02. Neue Identitäten
Zelda
Vögel zwitscherten und die Luft roch noch frisch in den frühen Morgenstunden. Kies knirschte unter Zeldas Schuhen und er blinzelte in dem Licht der aufgehenden Sonne. Er schaffte es gerade noch ein erneutes Gähnen zu unterdrücken, sonst hätte er nur die anderen drei wieder damit angesteckt und Alexander hatte sie bereits ermahnt sich ein wenig wacher zu verhalten. Das grenzte jedoch fast schon an der Unmöglichkeit, weil sie alle nur ein paar Stunden Schlaf abbekommen hatten, zu sehr waren sie damit beschäftigt gewesen ihre Identitäten auswendig zu lernen. Die anderen hielten ihm ständig vor er würde es im Gegensatz zu ihnen leicht haben, aber so ganz sicher war sich Zelda da nicht.
Er wurde als Leon Gomez in die Schule eingeschleußt, seinen Platz hier hatte er nur einem Stipendium zu verdanken, welches ihm dank seiner Begabung in Basketball förderte. Ein Sportass war er tatsächlich, aber als überaus begabt in Basketball würde er sich jetzt nicht bezeichnen, Fußball war viel mehr sein Ding. Er hatte schon gehört wie streng es hier ablief und wenn er keinen guten Eindruck hinterließ, würde auch der Rest der Mannschaft ihm nicht unbedingt wohlgesonnen sein. Pech nur, dass ausgerechnet Jason dazugehörte, Charlottes Freund, der als einziger die Entführung mitangesehen hatte und dessen Vertrauen Zelda sich beschaffen musste.
Alexander schien ein ausgesprochen guter Basketballer zu sein und hatte ihn gestern Abend im Schnelldurchlauf einen Crashkurs in Sachen Regeln, Aufstellung, Teamplay und Bewegungen gegeben. Sein ganzer Körper fühlte sich deswegen auch steif und schmerzhaft an, weil er es nicht gewohnt war so lange und so intensiv diese Sportart auszuüben. Hoffentlich würde es für die Glaubwürdigkeit reichen. Die einzige, die nämlich über ihre wahre Tätigkeit als Spione hier bescheid wusste, war die schon etwas ältere, grauhaarige Schulleiterin, die auch gerade mit klackernden Absätzen auf sie zugelaufen kam.
Sie wies Alexander, der für den heutigen Tag als Chaffeur gedient hatte, an, das Gepäck in den Schulflur zu bringen und kam selber zu den vier Neuen hinüber gelaufen. "Miss Potts, es ist mir eine überaus große Freude", stellte sie sich etwas steif vor, schüttelte ihnen nacheinander die Hand und musterte sie missbilligend, vor allem Niyol und Soyala. Sie waren jetzt Lukas und Maria Morales, die Kinder eines reichen CEOs einer Softwareentwicklungsfirma aus Spanien und anscheinend fand Miss Potts, das sich davon nichts in ihrer Kleidung und ihrem Auftreten widerspiegelte. Dabei wusste Zelda, dass die Zwillinge sich heute Morgen ihre besten Sachen angezogen hatten, Soyala hatte ihre Bruder sogar davon überzeugen können ein Hemd zu tragen, auch wenn dieses natürlich ein wenig zerknittert war.
"Würden sie mir bitte folgen." Während sie der Schulleiterin in einigem Abstand folgten, sprachen die Zwillinge leise miteinander und Zelda wandte sich William zu. Er wurde als einziger nicht als Schüler eingegliedert, sondern als der Referendar Martin Newman für die Fächer Englisch und Geschichte. "Kopf hoch, so schlimm kann es nicht werden. Und wenn wir Charlotte schnell finden, dann sind wir hier sehr schnell auch wieder weg." Will nickte ihm dankbar zu, auch wenn er immer noch so blass aussah wie eine Leiche. Das war aber bei ihm immer schon so gewesen, auch wenn Zelda zugeben musste, dass das in letzter Zeit zugenommen hatte. Aber er konnte sich denken woran das lag.
Jeder hatte es mitbekommen, dass Will damals fast ausgeflippt war, als Jeremy an den Folgen seiner Fähigkeit litt. Es war offensichtlich, dass die beiden wohl eine Beziehung geführt hatten und jetzt war Jeremy abgehauen und auf der Flucht, er war ein gesuchter Krimineller und wurde von vielen an der Schule als das abgrundtief Böse abgestempelt. Auch von Zelda. Jeremy hatte seine kleine Schwester Shy in Lebensgefahr gebracht, nur für seine persönliche Rache, er hatte den Einsturz der Schule verursacht und konnte von Glück sprechen, dass dabei nur eine Person, nämlich Kate McClatten, umgekommen war. Trotzdem tat ihm William leid, denn für Jeremys Taten konnte er nichts.
