12. Dezember- Aria

Wenn das in meinem Inneren wirklich Teer ist, kann man mit ihm inzwischen bestimmt einige Straßen bauen.

Blumig und schwer riecht sie. Wie ihr Parfüm.

Meine Finger schließen sich fester um die einzelne Rose in meiner Hand, die der einzige Farbtupfer in dieser farblosen Wüste ist. Weiße Wände, weiße Kittel, weiße Betten, weiße Desinfektionsmittelspender. Nur mein Hoodie ist schwarz und das macht das Ganze nicht einladender.

»Da sind wir«, sagt die Krankenschwester und öffnet die Tür zu Zimmer 207.

Es ist, als hätte jemand Gewichte an meine Beine gehängt. Sie heben sich nicht mehr.

Ich will nicht.

Will nicht sehen, wie meine Mutter bewegungslos daliegt, will nicht sehen, dass die Ärzte recht haben, will nicht sehen, dass sie mich nicht sieht.

Stattdessen starre ich die Rose an.

Wunderschön und verletzend ist sie. Wie sie.

»Komm schon.« David schiebt mich überraschend sanft in Richtung Illusionszerstörung. »Besuchen wir sie.«

Das Solange es noch geht schwebt unausgesprochen in der Luft und ich setze mich endlich in Bewegung.

Kälte. Von innen.

Beinahe wünsche ich mir den Teer zurück, als ich auf das Bett zugehe und die Hülle, die meine Mamà ist, mit den Augen abtaste.

Der Stuhl ist hart, ihre Hand kalt.

Smaragdgrün, Sonnenscheingelb, Safranorange.

Das Krankenhausweiß scheint all die Farben, die meine Mutter normalerweise ist, zu verschlucken.

Lebensfreude, Leuchten in den Augen, Lachen.

Nichts mehr ist davon übrig. Nur ein graues, eingefallenes Gesicht und die kalten Finge in meinen.

Als ich aufspringe, machen die Stuhlbeine auf dem Boden ein quietschendes Geräusch. David, der in der Raummitte steht und bisher mit umwölkten Blick meine Mutter betrachtet hat, blickt mich verwundert an.

Ich presse die Lippen zusammen, damit mir kein Wimmern entweicht, und verlasse mit schnellen Schritten das Zimmer. Im Gang atme ich durch, aber der Geruch nach Desinfektionsmittel zieht scharf und unangenehm in meine Nase. 

Langsam gehe ich weiter, in Richtung Ausgang. Frische Luft. Ich brauche kurz frische Luft.

Kurz darauf füllt die frische, klare Winterluft meine Lungen und lässt mich frösteln und kurz fühlt es sich so an, als würde die Kälte in meinem Inneren von außen kommen.

Ein Atemzug, zwei Atemzüge.

Mein Kopf wird klarer und klarer und meine Haut kälter und kälter.

Zehn Atemzüge, elf Atemzüge.

Einmal atme ich noch tief durch, dann betrete ich das Krankenhaus in Edmonton wieder. Ich muss mich noch richtig von meiner Mutter verabschieden. Für alle Fälle.

An der Rezeption frage ich noch einmal nach dem Weg zum gesuchten Krankenzimmer, denn das Gebäude ist nicht klein und ich habe mich vorhin auf anderes konzentriert.

»Die Treppe rauf, dann den Gang entlang«, meint die Rezeptionistin freundlich. »Aber warten Sie kurz, hier wurde eine Nummer für Sie hinterlegt.« Ich runzle verwirrt die Stirn. Wer sollte das sein? 

Mit hochgezogenen Augenbrauen lasse ich mir die Nummer diktieren und drücke auf Wählen, während ich mich auf den Weg zurück mache. Es hat ganz bestimmt mit meiner Mutter zu tun und ich will nicht warten. Das halte ich nicht mehr aus.

Kurz ertönt das Freizeichen, dann meldet sich eine Frauenstimme.

»Diaz?«

Als mir dämmert, wer am anderen Ende der Leitung sitzt, hätte ich mein Handy am liebsten an die Wand geschleudert und eine Regentanz darauf gemacht.


❄️❄️❄️


David wartet bereits wieder im Auto, als ich so beherrscht wie möglich wieder bei meiner Mamà sitze.

»Ich komme dich wieder besuchen«, murmle ich. »Du musst nur duchhalten. Dann siehst du auch deine Eltern wieder. Sie sind bald da.« Dass sie sie bestenfalls wahrnehmen und nicht sehen wird, ignoriere ich so gut wie möglich.

Vorsichtig drücke ich ihr einen Kuss auf die Stirn, dann lasse ich die Hand wieder los. Die blutrote Blume, die ich die ganze Zeit schon herumgetragen habe, lege ich endlich auf die Fensterbank, wo das kalte Licht von draußen am stärksten ist.

Vielleicht blüht sie wieder auf, wie eine Rose.

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