde und zu schwach, um sein Lächeln zu erwidern und auch gerade überhaupt nicht in der Stimmung dafür. Stattdessen sage ich leise: „Hi Dad." Er nickt und deutet auf den Flur. „Kann ich deinen Koffer mit runternehmen?" Ich nicke und presse meine Lippen aufeinander. Bevor er sich umdreht bleibt er nochmal im Türrahmen stehen und dreht sich um. In seinem Blick lese ich etwas wie Reue und ich weiß, was jetzt kommt. „Ich weiß, dass du nicht mit auf diese Fahrt willst, aber-" Ich schüttle heftig den Kopf und werfe meine Arme in die Luft. „Was aber?" unterbreche ich ihn laut und meine Stimme ist eisig. Er seufzt und fährt sich über die Augen. In diesem Moment sieht er so alt aus. Alt und erschöpft. Sein hellbraunes Haar hat an grauen Strähnen zugenommen, und seine Falten sind tiefer. Seine Augenringe sind dunkelviolett und seine Augen haben den Glanz und das Funkeln verloren. Es ist schrecklich ihn so zu sehen. Aber seit sie weg ist, kann auch ich nichts anderes mehr fühlen als Trostlosigkeit, Traurigkeit und Einsamkeit. Und da ist noch diese eisige Kälte, die immer wieder durch meinen Körper kriecht. Sie friert alle schönen, guten Erinnerungen ein. Lähmt mich. Hält mich wach in schlaflosen Nächten. 

Ich schüttle den Kopf. „Wieso lässt du mich nicht einfach hierbleiben?" Tränen bilden sich in meinen Augenwinkeln. „Ich will doch einfach nur hierbleiben." Meine Stimme ist nicht mehr als ein Flüstern und meine Tränen rauben mir die Sicht. „Summer bitte." Mein Vater klingt flehend. Fast schon verzweifelt. „Wenn ich dich hierlassen würde, würdest du dich den ganzen Tag in deinem Zimmer einsperren! Niemand würde dich mehr zu Gesicht bekommen. Ich muss wieder arbeiten. Wer weiß, ob du dann überhaupt noch etwas essen, oder ob du zur Schule gehen würdest, wenn ich dich nicht regelrecht dazu zwingen könnte." Ich balle meine Hände zu Fäusten und wische mir wütend die Tränen aus den Augen. „Und du glaubst auf der Fahrt werde ich nicht genau dasselbe tun? Wenn du dich doch so um mich sorgst, dann bleib doch hier und arbeite nicht!" Ich schreie ihm diese Worte entgegen und er zuckt kurz zusammen. Ich weiß, dass diese Worte unfair sind. Aber das interessiert mich nicht. Dann fasst er sich wieder. „Hör mal zu junge Dame. Du bist hier nicht die Einzige, die eine schwere Zeit durchmacht! Ich würde auch gerne hierbleiben, aber irgendwoher muss das Geld ja kommen, oder?" Seine Stimme ist ebenso zornig wie meine. „Ich habe nie gesagt, dass ich die einzige-"Er unterbricht mich mit einer Handbewegung. „Genug jetzt. Du fährst mit auf diese Fahrt. Ob es dir passt oder nicht." Sagt er jetzt mit fester Stimme und bestimmten Tonfall. Ich schnaube. „Na dann ist ja alles klar." Sage ich leise, bemühe mich um meinen reglosen Tonfall und gehe stampfend an ihm vorbei und poltere die Treppe hin unter. Ich schnappe mir meine Jacke vom Hacken, nehme mir mein Handy und Kopfhörer von der Kommode und stürme aus dem Haus. Ich reiße die Tür von dem Wagen meines Vaters auf und schmeiße mich auf den Beifahrersitzt. Ich setze mir meine Kopfhörer auf die Ohren, höre irgendein Lied. Ich sehe wie die Haustür sich öffnet und mein Vater mit meinem Koffer die hölzerne Veranda hinunterkommt, dass Auto umrundet und ihn im Kofferraum verstaut. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und sehe aus dem Fenster, als er einsteigt und den Motor startet. „Dann mal los." Höre ich ihn über die Melodie aus meinen Kopfhörern sagen. Sein Tonfall ist nicht mehr wütend. Er kann nicht lange nachtragend sein. Er manövriert den Wagen aus unserer Einfahrt und lenkt ihn in Richtung Schule. Ich sehe ihn nicht ein einziges Mal an.

