05

Jetzt saßen wir alle zusammen im LKW. Alle waren bis auf paar blaue Flecken und schrammen unverletzt – außer die noch immer leicht blutende Wunden an meinem Kopf, auch wenn Frau Rottenmeier Junior, auch bekannt als Alicia Schmidt, eine hautnahe Begegnung mit einem Zombie gehabt, wenn Karlos nicht seine Pistole gezogen und dem Monster in den Kopf geschossen hätte. Seitdem sitzt sie zwischen mir und dem Busfahrer, der sich mir als Erik vorgestellt hatte, und sprach kein Wort mehr. Sie tut mir schon leid. Sie würde dieses Erlebnis sicher nicht so schnell vergessen.

Wenn ich gut in solchen Dingen wäre, würde ich versuchen, sie zu beruhigen. Ihr sagen, dass alles gut wird und sie in Sicherheit ist. Aber mir fällt nur eine Person ein, die das kann, und das ist Lethroy. Aber der war nicht da. Was mir ständig, wenn ich daran denke, ein Stich in meinem Herzen gibt.

Also versuchen Erik und ich, ihr einfach körperliche Sicherheit zu geben. Und solange es für sie in Ordnung war, habe ich einen Arm um sie gelegt und Erik einen auf ihr Bein. In dieser Position blieben wir die ganze Fahrt über, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Keiner wusste, wohin wir fuhren, denn es gab keine Fenster. Aus dem Radio dröhnte Metal vom Feinsten und ab und zu hörten wir den Fahrer mitsingen. Oder besser gesagt mitbrüllte.

Wenigstens einer, der nicht so schlecht gelaunt ist.

Niemand wusste so recht, wie viel Zeit vergangen ist. Es drang nicht genug Licht in den Anhänger des Lastwagens, um sagen zu können, ob es noch Morgen, Mittag oder gar Abend ist.

Ich spüre eine leichte Bewegung neben mir und ein Blick zu meiner Linken verrät mir, dass Alicia eingeschlafen ist und ihren Kopf auf Eriks Schulter gelegt hat. Erik gähnt, als sich unsere Blicke treffen. Auch ich spüre, wie die Müdigkeit mich augenblicklich übermannt und die Ereignisse des Tages auf mich einstürzen.

Einen besseren Start in den Tag, geschweige denn einen besseren Start in die kommende Woche hätte es einfach nicht geben können. Nicht wahr? Nicht wahr?!

Hm, okay, ich sehe schon, man kann dich einfach nicht anlügen. Ja gut, am liebsten hätte ich auch einfach losgeschrien und wäre dann theatralisch zusammengebrochen. Aber dafür habe ich später bestimmt noch ein paar ‚bessere' Gründe. Das war ja auch erst der Anfang.

Nach einer schier endlosen Zeit kam der LKW mit einer Vollbremsung zum Stehen. Fast wären wir alle gegen die Kabinenwand geknallt, wenn wir uns nicht rechtzeitig festgehalten hätten. Verdammt, hat der Typ überhaupt einen Führerschein? Der fährt noch beschissener als ich.

Wenige Augenblicke später wurde die große Tür des Anhängers aufgerissen und ich muss die Augen zusammenkneifen, um in dem plötzlich grellen Licht nicht zu erblinden.

„Aufstehen, Prinzessinnen, ihr seid jetzt offiziell gerettet", ertönte Karlos' Stimme. Was zum Teufel soll das bedeuten? Wo sind wir? Wann sind wir? Diese und ein paar andere Fragen stellten wir uns wohl alle, als wir vorsichtig aus dem Transporter ins Freie traten.

Die gleißende Sonne brennt uns in den Augen. Ich vermutete, dass es Mittag war. Reflexartig will ich nach meinem Handy greifen, doch es ist nicht mehr in meinem Besitz. „Scheiße", fluchte ich. Energisch taste ich meinen Körper ab. Vielleicht habe ich ihn woanders hingelegt. In der Jackentasche? Nein. In den vielen Taschen meiner Arbeitshose? Fehlanzeige.

