◇Kapitel vierzehn◇
Das Laufen wird immer anstrengender. Da wir nur zwei Pferde haben, wechseln wir uns ständig ab. Ich weiß nicht, wie lange ich schon neben Flynn herlaufe. Obwohl das Tempo gemächlich ist, tun mir die Füße weh. Den anderen geht es genauso, auch wenn sie reiten. Seit einer Weile schon schweigen wir.
»Halt«, unterbricht Jade die Stille. Die Pferde halten leise schnaubend an. Wir befinden uns in dem letzten Ring Nyma Taësis, wo die Häuser verlassen und verfallen sind. Die ehemalige Generalin horcht auf.
»Da ist jemand«, zischt sie. Alarmiert blicke ich mich um, doch ich kann niemanden sehen. Angespannt steigt Jade wie die anderen auch von ihrem Pferd ab und zieht ihr Schwert. Meine Hand fährt ebenfalls zum Griff meines größeren Schwertes, das mir Netsu gegeben hat, obwohl ich die Waffe nicht einmal führen kann.
Jades Blicke sind fokussiert, bestimmt würde sie Dinge erkennen, die anderen verborgen bleiben. Verunsichert gehe ich zu Runa, die meine unruhige Ausstrahlung spiegelt.
»Runter!«, ruft Jade plötzlich und wenn Runa mich nicht auf den Boden gezogen hätte, hätte mich der Pfeil durchbohrt. Geschockt starre ich den Stab an, der tief in der Erde steckt. Das hätte mein Körper sein können.
Weitere Pfeile prasseln auf uns nieder. Mit angehaltenem Atem robbe ich zur Seite, während Jade auf die Quelle der Geschosse zu stürmt, der Türbogen eines Hauses. Die beunruhigten Pferde drehen durch und wiehern panisch.
Der Regen versiegt, als Jade das Haus betritt. Sam, Lurai, Runa und ich wechseln verstohlene Blicke, doch wir können ihr nicht hinterher laufen, so kampfunfähig wie wir sind. Hektisch eilen wir hinter eine steinerne Erhöhung. Das Klirren von Metall auf Metall lässt mich zusammenzucken. Was ist da los?
Vorsichtig wage ich einen Blick über die Schulter. Verbittert kämpft Jade gegen zwei in schwarz gekleidete Gestalten - Dem Körperbau nach ein Mann und eine Frau. Nein, moment. Sie kämpft mit dem Mann gegen die Frau. Aber warum?
Mithilfe des Fremden dauert es nicht lange, bis das Schwert der Frau auf den Boden geschleudert wird. Der Mann zieht ihr den Fuß weg und so fällt sie mit dem Rücken gegen eine Wand hin. Er hält ihr seine Waffe an die Kehle, genauso wie Jade.
Wir wurden angegriffen, sickert es zu mir durch. Sie haben versucht, uns zu töten - Zumindest die Frau. Oder? Bevor ich aufstehe, ziehe ich mein Schwert. Langsam gehe ich zu den dreien, die Waffe vor mir. Hinter mir kann ich meine Freunde dasselbe tun hören.
Jade und der Fremde schenken mir einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel, als mich neben sie stelle. Die Frau betrachtet uns aus unheimlich roten Augen, die so eine starke Farbe haben, dass ich erschrocken zusammenzucke. Eine schwarze Maske verbirgt ihr halbes Gesicht.
»Wer bist du?«, frage ich mit festerer Stimme als erwartet. Die Frau scheint zu grinsen.
»Mein Name ist Nahiri, Leytun Hiriko«, erwidert sie melodisch. Ein Schauer befällt meinen Körper. Sie kennt mich. Um meine Unsicherheit zu überspielen, wende ich mich an den Mann.
»Und du?«
Er dreht sich zu mir, deutet eine Verneigung an.
»Ravyn Thanathys. Im Gegensatz zu Tavia Hoshino will ich nicht lügen.«
»Tavia...?«
»Ihr wahrer Name.«
Ich nicke langsam, aber mehr aus Gewohnheit, nicht weil ich ihn verstehe. Aus den Augenwinkeln bemerke ich die Blicke meiner Begleiter, die mich ansehen, als hätte ich den Plan und wäre ihre Anführerin. Auch die zwei Fremden betrachten mich genauso. Verdammt, warum nur?
»Warum habt ihr uns angegriffen?«, frage ich. Meine Stimme klingt herrischer und bestimmter als beabsichtigt. Ich muss meine Überraschung selbst verbergen - Seit wann höre ich mich denn so an?
»Warum wohl«, spottet Tavia - oder Nahiri? -, »Um dich zu töten natürlich.«
Ein Schauer ergreift mich bei den Worten, die sie so nüchtern und stumpf ausspricht. Jade hält ihr die Klinge näher an den Körper, berührt sie fast. Der Grund für diesen Überfall ist klar. Die Prinzessin hat nicht lange auf sich warten lassen, so viel muss man ihr lassen. Ob sie mehr Leute geschickt hat?
