01. Die Mission
Niyol
"Komm her!" Soyala zog ihren Zwillingsbruder neben sich auf den Sitz und drückte ihm ihre Tasche auf den Schoß, während sie sich nach vorne lehnte und bei Zelda und Charlie, die vor ihnen saßen, informierte wie lange die Fahrt nochmal dauerte.
"Zwei Stunden", gab sie an Niyol weiter, der zwar den Lehrern ganz genau zugehört hatte und deswegen noch wusste wie lange sie fahren würden, aber trotzdem einfach nur nickte. Zwei Stunden Fahrt waren in Ordnung, auch wenn er es überhaupt nicht mochte Bus zu fahren. Aber es waren in letzter Zeit viele Dinge passiert, die ihm auch nicht sonderlich gefielen.
Zum ersten waren Jeremy und Max als böse Spione enttarnt worden und geflohen und zum zweiten war ein riesiger Teil der Schule eingestürzt und während der Renovierungsarbeiten waren sie in einem anderen Internat untergebracht, eines mit ganz normalen Jugendlichen ohne Magie.
Niyol hatte seine Schwester die letzten Tage schon hundert Mal davon überzeugen wollen wieder zurück nach Hause zu gehen und die ganze Geschichte zu vergessen, er hatte keine Lust mehr auf diese Schule, auf den langweiligen Unterricht und die ganzen Probleme, aber sie hatte ihn nur immer ganz empört angestarrt und ihn daran erinnert, dass sie hier Freunde hatten.
Ja genau, Freunde. Freunde wie Zelda, der ihn davon verdächtigt hatte ein Spion zu sein und die Schatzsuche der Fünftklässler zu manipulieren. Er erinnerte sich immer noch schmerzhaft daran wie er die Leiche seines Vaters im Wald gefunden hatte, dabei war es nur eine Illusion von Zelda gewesen und gar nicht real. Sein Vater konnte nicht tot sein, er war einfach verschwunden und würde wieder auftauchen, da war er sich sicher.
Während Soyala sich ein Buch zum Lesen schnappte, setzte Niyol sich seine Kopfhörer auf und starrte einfach nur aus dem Fenster, wie die Landschaft schnell an ihm vorbeizog. Ihm war nicht wohl dabei diese Mission mit der ganzen Klasse anzutreten und er verstand ganz ehrlich auch den Sinn dahinter nicht. Auch ohne Jeremy und Max waren sie immer noch sechzehn Schüler, wofür wurden sie alle benötigt?
Niemand hatte ihnen bis jetzt gesagt worum es ging und sein tiefblauer Blick wanderte fast schon automatisch zu den Lehrern ein paar Sitzreihen vor ihm. Die Professoren Hay, Ignis und Lowlaze waren dabei, ausgerechnet die jüngeren und die unerfahrenen Lehrer, die aber definitiv nicht zu unterschätzen waren, wie er im Unterricht gemerkt hatte.
Dass Dahlia sich für diese Reise hatte erübrigen können war ein Wunder, ihr totgeglaubter Zwillingsbruder war immerhin vor einiger Zeit plötzlich wieder aufgetaucht, schien auf der falschen Seite zu stehen und war jetzt spurlos verschwunden. Dass sie nach alldem einen auf Klassenfahrt und tolle Zeit mit ihren Schülern machen konnte, fiel ihm schwer zu glauben, ganz abgesehen davon, dass sie mental darunter leiden musste und in diesem Zustand wohl besser nicht auf eine Mission gehen sollte. Aber darüber zu urteilen stand ihm nicht zu, Vince Blavory hatte am Ende das letzte Wort und der hatte sich nun mal so entschieden.
Eine plötzliche, warme Hand, die seine ergriff lenkte seine Gedanken wieder auf das Hier und Jetzt. Soyala hatte ihr Buch weggelegt und lehnte ihren Kopf an seine Schulter und in diesem Moment war für ihn klar, dass die Ereignisse der letzten Wochen auch seine Schwester mitgenommen hatten. Sie tat immer so taff und aufgeweckt, aber Niyol wusste genau wie es in ihrem Inneren aussah, welche kleinen Gesten sie wann machte und was sie bedeuteten.
