Kapitel 1:
Die orangegelbe Morgensonne erhob sich langsam über Berlin, während alles Leben gemächlich erwachte. Die ersten Vögel flatterten durch die Luft und sangen glücklich dem neuen Tag entgegen, während in der Berlin Boarding School Of Sports bereits reges Treiben herrschte. Schüler warteten vor ihren Klassen, liefen eilig zu ihren Spinden um Bücher oder Hefte zu holen, oder tratschten ausgelassen miteinander. Auf den ersten Blick wirkte es von innen wie eine ganz normale Schule, doch der Schein trügt.
Draußen auf dem großen Schulgelände fanden sich bereits die ersten Grüppchen von Schülern ein, welche zusammen joggten, auf den parkähnlichen Wiesen unterschiedlichste Sportarten praktizierten, oder den Beschilderungen zu Sporthallen für alle nur denkbaren Aktivitäten folgten. Das hoch angesehene Sportinternat hier in Berlin hatte Alles! Junge Menschen mit besonderer Sport Begabung konnten hier eine einzigartige Ausbildung genießen! Das riesige Gelände, welches sich rund um das Schulgebäude erstreckte, erinnerte schon fast mehr an einen eigenen Stadtteil als an ein Internat. Mehrere Wohnblöcke für die Schüler waren geboten. Sporthallen, Schwimmhallen, ein Fußballfeld, Laufbahnen, Tennisfelder und sogar eine Eisarena mit Eisschnelllaufbahn und Eishockeyfeld befanden sich auf dem Gelände oder in näherer Umgebung. Dazu wirkte die Gegend zwischen den Wohnblöcken, Schule und Hallen beinahe wie ein idyllischer Park mit weiten Wiesen, Bäumen und Steinwegen, die das Ganze zentral verbanden, perfekt für die Freizeit der jungen Athleten. Das Internat war ein Traum für jeden sportbegeisterten Mensch! Jeder Schüler bekam einen für ihn ausgearbeiteten Plan, welcher die perfekte Balance zwischen Schule und Sport ermöglichte.
So waren die Schüler, die in den ersten Stunden in ihren Trainingskuren eingeteilt waren, als erstes auf dem Schulgelände aufzufinden. So auch Max Hijo. Ein junger Mann, siebzehn Jahre alt, welcher genauso wie die andere Schüler auch, auf die Berlin Boarding School Of Sports ging. Sein Leben unterschied sich grundsätzlich von dem, normaler Teenager. Er lebte hier als eines vieler Ausnahmetallente. Sein Tag startete nach seiner morgendlichen Routine, als erstes mit dem Training mit der Mannschaft. Noch vor jedem anderen Unterricht musste er aufstehen und sich zusammen mit vierzehn anderen Schülern, zu einer Stunde Athletiktraining zwingen. Und das jeden Morgen. Nach den gemeinsamen Trainingseinheiten hatte jeder Schüler seinen individuellen Lehrplan, welcher normalen Unterricht beinhielt, allerdings besonders auf die Sportarten ausgelegt war. Nach dem Schulunterricht, folgten wieder zwei Stunden Training am Mittag, danach kam die Pause und Freizeit am Nachmittag, wobei diese eher sporadisch war. Noch kurz vor dem Abendessen wurde gemeinsam mit dem Team joggen gegangen und dann endete der Tag auch schon. Wer fand, dass das hart war, untertrieb noch.
Die individuelle Förderung der jungen Athleten stand selbstverständlich im Vordergrund und das Internat war besonders für seine zahlreichen Ausnahmetallente bekannt. Aber dies war kein gewöhnliches Sportinternat, nein, dieses Internat bildete Olympioniken aus! Boxen, Tischtennis, Eiskunstlauf, wer es auf diese Schule schaffte, würde irgendwann garantiert zu den ganz Großen gehören! Vorausgesetzt, man hält dem Leistungsdruck stand. Mehrere Stunden Training standen hier an der Tagesordnung und was für die Meisten unvorstellbar war, war hier alltäglich.
Das Leben auf diesem Sportinternat war nicht einfach, ständige Prüfungen und Leistungskontrollen gehörten dazu, man wollte ja nur die Besten der Besten hier haben! Dazu mussten nebenbei auch noch die Noten der Schüler stimmen. So war es schon fast normal, dass zum Jahresende einige Schüler scheiterten und das Internat verließen und am Anfang des neuen Jahres, die Klassen mit neuen Spitzensportlern aufgefüllt wurden. Es war ein Wettkampf gegen alle anderen und sich selbst. Nicht viele schafften es, sich hier durchzusetzen, Max war einer der wenigen, der es bereits weit geschafft hatte. Er würde nächstes Jahr in die Abschlussklasse kommen.
Er war ein Teil des Handballteams. Seine Eltern hatten schon immer darauf bestanden, dass er besonders gefördert werden sollte, weshalb sie ihn schon in frühen Jahren auf das Sportinternat geschickt hatten. Doch Max war anders als die anderen Schüler hier. Sie hatten immer alles gegeben und sich ihren Platz an dieser Schule hart erkämpft, sahen ihre Zukunft hier und taten alles dafür, um sich immer wieder aufs neue zu beweisen. Er hingegen wünschte sich nichts mehr, als endlich hier verschwinden zu können. Mit seinen Gedanken war er immer irgendwo anders, träumte von einem anderen Leben, doch ihm war bewusst, dass er keine Wahl hatte. Nicht so lange seine Eltern bestimmten. Sie waren der einzige Grund, wieso er noch hier war. Sie bestimmten über sein Leben und hatten auch schon immer über sein Leben bestimmt. Eine wirkliche Bindung zu ihnen hatte er noch nie. Schon als er noch ein kleiner Junge war, waren sie nie da. Ständig waren sie auf irgendwelchen Geschäftsreisen oder beschäftigt mit der Arbeit. Sein Vater war ein erfolgreicher Unternehmer, seine Mutter weltbekannte und ausgezeichnete Chirurgin. Die Familie Hijo hatte einen hoch angesehenen Namen, das wurde Max bereits eingebläut, seitdem er ein kleines Kind war. Er musste immer der Beste sein, egal worum es ging. War er es nicht, konnte er mit strafendem Schweigen rechnen und verurteilenden Blicken. Seine Familie besaß alles, wovon man nur träumen konnte, doch das änderte nichts daran, dass Max quasi allein aufwachsen war. Er wurde von einem Kindermädchen großgezogen und von Privatlehrern unterrichtet. Er konnte sich kaum daran erinnern, dass seine Eltern jemals für ihn da gewesen waren, geschweige denn ihm etwas wie Liebe gezeigt hatten. Zwar kauften sie ihm alles, überhäuften ihn mit Spielsachen, doch Materielles konnte elterliche Liebe niemals ersetzten. Bis zu seinem achten Lebensjahr änderte sich nichts, dann hatte man ihn in dieses Internat hier gesteckt. Max hasste es, sprach andauernd davon, eines Tages abzuhauen, doch befürchtete, dass dies nur ein weit entfernter Traum bleiben würde. Er hatte keine Wahl, er musste weitermachen, denn es war die Furcht, seine Eltern zu enttäuschen, welche ihn immer wieder daran hinderte, sein eigenes Leben zu leben. Das einzige, was sein Leben hier erträglich machte, waren seine Freunde.
