Die Rettung

Wie versteinert stand ich da. Ich hatte mir vorgenommen mich nicht töten zu lassen. Sollte es denn schon soweit sein?

Ich wartete darauf Schmerz zu verspüren, doch statt meiner, traf der Pfeil Samu, der sich im letzten Moment vor mich geworfen hatte.

„Verdammt...", zischte der General und griff nach einem neuen Pfeil.

„Jetzt vollende endlich den beschissenen Zauber verdammt nochmal!", schrie Samu gequält und zog sich zischend den Pfeil aus seiner Schulter.

Die Zähne zusammenbeißend konzentrierte ich mich wieder auf den Zauber. Ich spürte wie die Magie meinen Körper verließ und sich langsam auf mein Umfeld übertrug. Als ich die Augen wieder öffnete, lagen der General und seine Kämpfer bewusstlos auf dem Boden. Doch nicht nur sie. Zu meinen Füßen lag Samu mit einem Pfeil in der Brust. Hatte der General seinen zweiten Pfeil etwa noch abgeschossen?

„Nein nein nein Saum!", murmelte ich erschrocken und kniete nieder.

„Du darfst mich nicht verlassen! Ich bin verloren ohne dich!"

„Ich lasse das Königreich doch nicht mit einem König wie dir im Stich", knurrte er nur, während er sich bemühte weiter zu atmen.

„Kommandant!", rief einer der Soldaten, als er Samu am Boden liegen sah und kam zu uns gelaufen.

„Kümmert euch um die Soldaten, wie wir es besprochen hatten!", wies Samu ihn an.

„Aber ihr solltet zu einem Arzt gebracht werden!"

„Keine Sorge, ich kümmere mich darum", antwortete ich schnell und umschlang Samus Oberkörper, um ihn hochzuziehen.

Der Soldat teilte den Befehl den noch übrig verbliebenen mit und kam dann zu mir, um den verletzten Samu, auf mein Pferd zu hieven. Samu hatte derweil sein Bewusstsein verloren, ansonsten hätte er sich vermutlich dagegen gewehrt. Sobald ich ebenfalls aufgestiegen war, ritt ich los.

„Halt nur noch ein bisschen durch... Wir haben bald das Schloss erreicht", flüsterte ich leise, während ich das Pferd durch den Sonnenaufgang hetzte.

Nach kurzer Zeit hatte ich das Schloss erreicht, wo die Tore bereits geöffnet standen und die Wachen auf meine Rückkehr warteten.

„Holt den Arzt her! Sofort!", befahl ich, während zwei der Wachen Samu von meinem Pferd holten und nach drinnen trugen.

„Majestät, ich kümmere mich um Euer Pferd", sagte Lia, eine der Bediensteten, was ich dankbar annahm und ihr die Zügel in die Hand drückte.

Schnellen Schrittes folgte ich den Wachen, die Samu zum Zimmer des Arztes trugen. Doch nachdem sie das Zimmer betreten hatten, wurden die Türen von innen verschlossen und hinderten mich daran einzutreten.

Ich seufzte tief und ließ mich an der Wand hinunter rutschen. Wieso war ich nur so ein Schwächling? Ich wäre sicherlich stärker, hätte ich mehr geübt. Aber vielleicht hatte ich immer gespürt, dass ich schwächer war als sie. Vielleicht hatte ich mich von dem Wissen, dass ich all diese Magie in viel kürzerer Zeit erlernen musste als sie, einschüchtern lassen. Dabei hatte ich wirklich versucht Kiyans Worte ernst zu nehmen. Aber je mehr Zeit verstrichen war, umso mehr verloren sie an Bedeutung. Letzten Endes war mir klar geworden, dass sie nicht mehr waren, als utopisches Wunschdenken. Somit war es egal ob ich ihnen folge leistete oder seine Wünsche missachtete. Schließlich war er vor drei Jahren gestorben. Er konnte nicht wissen, was in der Welt geschah. Selbst wenn er es wusste, so war es ihm vermutlich egal. So wie ihm alles egal gewesen war, als er entschied sich selbst das Leben zu nehmen.

