Hastig wischte er seine schwitzigen Hände an dem matt schimmernden Stoff seines Hanboks ab, welcher gerade erst aus einer der besten Nähereien der Halbinsel seinen Weg in das koreanische Königshaus gefunden hatte, sobald er die hochgewachsene Gestalt seines Vaters in der Entfernung auszumachen vermochte.

Sein purpurner Überwurf blähte sich majestätisch, während der goldene Saum sowie die prächtigen Stickereien und Verzierungen seines perlmuttfarben glänzenden Gewands im Rot der untergehenden Abendsonne herausfordernd glitzerten.

»Mein Sohn«, setzte der mittlerweile ergraute Mann an. Lebhaft konnte Taehyung sich die Miene seines Vaters ausmalen, die ihm jedoch aufgrund der tiefen Verbeugung, die er vor jenem ausführte, verborgen blieb; das enttäuschte Funkeln in den dunklen Augen, die Lippen fest und ausdruckslos aufeinander gepresst.

Obwohl er es nie ausgesprochen hatte, spiegelte die Körpersprache des alten Mannes glasklar wieder, zu welcher Enttäuschung sein Sohn in seinen Augen doch herangewachsen war.

Schlicht nicht geeignet schien der zartbesaitete Prinz dem vom Leben gezeichneten Monarchen als sein Nachfolger.

»Mein König«, erwiderte Taehyung schließlich respektvoll, ehe er sich wieder aufrichtete und seinem Vater unmittelbar ins Gesicht blickte.

Die berüchtigten Sorgenfalten schienen heute noch präsenter als sonst. Tief gruben sie sich in das Antlitz des alten Mannes, die buschigen, ebenfalls ergrauten, Augenbrauen waren zusammengezogen, sein Blick war, obwohl stets wachsam, müde.

Wortlos deutete der König seinem Sohn, ihm zu folgen, und so schritten sie gemeinsam die breiten, ausgetretenen Steinplatten, die, kunstvoll verlegt, den Vorhof des Palastes bildeten, entlang; Stumm passierten sie die gewaltige Steinpagode mit ihren markanten, vorragenden Dachvorsprüngen, welche die letzten Strahlen der Abendsonne in ein feuriges Rot tauchten, als bestünde der Sims aus flüssigem Magma, ehe sie schließlich den Garten des Königshofes betraten.

Unmittelbar schienen die Geräusche, die noch vor wenigen Augenblicken an die Ohren des Prinzen gedrungen waren, in den Hintergrund zu rücken; die harten Schläge der Steinmetze, das kreischende Schnappen der Sägen sowie das leise Flirren der Töpferscheiben, auf denen Angestellte kunstvolle Behältnisse und Schalen für den königlichen Hof formten.

Lediglich der Geruch des Tons und der Brennöfen vermochte die umfassende Stille des Gartens nicht zu übertünchen, intensiv klammerte sich der Dunst an die Innenwände seiner Nasenflügel.

»Mir ist zugetragen worden, dass die japanischen Invasoren erneut auf dem Vormarsch sind. Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass sie, in multiple Divisionen aufgeteilt, erneut versuchen werden, unsere Hauptstadt einzunehmen.« Taehyung kostete es äußerste Anstrengung seine Stimme wie Körpersprache dem Monarchen gegenüber zu kontrollieren.

Es war ein Spiel mit dem Feuer, das wusste der junge Thronfolger und doch durfte er nichts unversucht lassen.

Alleine ihm zuliebe.

Gespannt wartete er auf die Reaktion seines Vaters, während sie langsam durch die schön angelegte Grünanlage schritten.

Die neokonfuzianischen Einflüsse, die sich aktuell schleichend durch beinahe jede soziale Schicht der koreanischen Gesellschaft zogen, waren gerade hier klar erkennbar. Die akkurat angelegten Kiesbeete, Brücken und Bänke aus rotbraunem Zedernholz, jedes Astloch war kunstvoll ausgeschliffen, ehe es von Hand poliert worden war, sodass die Maserung des Holzes noch deutlich zutage trat; klar und minimalistisch waren die Wege, jede Blüte, jeder Ast schien seinem für ihn genauestens auserkorenen Zweck zu dienen, selbst die Farbübergänge der Gewächse wirkten beinahe fließend ineinander überzugehen.

Alles war an seinem Platz, gesetzt und wohlerzogen.