Er kniff leicht in Hand seiner Schwester und versuchte sich für die restliche Fahrt einfach zu entspannen und mit geschlossenen Augen die Musik zu genießen. Dass Zelda und Charlie sich irgendwann zu ihnen umdrehten und sie mit einem Grinsen betrachteten, bemerkte er nicht.
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Mit Koffern und Taschen bepackt betraten die Elftklässler einige Zeit später die Pension "zum Sonnenhof". Sonnig passte auch für die Einrichtung sehr gut, fand Niyol. Die Wände waren in einem hellen Gelb gestrichen, die Stühle im Wartebereich waren gelb, die Theke war gelb und man bekam genauso schnell Kopfschmerzen als wenn man einige Sekunden lang in die Sonne gestarrt hätte. Dieser Gasthof nahm seinen Namen wirklich sehr ernst. Er wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit Soyala, die eher so aussah als würde sie lachen wollen.
"Isaac Hay, was für eine Freude dich wiederzusehen!", polterte plötzlich eine laute Stimme und hinter der Theke tauchte ein großer, schlanker, dunkelhäutiger Mann auf, der mit einem breiten Grinsen hervortrat und Isaac überschwänglich die Hand schüttelte. "Dahlia Ignis und Anatol Lowlaze, ich habe viel über euch gehört, natürlich nur Gutes! Und dann die ganzen Schüler! Ladet euer Gepäck ruhig im Wartebereich ab, wir haben den ganzen Gasthof für uns alleine und brauchen auf andere Gäste keine Rücksicht nehmen."
Niyol tat wie geheißen und während er seine Tasche abstellte, flüsterte Soyala ihm ins Ohr: "mir gefällt er, er erinnert mich an Onyx." Niyol lächelte als er sich an Soyalas Wölfin erinnerte, die sie leider in der Natur bei ihrer Mutter hatte zurücklassen müssen. Dank ihrer Fähigkeit konnte seine Schwester sich in Tiere verwandeln und mit ihnen kommunizieren, das war auch bei Onyx der Fall gewesen. Schmerzhaft wurde ihm wieder bewusst wie sehr er nicht nur seine Eltern vermisste, sondern auch seinen Mustang Shadow oder seinen Rotfuchs Wildfang. Hoffentlich ging es den beiden gut.
"Eure Reise war nicht so lang, als dass ihr jetzt eine lange Pause einlegen müsstet, richtig? Super. Ich werde mich ein wenig mit euren Lehrkräften unterhalten und ihr könnt hier den Flur runter und dann die Tür rechts nehmen, dort wartet Lynn auf euch und wird euch alles erklären." Auf diese Erklärung war wohl nicht nur Niyol gespannt, denn ohne Protest lief die ganze Gruppe sofort los. Er hörte Zelda und Charlie vor ihm gespannt flüstern und Lizzy schloss zu ihnen auf und fing ein leises Gespräch mit Soyala an.
Im Flur fiel Niyols Auge auf die Landschaftsbilder an der Wand, eines zeigte eine untergehende Sonne am Meer, ein anderes einen Wald voller Bäume, wodurch - wer hätte es gedacht - Sonnenstrahlen fielen, aber ein Drittes fiel ihm besonders auf: durch hohes, windgepeitschtes Gras galloppierte ein schwarzes Pferd, die Sonne im Rücken. Leider konnte er es sich nicht genauer ansehen, weil die Gruppe ihn weiter drängte, aber ganz kurz hatte er gedacht Shadow darin zu erkennen.
Die Tür zu dem Raum stand offen und Niyol erkannte, dass es wohl die Mensa vorstellen sollte, wenn diese nicht gerade zu einer Schulklasse umgebaut worden war. Gruppentische, ein Whiteboard auf Rollen und die streng aussehende Frau mit blondem Pferdeschwanz und Brille, sorgten dafür, dass er sich schon wieder in die Schule zurückkatapultiert fühlte. War das hier überhaupt eine Mission? Zu seinem Entsetzen stellte er fest, dass die Tische sogar Namensschilder hatten, aber zum Glück erkannte er schnell, dass er neben Soyala saß, gegenüber nahmen Zelda und William Platz.