„Gutes Training." Lobte sein Trainer im Vorbeigehen und klopfte ihm auf die Schulter, während Max auf einer Parkbank saß und Wasser aus seiner Flasche trank. Schmunzelnd richtete er seine schwarzen Haare mit einer Hand, welche noch immer verstrubbelt und nass vom Training waren. „Danke Coach!" Antwortete er. Schweißperlen lagen auf seiner Stirn und zeugten von dem anstrengenden Training, welches er vor Kurzem bewältigt hatte. „Bleib nicht zu lange sitzen, euer Unterricht fängt gleich an." Erinnerte sein Trainer ihn noch und folgte danach dem Rest des Teams in das Schulgebäude, um sich für den Unterricht vorzubereiten, doch Max nahm sich noch einen Moment und blieb auf der Bank sitzen. Das Laub der hohen Laubbäume raschelte leise über Max Kopf, während er den weißen, schmuckvollen Schmiedeeisenzaun entlang blickte, der das Schulgelände deutlich von der Außenwelt abgrenzte. Es fühlte sich an, als wäre sie Welten entfernt. Auf der Straße vor dem Zaun fuhren vereinzelte Autos entlang und Max erwischte sich mal wieder dabei, wie er davon träumte, in den Bus zu steigen und einfach abzuhauen. Er nahm einen weiteren Schluck aus seiner Flasche und ließ gedankenverloren den frühen Morgen auf sich wirken, während die ersten Sonnenstrahlen ihn wärmten. Es war still und es herrschte schon fast eine idyllische Atmosphäre, wäre da doch bloß nicht dieser störende Gedanke an den anstehenden Unterricht. Ein Seufzen entwich Max, wobei sein Atem als leichte Wolke in der noch kalten Luft zu sehen war. Das zeugte davon, wie kühl es noch immer draußen war und etwas widerwillig stand er auf und machte sich auf den Weg zu seinem Wohnblock, um sich für den Unterricht fertigzumachen.
Max betrat das Klassenzimmer der zwölften Klasse und wurde direkt von dem gewohnten Lärmpegel der anderen Schüler begrüßt. Es befand sich noch kein Lehrer in der Klasse, weswegen eine ausgelassene Stimmung herrschte. Die Schüler tauschten sich mit ihren Freunden über Neuigkeiten aus, redeten und lachten. Auf Handys wurden Bilder oder Videos gezeigt und einige Schüler liefen durch die Klasse, um sich ihren Gruppen anzuschließen. Wie in jeder Klasse waren die verschiedenen Gruppen gut zu erkennen: die coolen und beliebten Schüler, die Streber, die Klassenclowns und so weiter. Für viele stand das Training erst in den folgenden Schulstunden an, Max hatte da bei der Einteilung nicht so viel Glück gehabt. Er bahnte sich seinen Weg durch die Klasse und nahm an seinem Tisch Platz, stellte allerdings fest, dass der Platz neben ihm noch immer leer war. Wenn er sich selbst in eine dieser Gruppen einteilen müsste, wäre es wohl die Gruppe, welche nie auffiel. Er war keiner der Schüler, welche immer schikaniert und gehänselt wurden, gehörte gleichzeitig aber auch nicht zu der Art von Person, zu der jeder aufsah und bewunderte. Er gehörte den Schülern an, welche sich eher still im Hintergrund aufhielten. Er war zufrieden, so wie alles war.
Die Türe des Klassenzimmers gab ein Geräusch von sich und Miss Anatolius betrat den Raum. Sie war die Lateinlehrerin der Klasse, eine altmodische Frau, welche viel Wert auf gutes Benehmen und Anstand legte. Sie war streng und aufgrund dessen genau so unbeliebt wie auch gefürchtet unter den Schülern. „Ruhe! Setzt euch und holt eure Hefte raus, ich kontrolliere die Hausaufgaben!" Verkündete sie lautstark und nach einem leisen, genervten Laut der Klasse begaben sich alle Schüler zu ihren Plätzen und bereiteten ihre Sachen vor. Sie begann in den unteren Reihen der Klasse zu kontrollieren und erneut erwies es sich als richtige Entscheidung, dass Max sich weit nach oben gesetzt hatte. Während sie kontrollierte, öffnete sich die Klassentüre ein zweites Mal und eine Schülerin versuchte sich möglichst unbemerkt durch die Klasse zu schleichen. „Miss Roth, wenn Sie schon zu spät kommen, seien Sie wenigstens so ehrlich und geben mir Bescheid, anstatt sich durch die Klasse zu schleichen, wie ein Einbrecher." Die Schülerin, welche sich als Kacey Roth Max beste Freundin seit vielen Jahren entpuppte, stellte sich grade hin, als sie ermahnt wurde und sah Miss Anatolius mit roten Wangen an. Einige Schüler drehten sich kurz um, kicherten oder tuschelten und wandten sich danach wieder ihren Hausaufgaben zu. „Setzten Sie sich und stören nicht weiter meinen Unterricht." Kacey nickte schnell, wobei sich einige Strähnen ihrer blondroten Haare aus ihrem Zopf lösten und ihr ins Gesicht fielen. Während sie durch die Reihen lief, pfiffen ihr einige Jungs aus der Klasse hinterher, doch Kacey würdigte sie keines Blickes. Sie eilte zu ihrem Platz neben Max, ließ ihre Tasche fallen, ordnete energisch ihre Sachen und setzte sich danach. „Wo warst du?" Flüsterte er und musterte seine beste Freundin von der Seite, während sie versuchte, ihre langen Haare zu einem Pferdeschwanz zu bändigen und dabei ein Haargummi zwischen ihren Zähnen hielt. Ohne etwas zu antworten, deutete sie auf das dunkelblaue T-Shirt, welches sie trug, auf welchem das Logo der Fraueneishockeymannschaft des Internats abgebildet war. „Training." Brachte sie nuschelnd hervor und er nickte als Zeichen, dass er verstanden hatte. „Hast du die Hausaufgaben?" Fragte sie leise, als ihre Frisur saß und Max kramte bereits ein zweites Blatt aus seinen Unterlagen hervor und reichte es ihr. Überrascht zog sie beide Augenbrauen nach oben und ein leichtes Schmunzeln bildete sich auf Max Gesicht. „Ich habe mir schon gedacht, dass du sie brauchst." Erklärte er und nun musste auch sie lächeln, während sie das Blatt kurz überflog. Er liebte ihr Lächeln. „Danke." Es kam nicht selten vor, dass Kacey ihre Hausaufgaben vergaß und Max ihr aushalf. Die beiden waren ein eingespieltes Team.