„Scheiße, Scheiße, Scheiße", fluche ich weiter vor mich hin, diesmal lauter als zuvor. Sofort spürte ich die Blicke auf mir, aber es war mir egal. Sollen sie doch gucken. „Alles in Ordnung?", fragte mich jemand. Es war Erik. „Mein Handy ist weg", antworte ich und taste meinen Körper wieder ab. Ich sehe, wie auch der Busfahrer reflexartig nach seinem Handy greift. Aber was für ein Zufall, es war auch weg!

„Was zum Teufel!", stieß er aus und beginnt nun selbst nach seinem Handy zu suchen, „Scheiße, vielleicht ist es noch im Bus!" Für ihn klang das vielleicht noch vernünftig, aber was ist mit meinem Handy? Ich habe es doch bestimmt nicht im Bus verloren, oder? Vielleicht ist es mir aus der Tasche gefallen, als wir mit dem Bus von der Brücke gestürzt sind. So ein Mist!

Und plötzlich, wie gerufen, kommt Karlos auf uns zu. Auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen, das sich aber sofort in einen verwirrten Ausdruck verwandelte, als er Erik und mein schlecht gelauntes Gesicht sieht. „Was ist los mit euch?", fragt er und verschränkt die Arme vor der Brust. „Wir haben unser Handy im Bus verloren", antwortet Erik. Doch anstatt mit uns zu trauern, breitet sich wieder dieses Grinsen auf dem Gesicht des Italieners aus. Hat er etwas eingenommen? Als Karlos sprach, hätten Erik und ich ihn am liebsten umgebracht: „Ihr habt eure Handys nicht verloren. Ich habe sie!" Während er dies sagt, liegt ein stolzer Ausdruck in seinem Gesicht. Der Typ feierte sich einfach dafür, dass er uns bestohlen hatte. Er hatte definitiv etwas eingenommen.

„Und warum hast du unsere Handys?", zischt Erik durch zusammengebissene Zähne. „Na ja, heutzutage weiß man ja nie, wem man trauen kann und wem nicht. Einmal rettet man jemanden und zack, hat man ein Messer im Rücken. Vor allem in einer Zombie-Apokalypse!", erklärt der Italiener und mir fällt sofort etwas auf, das mich ein wenig misstrauisch werden lässt. Karlos sieht aus, als würde für ihn die Apokalypse schon seit Jahren gehen.

Wahrscheinlich haben alle zu viel The Walking Dead gesehen.

„Und wann bekommen wir die Handys wieder?", frage ich. Ich wollte unbedingt wissen, wie viel Schaden die Zombies angerichtet haben. Und sofort schoss mir eine Frage durch den Kopf. Wie geht es Lethroy? Gleich darauf ertappe ich mich dabei, wie ich wieder einmal zum Herrn im Himmel bete, dass es Lethroy gut gehen möge. Wenn es nicht schon zu spät ist.

Ich verfiel so in Sorge um den Pfarrer, dass ich fast die des Italieners verpasst.

„Erst einmal nicht!", antwortet Karlos und zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, hat er ein ernstes Gesicht, „Wir wissen nicht, wer ihr seid und ob man euch vertrauen kann! Vielleicht schickt ihr den Standort an jemanden, der nur Böses im Sinn hat." Irgendwie machte das, was Karlos sagte, Sinn - auch wenn es wie ein schlechtes Disney-Zitat klang. Ich würde mir auch nicht trauen.

"Wie wär es, wenn ihr uns sagt, wer Ihr seid?", fragte die junge Frau Rottenmeier genervt, als sie zu uns kam. Sie wirkt mit ihrem ernsten Gesicht in diesem Moment wie der eineiige Zwilling des Kindermädchens von Heidi. „Woher sollen wir wissen, ob IHR vertrauenswürdig seid, wenn wir genauso viel über Euch wissen wie Ihr über uns?" Jetzt kamen noch ein paar andere dazu und stimmten der Frau zu. Schon bald schien Karlos überfordert zu sein. Er konnte einem fast leidtun, aber auch nur fast. Er war selbst schuld!

