7.Dezember-Christmas
Dezember ist mein Lieblingsmonat im Jahr. Und das hier hätte mein Lieblingsjahr werden sollen. Mein Lieblingsmonat in meinem Lieblingsjahr. Weil ich es sowohl mit meiner Familie, als auch mit Arvid an einem wunderschönen, weihnachtlichen Ort teile. Weil ich bald 18 werde.
Der Punsch will die Nacht in meinem Bauch nicht vertreiben und plötzlich erscheinen mir die fröhlichen Menschenmassen um mich herum als zu laut, zu aufdringlich, zu anstrengend.
Das Klappern meiner Stöckelschuhe geht in dem Lärm in der Festhalle unter wie ein Kieselstein im Wasser und ich mit ihm. Schritt für Schritt bewege ich mich auf den Ausgang zu, sehe in lächelnde Gesichter, nicke Bekannten freundlich zu.
An der Garderobe ziehe ich meinen Mantel über und ergreife Mütze, Schal und Flucht. Vor Arvid, vor zu vielen Menschen, vor dem Gefühl, jetzt bloß nicht weinen zu dürfen.
Die Kälte ist wie ein Schlag ins Gesicht, als ich aus der Hitze von innen nach draußen trete. Rasch verpacke ich mich in meiner restlichen Winterkleidung, während mich das Winternachtsschneeknirschen unter meinen Füßen immer weiter trägt, dem Tanz der dicht fallenden Schneeflocken hinterher.
Je weiter ich gehe, desto mehr Tränen fallen von meinen Wimpern und hindern meine Wangen am Einfrieren. Hin und wieder entdecke ich Nachzügler, die unterwegs zum Fest sind, aber ich grüße keinen von ihnen, sondern wende den Blick zu Boden und versuche, keine Aufmerksamkeit zu erregen, während kleine Schluchzer mich dazu bringen, mich zu fühlen wie mit December auf der Tanzplatte in einem Vergnügungspark. Sie hat uns durchgeschüttelt und gerüttelt, bis wir nicht mehr gewusst haben, wo oben und wo unten ist.
Und wir haben dabei zusammen vor Adrenalin gelacht.
Plötzlich ist das Bedürfnis, meine Schwester zu sehen, riesig. Noch bin ich nicht weit gegangen, aber lange genug, um zu frieren.
Viel weiter will ich nicht mehr gehen, nur noch bis zu diesem See, der nur wenige Minuten die Straße entlang entfernt ist. Er ist beliebt zum Spazierengehen und Moos Lieblingsort. Sie kommt oft hierher, um nachzudenken. Nachdenken brauche ich jetzt auch.
Das Sternenglitzern am Himmel ist kaum zu sehen, als ich den restlichen Weg zurücklege.
Der See ist hübsch, natürlich, recht tief, unförmig. Im Sommer kann man die Lichtreflexionen im Wasser beobachten, heute das Nachteisschimmern, denn das Wasser ist gefroren.
Ein bisschen erinnert das alles mich an mich selbst.
Ich stehe da und warte, weiß nicht worauf und wieso ich nicht einfach gehe, aber tatsächlich wird es etwas besser. Ich weine, Tränen wärmen meine Wangen, Eiskristallflocken landen in meinem Haar.
Irgendwann krame ich mein inzwischen kaltes Handy aus der Manteltasche, um December zu schreiben, aber es befindet sich wohl im Winterschlaf.
Junges Mädchen nachts alleine am See, Dunkelheit, ein nicht funktionierendes Handy? Eigentlich ein ziemlich guter Anfang für einen Horrorfilm.
Dieser Gedanke will nicht mehr verschwinden. Er ist auch noch präsent, als das Schneeknirschen ankündigt, dass ich nicht mehr alleine bin.
Ich bleibe einfach stehen und warte weiter im Stillen in der Hoffnung, keinen Axtmörder in meiner Nähe zu haben. Oder keinen hungrigen Grizzlybären.
Bei diesem Gedanken wird mir gleich ganz anders. Christmas, das Weihnachtsessen. Was für eine Ironie.
Ich könnte einfach unauffällig gehen, die andere Person würde mich im Dunkeln vermutlich nur hören. Aber eigentlich besitzt mich die Neugier ebenso wie December. Nur habe ich mehr Anstand als sie.
Deshalb beschließe ich auch, nur kurz ein paar Schritte näher zu gehen und nicht länger zu stehen, herumzuschleichen und zu lauschen.
Vorsichtig und so leise wie möglich stapfe ich auf die Person zu. Vielleicht kenne ich sie. Ist bei einem kleinen Ort wie Drayton Valley nicht unwahrscheinlich.
Bei der Silhouette habe ich den Grizzly zuerst ausgeschlossen, aber plötzlich höre ich besonders laute Atemgeräusche und erstarre. Dann wird mir bewusst, dass der Mensch vor mir hyperventiliert.
»Entschuldigen Sie, kann ich Ihn-« Ich breche meinen Satz in der Mitte ab, als ich nach zwei eiligen Schritten nach vorne erkenne, wer da vor mir steht.
»Mom? Was ist denn los?« Mit einer noch dunkleren Nacht im Bauch als um mich herum trete ich auf sie zu und warte, bis sie mich erkannt hat, bevor ich vorsichtig die Arme um sie in ihrem Mantel lege, ihr Halt gebe.
»Ich- Angeolina, ihre Tochte, es- einfach zu viel«, bringt meine Mutter heraus, bevor sie verstummt und in Tränen ausbricht. Ich drücke sie bestürzt.
Angeolina? Tochter? Zu viel? Zu viel ist dieser Abend hier definitiv auch.
Wenigstens habe ich jetzt nicht die Gelegenheit, weiter über Arvid nachzudenken.
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