1. Dezember - Christmas
24 Tage zuvor
Die Glühweinstände leuchten in diesem speziellen Goldmondscheinlicht, das vor dem frühdunklen Abendhimmel strahlt wie die Locken des Rauschengels, der jedes Jahr um diese Zeit seinen Weg vor unsere Haustür findet.
Leider schneit es gerade nicht, aber auch so ist dieser Abend perfekt.
Denn vor den leuchtenden Glühweinständen stehe ich und neben mir mein Freund, während wir auf diesen speziellen Aprikosen-Apfel-Punsch mit Zimt warten, den wir neu entdeckt haben und beide so gerne trinken.
Avrids Hand fühlt sich im Gegensatz zu meiner warm an, weil ich vorher noch mit den Fingern Bahnen in den Frischschnee gezeichnet habe, was meine ganz persönliche Tradition am ersten Dezember ist.
Ich liebe den Dezember. Ich liebe Zimtduft, Geschenkbänder und ausgeblasene Kerzen. Ich liebe Weihnachtslieder, kleine Glocken und das Dunkelgrün von Tannenzweigen. Ich liebe Weihnachten. Und das liegt nicht nur an meinem Namen, obwohl ich mich jedes Jahr frage, ob mir meine Lieblingsjahreszeit schon vorbestimmt war oder ich durch meinen Namen davon beeinflusst wurde.
Egal wieso, ich bin immer wieder glücklich, wenn ich das Kalenderblatt des 29. Novembers abreißen darf und so daran erinnert werde, dass es wieder Zeit zum Punschtrinken und Schneebahnenziehen ist.
Da ich Letzteres ja gerade erledigt habe, ist nun der Punsch dran. Mit immer noch steifen Fingern ziehe ich meine Hand aus Arvids, um das Heißgetränk in Empfang zu nehmen. Es ist so heiß, dass es schon wieder kalt ist, und wie jedes Jahr habe ich Angst, dass ich das Getränk aus Versehen fallen lasse, denn er ist nicht gerade billig und ich habe Arvid darauf eingeladen.
Zusammen machen wir uns zu einem der Schneetische in der Mitte des Adventmarkts auf. Der Schnee knirscht unter meinen Füßen und ein helles, leichtes Gefühl überkommt mich, denn der Winter und mit ihm die schönste Zeit des Jahres ist da und die Aussicht auf eine wunderschöne Vorweihnachtszeit macht mich gerade ziemlich glücklich.
Arvid blickt von seinem Smartphone auf und schenkt mir ein schiefes Lächeln, als ich die bunt bedruckten Tassen vorsichtig abstelle »Danke, Christmas.« Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm einen schnellen Kuss. Seine Lippen sind genau wie meine eiskalt, denn wir sind schon mehrere Stunden hier an der kalten Dezemberluft. Außerdem hat sich gerade der Nachhimmel geöffnet und lässt kleine, weiße Flocken durch die Atmosphäre tanzen.
Wie jedes Jahr liegt bereits am ersten Dezember jede Menge Schnee. Ich bin froh, dass das hier in Drayton Valley genauso der Fall ist wie an den anderen Orten, an denen wir bisher gelebt haben. So gibt es eine Konstante, und dass diese so märchenhaft ist, macht alles schöner.
Dieses Jahr hat es Anfang des Oktobers sogar ungewöhnlich früh angefangen zu schneien. Nicht dass mich das stören würde, ich höre schon im September nahezu ununterbrochen Weihnachtslieder. Außerdem ist der Winter in Kanada schöner als jeder andere. Mich würde es nicht stören, wenn es das ganze Jahr über Dezember wäre.
Arvid legt die Hände um meine und zieht mich mit einem leisen Seufzen zu sich. Ich schließe langsam die Augen und halte ihm in der Erwartung eines weiteren, längeren Kusses das Gesicht entgegen. Arvid scheint die innere Wärme und Ruhe, die mich in diesem Moment erfüllt, zu bemerken, denn ich spüre an meinem Mund wie er grinst. Behutsam genieße ich den Moment, genieße den Kuss, und lasse mich bereitwillig in diese wohlige, warme Leere sinken, die mich immer überkommt, wenn ich mit Arvid zusammen bin. Für den Moment ist alles perfekt.
