Der Kampf

Die Nacht war so finster, dass alles was ich sehen konnte, das reinste schwarz war. Kein einziger Lichtstrahl erhellte den kalten Raum. Kein einziger Schatten huschte unheimlich über die Wände, so wie es sonst immer war. Nichts als Stille war zu hören. Stille war etwas seltenes geworden und doch war sie so vertraut wie das wiedersehen eines alten Freundes.

„Majestät", erklang Ranyas Stimme vor der schweren Holztür meines Gemachs.

„Verschwinde", brummte ich und bemühte mich meiner Stimme einen festen Nachdruck zu verleihen.

„Aber es ist wichtig..."

„Ich sagte, du sollst verschwinden!", unterbrach ich sie und zog meine Knie näher an meinen Körper.

Leiser werdende Schritte verkündeten Ranyas Rückzug und ließen mich fast schon erleichtert aufatmen. Wäre sie eingetreten, hätte sie nichts als ein Häufchen Elend vorgefunden. Einen winzigen Wurm, der sich hilflos und ekelerregend auf dem Boden windet. Eine kraftlose Kreatur, die in einer Mischung aus Selbstmitleid und Selbsthass zu ertrinken drohte. Ein Anblick, der einem König nicht würdig wäre.

Das war das wichtigste. Den Schein wahren. Keine Schwäche zeigen. Mein Lächeln, wie eine unantastbare Maske aufzusetzen und meinem Volk zu versichern, dass alles gut ist und sie in Sicherheit seien, während ihr König in Wahrheit ein Schwächling war, der die Kontrolle verloren hatte. Ein König, der sein Volk nicht beschützen konnte und der ein Gefangener seiner selbst war.

Ich kuschelte mich tiefer in die Dunkelheit, ließ sie den Hüter meiner Tränen sein. Sie versteckte meinen erbärmlichen Anblick vor der Welt. Sie lachte mich nicht aus, machte mir keine Vorschriften oder Vorwürfe. Ebenfalls etwas, was zur Seltenheit geworden war.

Die Zeit schien mir stehen geblieben zu sein. Ich weiß nicht ob zwei Minuten oder vielleicht auch zwei Stunden vergangen waren. Alles was ich wusste war, dass dieser Augenblick niemals enden sollte. Es war falsch, doch ich wollte mich weiter verstecken. Ich wollte weglaufen vor der Realität. Vielleicht auch vor mir selbst. Aber wie es immer war, holte die Realität mich wieder ein. Die Tür wurde aufgeschwungen und meine geschwollenen Augen so sehr vom Licht geblendet, dass ich sie schließen musste. Im nächsten Moment wurde ich unsanft an meinem Oberarm zurück auf meine Beine gezogen. Benommen taumelte ich nach vorne, nur um direkt wieder festgehalten zu werden, von einer großen Hand, die sich auf meine linke Schulter legte und an meinem Körper zu rütteln begann.

„Miko Kamarelis! Wenn du nicht augenblicklich deine Augen öffnest, scheuer ich dir eine!", schrie mich jemand unmittelbar vor mir an.

Getrocknete Tränen verklebten meine Lider und ich brauchte ewig, um sie auch nur einen Spalt weit zu öffnen, was meinem Gegenüber scheinbar zu lange dauerte, denn wie er es mir gedroht hatte, ließ er seine Hand mit ordentlicher Geschwindigkeit gegen meine Wange knallen. Augenblicklich verschloss ich die Augen wieder und spürte neue Tränen meine Wange hinunterlaufen.

„Aber Samu! Vergiss nicht wer er ist!", entfuhr es einer der Palastwachen, die ihm scheinbar hier rein gefolgt waren.

„Keine sorge. Ich habe nie vergessen wer er ist. Öffne deine Augen und sieh mich an Miko!", befahl Samu mit abfälligem Ton und rüttelte erneut an mir.

Die Lippen zusammen pressend öffnete ich langsam die Augen und blickte in das erzürnte Gesicht des königlichen Beraters und Kommandanten der Phinearischen Armee, der er jetzt war.

„Was hat Kiyan uns da nur aufgehetzt..."

Er seufzte tief.

„Warum weinst du hier wie ein kleines Kind und ignorierst, dass es wichtigere Dinge gibt, als dein Wohlbefinden?!"

Ich schluckte und wandte meinen Blick von ihm ab. Ich ertrug es nicht in seine Vorwurfsvollen Augen zu sehen, die mich daran erinnerten wie erbärmlich ich war.

„Ich weiß nicht, wie ich den Krieg verhindern kann...", murmelte ich leise und starrte weiter auf den Fußboden.

Samu griff nach meinem Kinn und zwang mich mit einer groben Bewegung ihn anzusehen.

„Indem du Phinea mit deinen Tränen ertränkst jedenfalls nicht. Du hättest viel mehr trainieren müssen, dann wäre deine Magie auch nicht so schwach!"

Er seufzte erneut.

„Jetzt sind wir leichte Beute für die anderen Könige...

Und du hast nichts besseres zu tun, als dich hier vor deinen Pflichten zu verstecken!"

Er hatte Recht. Ich wusste, dass er Recht hatte, doch ich konnte nichts dagegen tun. Und das machte mich wütend. Wieso konnte meine Pflichten nicht ernst nehmen?

„Ich werde mich zusammenreißen...", versicherte ich ihm leise, während er von mir abließ.

„Das ist ja wohl das mindeste, was ich von dir erwarten kann...", entgegnete er und schien amüsiert über das, was ich gesagt hatte.

„Weshalb bist du hier?", fragte ich, nachdem eine Weile verständnislose Stille geherrscht hatte.