Kacey war Captain der Fraueneishockeymannschaft des Internats. Sie war eine hoch angesehene Spielerin, da nur die besten den Titel des Captains und somit das C auf dem Trikot tragen durften. Jeden Tag trainierte sie hart dafür, musste immer wieder beweisen, den Anforderungen und Erwartungen gewachsen zu sein. Doch die größten Anforderungen hatte sie selbst. Es gab kaum Momente, in welchen Kacey zufrieden mit sich selbst war. Sie war eine starke, selbstbewusste Person, doch machte sich oft Gedanken darüber, was andere über sie dachten oder von ihr hielten. Sie sah ständigen Verbesserungsbedarf in sich selbst, wobei sie in Max Augen bereits perfekt war. Natürlich sagte er dies nie so, das wäre komisch, doch insgeheim bewunderte er sie immer wieder.
„Miss Roth, ich sehe doch, dass Sie abgeschrieben haben!" Miss Anatolius Stimme riss Max aus seinen Gedanken und irritiert sah er auf. Die Lehrerin stand gerade mit verschränkten Armen vor Kacey und sah sie mit strengem Blick an. Kacey fielen offensichtlich keine Argumente mehr ein, denn sie sah nur auf den Tisch und die Blätter vor sich, während sie sich wünschte, vom Erdboden verschluckt zu werden. Es war nicht das erste Mal, dass sie wegen Abschreibens der Hausaufgaben ermahnt wurde und es gab nichts Schlimmeres, als von Miss Anatolius vor der ganzen Klasse bloßgestellt zu werden. „Ich werde ein Gespräch mit dem Direktor anordnen. Sie werden ein Sportverbot erhalten und wir werden uns über Ihre Zukunft hier auf dem Internat unterhalten. Ihre Arbeitshaltung ist katastrophal Miss Roth!" Miss Anatolius sah mit kaltem Blick auf die Schülerin runter, während Kaceys Herz für einen Moment aussetzte. Der Platz auf dem Sportinternat bedeutete ihr alles und am Abend stand ein wichtiges Spiel mit dem Eishockeyteam an. Miss Anatolius lief weiter, während Kacey ihr verzweifelt hinterher sah und sich danach panisch zu Max drehte.
Wie fremdgesteuert stand Max plötzlich auf und spürte die Blicke seiner Mitschüler sofort auf sich, Miss Anatolius drehte sich um und sah ihn mit einem Blick an, welcher ihm schon fast Angst machte. „Möchten Sie etwas sagen, Herr Hijo?" Ehrfürchtig sah er sie an und wollte am liebsten ebenfalls mit Kacey im Erdboden versinken. Max wusste, dass er das bereuen würde. „I-Ich habe bei Kacey abgeschrieben, sie hat nichts falsch gemacht. Wenn Sie jemanden bestrafen wollen, dann mich." Seine Stimme klang leise und unsicher, aber dennoch verständlich. Miss Anatolius runzelte die Stirn und Max traute sich kaum aufzusehen, während ihre hohen Schuhe ein Klacken bei jedem Schritt von sich gaben und sie langsam näher trat. „Stimmt das Herr Hijo?" Fragte sie bedrohlich ruhig und er nickte, während er auf seine Füße sah. „Ja, es stimmt..." Er sah sich im Klassensaal um, alle Augen waren auf ihn gerichtet, wie als würde er auf einer Bühne stehen und hätte seinen Text vergessen. „Nun, das ist schade, Sie sind so ein guter Schüler. Das hätte ich nicht von Ihnen erwartet. Das wird sich selbstverständlich nicht gut auf Ihre Note auswirken." Ertönte Miss Anatolius Stimme und Max hielt für einige Sekunden inne. War das alles? Er schaute auf und sah in ihre kalten Augen. „Setzten. Ihre Eltern werden nicht erfreut darüber sein." Stille herrschte in der Klasse, während Frau Anatolius zurück an die Tafel lief und Max sich still schweigend setzte. Kaceys Blick lag auf ihm und mit noch immer rasendem Herzen sah er zu ihr. „Wir reden gleich noch darüber." Flüsterte sie fast lautlos und er nickte. Na, das kann was geben... Dachte Max und raufte sich durch seine fast schwarzen Haare. In so gut wie jedem Fach stand er auf einer eins oder auf einer zwei, da seine Eltern viel Wert auf gute Noten legten. Er war einer der besten Schüler des gesamten Internats. Obwohl sie nicht hier waren, machten sie ihm ständig Druck und er wusste bereits jetzt schon, dass dieses Gespräch nicht gut laufen würde. Max seufzte und sah rüber zu Kacey, diese sah an die Tafel und verfolgte den Unterricht desinteressiert mit, nebenbei kritzelte sie kleine Sternchen auf den Rand ihres Collegeblocks. Das machte sie immer, wenn ihr langweilig war. Das war Max schon früher aufgefallen und es war eine der kleinen Sachen, welche er wirklich süß an ihr fand. Es machte keinen Sinn, sich jetzt Vorwürfe zu machen. Kacey war mehr auf die gute Note angewiesen als er, ihre Noten reichten gerade so aus, dass sie auf der Schule bleiben durfte. Er hatte das Richtige getan. Seitdem sie klein war, spielte sie Eishockey und Max war der Meinung, dass sie richtig gut war. Sie hatte den Platz hier wirklich verdient! Kacey trainierte wie viele andere auch, mehrmals täglich mit ihrem Team, um in Topform zu bleiben. Sie war so gut, dass man ihr sogar angeboten hatte, bei dem Männereishockeyteam des Internats mit zu trainieren, obwohl Männer und Frauen auf dieser Schule streng getrennt waren. Das Team war sehr hoch angesehen, ihr Niveau war noch mal höher als bei den Frauen und es würde Kacey wirklich einen Vorteil verschaffen. Doch aus irgendeinem Grund hatte sie sich noch immer nicht getraut, das Angebot anzunehmen. Um ehrlich zu sein, verstand Max nicht, wieso. Kacey war wirklich eine unglaubliche Sportlerin. Sie hatte schon mehrmals den Preis "Sportler/in des Jahres" auf dem Internat gewonnen, doch für sie schien es nie genug zu sein. Niemand wusste wirklich, was ihr Ziel war, worauf sie hinarbeitete, oder wieso sie so hart trainierte, sie hatte es noch nie irgendwem verraten. Sie hatte schon immer einige Geheimnisse gehabt, sogar vor Max, doch das war auch etwas, was ihn an ihr faszinierte.
Während Max so in seinen Gedanken versunken war, musste er leicht lächeln und erst nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass er so wie ein Vollidiot aussehen musste. Er wurde rot und löste seine Gedanken von ihr, nur um zu bemerken, dass die Stunde schon fast zu Ende war. Einerseits atmete er erleichtert aus, andererseits kam jetzt erst das schlimmste: das Gespräch mit seinen Eltern... Die Klingel ertönte und alle Schüler standen auf und packten ihre Sachen ein. Während alle damit beschäftigt waren, möglichst schnell die Klasse zu verlassen, ließ Max sich Zeit und packte nur langsam alles ein. Kacey war bereits aufgestanden und sah zu ihm. Er begleitete sie noch für einen kurzen Moment mit nach draußen, wo viele Schüler durch den Flur liefen. „Na, hat dein Liebster dich wieder gerettet Kacey?" Fragte ein Mitschüler im Vorbeilaufen und lachend verdrehte Kacey die Augen. „Halt die Klappe Alex, er ist nicht mein Liebster!" Max biss nachdenklich auf seine Unterlippe...