Sogar die Umgebungsgeräusche wirkten gezähmt, das ruhige Plätschern von Wasser war zu vernehmen, vereinzelt rieselte es aus zurecht geschnitzten Bambusrohren oder lief über glatte, runde Steine, welche matt in der tiefstehenden Abendsonne schimmerten.

Aus einiger Entfernung sah er einen großen grauweißen Reiher, sein Federgewand war zeitgleich schlicht wie prachtvoll; ohne Vorwarnung stieß sein langer, gebogener Schnabel wiederholte Male in das kühle Nass, ehe er mit einem kleinen zappelnden Tier wieder auftauchte.

Elegant erhob er sich in die Lüfte und flog über die Mauern des Palastes davon.

Manchmal beneidete Taehyung die Reiher.

Ein wahrer Ort der Genügsamkeit und Harmonie stellte dieser kleine Mikrokosmos im Herzen des Königshofes dar; eine Entwicklung, welche Taehyung zwar begrüßte, jedoch mit ebenso großer Sorge beobachtete.

Das einseitige Abhängigkeitsverhältnis, welche die koreanische Halbinsel mit der in China vorherrschenden Ming-Dynastie, von der der Konfuzianismus unablässig weiter nach Korea vordrang, verband, spitzte sich immer mehr zu, und mit dem wachsenden Hoheitsgefälle wuchs ebenfalls seine Sorge, in der Zange der beiden umliegenden Großmächte instrumentalisiert und am Ende gänzlich vernichtet zu werden.

Auf dem Gesicht seines Vaters schien keinerlei Veränderung einzutreten. Geduldig wartete Taehyung noch einige Zeit, ehe er einen erneuten Versuch wagte: »Oberbefehlshaber Shin ließ verlauten, dass wir im Begriff sind, unsere gesamte Kavalleriestreitmacht zu mobilisieren und gen Hanseong zu schicken.« Der Schwarzhaarige machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Sämtliche 8000 Mann«, fügte er mit Nachdruck hinzu.

Noch immer verzog sein Vater keine Miene. Stumm beobachtete er die flinken Wasserläufer auf dem sonst ruhigen Wasserspiegel des kleinen künstlich angelegten Teiches zu ihren Füßen, als bemäße er den sanften Wellen, die die winzigen Tierchen auf der Wasseroberfläche erzeugten, gerade um einiges mehr an Bedeutung bei als den Worten seines einzigen Sohnes.

»Bei dem Überfall auf Busan umfasste die erste Invasionsdivision der Japaner über 20000 Mann. Damals war das Ziel lediglich unser Hafen und sie wussten, dass wir mit keinem Frontalangriff rechnen würden.« Bei diesen Worten biss sich Taehyung leicht auf die Innenseite seiner Wange. »Doch nun sind wir bereits in Alarmbereitschaft und es geht um unsere Hauptstadt, die-«

»Es geht dir um den Jeonjungen, nicht wahr?«, schnitt der König dem aufgebrachten Mann in einer beängstigend ruhigen Tonlage das Wort ab. Augenblicklich wandte er sein Augenmerk von der spiegelnden Wasseroberfläche ab und bohrte ihn sogleich in die vor Schock geweiteten Augen seines Sohnes.

Überrumpelt wand er sich unter dem unvorbereiteten Blick seines Vaters wie ein Fisch auf dem Trockenen »Ich- ähm- Nein!«, entgegnete der Schwarzhaarige aufgebracht, doch ein Zittern seiner Stimmlage konnte der junge Prinz nicht vermeiden. »Es geht mir darum, dass wir eine ganze Division ausgebildeter Soldaten in den Tod schicken!« Seine Stimme bebte. »8000 Männer mit Familien, mit Kindern, mit ...Leuten, die sie lieben.«

Taehyung wusste, dass er die Situation mit seiner Reaktion nur verschlimmern würde, jedoch überkamen ihn seine so mühsam zurückgedrängten Emotionen beim Anblick der gleichgültigen Miene seines Vaters derart übermächtig, dass er wutentbrannt fortfuhr: »Wie kannst du diesen ehrenhaften Männer nur mit einem Lächeln auf den Lippen in ihr sicheres Verderben delegieren?«