»Könnt ihr nicht später rummachen? Wir haben hier schon genug Alkohol. Leider keinen Rum, heute ist Punsch angesagt.« December kommt an unserem Stehtisch und knallt ihren Becher so fest auf die Tischfläche, dass dieser wackelt und die tiefrote Flüssigkeit in den Gläsern überschwappt.
»Und der Punsch ist noch heiß - im Gegensatz zu einer Person, die mit A beginnt und mit rvid aufhört.«
»Hey!«, beschwere ich mich bei meiner Schwester und lasse Arvid los, der leicht schmunzelt. Er weiß, dass mich heute, am Adventsbeginn, nichts und niemand aus der Ruhe bringen kann. Außerdem ist er Decembers kleine Seitenhiebe inzwischen gewohnt, auch wenn das seine Zeit gebraucht hat.
Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an und ihre dunkelgrünen Augen, die meinen so sehr gleichen, funkeln im Schein der vielen Lichter um uns herum. Normalerweise hätte mich so ein Kommentar ihrerseits verärgert, aber jetzt schüttle ich nur den Kopf. »Was hast du in deiner Abwesenheit denn so gemacht?«, wechsle ich stattdessen das Thema. Es ist quasi Tradition, dass Arvid, December und ich jedes Jahr am ersten Advent den Weihnachtsmarkt zusammen besuchen. Normalerweise hat December immer Besseres zu tun, als mit ihrer Zwillingsschwester und deren Freund am Abend hier herumzuhängen, aber mir zuliebe macht sie mit, denn sie weiß, wie sehr ich auf Traditionen stehe.
»Ach, nicht viel. Die Rumkugeln sind super. Aber sonst ist alles genau gleich langweilig wie letztes Jahr.« Sie beugt sich zur Seite um ihre braunen Locken, in denen sich die Schneeflocken gesammelt haben, auszuschütteln.
»Was du nicht sagst.« Ich schmunzle leicht. Meine Schwester hat eine Schwäche für alles was mit Rum zu tun hat. Rumkugeln, Rumkuchen, in fremden Angelegenheiten rumschnüffeln - nichts ist vor ihr sicher.
Lange stehen wir nicht herum, denn mir wird kalt und ich bekomme Gänsehaut an den Armen.
December scheint nun doch Gefallen am Markt gefunden zu haben, denn als sie »Mal schnell einen Bekannten grüßt« und daraufhin ewig mit Leuten aus der Schule redet, rollt sie nur mit den Augen, als ich zum Gehen dränge.
Also schlendern nur Arvid und ich noch mal durch die Sammlungen an Ständen und Lichtern, während wir von Weihnachtsmusik begleitet werden. Morgen ist keine Schule, was bedeutet, dass ich keinen Stress mit Aufgaben, die noch zu erledigen sind, habe.
Mein Freund und ich reden über Dieses und Jenes, bis wir bei mir zu Hause ankommen. Das mag ich so an Arvid. Wir können ganz einfach unverfänglich plaudern, ich muss mich nicht auf meine Worte konzentrieren und kann stattdessen in diesem ruhigen Glücksgefühl baden, das sich so süß und warm anfühlt wie der Aprikosen-Apfel-Punsch und sich in den letzten Stunden in mir breit gemacht hat.
Alle Fenster sind dunkel. Meine Eltern sind also wieder lange mit der Arbeit beschäftigt. Beide sind Ärzte in einer Stadt, die ungefähr eine Autostunde weit weg liegt. Nicht selten kommt es vor, dass sie erst spät in der Nacht nach Hause kommen.
»Musst du morgen früh raus? «, frage ich im Plauderton, während ich mit steifen Fingern den Hausschlüssel aus der Hosentasche krame und unsere Haustür aufsperre.
»Nein«, antwortet Arvid. Mir entgeht sein Grinsen dabei nicht, als wir in die dunkle Eingangshalle treten.
»Das heißt, du kannst noch bleiben? «, frage ich.
»Ja, das heißt, ich kann so lange bleiben wie ich möchte. Zumindest, bis du mich rauswirfst.« Ich kichere leise und ziehe ihn die Treppe hinauf in mein Zimmer. Was für ein perfekter erster Dezember.
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