五
Augenblicklich gefror die Miene des Prinzen.
»Du wusstest davon?!«, flüsterte Taehyung, seine Stimme bebte, ob vor Zorn oder noch von den mittlerweile versiegten Tränen, vermochte der junge Offizier nicht sagen zu können.
»Ich-«
»Wie konntest du das nur vor mir verbergen?«, rief Taehyung plötzlich aufgebracht und nahm Jeongguk so jegliche Möglichkeit, sich an erster Stelle zu rechtfertigen. Jedoch wäre dem Jüngeren ohnehin keine Antwort eingefallen, die den Schwarzhaarigen auch nur in Ansätzen zufriedengestellt hätte. »Ich hätte, nein wir hätten alles versuchen kö-«
»Nein.« Die Stimme Jeongguks war mit einem Mal hart und glasklar. »Hätten wir nicht, Taehyung.« Seine Miene wurde weich, als er nach der Hand des Älteren, welche er achtlos in seinem Schoß gebettet hatte, griff und unbeholfen ihre Finger miteinander verschränkte.
Beinahe klein wirkte die makellos perfekte Hand des Kronprinzen in der grobschlächtigen und schmutzigen des Soldaten. Er hatte sich immer wieder die Frage gestellt, warum Taehyung dieser starke Kontrast zwischen den Beiden nicht auffiel. Oder viel eher noch; wenn er ihm auffiel, warum er ihn nicht kümmerte. »Ich habe alles versucht, um deinen Vater umzustimmen. Und das nicht einmal aus selbstsüchtigen, niederen Gründen.« Er rückte etwas näher an den Älteren heran, der lediglich mit großen Augen Jeongguk zu mustern schien, abwartend, wann er ihm weitere Vorwürfe an den Kopf werfen konnte. »Nein, ich habe versucht, diesem sturen alten Mann klarzumachen, dass dieser Befehl an ein schieres Selbstmordkommando grenzt.« Erneut sah er Furcht im Blick des Älteren aufflackern, nur diesmal fuhr er unbeirrt fort: »Der Oberbefehlshaber mag ja kampferprobter sein als ich. Jedoch hat er auch ein um einiges größeres Ego. Sein Strategieplan ist schlicht unausgereift und unnötig waghalsig. Er ist ein Mann, der im Schlachtfeld große Gewinne erzielen kann, nicht jedoch in der strategischen Planung dieser unter Berücksichtigung aller, vor allem politischer, Faktoren.« Wie immer, wenn Jeongguk über Schlachtplanungen oder die Kavallerieformation, mit der man größtmöglichen Schaden bei geringstem Risiko erzielen konnte, sprach, kehrten die scharfen Kanten, die sein Gesicht um mindestens zehn Jahre älter wirken ließen, mit einem Schlag zurück.
Zusammen mit dem konzentrierten wie wachsamen Blick, der schien, als würde er sämtliche Umgebungsänderungen systematisch scannen und sogleich jede mögliche Bedrohung innerhalb weniger Sekunden durchschauen und abwenden können, war es das, was dem jungen Prinzen als Erstes ins Auge gefallen war, als er den wortkargen Soldaten das erste Mal gesehen hatte.
»Wenn wir jetzt nicht aufpassen, dann befinden wir uns schneller in einem verheerenden Zwei-Fronten-Krieg als wir gucken können. Und wer in dem Szenario am Ende den Kürzeren zieht, dürfte wohl offensichtlich sein.« Mit jedem weiteren Wort, welches die Lippen des Jüngeren verließ, verdüsterte sich die Miene Taehyungs weiter.
Er selbst hatte bereits ähnliche Gedanken gehegt, sie jetzt jedoch einmal ausgesprochen zu hören, machte sie um einiges einschüchterner und vor allem: um einiges realer.
»Trotz der Tatsache, dass einer unserer größten und wichtigsten Häfen zusammen mit unserer wohl ausschlaggebendsten Handelsstraße sang- wie klanglos von den Japanern annektiert werden konnte ohne auch nur die kleinste Reaktion Chinas – das ist nicht gut, Tae.« Bedeutungsvoll sah er dem jungen Prinzen tief in die Augen. »Mit ein wenig Pech hat die Ming-Familie das schnelle Vorrücken der feindlichen Truppen als Kooperation unsererseits mit Japan gedeutet. Darüber hinaus ist die Situation im Norden ohnehin schon bis zum Zerreißen gespannt. König Zhu versucht bereits seit einiger Zeit mit aller Gewalt die aufständischen Ningxia-Rebellen niederzuschlagen. Dieser Kampf im Nacken und dann stetig unschlüssige Botschaften aus dem eigenen Vasallenstaat. Niemand wäre so naiv wie dein Vater gewesen und hätte das Angebot Japans ohne weitere Konsequenzen zu erwarten derart bedenkenlos abgelehnt.«
Eine beispiellose Kälte erfasste den Körper des Kronprinzen. Schleichend kroch sie unter seinem fließenden Gewand, dessen prächtige Juwelen funkelnd den Schein der umliegenden Kerzen in ihrer geschliffener Oberfläche widerspiegelten, hinauf und legte sich schließlich wie eine unsichtbare, eisige Hand um sein schlagendes Herz.