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"Hier wären wir", sagte Miss Potts und blieb vor einer Tür stehen. Zeldas Kopf fühlte sich von dem Schlafmangel und den ganzen Informationen in kurzer Zeit schon ganz schummrig an. Miss Potts hatte ihnen eine Führung gegeben und ganz beiläufig gesagt, dass das Ganze nur ein bescheidener, kleiner Teil des ganzen Gebäudes gewesen war, dabei hatte Zelda das Gefühl er hätte gerade einen Palast gesehen. Er war bestimmt nicht viel Luxus gewohnt, aber Kronleuchter, riesige Säle, rote Samtvorhänge und golden verzierte Türklinken waren alles andere als bescheiden, egal was Miss Potts und auch die sonstigen reichen Schüler hier behaupteten.
Soyala und Niyol hatten sie vor zwei anderen Türen schon zurückgelassen, William neben ihm würde in einer seperaten Unterkunft bei den Lehrkräften unterkommen und Zelda stand jetzt in einem weitaus weniger pompösen Flur und die Klinke, die er herunterdrückte war auch nicht aus Gold. Über die Schulter warf er William noch einen bemitleidenden Blick zu, der nicht ganz so glücklich darüber schien mit der strengen Schulleiterin zurückzubleiben. Zelda hatte jedoch das Gefühl, dass Miss Potts William von den vier Neuen noch am meisten leiden konnte, immerhin sah er mit seinem Rollkragenpullover und dem weiten Mantel auch tatsächlich aus als wäre er ein Literatur- und Geschichte-besessener Referendar. Wer auch immer sich die Identitäten ausgesucht hatte, Martin Newman passte perfekt zu Will.
Leise schloss Zelda die Tür hinter sich und sah sich in dem Zimmer um. Im Gegensatz zu all der Pracht im restlichen Gebäude war es sehr schlicht und eher gemütlich eingerichtet. Er steuerte sofort das deutlich noch leere Bett an, aber hielt inne als ihm Jemand auffiel. Miss Potts hatte gesagt, dass mittlerweile alle beim Frühstück waren, sie sich einrichten und dann ebenfalls in der Cafeteria erscheinen sollten, er hatte also nicht erwartet seinen Zimmernachbarn hier zu sehen. Scheinbar mühelos war der oberkörperfrei auf dem Fußboden dabei Push-ups zu machen. Zelda konnte nicht sagen wie lange schon, an ihm konnte er auch rein gar nicht anmerken, kein roter Kopf, kein Schweiß, wahrscheinlich war das was er hier veranstaltete nur seine morgendliche Routine.
"Na endlich, ich dachte schon du kommst nie", sagte der Fremde und sprang fast schon etwas übereifrig auf die Beine, um ihn zu mustern. Zelda wusste, dass es nicht Jason, Charlottes Freund, war, aber sonst war ihm rein gar nichts bekannt. "Und ich dachte ich bin früh", grinste er trotzdem und stellte seine Tasche auf dem freien Bett ab. Der Fremde grinste zurück und streckte seine Hand aus, um seine zu schütteln. "Brandon", stellte er sich knapp vor und Zelda bemerkte wie kräftig er zupackte und ihm gefühlt schon seine Hand brach. Dass er muskulös war, war aber auch nicht zu übersehen. Wenn alle im Basketballteam so aussahen, dann konnte er auch gleich wieder einpacken.
"Leon", nannte er ebenfalls seinen Namen und überraschender Weise fiel es ihm ziemlich leicht sich mit seinem falschen Namen vorzustellen. Trotzdem sah er Brandon mit einem mulmigen Gefühl nach als dieser im angrenzenden Bad verschwand mit den Worten "ich werde dich gleich den anderen vorstellen, wir sitzen in der Mensa immer ganz rechts." Erst in diesem Moment wurde ihm nämlich bewusst, dass er ab jetzt tun musste, als würde er Soyala, Niyol und William nicht kennen. Er war ganz auf sich allein gestellt.