Der Weg führt uns an einem Streifen Strand entlang und ich kann einen Blick auf das Meer erhaschen. Es ist dunkelgrün und die Wellen preschen haltlos an den Strand. Die Gischt schäumt. Es ist als würde das Meer toben und sich einen erbitterten Kampf mit dem Regen und dem Wind liefern. Ich betrachte die Schönheit noch eine Weile, bis es hinter einer Reihe Häusern verschwindet. Mir wird kälter. Ich schlinge meine Arme fester um mich. Als die Schule hinter der Kirche emporragt, erschauere ich. Ich denke an die Schüler, die da sein werden. Mir ist es egal, was sie denken, vor allem über mich. Ich habe schon so lang nichts mehr mit ihnen allen zu tun, dass sie bestimmt vergessen haben das ich existiere. Ich bin nur eine vage Erscheinung in ihrer Erinnerung, an den alten Geschichtskurs. Aber ich ertrage es nicht daran zu denken, dass sie alle da sind. Das ich nicht eine Minute mit meiner Trauer allein sein werde. Auf der Busfahrt oder am Flughafen, wo wir immer zusammen bleiben sollen. Auf den Ausflüge, die wir unternehmen werden, wie sie es genießen werden und ich daneben stehen werde, meine Gefühle, die mich wie eine Sturzflut überkommen, zurückdrängend nur um der Leere und Gleichgültigkeit Platz zu machen. Immer wieder schnürt es mir die Kehle zu, wenn ich daran denke, wie sie alle unbeschwert lachen können. Wie sie ganz normal sein können, ohne Verluste und ohne dieses schreckliche Gefühl, tief im Herzen ganz allein und im Stich gelassen worden zu sein. Während ich versuche meine Dämonen zurück zu drängen. Es war ein weiterer Punkt auf meiner Kontra-Liste. Obwohl es nie eine Pro-Spalte gegeben hat, und mein Vater sie sich nie angehört hat. 

Ich spüre wie leise Tränen über meine Wangen rollen. Ich wische sie schnell weg. Mein Vater hält den Wagen an. Wir stehen auf dem Schulparkplatz. Vor uns, ein Reisebus und zwei Lehrer davor. Sie haben ein Klemmbrett vor sich und haken die Schüler ab, welche in den Bus steigen oder noch davor stehen. Mein Vater räuspert sich. Ich nehme meine Kopfhörer von den Ohren. „So..." er spielt mit seinen Fingern. „Ich würde sagen... viel Spaß?" Ich verdrehe die Augen und steige aus dem Auto. „Summer!" Ich weiß nicht, ob er verzweifelt oder wütend klingt. Mir ist es gerade egal. Ich öffne den Kofferraum und hebe meinen Koffer heraus. Mein Vater ist jetzt ebenfalls ausgestiegen und knallt die Autotür zu. Er kommt zu mir und funkelt mich wütend an. „Summer! Du kannst nicht ewig so motzig sein!" Seine Stimme ist bedacht leise und sein Blick huscht dabei unsicher zu den anderen Leuten, die um uns herumstehen. Er möchte keine Szene machen. Ich verstehe schon. Ich schüttle nur den Kopf, schnappe mir den Koffer und gehe auf den Bus zu. 

Ein paar andere Schüler stehen noch davor. Ziehen ein letztes Mal an ihrer Kippe, reden mit ihren Eltern oder quieken aufgeregt. Ich gehe ausdruckslos an ihnen vorbei. Bevor ich jedoch den Bus erreiche, geschweige denn einsteigen kann, holt mein Vater mich nochmal ein und bleibt vor mir stehen. Er hält mich an den Schultern fest. „Summer, bitte versprich mir, dass du... du" er sucht nach den richtigen Worten. „, Dass du wenigstens etwas isst. Und mir jeden Tag eine Nachricht schreibst, wie es dir geht. Ich möchte mir nicht die ganze Zeit sorgen um dich machen müssen. Okay?" seine Stimme ist kläglich, aber er meint es aufrichtig. Seine Augen verraten mir, dass er Angst hat. Angst um mich. Also nicke ich abwesend. Meine Wut ist verschwunden, meine Gefühle spielen verrückt, es ist immer ein auf und ab. Trotzdem weiß ich ehrlich gesagt nicht, ob ich es ihm versprechen kann. Ich weiß nicht, ob ich es einhalten kann. „Klar Dad." Meine Stimme ist nicht mehr als ein Hauch, und sie zittert so unerträglich. „Okay." Er lächelt erleichtert. „Komm her." Er zieht mich in eine Umarmung. Ich erwidere sie nicht. Ich lasse meine Arme schlapp hängen. Als er sich von mir löst, wischt er sich schnell über die Augen. 

„So dann viel Spaß." Ich nicke nochmals und zwinge mich zu einem Lächeln, wobei es sicher eher wie eine Grimasse anfühlt. Er klopft mir auf die Schulter. Ich gehe an ihm vorbei und steige in den Bus. Der Lehrer flötet gut gelaunt. „Summer Lewis, super dass sie sich auch noch entschieden haben mit zu kommen! Jetzt fehlen nur noch zwei!" er klatscht in die Hände, wobei das kompliziert wird durch das Brett in seiner Hand. Ich unterdrücke ein Stöhnen, aber ich kann es nicht verhindern die Augen zu verdrehen und steige die wenigen Stufen hinauf. 

Ich sehe nicht mehr zu meinem Vater zurück. 

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