„Kacey! Max!" Jemand kam den beiden Freunden entgegengelaufen. Es war Felix, ebenfalls ein guter Freund beider und gleichzeitig Max Mitbewohner. Er musste die Lateinstunde nicht mitmachen, da er zu dieser Zeit immer mit dem Gymnastikteam Training hatte. Felix war Max Freund, seitdem er hier auf der Schule war, also konnte man sagen, die beiden kannten sich schon eine ganze Weile. Er war einer der wenigen Jungs, welche im Gymnastikteam waren und musste dafür schon immer Kritik einstecken, doch davon ließ er sich nicht beeinflussen. Dazu hatte er eine besondere Begabung, was Musik anging. Er spielte Gitarre und komponierte selber Lieder. Max war davon überzeugt, dass Felix irgendwann mal berühmt werden würde, wenn er sich nur trauen würde, seine Werke zu veröffentlichen.
Felix, Kacey und Max waren eine Gruppe für sich. Sie gehörten nicht zu den beliebten Schülern des Internates, doch auch nicht zu denen, die gemobbt wurden. Zwar wurden Max und Felix manchmal von einigen Schülern geärgert, doch es war nicht so, dass es sie störte oder irgendwie beeinflusste. Kacey wurde von diversen Jungs auf dem Internat angemacht, doch sie ließ keinen von ihnen an sich heran. Wenn Max ehrlich sein musste, fand er genau das unglaublich attraktiv... Kacey war einfach anders als die anderen Mädchen.
„Wie war die Lateinstunde?" Fragte Felix und Kacey schüttelte ihren Kopf, wobei ihre rotblonden Haare ihr um die Schultern fielen. „Sei froh, dass du nicht dabei sein musstest." „So schlimm?" „Max hat ein Elterngespräch." Sagte sie leise und Felix sah überrascht zu seinem Kumpel. „Echt jetzt? Du?" Max nickte nur und Felix klopfte ihm lachend auf die Schulter. „Na dann, willkommen im Club der schlechten Schüler!" Während die drei noch kurz etwas redeten, liefen die anderen Schüler nach draußen oder in andere Klassenräume. Eine Person kam ihnen etwas später erst entgegen. Es war ein Schüler der Klasse 13, die Abschlussklasse. Kacey sah sofort zu Boden und ihre Körperhaltung änderte sich von entspannt und selbstbewusst zu nervös und schüchtern.
Nachdem Max kurz verwirrte an ihr vorbei gesehen hatte, erkannte er wer es war: Patrick Neumann, der Captain des Männereishockeyteams.
Er war einer der bekanntesten und auch beliebtesten Schüler auf dem Internat, doch er war nicht so wie die anderen beliebten Schüler. Er verhielt sich nicht hochnäsig oder arrogant, er ärgerte und schikanierte niemanden, gab sogar Nachhilfestunden in den unteren Klassen und dazu war er auch noch einer der besten Sportler des Internats. Trotz, dass er Eishockeyspieler war, hatte er perfekte Zähne und ein strahlendes Lächeln, was Max wirklich ein Rätsel war. Er hatte tiefblaue Augen und einen leichten Drei-Tage-Bart, welcher sein markantes Gesicht unterstrich. Sein Körper zeugte von den vielen Stunden Training, die er täglich absolvierte. Es war kein Wunder, dass er so gut wie von jedem Mädchen der Schule angehimmelt wurde und unter ihnen die Bezeichnung "Traummann" bekommen hatte. Woher Max das wusste? Vielleicht hatte Kacey es schon ein oder zweimal oder eher eintausendmal erwähnt. Kacey und er kannten sich durchs Eishockey, doch sie wurde in seiner Gegenwart immer schüchtern und still. Ihr fehlten dann immer jegliche Worte, wie als hätte jemand ihre gesamten Sprachkenntnisse einfach gelöscht. Und wenn sie sich mal unterhielten, fiel es Kacey unglaublich schwer, irgendetwas zu sagen, was nicht in peinlichem Stottern endete. Immer wenn seine blauen Augen in ihre sahen, oder er während eines Gesprächs lässig schmunzelte, verlor sie sich komplett in ihren Gedanken und Tagträumen. In seiner Nähe konnte sie sich kaum konzentrieren, ihr Blick wanderte immer wieder ungewollt zu ihm, und auch wenn Kacey ihm nicht wie die anderen Mädchen des Internats hinterher schwärmen wollte, hatte sie sich schon mehrmals in der Situation wiedergefunden, dass sie sich nach dem Training extra lange Zeit gelassen hatte, um Patrick unterwegs „zufällig" noch mal zu begegnen oder ihn für einen kurzen Moment bei seinem Training beobachten zu können. Dennoch rechnete sie sich ihre Chancen bei ihm schlecht aus, jemals außerhalb ihrer Sportart etwas mit ihm zu unternehmen. Dafür war sie einfach zu schüchtern. Außerdem gab es so viele andere talentierte und hübsche Mädchen auf dem Internat, dass Kacey sich nicht vorstellen konnte, dass Patrick sie jemals auf so eine Art und Weise sehen würde. Auch wenn sie es sich insgeheim wünschte...
„Hey Kacey." Sagte Patrick im Vorbeigehen kurz und lächelte ihr zu. Als er ihren Namen sagte, machte ihr Herz kurze Sprünge und sofort wurde Kacey rot im Gesicht. Sie erwiderte mit hoher Stimme ein „Hi" und sah schüchtern zu Boden, während Patrick seinen Weg durch den Flur fortsetzte. Felix hatte nur die Arme verschränkt und sah ihm mit einem kritischen Blick hinterher. „Hätte uns ja wenigstens auch mal grüßen können." Sagte er und sah zu Kacey. „Wieso stehst du nur auf den Typen?" „Ich stehe nicht auf ihn, er ist ein guter Eishockeyspieler und Kollege, das ist alles." Rechtfertigte sie und Felix grinste, während er mit den Augenbrauen wackelte. Kacey schwärmte oft von ihm, gab aber nie zu, dass sie ihn mochte. Max konnte verstehen, dass sie ihn toll fand, doch ein wenig eifersüchtig machte es ihn manchmal trotzdem. „Was hat der, was wir nicht haben?!" Fragte Felix scherzend und Kaceys Lachen holte Max wieder aus seinen Gedanken. Da fiel ihm auf einmal wieder etwas ein... „Leute, ich glaub ich muss los." Sagte er und deutete auf den Klassenraum. Kacey schenkte ihn noch ein aufmunterndes Lächeln. „Bis gleich." Sagte sie und er nickte. Kurz verabschiedete er sich von seinen beiden Freunden und lief danach zur Klasse. „Und viel Glück!" Rief Felix ihm noch hinterher und dann betrat Max den Klassenraum.