„Das Norddorf wurde von den Vaskosischen Truppen gestürmt und besetzt. Sie haben alle Männer getötet und halten die Frauen und Kinder als Geiseln."

Mein ursprüngliches Heimatdorf. Für einen kurzen Moment war ich nicht fähig zu atmen. Vor zwei Tagen hatte Leviko das Süddorf gestürmt. Nur mit der Hilfe des Westdorfes hatten sie gegen die Truppen ankommen können. Dennoch war das Süddorf fast vollständig zerstört worden. Viele Menschen hatten ihr Leben verloren. Es wäre meine Aufgabe gewesen sie zu beschützen und zu verteidigen. Doch stattdessen mussten sie mich schützen, denn ich war viel zu schwach, um gegen die Armee etwas auszurichten. Wäre Vaskos' König am Angriff beteiligt gewesen, hätten wir auch das Süddorf verloren.

„Was mache ich denn jetzt?", fragte ich voller Verzweiflung an Samu gerichtet.

Mir war klar, was er antworten würde. Doch ich wollte trotzdem, dass er es laut ausspricht. Ich weiß nicht, ob ich es als Versicherung und Bestätigung brauchte oder einfach, um mich später nicht für die Niederlage verantwortlich zu fühlen...

„Na was wohl. Du erfüllst deine Pflicht und kämpfst gegen die Truppen du Idiot!"

Schwermütig nickte ich und begab mich wie in Zeitlupe zu meinem Ankleidezimmer, um mir meine Rüstung anzuziehen.

Wie sollte ich mein Volk nur retten? Es stand von Anfang an fest, dass ich diesen Kampf verlieren würde. Doch was auch passierte, ich durfte mich nicht töten lassen. Mein Tod würde ein schutzloses Phinea bedeuten. Die anderen Könige würden sich sofort auf mein Land stürzen und erbittert um jeden Quadratmeter kämpfen. Ich denke nicht, dass viel von Phinea oder Phineas Volk übrig bleiben würde. Mein Volk würden leiden müssen wegen mir. Mit so einer Last wollte ich nicht sterben.

Ein paar Stunden später zog ich mit Samu und der Armee unseres Landes los in Richtung des Norddorfes. Es war unser Plan das Dorf einzukreisen. Dann würde ich die gegnerische Truppe mit einem Zauber in Schlaf versetzen müssen. Anschließend wollte Samu sich mit der Armee um die verzauberten Männer kümmern. Was sie mit ihnen vorhatten, hatte er mir nicht gesagt. Ich verstand nicht viel von Kriegsführung. Ich war mehr als dankbar, dass Samu sich um solche Angelegenheiten kümmerte.

Als wir am Norddorf angelangt waren, kündigte sich der Morgen durch eine schöne röte am Himmel bereits an. Das Dorf selbst war jedoch still und keine Menschenseele war zu sehen. Das beruhigte mich zugegebenermaßen sehr. Vermutlich schliefen sie alle und würden nichts von unserer Anwesenheit mitbekommen.

Aufmerksam beobachtete ich, wie die Leute meiner Armee sich auf ihre Positionen schlichen und mir nach einer Weile zuwinkten. Das Signal für mich meinen Zauber zu beginnen. Meine Hände begannen zu zittern und mein Atem ging schneller. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich nur auf den Zauber, den ich bewirken wollte. Doch ich war zu weit weg. Von hier aus konnte ich nichts bewirken. Die Lippen aufeinander pressend stieg ich von meinem Pferd und wagte mich ein paar Schritte näher ans Dorf.

„Was machst du?", flüsterte Samu verwundert.

„Ich muss näher ran...", erklärte ich kurz und blieb stehen.

Noch immer war ich nicht nah genug am Dorf und so lief ich ein paar Schritte weiter.

„Das ganze gefällt mir nicht... Es ist viel zu ruhig für eine Truppe, die Geiseln genommen hat", bemerkte mein Berater leise, während er ebenfalls von seinem Pferd abstieg.

Ich war mittlerweile auf dem Dorfplatz angekommen, der zentral in der Mitte des Dorfes lag. Endlich spürte ich, wie mein Körper genug Energie sammelte. Nach und nach konzentrierte ich sie auf die Vaskosische Truppe, doch ich brauchte weitaus länger als erwartet. Bevor ich meinen Zauber vollenden konnte, hörte ich einen der Soldaten „Das ist ein Hinterhalt!" schreien, bevor er auch schon von einem Schwert durchbohrt wurde und leblos zu Boden sank.

„Miko denk nicht mal daran dich ablenken zu lassen!", brüllte Samu ernst.

Ich schluckte schwer, versuchte die aufeinander schlagenden Schwerter zu ignorieren und die Visualisierung auf meine Umgebung zu übertragen. Warum war ich nur so langsam?

„Tötet den König!", hörte ich eine mir fremde Stimme.

Es näherten sich Schritte. Viele.

„Mach weiter!", wies Samu mich an.

Nervös ließ ich meine Augen verschlossen und versuchte mich auf die Vollendung des Zaubers zu konzentrieren. Nur noch in die Realität umsetzen...

„MAJESTÄT!"

Die aufgebrachte Stimme des Soldaten ließ mich schließlich doch reflexartig die Augen öffnen. Der Soldat, der gerade nach mir geschrien hatte, hatte einen Pfeil in der Brust stecken und war zu Boden gesackt. Vor mir stand der General der Vaskosischen Truppe. Den Bogen gespannt, einen Pfeil genau auf mich gerichtet.

„Schlaft gut Majestät", raunte er mir mit einem überlegenen Lächeln zu, ehe er den Pfeil losließ und ich die Spitze genau auf mich zu rasen sah.

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