Als alle Schüler sich gesetzt hatten, trat die Frau vor. Sie hatte die ganze Zeit nur still dagestanden und sie eine nach dem anderen fixiert und dabei ziemlich streng dreingeschaut, wodurch es auch sofort still wurde. "Ich bin Lynn Juran, spezialisierte Waffentechnikerin, und zusammen mit Alexander leite ich diese Ermittlungen. Wir sind über eure Gaben informiert und haben eure Akten gelesen, damit ich folgende Informationen überhaupt an euch weiterleiten darf. Trotzdem bitte ich euch die Schweigepflichterklärung vor euch an eurem Platz zu unterschreiben." Ein leiser Tumult mit Blätterrascheln und Kugelschreibergekratze entstand und Lynn sammelte die Blätter ein und steckte sie zufrieden in eine Mappe auf ihrem Tisch.
Es blieb still, jeder wollte jetzt wohl unbedingt wissen worum es ging und Niyol lehnte sich gespannt nach vorne und beobachtete die Frau. Er konnte sehen, dass sie keine Fähigkeit besaß, aber sie wirkte gefasst und schien überhaupt nicht besorgt oder nervös zu sein in einem Raum mit sechzehn mächtigen Schülern über dessen Gaben sie auch bescheid wusste.
"Auf Bowtrop Hill hier in der Nähe steht ein Elite-Internat", fing sie ihre Erklärung an. "Gestern Nacht ist ein Mädchen von dort verschwunden. Sie hat sich mit einigen Freundinnen und ihrem Freund abends aus dem Gebäude geschlichen und wurde laut den Aussagen ihres Freundes entführt. Wie fast alle der dort anwesenden Schüler besitzen ihre Eltern über große Summen an Geld, Lösegeldforderungen sind bis jetzt jedoch noch nicht eingetroffen. Wir werden..."
"Entschuldigung", unterbrach Luna plötzlich die Ausführungen, "aber was hat das Ganze mit uns zu tun? Warum ermittelt die stinknormale Polizei nicht in diesem Fall?" Niyol hielt kurz die Luft an bei ihrer abschätzigen Bemerkung und erwartete fast schon, dass Lynn sie rausschmiss oder zumindest irritiert sein würde, aber nichts davon war der Fall.
"Eine berechtigte Frage, wenngleich ich darauf auch gleich noch zu sprechen gekommen wäre", erwiderte sie ungerührt und trat zu ihrem Tisch, um ein Foto aus der Mappe zu nehmen und es an das Whiteboard zu heften. Darauf zu sehen war ein ziemlich hübsches Mädchen mit gewellten, dunkelblonden Haaren, grünen Augen und einer sommersprossigen Stupsnase.
"Dies ist Charlotte King, das entführte Mädchen. Ihr Vater Arnold King besitzt leider nicht nur sehr viel Geld, sondern auch das Wissen um eine neue, hochentwickelte Waffe, die momentan jedoch nur noch in der Entwicklungsphase ist und worüber ihr nicht mehr erfahren dürft. Meinen Beruf habe ich bereits erwähnt, ihr solltet ebenfalls wissen, dass Arnold und ich Kollegen sind. Dank des Waffenprojekts wurde er über die Magie in dieser Welt informiert und musste sich ebenso wie ihr gerade vertraglich an sein Schweigen binden. Er hat mich gebeten diese Ermittlungen neben der Polizei aufzunehmen, weil meine magischen Freunde mehr Möglichkeiten haben. Ich habe Alexander angerufen und der unseren gemeinsamen Freund Vince Blavory, den ihr wahrscheinlich kennt. Eure Fähigkeiten sind sehr besonders und wie ich gehört habe, haben einige sie sehr gut unter Kontrolle. Außerdem eignet ihr euch als Jugendliche perfekt für unseren Plan."