»Nur Tavia, um das richtigzustellen«, behauptet Ravyn mit einem unerträglich arroganten Funkeln in den dunklen Augen. Er lässt von seiner - anscheinend doch nicht - Kollegin ab, um sich vor mir zu verneigen. Wie eingefroren starre ich ihn an.
Ich habe bereits viele Leute auf ihren Knien gesehen, aber nur, wenn die Prinzessin vor oder neben mir stand. All die Aufmerksamkeit galt ihr. Dass jemand mir Respekt zollt, ist vollkommen unerwartet.
»Leytun Hiriko, bitte lasst mich Euch begleiten«, meint Ravyn untertänig. Meinen irritierten Blick erwidern Runa, Lurai und Sam zum Glück.
»Ravyn! Die Königin wird dich für diesen Hochverrat-«
»Klappe, Blutauge<, zischt Jade Tavia zu, die verbittert die Augen zusammenkneift, als das Schwert gefährlich nah an ihre Kehle kommt.
»Die Königin kann mich mal«, erwidert er verächtlich, ehe er sich wieder zu mir dreht, »Ich bitte Euch. Ihr braucht Schutz und keiner kann das besser als ich, wirklich. Wir sind bestimmt nicht die einzigen Assassinen, die ihre Hoheit auf euch ausgesetzt hat.«
Nicht die einzigen Assassinen?!
»Ich habe angenommen, weil ihr Angebot so gut war. Aber im Nachhinein... Es ist falsch. Irgendetwas an der Königin ist falsch«, murmelt Ravyn, »Also bin ich mitgekommen, um Euch zu bitten, Euch zu unterstützen. Sie muss aufgehalten werden.«
Hilfesuchend suche ich den Blickkontakt zu einer meiner Begleiterinnen, aber sie alle meiden mich. Ist das wirklich etwas, das ich allein entscheiden muss?
»Jade.«
»Hm?<, macht sie, immer noch fokussiert auf Tavia. In ihren unheimlichen Augen zucken Blitze puren Zorns.
»Lass Tavia gehen. Nachdem du ihre Waffen abgenommen hast«, füge ich rasch hinzu. Die Assassine ringt kurz mit sich, dann greift sie an einen Gurt über ihre Schulter und zieht einen Dolch nach dem anderen heraus. Neben die Klingt legt sie einige Fläschchen mit Flüssigkeiten, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob ich sie kennen will. Alles unter der Wache von Jade natürlich.
»Geh jetzt«, meine ich an Tavia gewandt, »Es wäre besser für uns alle, wenn wir uns nie wiedersehen. Und... Kehr am besten nicht zum Palast zurück.«
Töten kann ich sie auf keinen Fall, aber mitnehmen ist zu gefährlich. Einsperren ist auch unmöglich. Ich schenke ihr ein halbherziges Lächeln. Wenn die Prinzessin weiß, dass ihr Plan gescheitert ist, wird sie die Assassine nicht mit dem Leben davonkommen lassen. Sie mustert mich einen weiteren Moment kalt, dann springt sie auf und ist im Nu verschwunden.
Seufzend wende ich mich zu Ravyn, der zu meiner Überraschung ebenfalls all seine Waffen an Lurai, Runa und Sam übergeben hat. Wie viel kann man bitte am Körper tragen? Das sollte nicht möglich sein. Als ich ihn so bedrohlich ich kann in die Augen sehen will, fällt mir auf, wie groß er eigentlich ist.
»Nun zu dir«, murmele ich.
»Zu Euren Diensten.«
Mit zuckenden Mundwinkeln verneigt er sich erneut. Eine Welle des Unwohlseins erfasst mich. Das ist nicht nötig bei mir.
»Hör auf damit«, weise ich sogleich mit diesem ungewohnten Tonfall an, »Sprich mich normal an. Und warum sollte ich dir vertrauen?
»Ich habe für dich gegen Tavia gekämpft. Außerdem... Wenn ich dich hätte umbringen wollen«, ein anmaßendes Grinsen, »Hätte ich das schon längst getan, nicht wahr?«
»Königin!«
Erfreut erhebt sich Herzogin Sharai von meinem Schreibtisch. Fahles Sonnenlicht lässt ihre hochgesteckten, weißen Haare wie frisch gefallenen Schnee glänzen. Mit raschen Schritten ist sie bei mir und neigt respektvoll den Kopf.
»Willkommen zurück.«
»Oh, bitte«, lächele ich und hebe ihr Kinn, »Begrüßt mich anders, Herzogin.«
Die wunderschönen Augen weiten sich.
»Ihr meint...?«
»Was seid Ihr nur schwer von Begriff manchmal«, schmunzele ich, beuge mich vor und hauche einen Kuss auf ihre Lippen. Sofort ziert ein feiner, rötlicher Schimmer ihre Wangen.