Samu hatte recht gehabt, als er mir sagte, dass Kiyan alles zerstört, was er anfasst. Er hatte mich zerstört. Ich hatte mich zerstören lassen. Wie immer hatte er nicht über die Konsequenzen seines Handelns nachgedacht. Dieses mal musste allerdings ich die Verantwortung dafür übernehmen. Er war davon gekommen, bekam das, was er wollte.

Er hatte mir eine viel zu schwere Last aufgezwungen und mich dann mit dieser im Stich gelassen. Auch seine Erwartungen an mich waren viel zu hoch gewesen und wie immer hatte ich ihnen nicht gerecht werden können. All das würde ich ihm nicht verzeihen können, vielleicht auch nicht verzeihen wollen. In diesen drei Jahren war mir klar geworden, wie sehr ich Kiyan hasste. Ja wirklich, ich hasste ihn. So sehr, wie ein Mensch einen anderen eben nur hassen kann. Zumindest redete ich mir ein, dass es so war. Anders wäre ich mit der Situation vermutlich nicht fertig geworden. Denn dann hätte ich einsehen müssen, wie sehr er mir eigentlich fehlte und wie groß mein Wunsch war ihn noch einmal wieder zu sehen. Andererseits wollte ich nicht, dass er wusste, wie sehr ich als König versagte.

Zum ersten mal kam in mir Verständnis für das, was Kiyans Vorfahre getan hatte auf. Auch wenn ich diese Erkenntnis wirklich mehr als erschreckend fand. Das Königreich brauchte jemanden mit starker Magie. Und zum ersten mal spielte ich mit dem Gedanken diesen Weg erneut zu gehen. Ich würde niemals rechtzeitig stark genug werden. Selbst wenn ich von nun an nichts anderes täte, als zu trainieren. Es war zu zeitintensiv gewesen mich Recht, Wirtschaft, Geografie und Verwaltung zu lehren. Etwas, was die Könige der anderen Königreiche von klein auf lernten, hatte ich innerhalb kürzester Zeit lernen müssen. War ich ehrlich, hatte ich noch immer in vielen Bereichen Wissenslücken. Gleichzeitig auch noch Magie beherrschen zu lernen, ohne jemanden zu haben, der sie mir beibringen konnte, war schier unmöglich gewesen. Somit erschien mir in diesem Augenblick der Weg von Kiyans Urururopa verlockend einfach zu sein. Wieso sollte ich mir nicht die Macht von jemandem geben lassen, der sie im Überfluss besaß?

„Samu ist erwacht", teilte mir Ranya mit, die wohl zu mir gekommen war.

Ich war so in meinen Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie schnell die Zeit vergangen war.

„Hat er es überstanden?", fragte ich schnell, während ich mich aufrichtete, was Ranya mit einem lächelnden Nicken bestätigte.

Erleichtert atmete ich auf und begab mich in sein Gemach, wo er mit einem Verband um den Oberkörper gewickelt auf seinem Bett lag.

„Was für eine Erleichterung", murmelte ich leise, als ich an seinem Bett angekommen war und in sein Gesicht blickte.

Seine honigblonden Haare klebten an der verschwitzten Stirn und seine Augen lagen voller Schmerzen auf mir.

„Hättest du dich nicht ein wenig beeilen können?", brummte er verstimmt und wandte seinen Blick von mir ab.

„Entschuldige..."

Ich sah betreten zu Boden. Er hatte Recht. Wenn ich mich nur mehr konzentriert hätte, hätte er weniger schmerzen erleiden müssen. Und wenn ich besser zaubern könnte, hätte ich seine Wunden direkt heilen können und wir hätten keinen Arzt gebraucht.