Er schloss die Türe hinter sich und lief unsicher einige Schritte in den Raum hinein. Es war ruhig und von draußen hörte man einige Vögel zwitschern. Die Sonne schien durch die Blätter der Bäume und fiel ins Klassenzimmer hinein. Er lief nach vorne zum Lehrerpult, wo Frau Anatolius bereits auf ihn wartete. „Sie wollten mich sprechen?" Sagte Max und sah sie an. Sie war gerade damit beschäftigt, etwas ins Klassenbuch zu schreiben und sah nur langsam auf. Als ihr Blick ihn traf, lief es ihm eiskalt den Rücken herunter. „Ja. Deine Eltern schaffen es leider nicht, hierhinzukommen, sie sind im Moment beide geschäftlich beschäftigt." Das bin ich ja schon gewohnt. Dachte Max sich nur und verdrehte innerlich die Augen. „Deswegen werden wir über eine Telefonkonferenz mit ihnen sprechen." Erklärte Frau Anatolius und er nickte. Es war so typisch, dass sie nicht einmal die Zeit hatten, zur Schule zu kommen. Frau Anatolius nahm das Telefon, welches auf dem Pult stand und tippte die Nummer der Mutter ein. Danach hielt sie sich den Hörer ans Ohr und schwieg. In dem gesamten Raum war es so still, dass man das Tuten des Telefons hören konnte und für einige Sekunden traute Max sich nicht mal zu atmen. Er versuchte zwar es sich nicht anmerken zu lassen, jedoch war er innerlich nervös und aufgebracht. Seine Knie fühlten sich weich an und seine Hände zitterten. Irgendwann hörte das Tuten auf und er konnte eine Stimme hören, allerdings konnte er nicht verstehen, was sie sagte. „Ja guten Tag, ich würde gerne mit Frau Hijo sprechen." Die Person am anderen Ende der Leitung sprach. „Ah okay, ich verstehe. Auf Wiederhören." Frau Anatolius legte auf und tippte eine andere Nummer ein. „Ist meine Mutter nicht erreichbar?" Fragte Max leise und sie schüttelte den Kopf. „Nein, sie ist zurzeit im OP." Er hielt die Luft an, während sie den Hörer ein zweites Mal an ihr Ohr hielt. Diesmal dauerte es nicht so lange, bis jemand ran ging und er hörte ein: „Natürlich, ich verbinde Sie." Frau Anatolius stellte das Telefon auf laut und legte den Hörer auf den Tisch. „Hallo?" Hörte man nach einer Weile. Es war die Stimme von Max Vater und ein unwohles Gefühl machte sich in ihm breit. „Guten Tag Herr Hijo." Begrüßte die Lehrerin ihn. „Guten Tag Frau Anatolius, was für ein unerwarteter Anruf. Stimmt etwas nicht?" „Nun, ich wollte Sie darüber informieren, dass Max heute für seine Hausaufgaben eine Sechs bekommen hat, da diese abgeschrieben waren und dass man sich vielleicht Gedanken um seine Arbeitshaltung machen sollte." Für eine Sekunde war es wieder still und Max spürte, wie sein Herz in seiner Brust hämmerte. Er befürchtete, dass man es im Raum hören konnte, so stark schlug es gegen seine Rippen. „Kann ich für einen Moment mit meinem Sohn sprechen?" „Natürlich." Frau Anatolius hielt ihm den Hörer entgegen und mit zitternden Händen hielt Max sich diesen ans Ohr. „Hey Dad..." Sagte er leise und versuchte den unsicheren Ton in seiner Stimme zu unterdrücken. „Max! Möchtest du mir das vielleicht erklären?!" Ertönte die laute und aufgebrachte Stimme seines Vaters. „Was soll ich da noch erklären? Ich habe nun mal abgeschrieben..." Log er doch dachte nicht mal daran, Kacey zu verpfeifen. „Ich bin sehr enttäuscht Max, ich hätte Besseres von dir erwartet. Deine Mutter und ich bezahlen monatlich sehr viel Geld, damit du auf diese Schule gehen kannst und dann weist du so ein verhalten auf." Max spürte, wie sich Frust in ihm bildete. „Ihr könntet mich auch einfach auf eine normale Schule schicken, dann könntet ihr euch das Ganze sparen." Sagte er aufgebracht. „Max, sprich nicht in so einem Ton mit mir! Wir wollen nur das Beste für dich." Max lachte verächtlich. „Ja und dann habt ihr nicht mal die Zeit, hier aufzukreuzen und euch um euren Sohn zu kümmern, wie es normale Eltern tun würden!" Er hatte nicht bemerkt, dass er während des Sprechens immer lauter geworden war und nun schon fast in den Hörer schrie. Er drückte ihn Frau Anatolius wieder in die Hand, welche ihn für einen Moment verdutzt ansah. „Das hat sowieso keinen Sinn." Sagte er nur zu sich selbst und lief Richtung Türe. „Dieses Gespräch ist für mich beendet!" Mit diesem Satz verließ er den Raum und knallte die Türe hinter sich so sehr zu, dass man das Hallen durch den gesamten Flur hören konnte. Der Schulflur war leer, bis auf eine Person, welche neben dem Klassenzimmer auf dem Boden saß und geduldig gewartet hatte. Kacey... Sie sah von ihrem Handy auf. Ihre blauen Augen sahen Max besorgt und schon fast schuldbewusst an. Sie stand auf und lief neben Max her. Schweigend liefen beide den Flur entlang, das Einzige, was zu hören war, waren ihre Schritte, welche durch die Gänge hallten. Niemand wusste, was er sagen sollte, während sie in Richtung des Ausganges der Schule liefen.
Die beiden jungen Sportler verließen das Gebäude und befanden sich nun auf dem großen Schulgelände. Trotz des klaren Himmels und des Sonnenscheines war es überraschend kühl draußen. Es war immerhin März. Ein leichter Windstoß ließ die Äste der Bäume am Wegesrand schwingen und eine außergewöhnliche Ruhe lag auf dem Gelände. Max sah sich um. Viele Wege führten zu den verschiedenen Hallen und Sportplätzen des Internates und waren an einigen Stellen ausgeschildert. Er kannte das Gelände gut, immerhin hatte er, wie die meisten anderen Schüler des Internats auch die meiste Zeit seines Lebens hier verbracht. Zwischen den Wegen befanden sich Bäume und Natur, es ähnelte schon fast einem kleinen Park. Außer Kacey und Max befanden sich nur vereinzelt wenige Schüler auf dem Gelände, die meisten hatten wohl Training oder befanden sich in ihren Zimmern. Max atmete aus und sein Atem war in Form einer kleinen Wolke zu sehen. Er zog seine blaue Teamjacke zurecht, welcher jeder Schüler hier besaß. Man bekam sie, wenn man an der Schule aufgenommen wurde. Die Jacken waren in einem einheitlichen Blau, auf dem Rücken befand sich in Weiß das Logo des Internats. Vorne links vom Reißverschluss, befanden sich die Initialen des Schülers, etwas darüber war ein kleines Symbol, welches für die Sportart des Schülers stand. Die Schüler waren genau so stolz auf ihre Jacken wie auf ihren Platz auf dem Internat, sie waren ein Zeichen von Willenskraft, Überlegenheit und Dazugehörigkeit. Max jedoch war all das reichlich egal. Kacey und er liefen etwas umher. Sie hatte die Hände in den Taschen ihrer Jacke vergraben und sah auf ihre Füße. Nach einer Weile brach sie endlich das Schweigen. „Max, du musst aufhören, ständig für mich einzustehen." Sie sah ihn schon fast vorwurfsvoll an. Max blickte zu Boden, doch konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es war nicht das erste Mal, dass so etwas vorgekommen war. Er konnte sie einfach noch nie im Stich lassen. Kacey kickte einen Kieselstein vor sich her und das unangenehme Schweigen von vorhin kam zurück. „Ich wollte einfach nicht, dass du heute Abend nicht spielen kannst." Kacey sah auf und wollte gerade etwas erwidern, da kam ihnen jemand entgegen. Es war Luna, ein Mädchen aus ihrer Stufe. Sie war in der Tanzgruppe und eine eher zurückhaltende Person. Sie hatte nur wenig Freunde, kaum einer kannte sie wirklich und in den Pausen lief sie meist alleine rum oder saß irgendwo und las ein Buch. Sie war eine verschlossene Person, von außen betrachtet wirkte sie sehr verträumt, wie als würde sie in der Welt aus einer ihrer Bücher leben.