Schwach schimmerten die aufwendigen Applikationen des fließenden Stoffes, als er seinen freien Arm hob, um sanft mit den Fingern über die verschränkten Hände der beiden Männer zu fahren.
Er wusste nicht, was ihn mehr ängstigte: den Krieg zu verlieren oder den jungen Offizier.
Momentan schien sogar beides zugleich wahrscheinlich.
Stumm rollte eine weitere Träne seine geröteten Wangen hinab. Die kurzzeitig aufgeflackerte Wut von noch wenigen Minuten zuvor schien gänzlich erloschen, gleich einem Lagerfeuer nach unerwartetem Platzregen.
»B-bitte«, murmelte der nunmehr verzweifelte Prinz, »bitte bleib.« Ruckartig richtete er seinen Blick auf und schaute Jeongguk mit einer Hilflosigkeit an, die der Soldat in all den Jahren zuvor noch nie bei seinem Liebhaber gesehen hatte und ihm das Herz zerriss.
Leicht öffnete er seinen Mund, schloss ihn jedoch sogleich wieder, da es keine Worte gab, die seinen Gegenüber beruhigt und gleichzeitig nicht auf einer Lüge beruht hätten.
Unvorbereitet drückte Taehyung die Hand des Offiziers, in seinen Augen spiegelte sich eine Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit. »Wir könnten abhauen.«, setzte der Ältere eindringlich an, seine Hand umklammerte immer fester die von harter Arbeit gezeichnete Jeongguks. »Nur du und ich. Wir verschwinden von hier, weg von diesem Hof, weg aus diesem gottverdammten Land. Irgendwohin, wo uns keiner kennt. Irgendwohin, wo wir zusammen sein können.«
»Taehyung.« Die Nüchternheit in Jeongguks Stimme trieb weitere Tränen in die Augen des Kronprinzen; tonlos benetzten sie seine weiche Gesichtshaut und hinterließen tiefrote, unregelmäßige Flecken auf seinem Gewand, als die salzige Flüssigkeit eifrig von dem schweren, fremdländischen Stoff aufgesogen wurde.
Jeongguks Miene hingegen verriet nichts von dem Sturm an Emotionen, der durch die Tränen des Älteren noch geschürt zu werden schien. Ausdruckslos sah er den Mann an, der ihm in diesem Leben alles bedeutete. Es galt, ihn zu schützen, so sehr es ihn auch verletzte. »Ich kann meine Männer nicht im Stich lassen.«, fuhr er mit ruhiger Stimme fort; lediglich das unablässig in seiner Brust pochende Herz verriet die Aufgewühltheit, die es ihm nur mühsam zu verstecken gelang. »Sie vertrauen auf mich. Was für ein Mann wäre ich, wenn ich einfach davonlaufe? Wie ein Feigling.« Die letzten Worte spuckte er förmlich hervor, in seine bis dahin ausdruckslose Stimme mischte sich ein bitterer Unterton, als er fortfuhr: »Außerdem war das hier schon zum Scheitern verurteilt, bevor es überhaupt begonnen hatte.«
Augenblicklich verdüsterte sich die Miene des Soldaten, die tiefen Falten auf seiner Stirn vermochten sogar die Taehyungs Vaters in den Schatten zu stellen. »Wann findet deine Hochzeit nochmal statt? Zu Beginn des nächsten Kalendermonats? Scheinbar bin ich ja nun ohnehin an deinem großen Tag verhindert.«
Mit einer Bestimmtheit, die den jungen Prinzen schreckhaft zusammenfahren ließ, entzog sich Jeongguk seinem Griff, ehe er sich aufgebracht erhob und Taehyung den Rücken zuwandte; ein Akt der Zurückweisung, der den Älteren tief verletzte, dem Soldat hingegen lediglich als Selbstschutz diente, damit dieser seine aufsteigenden Tränen nicht sah.
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