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Es wurde Zelda schnell deutlich, dass zwischen den Schülern, die wegen ihrer reichen Eltern hier am Internat untergebracht waren und diejenigen, die ein Stipendium gebraucht hatten, ein regelrechter Krieg herrschte. Und schon ganz wegen denjenigen, die nur dank ihrer sportlichen Begabung einen Platz bekamen. Das Basketballteam war nämlich auf gutem Wege in einer höheren Liga zu spielen, sie hatten viele Preise gewonnen und weil sie ein solch gutes Aushängeschild für die Schule waren, wurden auch die dümmsten Schüler eingekauft, nur damit sie im Team spielten und sie zum Sieg führten.
Andere wiederum bekamen ein Stipendium durch sehr gute schulische Leistungen und bei den reichen Schülern gab es die gesamte Variation von weniger intelligent bis sehr intelligent. Es war verwirrend die Ganze Dynamik zu verstehen und wer sich weswegen mit wem verstand und wer nicht. Kurzgefasst war es Stipendium gegen nicht-Stipendium und reich gegen nicht-reich, was genau genommen das Gleiche war.
Von ungefähr ein Viertel der in der Mensa anwesenden Schüler schon mit zusammengekniffenen Augen oder Killerblicken angestarrt zu werden, nur weil er von der Basketballmannschaft am Rand so überschwänglich begrüßt wurde, besorgte Zelda ein ungutes Gefühl. Er hatte noch rein gar nichts gemacht und niemand kannte ihn überhaupt und trotzdem verurteilten sie ihn schon. Aber er riss sich zusammen und erinnerte sich daran, dass es nur seine Rolle als unintelligenter Sportler war, die die anderen verabscheuten.
"Leon, willkommen!"
"Du solltest gleich mitkommen bei unserer Runde Joggen um das Gebäude."
"Hast du schon gegessen?"
"Wie war die Anreise?"
Von allen Seiten wurde Zelda bestürmt, ihm wurde auf den Rücken geklopft und schließlich wurde er auf einen freien Platz gedrückt. Er konnte sein Glück kaum fassen als er sah, dass er genau zwischen Brandon und Jason saß, der ihm jetzt einen Teller hinschob. "Wir wussten gar nicht, dass du kommen würdest. Brandon hat gestern Abend erst erzählt er bekommt einen neuen Zimmernachbarn." Jasons Stimme klang eher kühl und Zelda musterte ihn erst kurz, während er sich eine Antwort überlegte.
Im Gegensatz zu den anderen aus dem Team sah Jason überhaupt nicht glücklich aus, Zelda glaubte in seinen braunen Augen nicht nur Misstrauen, sondern auch Trauer zu lesen und um seinen Kopf war ein Verband gewickelt. "Es war recht spontan", wich Zelda der Frage ein wenig aus. "Und ich nehme an du wirst in nächster Zeit eher auf der Bank sitzen", sagte er in beiläufigem Ton und nickte zu seinem Kopfverband hinüber. Das fröhliche Lachen und die Gespräche verstummten und Brandon stieß Zelda hart den Ellenbogen in die Seite, der daraufhin nur verwirrt von einem zum anderen sah.
"Eines solltest du wissen... Leon", zischte Jason ihm zu. "Solltest du denken du könntest mir meinen Platz als Kapitän wegnehmen, dann hast du dich geschnitten." Zelda starrte den Blonden verwirrt an. Wie kam der denn bitteschön auf diese Idee? Aber bevor er sich rechtfertigen konnte, hatte Jason seinen Stuhl schon nach hinten geschoben, stand auf und verschwand.
"Mach dir nichts draus", sagte Brandon neben ihm. "Jason ist seit gestern schon sehr reizbar. Wir denken es hat mit seiner Freundin Charlotte zu tun, die ist Hals über Kopf in der Nacht von vorgestern auf gestern abgereist wegen familiären Problemen und du musst wissen, dass die beiden sich wirklich nahe standen. Und dann hat er sich auch noch den Kopf gestoßen, die Platzwunde musste genäht werden und er darf erstmal nicht spielen. Alles Pech, aber Jason ist echt mies drauf deswegen. Er träumt wohl schon davon, dass man einen Ersatz für ihn findet und bähm, du tauchst auf. Ist also nichts Persönliches", schloss Brandon und lächelte ihm zu.
Zelda fand Brandon schon mal viel sympathischer als Jason und er wünschte sich derjenige, den er ausfragen musste, wäre so gesprächig wie sein Zimmernachbar. Aber vielleicht konnte Brandon ihm noch eine Hilfe sein, wenn es darum ging Jason abzupassen und ihn ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Denn wenn er die Platzwunde tatsächlich bei Charlottes Entführung bekommen hatte, dann mussten die Entführer ihn geschlagen haben und das bedeutete er hatte die Entführung zumindest zum Teil mit angesehen.