Als ihre braunen Augen Max bemerkten, funkelten diese kurz auf und sie lächelte schüchtern. „Hey Max. Hey Kacey." Begrüßte sie die beiden leise. „Hi Luna." Gab Max zurück. „A-Also, ich finde das total süß, dass du dich vorhin so eingesetzt hast, das war sehr mutig..." Sagte sie und schaute verlegen auf ihre Füße, wobei ihr einige Haarsträhnen ihrer langen, schwarzen Haare ins Gesicht fielen. Max lächelte leicht und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht magst du ja bei unserer nächsten Tanzaufführung zugucken kommen...? Natürlich nur, wenn du magst. Ich würde mich sehr freuen..." Sagte sie, wobei ihre Stimme leiser und höher wurde und mit zitternden Händen hielt sie Max einen kleinen Flyer entgegen. „Ja, ich gucke mal, wann ich Zeit habe." Erwiderte Max mit einem Lächeln und sie nickte, wobei sie ihn glücklich ansah. Max nahm den Flyer entgegen und steckte ihn ein. Kacey stand nur mit verschränkten Armen daneben und musterte Luna genau. Als Luna dies bemerkte, wurden ihre Wangen rot und sie sagte ein schnelles: „Na dann, ich muss weiter." Und setzte ihren Weg schnellen Schrittes fort. „Man sieht sich." Kacey nickte ihr nur einmal kurz zu, bevor auch sie und Max ihren Weg fortsetzten. „Sie steht auf dich." Lachte Kacey, als sie außer Hörweite waren. „Erzähl keinen Unsinn." Max fuhr sich verlegen mit der rechten Hand durch die Haare. „Sie steht nicht auf mich." Kacey runzelte nur die Stirn. „Hast du gesehen, wie nervös sie in deiner Nähre war?" „Sie ist einfach schüchtern, das ist alles." Erneut musste Kacey lachen, woraufhin sie einen irritierten Blick von Max zugeworfen bekam. „Was ist so witzig?" „Nichts Maxi, alles ist gut, manchmal habe ich nur das Gefühl, du bist noch ein kleiner Junge." Neckend boxte sie Max leicht gegen die Schulter, dieser nuschelte nur ein beschämtes: „Gar nicht wahr..."
Nach einer Weile kamen beide an Wohnblock C an, dort befand sich Felix und Max Zimmer. Sie blieben stehen. „Bis später, ich muss zur Arena." Sagte Kacey und sie umarmte Max kurz, welcher sich aufgrund seiner Größe nach unten beugen musste. „Kommen Felix und du zugucken?" „Klar." Bestätigte er mit einem Lächeln. „Ok und die Sache von vorhin ist noch nicht geklärt!" Sagte Kacey noch mit einem Grinsen, bevor sie sich auf den Weg machte. Max schmunzelte nur und sah ihr noch kurz hinterher, bevor er das Gebäude betrat und zu seinem Zimmer lief.
Der dunkle Holzboden, welcher sich durch die Flure des gesamten Hauses zog, knarzte gelegentlich unter Max Schritten, während er an den anderen Zimmern vorbei lief. Das Wohnhaus war edel eingerichtet, es passte zum Image des Internats. Die Wände waren weiß gestrichen, links befanden sich die Zimmer. Zwischen den dunklen Zimmertüren befanden sich immer im regelmäßigen Abstand aufgehangene Bilder von Landschaften. Einige zeigten weite Felder mit hohen Bergen im Hintergrund, andere zeigten einen See inmitten eines tiefen Waldes. Max hatte sich die Bilder schon oft angesehen, wenn niemand in der Nähe war. Er dachte dann oft darüber nach, wo dieses Bild wohl gemacht wurde, von wem und was seine Geschichte war. Oft dachte er sich, dass er auch solche Bilder machen könnte, würde er nur nicht hier festgehalten werden. Auf der rechten Seite des Flures befanden sich Fenster, durch welche man wiederum auf das Schulgelände blicken konnte.
Max kam bei seinem Zimmer an. An der Türe klopfte er kurz bevor er seinen Schlüssel rausholte. Es war eine große Türe aus dunklem Holz. Oberhalb mittig der Türe befand sich die Zimmernummer 9, sie schimmerte Gold im Licht der Sonne. Max öffnete die Türe. Sie gab ein lautes Knarzen von sich, als er sie öffnete und das große Zimmer betrat. Felix lag oben auf seinem Bett und hörte mit Kopfhörern Musik, weshalb er nichts bemerkte. Im Vergleich zu den anderen Schülern hatten sie eines der größeren Zimmer abbekommen, wofür selbstverständlich Max Eltern gesorgt hatten. Der Raum hatte ebenfalls weiße Wände und einen dunklen Boden, dazu war er normal eingerichtet: Zwei Kleiderschränke, Schreibtische und ein Hochbett, um Platz zu sparen. Dazu auf Max Wunsch ein Bücherregal, welches fast überquoll vor verschiedensten Büchern von Märchen zu Sachbüchern war alles dabei. Einige Bilder und Poster hingen an den Wänden und von Felix standen zwei Gitarren im Raum herum. Dazu hatten sie auch einen kleinen Fernseher und eine alte Konsole, für welche Felix und Max ewig zusammengelegt hatten und von den anderen Jungs des Wohnblocks stark beneidet wurden. Erst als die ins Schloss fallende Türe einen lauten Knall von sich gab, sah Felix auf. „Komm steh auf. Wir gehen jetzt in die Eishalle." Sagte Max und warf ihm seinen Pullover zu, während er seine Kopfhörer abzog. Felix sah Max verwirrt an, während dieser sich selber eine wärmere Jacke überzog. „Wieso noch mal?" Max verdrehte die Augen und sah zu seinem Zimmerkollegen. „Kacey hat ein wichtiges Spiel." Felix seufzte und setzte sich auf. „Müssen wir da hin? Es ist immer so kalt..." Er kassierte einen strengen Blick von Max. „Ich habe es ihr versprochen!" Er zog sich seinen Pulli über und stand auf. „Sprich beim nächsten Mal für dich selbst." Sagte er, folgte Max allerdings trotzdem. Zusammen verließen sie das Zimmer und Max schloss ab.