„Ihr werdet noch früh genug erfahren, wer wir sind", antwortete Karlos und hob die Hände, als wolle er alle Schuld von sich weisen, während er noch einmal über seine Antwort nachzudenken schien, „aber ich bin so gnädig und verrate euch, wie wir heißen." Jetzt klang Karlos wie jemand, der eine geheime Identität verbarg, die, wenn sie ans Licht käme, das ganze Land in Schutt und Asche legen könnte. Und tatsächlich könnte ich es ihm auch noch wirklich zutrauen.

„Wir", fing er an und machte gleich eine theatralische Pause, „sind der Zombie-Rettungsdienst!"

Plötzlich fühle ich mich wie in einer langen Warteschleife, bis der Name in meinem Gehirn angekommen war. Zombie Rettungs... WAS?

Verwirrt schaue ich Karlos an. Entweder fehlen noch ein paar Worte oder man will wirklich Zombies retten. Vielleicht hat auch mein Gehirn Schaden genommen, als ich mir im Bus den Kopf gestoßen habe. „Was für ein interessanter Name", lasse ich den Namen unkommentiert. Vorsichtig schaue ich mich in der kleinen Runde um und bin anscheinend der Einzige, dem der Name verwirrt. Ist hier irgendwo ein Arzt? Ich glaube, ich könnte einen brauchen.

Vorsichtig taste ich meinen Kopf nach Verletzungen ab. Mehr in Gedanken versunken als wirklich da, taste ich automatisch nach der Wunde, die ich mir beim Sturz zugezogen habe und bereue es sofort. Der Schmerz kehrt zurück, ich stöhnte und zischte leise. Anscheinend nicht leise genug, um nicht die Aufmerksamkeit der anderen auf mich zu lenken.

„Also ‚Zombie-Rettungsdienst', ja?", versuchte ich mit einem schwachen Versuch das Thema zu wechseln und war trotz allem erstaunt, dass es funktioniert hatte. Denn sofort richten Erik und Alice ihre Blicke auf Karlos. Der grinst wieder, als wolle er sagen „It's my time to shine!" Wenn er so glücklich war, im Rampenlicht zu stehen, dann soll er es auch haben. Vielleicht hat er es sich ja anders überlegt und gibt uns doch noch mehr als diesen blöden Namen.

Mir war es nur recht, vielleicht komme ich dann schneller an mein Handy und könnte hier weg. Aber anscheinend machte es in den Kopf des Blondhaarigen klick und sein Lächeln verschwand. „Netter Versuch, aber ich werde nichts sagen, bis die anderen hier sind und wir sicher sein können, dass ihr auf unserer Seite seid!", sagt er ernst und sein bestimmender Tonfall zerstörte jeden Gedanken, ihm endlich eine Antwort zu entlocken. Einen Versuch war es wert.

„Und wann kommen die anderen?", fragt Erik sichtlich genervt. Es scheint uns allen auf die Nerven zu gehen, dass wir so ahnungslos im Stich gelassen werden. „Habt Geduld man, alles braucht seine Zeit!", sagt der Mann, der den LKW gefahren hat, und gesellt sich zu uns, nachdem er offenbar unser Gespräch belauscht hat.

Es scheint, als wäre die Antwort, die aus irgendwelchen Kalendern entsprungen sein könnten, nicht das, was Erik hören wollte, denn er schnaubt nur genervt. Ich verstehe ihn, denn langsam glaube ich, dass alles, was die beiden Männer sagen, nicht wahr ist und wir nur entführt wurden. Das macht nämlich mehr Sinn.

Wahrscheinlich haben sie nur unsere Notlage ausgenutzt, so wie das alle Entführer in den Filmen machen. Ich bin sicher, sie würden sofort eine Waffe ziehen und uns alle erschießen. Vielleicht bin ich aber auch einfach zu paranoid oder misstrauisch meinen Mitmenschen gegenüber. Kindheitstrauma und so. Ich wäre fast wegen alten Freunden gestorben, aber das ist nicht der Rede wert.

Außerdem kenne ich hier niemanden. Wie soll mein Kopf da nicht anfangen, sich Horrorszenarien auszumalen?