Gebannt hörten alle zu, auch Niyol fühlte jetzt schon mehr für diese Mission. Alles war immerhin besser als Schule, aber zusätzlich hatte er Mitleid mit dem Mädchen. Wenn sie ein nichtmagischer Mensch war und von irgendwelchen Leuten entführt worden war wegen dem Geld oder dem Wissen ihres Vaters, dann musste sie jetzt bestimmt schreckliche Angst haben. Genau in diesem Moment war sie irgendwo eingesperrt, etwas was Niyol nur schwer ertragen konnte.
"An der Schule wissen nur das Kollegium, ihre drei Freundinnen und ihr Freund über Charlottes Entführung bescheid, die anderen Schüler denken alle sie wäre für ein paar Tage verreist, weil es einen familiären Notfall gibt. Da die meisten Entführer jedoch ihr Opfer kennen, ist das Internat der erste Platz, um mit den Nachforschungen anzufangen. Wie ihr seht seid ihr an Gruppentischen verteilt und das hat seine Gründe. Wir haben diejenigen, die die passendsten Fähigkeiten und die stärkste Kontrolle haben ausgewählt, um undercover an der Schule eingeschleußt zu werden."
Lynn lief ausgerechnet zu ihrem Tisch hinüber und Niyols Herz machte kurz einen Aussetzer. Undercover an einem Internat? Er hatte so etwas noch nie gemacht und ein mulmiges Gefühl machte sich bei dem Gedanken daran in ihm breit. Ein Brief wurde ihm in die Hand gedrückt, ebenso wie Soyala, Zelda und William. "Den öffnet ihr gleich, darin sind eure Identitäten. Ihr lest sie euch durch und prägt euch alles ein, danach verbrennt ihr das Papier", wies Lynn an, hatte sich schon wieder abgewandt und lief zum nächsten Tisch, woran Tim, Jack, Luna und Aurí saßen.
"Eine zweite Gruppe wird zu Charlottes Familie gehen und auf einen Anruf oder einen Brief warten. Die Familie hat ein paar Bedienstete, diese zu überprüfen ist eure Aufgabe. Ihr werdet nicht die Familie ausspionieren, sondern ihnen beistehen, ist das klar? Arnold wird mir sagen, wenn er mit eurer Arbeit nicht zufrieden ist, also haltet euch zurück." Die vier nickten, sogar Luna, aber Niyol war noch so sehr von seiner Aufgabe überwältigt, dass er von diesem Fakt nichtmal überrascht war.
"Und die dritte, größte Gruppe bleibt hier im Sonnenhof. Diese Pension ist unsere Basis, unser Treffpunkt, hier wird immer jemand anwesend sein und hier werden die anfallenden Aufgaben verteilt. Wenn die Gruppe am Internat oder bei den Kings etwas herausfindet, wird das umgehend zum Sonnenhof kommuniziert und hier wird die weitere Ermittlung aufgenommen. Keiner von euch wird einen Alleingang hinlegen, ihr werdet eure Fähigkeiten nur anwenden, wenn ihr zu hundert Prozent garantieren könnt, dass kein gewöhnlicher Mensch etwas davon mitbekommt und - und ich betone das nochmal - ihr verratet niemanden etwas von unserer Mission, außer ich weise euch an, dass ihr das dürft. Wir werden Charlotte finden und befreien, die Entführer der Polizei übergeben und wenn das geschafft ist, werdet ihr wieder zurück reisen. Verstanden?"
Ein "ja" ertönte von vielen und einige nickten, nur Niyol starrte einfach nur den Umschlag an, weil er gar nicht mehr richtig zugehört hatte. "Lukas Morales" stand in geschwungenen Buchstaben darauf. Undercover an einem Internat voller unmagischer, reicher Jugendlichen. Er wusste nicht, ob er dieses unbestimmte Gefühl in seinem Magen jetzt als Freude oder als Angst deuten sollte.
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Auftritte:
Niyol Aéras
Soyala Aéras
Luna Night
Lynn Juran
Alexander Lenné
[Aufgelistet sind hier nur die "Sprechrollen" und auch nur die wichtigen Charaktere.]
Yay, es hat wirklich angefangen! Hat Lynn bzw habe ich alles verständlich erklärt? Und seid ihr eher Lynn oder Alexander Fan? xD
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