Draußen ging bereits langsam die Sonne unter und sie liefen in Richtung der Eishockeyarena des Internats. Es waren wesentlich mehr Schüler unterwegs als vorhin und viele liefen ebenfalls in Richtung der Arena. Da die Eishockeyteams der Schule hoch angesehen waren, hatte die Schule vor einigen Jahren entschieden, eine Arena bauen zu lassen und diese war wirklich beeindruckend geworden. Die Spiele waren oft gut besucht und für die Schüler war der Eintritt frei, daher war es immer ein kleines Highlight, wenn ein wichtiges Spiel stattfand. Jedes Mal, wenn Max die Arena betrat, staunte er innerlich, da sie für ein Internat echt riesig war. Felix und Max folgten den anderen Schülern in die Arena und nahmen auf der oberen Tribüne für Schüler platz. Es dauerte nicht lange, bis die Arena voll mit jubelnden Eishockeyfans war und das Team des Internats das Eis betrat. Kurz sah Max sich um und erkannte einige bekannte Gesichter zwischen den Leuten, darunter auch Patrick, welcher mit einigen Teamkollegen zusah. Alle jubelten zusammen und von einem Sprecher wurden die Spieler mit Nummer und Namen angesagt. „Und mit der Nummer 41, der Captain unserer Mannschaft, Kacey Roth!" Max sah hinauf zum Videowürfel, welcher von der Decke der Arena hing und grinste breit, als Kacey das Eis betrat. Sie hob kurz die Hand als Begrüßung an die Zuschauer und lief danach mit ihrem Team über das Eis. Sie trug wie der Rest ihrer Mannschaft auch viele Polster und Schoner, sodass sie nun wesentlich breiter und kräftiger als sonst aussah. Das dunkelblaue Trikot mit der weißen 41 auf dem Rücken und dem C auf der Brust trug sie voller Stolz. Max bemerkte, wie Patrick leicht zu Schmunzeln begann, als er Kacey sah und jubelte ihr laut zu.
Nach einer Weile startete das Spiel. Die Gegner waren stark und hatten einige Chancen, doch das Heimteam war besser. Schon im ersten Drittel führten sie mit 2 zu 0, doch im zweiten Drittel merkte man, dass die gegnerische Mannschaft ruppiger wurde, denn es gab mehr Strafzeiten und immer wieder böse Blicke unter den Spielerinnen. Man konnte die Spannung bis zu den Zuschauern spüren. Max Blick war gespannt auf die Eisfläche gerichtet, als sich plötzlich vor dem Tor eine Rangelei bildete. Kacey stand ebenfalls zwischen den Spielern und versuchte Ruhe hineinzubringen, bis plötzlich eine Spielerin der Gegner sie von hinten schubste. Die Zuschauer pfiffen laut und es dauerte nicht lange, bis beide Spielerinnen aufeinander losgingen. Alle sprangen von ihren Sitzplätzen auf und Max beobachtete, wie beide ihre Handschuhe fallen ließen. So einen Kampf sah man im Fraueneishockey eher selten, doch es schien nicht so, als würde auch nur eine von beiden einen Gedanken ans Aufgeben verschwenden. Ein unwohles Gefühl machte sich in Max Bauch breit, während die Schiedsrichter irgendwie versuchten, dazwischen zu gehen, da beide Spielerinnen keinen Helm mehr trugen. Angespannt biss er auf seiner Unterlippe rum und sah dem Geschehen zu, während er mit den Händen am Rand seines Pullis zupfte. Seine beste Freundin so dort unten zu sehen, löste ein unwohles Gefühl in ihm aus. Es dauerte lange, bis man sie getrennt hatte und die Schiedsrichter schienen über eine Strafe zu diskutieren. Während beide Spielerinnen vom Spielfeld begleitet wurden, wurde eine Durchsage gemacht. „Beide Spielerinnen werden des Spieles verwiesen." Einige Fans protestierten lautstark und auch die Teams wirkten unzufrieden mit dieser Entscheidung. Es wurde gebuht, lautstark gepfiffen und sogar Dinge aus dem Publikum aufs Eis geschmissen. Die Spielerinnen redeten ebenfalls empört auf die Schiedsrichter ein.
Max tippte Felix an der Schulter an und stand von seinem Platz auf. „Komm." Sagte er durch den Lärm hindurch und Felix folgte ihm aus der Halle. Er wusste, was Max vorhatte. Sie liefen durch die langen Flure der Arena, welche nun leer waren und warteten sitzend auf einer Treppe vor dem Haupteingang auf Kacey. Etwas entfernt befand sich eine weitere Treppe, sie führte in das Erdgeschoss der Arena, dort befanden sich die Kabinen der Spieler. Dieser Bereich durfte nur von befugtem Personal und Spielern betreten werden. Max hatte keine Ahnung, wie es dort unten aussah. Nervös biss er auf seine Unterlippe, während er auf die Treppenstufen starrte, darauf wartend, dass Kacey endlich auftauchen würde. Das war ein langer Kampf, sie würde garantiert einige Kratzer abbekommen haben... Dachte er abwesend, während Felix euphorisch irgendetwas erzählte. „Das war ein klasse Kampf." Grinste er, doch Max schüttelte nur den Kopf. „Nein, das war alles andere als klasse! Kacey könnte dafür für mehrere Spiele gesperrt werden und das schlimmste: Sie könnte sich verletzt haben." Felix verdrehte nur die Augen und zuckte mit den Schultern. ER fand ja schon immer, dass Max überfürsorglich war wenn es um Kacey ging. „Max, das ist nun mal die Gefahr beim Eishockey. Du musst endlich aufhören sie vor allem beschützen zu wollen." Er wusste, dass Felix Recht hatte, doch egal wie sehr er es auch versuchte, meistens konnte er es einfach nicht lassen...