»Wie schön, Euch wiederzusehen«, fahre ich wie selbstverständlich fort und schreite zwinkernd an ihr vorbei. Elegant nehme ich an meinem Schreibtisch Platz und betrachte die Dokumente, an denen die Herzogin gearbeitet hat. Das Lächeln bleibt auf meinen Lippen. Es sieht ausgezeichnet aus.
»Ich bin viel weiter gekommen!«, fängt sie sich wieder, die Stimme überschlägt sich beinahe, »Die Planung ist sehr weit fortgeschritten. In einer Woche dürfte es so weit sein.«
»Fantastisch<, murmele ich, gehe einige der Zeilen durch, »Dafür werde ich Euch natürlich entsprechend belohnen.«
»Da... Danke.«
Ein Räuspern.
»Außerdem habe ich eine Überraschung für Euch.«
Verblüfft hebe ich den Kopf, Eisblau trifft auf Dunkelbraun. Meine Abwesenheit war lediglich von kurzer Dauer, was hat sie in der Zwischenzeit getan? Das, was ich vor mir habe, zeugt von solcher Perfektion, dass es mir schwerfällt, mir vorzustellen, dass sie sich gleichzeitig etwas anderem gewidmet hat. Erwartungsvoll stütze ich mein Kinn auf meine Hand.
»Folgt mir«, lächelt die Herzogin. Eine meiner Augenbrauen wandert amüsiert nach oben, doch ich tue wie sie sagt. Den ganzen Weg zu meinem Gemach über schmückt ein Schmunzeln ihre schönen Lippen. Das wirkt beinahe zu schön, um wahr zu sein. Gedanklich versichere ich mich, bewaffnet zu sein - Ein Dolch unter den Schichten meines hellen Kleides.
Da ich erst vor wenigen Minuten im Palast eingetroffen bin, habe ich mich noch nicht in mein Gemach begeben, meinen Mantel lediglich einem Diener in die Hand gedrückt. Herzogin Sharai öffnet mir die Tür und ich trete ein.
Faszinierend. Es wurde aufgeräumt und geputzt, wie ich erfreut feststelle. Langsam drehe ich mich um mich selbst und bewundere die saubere Arbeit in dem blau-weißen Zimmer, bis ein junges Mädchen in meinem Sichtfeld erscheint. Sie hat die hellbraune Haarpracht zu einem lockeren Dutt hochgebunden, verziert mit Silberspangen, eine einzelne, weiße Strähne sticht hervor. Die Aufmachung einer Zofe betont ihren zierlichen Körper.
Gerade zupfte sie die Vorhänge zurecht, doch als sie mich erblickt, starrt sie mich mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Ehrfurcht an. Automatisch schmunzele ich. Schließlich fängt sich die Fremde, fällt auf die Knie.
»Eure Hoheit, meine Königin<, keucht sie mit gesenktem Blick.
»Herzogin Sharai, klärt mich auf«, grinse ich.
»Nur zu gerne. Amynata Raylas aus meinem Hause.«
Sie schreitet zu mir, wispert mir ins Ohr.
»Unendlich treu gegenüber der Krone - Gegenüber Euch.«
»Die Überraschung ist Euch gelungen.«
Aufmerksam mustere ich Amynata. Wenn die Herzogin auserwählt hat, ist das sehr vielversprechend - Sie hat sehr hohe Ansprüche, denen nur die Besten gerecht werden. Mir schwebte bereits ein junges Mädchen als meine nächste Zofe vor, doch zwei zu haben, die mir ergeben sind, hat Vorteile. Ich wirke eindrucksvoller bei anderen Adeligen, außerdem ist es simpel gesprochen die doppelte Arbeitskraft.
»Steh auf, Amynata«, weise ich sie an. Sofort gehorcht sie meinem Befehl, meidet noch den Augenkontakt. Langsam stolziere ich zu ihr.
»Du darfst mich ansehen«, erlaube ich ihr, was sie auch tut - Haselnussbraune, gesprenkelte Iriden mustern mich - , »Auf eine gute Zusammenarbeit. Du bist eingestellt.«
Ein unbeschreiblich glückliches Lächeln erscheint auf den Lippen des Mädchens.
»Habt Dank, Königin. Ich werde alles tun, um Euch nicht zu enttäuschen!«
»Das hoffe ich doch, Amynata. Ich brauche Euren vollsten Einsatz.«
Ich wechsele einen amüsierten Blick mit Herzogin Sharai.
»Immerhin werde ich bald nicht nur einigen Adeligen unseres Reiches gegenübertreten, sondern auch der Königsfamilie des Reichs der ewigen Wärme.«
Anmerkung der Autorin:
Nach... Jahren... habe ich es geschafft...
Feedback bitte - Ich weiß, dass meine Kapitel eventuell etwas nachlassen, aber inhaltlich? :')
Und pst: Wollt ihr mehr royal stuff mit einer tollen Antagonistin von mir lesen? Dann empfehle ich euch 'Beinahe Mätresse eines Barons'! ;D
Help, ich klinge wie eine schlechte Werbesprecherin qwq
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