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Es war in einer Stunde Mathe, als Zelda seine Chance witterte. Er war schon fast über seinem Buch eingeschlafen, als es an der Tür klopfte und Miss Potts den Kopf durch den Spalt steckte. "Jason, würden Sie bitte kurz mitkommen." Alle Köpfe drehten sich zu dem Blonden um, der sich mit grimmiger Miene von seinem Platz erhob und zur Tür hinaus stapfte. Zelda hatte im Gegensatz zu den anderen eine Vermutung was das zu bedeuten hatte. Sofort schoss sein Arm in die Höhe. "Darf ich kurz auf die Toilette?"
Auf dem Flur konnte er gerade noch ausmachen aus welcher Richtung Miss Potts Geklacker der Absätze kam und er beeilte sich wieder zu den beiden aufzuholen. In sicherem Abstand folgte Zelda ihnen über Flure mit Marmorplatten am Boden, mit roten Samtvorhängen vor den Fenstern und mit Kronleuchtern über seinem Kopf. Bescheiden, wer's glaubt!
Gerade dachte er, er wäre jetzt schon viel zu lange weg und seinem Lehrer würde auffallen, dass er nicht nur kurz auf die Toilette gegangen war, als Miss Potts und Jason vor einer Tür stehen blieben. Zelda war leider zu weit weg, um genau zu hören was sie sagten, er fing nur das Wort "Polizei" auf. Also hatte er Recht gehabt. Die Polizei war immerhin auch über Charlottes Entführung informiert und würde natürlich nicht die Gelegenheit den Hauptzeugen, Jason, zu befragen, ungenutzt lassen. Zelda hatte nur Angst gehabt es wäre gestern schon passiert, aber anscheinend hatte er Glück gehabt oder die Polizisten waren zurückgekommen. Dies könnte auch bedeuten sie hätten neue Informationen bezüglich Charlotte. Egal was es war, er musste unbedingt hören was da gesagt wurde.
Vorsichtig schlich sich Zelda näher an die Tür heran und drückte sein Ohr gegen das dunkle Holz. Die Tür war zu massiv und die Personen sprachen zu leise als dass er jedes Wort genau verstehen könnte, aber das Meiste bekam er mit. Eine fremde Männerstimme fragte Jason was passiert war und was er genau gesehen hatte und Zelda hielt den Atem an, um Jasons Bericht ganz genau zu hören.
"Ich hab' doch schon gesagt was passiert ist. Ich war mit Charlotte alleine am Rand der Stadt, Ecke Bronton und Lesliestraße, in der Nähe des Ludwigparks. Es war mitten in der Nacht, ich denke so um eins herum. Dann kam ein kleiner Lieferwagen angeschossen, komplett schwarz und das Nummernschild konnte ich nicht erkennen. Zwei maskierte Männer sprangen raus, einer packte Charlotte und der andere hat mir so vor den Schädel gehauen, dass ich nichts tun konnte. Ich denke ich war kurz weg, denn als ich wieder zu mir kam war der Wagen weg und Charlotte hatten sie mitgenommen."
Es blieb kurz still und Zelda vermutete, dass der Polizist sich Notizen machte. "Warum müssen Sie das überhaupt alles nochmal fragen? Ich habe gestern genau das Gleiche gesagt!" Jasons Stimme hörte sich tatsächlich so an als würde es ihm wiederstreben das Geschehene nochmal durchzukauen, Zelda konnte nur nicht sagen ob es aus Trauer und Schmerz war oder ob es einen anderen Grund gab. So wie er es erzählt hatte, war Jason der Einzige gewesen, der die Entführung tatsächlich mitangesehen hatte. Was wenn er log? Was wenn er mitgeholfen hatte Charlotte zu entführen?
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Auftritte:
Zelda O'Rae
[Ja, nur Zelda hat etwas gesagt xD]
Und schon das nächste Kapitel! Ich bin selber sehr erstaunt darüber, woher meine plötzliche Motivation kommt xD. Wahrscheinlich weil ich schon zwölf Infokapitel für Band zwei habe und diesen endlich veröffentlichen will, aber ich diese Geschichte erst noch beenden muss... Ja, diese Geschichte macht mir auch Spaß, keine Sorge. Hättet ihr eigentlich Lust auf einen bestimmten Uploadtag? Ich weiß, dass ich das in der Vergangenheit schlecht einhalten konnte, aber diesmal will ich es wirklich versuchen!
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