Kapitel 1
Ganz auf die Art der meisten bedeutenden Ereignisse, geschah es plötzlich.
Später würde Castiel den Moment in einer Reihe von Fakten abrufen, ein Ablauf von Bildern, die sorgfältig in seinem Hinterkopf verstaut waren: ein Haufen Dämonen, die weite leere Nacht und eine Konfrontation irgendwo in den Tiefen der Wälder, das Rascheln der Bäume. Er würde sich den verschwommenen Kampf, die Farben und die Geräusche vorstellen. Schüsse, Bögen dunklen Blutes und ein unverständlicher Ausruf, ein durchdringender Ton. Dann würde er sich an den Gedanken erinnern, dass das Geräusch, welches die Höllenbrut bei ihrem Tod machte, wie das Jaulen von getretenen Hunden klang.
Fast genau fünf Monate nachdem das Ende nicht gekommen war, ungefähr ein halbes Jahr nachdem Castiel dem Himmel endgültig seinen Rücken zugedreht hatte, presste er gerade eine Handfläche an die Schläfe eines Dämons, dessen Leben durch seine Augen hinaussickerte, als die letzten Ranken seiner Gnade schließlich rissen.
Augenblicklich schrie er auf. Er taumelte von dem schwelenden Körper des Dämons weg und landete auf seinen Knien hart im Gras. Castiel spürte etwas Großes und Schreckliches in seiner Brust flackern und anschwellen, wie ein weißes Feuer – er verlor die Geräusche und den Kampf aus den Augen. Ohne zu wissen, was er tat, fühlte er, wie sich sein Inneres nach außen kehrte, er seine Fingernägel in den brennenden, heulenden Schmerz stieß und zerrte.
Aber erst nachdem er seine Augen zur Stille und dem treiben Nachthimmel über ihm geöffnet hatte, nachdem zwei Paar Hände nach seinen Armen gegriffen und ihm hochgeholfen hatten, nachdem er das Herz seiner Hülle in einer Brust schlagen spürte, die sich zehnmal zu hohl anfühlte, erst dann realisierte er es. Es war geschehen.
Er war gefallen.
Sam und Dean schlangen ihre Arme um seine Schultern, genau so sehr für seinen Halt wie für ihren. In seiner Benommenheit sah Castiel, dass die beiden blutig und voller blauer Flecke waren - Dean hatte Schnitte auf seiner Wange und Sam eine geweitete Pupille. Dean schlug ihm mit einer Hand auf den Rücken und fragte: ,,Alles okay? Was zur Hölle ist passiert?"
Und Cas würde sich genau erinnern, dass er versucht hatte zu sprechen.
Er wollte sagen: ,,Mir geht's gut. Meine Gnade ist gebrochen, sie ist gerissen. Ich habe versucht sie herauszuziehen, und ich glaube, ich bin gefallen, jetzt, aber es tat nicht so weh, wie ich erwartet hatte." Doch obwohl sich die Worte auf seiner Zunge nach vorne drängten, war keine Stimme hinter ihnen - nur Luft. Er brach ab.
Die Brüder hielten inne und sahen ihn an.
Castiel würde sich an die Kühle der Nacht erinnern, dass sich eine Gänsehaut auf seinen nackten Armen ausgebreitet hatte. Eine Pistole steckte in dem Bund seiner Jeans, drückte gegen seinen Rücken. Außerdem trug er eins von Deans alten T-Shirts und ein Paar von Sams alten Stiefeln; er hatte zwei Dämonen im Nahkampf getötet und ihre schwelenden Körper lagen im Gras hinter ihnen. Cas hatte den Hauch einer Ahnung, dass etwas auf dem Weg, den sie gerade gekommen waren, größer wurde, etwas, das nach frischem Holz und welken Blättern roch, wie kalte Arktisluft und paradiesisches Feuer. Und er würde noch Wochen und Monate später an den blanken Horror zurückdenken, als er sprechen wollte und keine Stimme herauskommen hörte.
Castiel versuchte erneut etwas zu sagen, doch egal, wie er seine Lippen bewegte oder mit blassen Fingerspitzen gegen seinen Hals drückte - kein Ton entstand.
Für einen Moment drehte er fast durch – verlor die Nerven, weil Stille so ein fremder Zustand war, sie auf seiner eigenen Zunge zu hören, in seiner eigenen Kehle zu spüren. Er, eine Kreatur, die zum Singen und Loben geboren war. Sämtliche Laute waren von einem Moment auf den anderen fort. Mit aufgerissenen Augen gestikulierte Cas in Richtung seines Halses, und Dean schien zu verstehen.
,,Hey, schon okay, beruhig dich, alles klar?", sagte er so gefasst und pragmatisch wie immer. ,,Lass uns hier abhauen und dann werden wir sehen, was los ist."
Sie kletterten in den Impala. Castiel lehnte sich ans Fenster und schluckte reflexartig, als ob er versuchte, seine Stimme wieder in sich hineinzudrücken.
Über den Baumwipfeln sah er es – Äste, blühend und wachsend, brachen durch die Blätter und streckte sich gen Himmel aus. Starkes, dunkles Holz krümmte und verknotete sich und drängte nach oben. Seine Gnade war fort, um zwischen den Körpern der Dämonen zu keimen.
Ein Teil von ihm fand es wunderschön.
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