Scheiße, ich muss mich wirklich beruhigen, sonst kriege ich noch eine Panikattacke. Atme Christopher, atme! Ich spüre, wie mein Körper ohnmächtig zu werden droht. Ich sehe schon den schwarzen Rand um mein Sichtfeld, aber ohnmächtig zu werden ist wirklich die letzte Möglichkeit, die ich habe. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt. Irgendwann, wenn sich alles geklärt hat, könnte ich darüber nachdenken, ohnmächtig zu werden. Wenn ich dann nicht schon tot bin.

„Da! Sie kommen!", ruft Karlos nach ein paar Minuten, in denen wir alle nur dastanden und geschwiegen haben. Er hatte sich umgedreht, um in die entgegengesetzte Richtung zu schauen. Alle Augen folgen seinem Blick.

Drei Autos kommen verdammt schnell auf uns zu. „Wollen die auch bremsen?", frage ich und beobachte, wie die Autos immer schneller auf uns zukommen. Bald sind sie um uns herum und drehen sich im Kreis. Dabei wirbeln die Reifen so viel Staub auf, dass wir alle anfangen zu husten.

Endlich halten die grauen, weißen und schwarzen Autos an und die Menschen darin steigen aus. Und unter ihnen sehe ich sie! Sie ist schön und anmutig. Ihr helles blondes Haar reicht ihr bis zu den Schultern, die vorderen Strähnen sind in einem verwaschenen Violett gefärbt. Ihre ganze Erscheinung, ihr Aussehen, ihre Kleidung und ihre Ausstrahlung rufen: „Ich bringe dich um, wenn du mir blöd kommst!" Und wenn sich meine Augen in Herzen verwandeln könnten, würden sie es jetzt tun.

Eigentlich bin ich nicht der Typ, der an Liebe auf den ersten Blick glaubt. Aber scheiße, ich glaube, ich habe mich Hals über Kopf verliebt! Sie ist der schönste Mensch, den ich je in meinem armseligen Leben gesehen habe.

Ich merke gar nicht, dass ich die Frau anstarre, bis Karlos mich in die Seite stößt. „Sie ist heiß, stimmt! Aber so verdammt schwer zu kriegen", beschwert sich der Italiener, wirft mir einen abschätzenden Blick zu und murmelt, „vor allem, wenn man so aussieht wie du". Würde ich mir jetzt die Meinung eines Fremden zu Herzen nehmen, hätte ich mir vor lauter Selbstzweifeln längst das Leben genommen. Leider komme ich nicht dazu, etwas zu erwidern, denn ein älterer Mann im Laborkittel und mit runder Brille steigt aus dem schwarzen Audi und zieht meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Sofort spüre ich seine Autorität und merke, wie Karlos ein Stück von mir abrückt und plötzlich dasteht, als hätte er einen Stock im Hintern.

„Wie schön, dass ihr noch mehr retten konntet", lobt der ältere Mann und klopft Karlos und dem anderen Mann auf die Schulter. Ein breites, warmes Lächeln huscht über sein Gesicht, und auch seine Augen, die aussehen wie die stürmische See, strahlen eine freundliche Wärme aus, wie bei einem gütigen Vater. Fast hätte ich meine Panik und meine Zweifel vergessen.

Jetzt zweifle ich sogar an meiner Theorie, dass Sie uns entführen wollen. Wie kann jemand, der auf den ersten Blick so freundlich wirkt, böse sein?

Jetzt kommt der Mann im Kittel mit einem breiten Lächeln auf uns zu. Auch als er spricht, verschwindet sein Lächeln nicht. „Seid gegrüßt, mein Name ist Professor Doktor Theodor Hubert! Ich freue mich sehr, dass ihr alles so unbeschadet überstanden habt", begrüßt er uns und blickt lächelnd in die Runde, bis er mich sieht, da ist das Lächeln gleich wieder weg, „mehr oder weniger." Er wendet sich an einen älteren Mann: „Ich glaube, der junge Mann braucht nachher einen Arzt. Die Wunde an seinem Kopf sieht nicht gut aus!" Und dann holt er tief Luft, als wäre er müde vom Erklären und Fragen beantworten. „Dann wollen wir mal anfangen. Auf ein neues..."

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