9. Dezember- Christmas

Es hat seine Zeit gebraucht, bis sich die Ruhe der Stille einsam anfühlt. Eigentlich habe ich es gerne ruhig, hänge meinen Gedanken nach, tanke Energie.

Jetzt wurde Wohlfühlstille zu Einsamkeitskälte, meine Wollsocken werden durchweicht und meine Füße fühlen sich an wie die einer Eisskulptur, als ich in den Schneehaufen vor dem Adventmarkt trete.
Scheiß Schnee.

Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und blicke ein wenig verloren in die Menge. Viele Menschen, Lachen, traurige Gesichter. Alle haben ihr Leben, ihre Geschichte. Über jeden von ihnen könnte man Bücher füllen. 

Ich fühle mich so alleine wie selten, als wäre selbst ich irgendwie weggerissen worden und hätte diese Hülle von mir hier stehen gelassen.

December ist mit Max unterwegs, meine Mutter arbeitet und Arvid kann ich nicht mehr anrufen. Andere Freunde habe ich nicht.

Seit wir hier hergezogen sind, war ich so auf Arvid fokussiert, dass ich es ganz verpasst habe, auch mal was mit anderen zu unternehmen.

Klar verstehe ich mich mit vielen in der Klasse, aber das sind nur Bekanntschaften, die man schließt, weil man einen Referatspartner oder jemanden zum Reden in der Pause braucht. Zumal ich sowieso die meisten Gruppenarbeiten mit December zusammen mache.
Niemand würde sich so spontan mit mir treffen wollen, alle haben eigene Freunde und Leben. Sie brauchen mich nicht.
Aber zurück nach Hause möchte ich auch nicht. Dort sitze ich nur alleine auf dem Sofa, versuche zu lernen, ohne mich konzentrieren zu können, oder zu lesen. Oder ich denke nach, über mich, Arvid und das Leben, warte wieder. Das will ich nicht. Dabei denke ich meistens doch so gerne nach.

Also gehe ich zum Glühweinstand und bestelle Orangenpunsch, den einen, den Arvid nicht mag und den ich deswegen noch nie getrunken habe, und denke nicht nach.

Ich friere, aber denke nicht nach.

Ich beobachte, aber denke nicht nach.

Ich erkenne Aria, aber denke nicht nach.

Sie blickt mich an, direkt und irgendwie forsch, aber ich mache mir keine Gedanken darüber, weshalb ich den Blickkontakt auch nicht abbreche.
Sie geht weg, von mir aus könnte sie für immer verschwinden.

Der Punsch schmeckt gut, zu schade, dass ich ihn nicht früher probiert habe.

Ich denke über die Schritte nach, bevor ich sie höre.
Sie nähern sich mir von hinten. Hoffentlich ist es kein betrunkener Mann.
Der Tisch wackelt, als eine Tasse unsanft darauf abgestellt wird. Das Getränk schwappt über.

»Seit wann stehen hübsche Mädchen alleine auf Adventmärkten herum?«
Ich drehe mich zu ihm um.
Grüne Haare, Ohrring, schwarzer Lippenpircing. Ich kenne ihn.
»Ich weiß es nicht, ich stehe schon seit einiger Zeit so da.«
»Daran kann ich aber etwas ändern.«

Und ohne es zu wollen, denke ich über ihn nach.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top