Die Tür wurde aufgerissen und der Soldat von zuvor kam hineingetreten.

„Wir haben den Kopf des Generals an den König von Vaskos geschickt, wie ihr es befehligt hattet. Die anderen konnten wir erfolgreich ins Gefängnis sperren", teilte er uns voller Stolz mit.

„Wer hat dir erlaubt ohne anzuklopfen mein Zimmer zu betreten?", zischte Samu verärgert und schmiss sein Kissen nach ihm, nur um gleich darauf das Gesicht zu verziehen und sich fluchend an die Brust zu fassen.

„Ihr habt was?", entfuhr es mir schockiert.

„Sieh es als eine Verwarnung an", antwortete Samu, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte.

„Ist das nicht eher eine Provokation?"

„Miko, ich weiß schon, was ich tue", knurrte er genervt, bevor er den Soldaten aus seinem Zimmer schmiss und sich auf die Seite drehte.

Eine ganze Weile herrschte Stille und ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Ob es eine gute Idee war, Samu von meinen Plänen zu erzählen? So wie ich das beurteilen konnte, hielt er viel von Kiyan. Somit sollte er doch eigentlich kein Problem haben den Pakt wieder zu beleben.... Oder?

„Ich kenne eventuell eine Möglichkeit, um uns aus dieser misslichen Lage zu retten...", begann ich dann schließlich doch.

„Sag bloß, du erweist dich doch noch als guter König."

„Naja es wäre keine neue Möglichkeit... Aber was wäre, wenn wir den Pakt wieder ins Leben rufen würden?"

Samu drehte sich ruckartig um und sah mich entrüstet an.

„Bist du völlig verblödet? Hast du denn nicht schon genug deiner Landsleute verloren? Willst du sie jetzt auch noch freiwillig opfern?"

Er lachte verbittert.

„Du siehst doch was aus Kiyan geworden ist. Denkst du, wenn er unter so einer Last schon zugrunde geht, dass jemand wie du das ertragen könnte? Sei doch nicht so verantwortungslos!"

Erneut machte sich stille im Raum breit. Wieso hielt er diese Möglichkeit denn für so abwegig?

„Und wenn man andere Bedingungen stellt?", wand ich ein.

„Nicht du stellst die Bedingungen du Idiot. Sie werden dir gestellt und entweder du lässt dich drauf ein oder nicht. Lass einfach die Hände von Dingen, die du nicht verstehst. Wenn du etwas unternimmst, führt das sowieso zu nichts gutem", knurrte Samu, ehe er sich wieder von mir wegdrehte.

„Ich hätte jetzt gerne meine Ruhe", brummte er dann.

Etwas beleidigt erhob ich mich und verließ das Zimmer. Manchmal hasste ich Samus Art mit mir zu reden. Er war wirklich sehr nachtragend...

Ich entschloss mich dazu ein wenig spazieren zu gehen und begann den verschachtelten Fluren zu folgen. Ich hatte noch immer etwas Schwierigkeiten mich hier überall zurecht zu finden und als Zuhause hätte ich das Schloss auch nicht bezeichnet. Dafür war es viel zu wuchtig und kühl. Es fehlte das gewisse Etwas, doch ich wusste nicht, was genau das war. Außerdem war es ein sehr einsamer Ort. Vor allem seit meine Mutter als Verwaltungschefin angefangen hatte. Sie arbeitete Tag und Nacht und ich bekam sie eigentlich nur noch beim Essen zu Gesicht. Von Samu erwartete ich nicht viel Zuneigung. Unser Verhältnis war immer eher distanziert geblieben. Dennoch war ich ohne ihn aufgeschmissen. Auch wenn sein Charakter oft unausstehlich war, so hatte er Phinea gut im Griff. Ohne ihn hätten die anderen Könige unser Land vermutlich schon längst eingenommen und mich hingerichtet. Es nervte mich wirklich so nutzlos für mein Volk zu sein. 

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