Eine Weile war vergangen... Max saß noch immer auf den Treppenstufen, den linken Ellbogen hatte er auf sein Knie gestellt und stützte mit der Hand seinen Kopf. Felix saß etwas entfernt von ihm und lehnte sich an das Geländer. Aus der Arena ertönten dumpfe Geräusche wie Pfiffe und das Jubeln der Fans. Max zuckte zusammen, als Felix plötzlich aufsprang und einer Person entgegenlief. Als er erkannte, wer es war, stand er ebenfalls auf und lief zu den beiden. Sie trug eine schwarze Jogginghose, die blaue Schuljacke und ihre Haare hatte sie zu einem losen Zopf gebunden. „Kacey!" Rief Max und stellte sich an Felix Seite, allerdings sah er sie geschockt an, als er einen genaueren Blick auf ihr Gesicht warf. Unter ihrem linken Auge hatte sich ein dunkelblauer, fast lila Fleck gebildet und sie drückte ein weißes Taschentuch auf ihre Nase, welche immer noch blutete. „Oh Gott, geht's? Tut es sehr weh?" Fragte Max besorgt und legte eine Hand auf ihre Wange, Kacey allerdings verdrehte nur die Augen. „Es geht Max!" Sagte sie schnippisch und machte einen kleinen Schritt von ihm weg, sodass er seine Hand wieder an seine Seite fallen ließ. Er hatte Verständnis dafür, dass Kacey sauer war, sie wurde immerhin grade des Spieles verwiesen, dennoch kränkte ihre Reaktion ihn innerlich etwas. „Deine Nase blutet immer noch...?" Stellte er fest, ließ sich allerdings diesmal seine Besorgnis nicht so sehr anmerken. Sie zuckte mit den Schultern. „Warst du beim Sanitäter?" Fragte Felix zu Max Erleichterung, denn hätte er gefragt, wäre Kacey wahrscheinlich komplett ausgerastet. Sie schüttelte den Kopf und bemerkte wohl Max kritischen Blick. „Aber wenn ihr unbedingt wollt, kann ich zu ihm geben." Gab sie nach und sowohl Felix wie auch Max nickten. Kacey lief die Treppe runter, von welcher sie eben kam und Felix und Max liefen ihr unsicher hinterher. Es war das erste Mal, dass sie hier unten waren und Max sah sich neugierig um. Es erstreckte sich ein langer Flur den Gang entlang mit einigen Kabinen und am Ende ging es wieder nach oben. Den dumpfen Geräuschen nach zu urteilen, ging es dort wieder in die Halle. Ein Securitymann stand am Ende der Treppe, von welcher die drei Schüler gekommen waren und sah sie kritisch an. „Sie gehören zu mir." Sagte Kacey knapp. Er nickte und ging auf Seite, sodass die drei passieren konnten. Sie liefen an ihm vorbei und von oben ertönte eine dumpfe Sirene. Das zweite Drittel musste gerade geendet haben. Kacey klopfte an einer der Türen im Flur und ein „Herein!" kam von innen. Sie liefen durch die Türe und fanden sich in einem kleinen Raum wieder, welcher sehr einem Behandlungszimmer ähnelte. Ein junger Sanitäter stand darin und sah sie an. Als er Kacey entdeckte, schmunzelte er. „Ah Kacey, ich hab dich schon erwartet." Felix schloss die Türe hinter sich und während Kacey den jungen Mann begrüßte, standen Max und Felix schüchtern an der Seite. „Die andere Spielerin war auch eben hier. Ich muss sagen, sie ist nicht gerade glimpflich davon gekommen." In seiner Stimme lag etwas leicht Amüsiertes und er deutete auf eine Bank, auf welcher Kacey platznahm. „Ich nehme an, ich soll mir mal deine Nase angucken." „Richtig erkannt." Mittlerweile hielt Kacey ihren Kopf schon nach oben, um irgendwie das Blut zu stoppen, welches kein Ende nehmen zu wollen schien. Sie nahm das Taschentuch von ihrer Nase und sofort spürte Max, wie sich mein Magen umdrehte, als er das viele Blut bemerkte. Auch der Sanitäter machte ein ernstes Gesicht, während er sich die Verletzung ansah. Er zog sich ein Paar weiße Latexhandschuhe über und begann vorsichtig einige Stellen an Kaceys Gesicht abzutasten. „Tut das weh?" Fragte er einige Male und Kacey schüttelte meist den Kopf. Max beschäftigte sich während der Behandlung damit, den Boden anzusehen und möglichst Blickkontakt zu vermeiden. „Okay, die Nase ist auf jeden Fall nicht gebrochen, das ist schon mal gut." Erhob der Sanitäter seine Stimme und händigte Kacey ein neues Taschentuch aus. „Aber ich würde dich trotzdem damit ins Krankenhaus schicken, da die Blutung offensichtlich nicht nachlässt." Felix und Max sahen sich an, während Kacey genervt die Augen verdrehte. „Muss das sein?" Fragte sie und versuchte nicht mal, den genervten Ton in ihrer Stimme zu verbergen. „Es wird wahrscheinlich nichts Schlimmes sein, aber lass es trotzdem mal abchecken. Die werden dir dann auch etwas gegen die Blutung geben können." Kacey seufzte schwer und nickte. „Na gut, danke für die Behandlung." Sie hopste von der Liege und verabschiedete sich mit einem Handschlag bei dem Sanitäter. Die drei verließen den Raum wieder und diesmal war der Flur etwas voller als vorher, da die Spieler gerade aus den Kabinen gekommen waren. Kacey versuchte möglichst Blickkontakt und Konversationen zu vermeiden und quetschte sich durch die vielen Menschen. Felix und Max versuchten ihr irgendwie zu folgen. Sie wollten gerade die Treppe hochlaufen, welche sie eben runter kamen, als plötzlich jemand Kaceys Namen rief. Sie drehte sich um und der Betreuer des Teams, Manuel Anderson, hatte sie eingeholt. „Hey, was hat Jackson gesagt?" Er nickte in Richtung des Behandlungsraumes und Kacey seufzte. „Er meinte, wir sollen ins Krankenhaus..." Sagte sie, wobei sie offensichtlich etwas benommen wirkte, denn sie nuschelte leicht und schwankte immer wieder von einer Seite zur anderen, wie als wüsste sie nicht, wie sie am besten stehen sollte. „Oh, das klingt ja nicht gut, soll ich euch fahren?" Er sah diesmal Max an. Etwas unsicher sah der seine beste Freundin an. Erst jetzt fiel ihm auf, wie blass sie war. „Ja, das wäre gut." Sagte er schnell, bevor Kacey widersprechen konnte und Manuel nickte. Zusammen mit ihm verließen sie die Arena. Draußen war es bereits stockdunkel und auch die Temperatur war deutlich gesunken, während alle schweigend über das Schulgelände liefen, welches nun eine gespenstische Atmosphäre angenommen hatte und nur von einigen Laternen und dem Mond belichtet wurde. „Das ist doch unnötig..." Flüsterte Kacey leise und sah auf ihre Füße. Die Hände hatte sie in ihren Hosentaschen vergraben, während sie gefrustet einen Kieselstein vor sich her kickte. Die Gruppe lief zu dem großen Tor, welches den Zutritt zu dem Gelände des Internates ermöglichte. „Dürfen wir das Schulgelände zu dieser Uhrzeit überhaupt noch verlassen?" Fragte Kacey, welche noch immer eingeschnappt war. Eigentlich mussten die Schüler immer berichten, wenn sie das Schulgelände verließen. Vor allem um solche Uhrzeiten, doch diesmal konnte man es als Notfall werten. „Ich denke, in diesem Fall ist es in Ordnung." Sagte Manuel und öffnete zusammen mit Felix das große Tor. Sie liefen hindurch und kamen auf den großen Parkplatz, welcher nun bis auf wenige Autos leer war. Sofort spürte Max eine gewisse Unbeschwertheit, doch er drängte seine eigenen Gefühle in den Hintergrund. Hier ging es um Kacey, nicht um ihn, sagte er sich selbst. Manuel führte sie zu seinem Auto und stieg ein. Felix saß vorne auf dem Beifahrersitz und Max hinten neben Kacey. Während der Fahrt herrschte unangenehmes Schweigen und jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt...
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