Unmittelbar nachdem Taehyung diese Worte ausgesprochen hatte, verzog sich der Mund des Königs zu einem leichten Lächeln, seine kalten Augen fixierten weiterhin die glänzend braunen seines Sohnes, ehe er seelenruhig sein aufwendig gestaltetes Gewand glattstrich und leise zu sprechen begann: »Die Kavalleriestreitmacht wird morgen bei Tagesanbruch nach Chungju reiten.« Gleich unsichtbaren Klingen bohrten sich die Worte in die aufrechte Brust des jungen Kronprinzen. »Oberbefehlshaber Shin wird das Heer leiten, er hat einen detaillierten Plan ausgearbeitet, wie wir uns die geologischen Gegebenheiten des hiesigen Gebirges zunutze machen können, sodass wir den japanischen Fußsoldaten im Frontalangriff haushoch überlegen sein werden.« Bedacht trat der Mann einen Schritt näher an seinen fassungslosen Sohn heran. »Ich respektiere und schätze die Meinung von Offizier Jeon, andernfalls hätte ich ihn an erster Stelle niemals zum Kavallerieoffizier ernannt, doch er ist noch grün hinter den Ohren und lange nicht so erfahren wie unser Oberbefehlshaber. Sein jugendlicher Eifer in allen Ehren, jedoch vertraue ich bei taktischen Feldzügen doch eher auf meine bereits kampferprobten Männer.«

Obwohl Taehyung und seinen Vater weiterhin nicht mehr als eine Armlänge trennte, war der Geist des sanftmütigen Prinzen nicht der Lage die einzelnen Wortfetzen, die sein Gegenüber geäußert hatte, in einen logischen Zusammenhang zu bringen.

Sein gesamtes Denken wurde von dem Satz, der zuerst den Mund seines Vaters verlassen hatte, dominiert; schleichend, als wäre seine gesamte Statik zuvor von unsichtbaren Fäden, befestigt an jedem seiner Gliedmaßen, abhängig gewesen, fiel der junge Thronfolger in sich zusammen - als hätte man ebendiese Fäden mit einer gezielten, schnellen Bewegung durchtrennt schien sein Körper Stück für Stück jegliche Energie zu verlieren.

Wie weggeblasen war die unbändige Wut, die noch bis vor wenigen Minuten in seinen Augen aufgeflackert war und seinen energischen Bewegungen Dynamik verliehen hatte.

»M-morgen?«, krächzte er heiser, bemüht die letzte Contenance, die ihm noch innewohnte zu bewahren. »Die Truppen brechen morgen auf?« Seine Gedanken rasten, irgendwas musste er doch sagen, irgendwas musste er doch tun können, um dies zu verhindern.

Bedacht neigte sich das Haupt des Königs und er nickte besonnen. »Ja. Unsere Informanten haben Anlass zur Sorge gegeben, dass die japanische Division bereits organisierter ist als wir bisher angenommen hatten. Wir dürfen uns keinen Fehler mehr erlauben, wenn wir die Hauptstadt beschützen wollen.«

Überrascht hob Taehyung den Blick und begann eindringlich, den gelassenen Mann ihm gegenüber zu mustern.

Diese Worte klangen so fremd aus dem Mund seines Vaters; in ihnen schwang, trotz des gewichtigen Inhalts, eine beunruhigende Gleichgültigkeit, es ließ beinahe den Anschein erwecken, er würde den Kampf bereits als verloren ansehen.

Angst wuchs im Herzen des jungen Prinzen.

»Mein Sohn.« Noch immer hielt sich Taehyung nur mit äußerster Anstrengung auf den Beinen. Die Hand seines Vaters, die sich nun überraschend auf seiner Schulter gebettet hatte, wog aufgrund dessen noch schwerer. Wie glühende Kohlen brannte der Griff auf seiner Haut und Taehyung kam es vor als würden sich die Finger quälend langsam durch die Lagen aus schwerem Stoff weiter durch seine Hautschichten bis hin auf den nackten Knochen fressen und lediglich verkohlte Asche zurücklassen.
»Deine Welt ist nicht die des Schwertes. Ist es nie gewesen. Obgleich es mir bis zum jetzigen Moment schwerfällt, dies zu begreifen, habe ich meinen Frieden damit geschlossen. Du wirst dich gänzlich auf deine bevorstehende Hochzeitszeremonie konzentrieren können und die außenpolitischen Fragen getrost mir und meinen Generälen überlassen.«

Der König vollführte eine Geste, derer sein Sohn in seiner gesamten Lebenszeit noch nie Zeuge geworden war; er tätschelte ihm jovial die Schulter, ehe er sein Augenmerk ein letztes Mal auf das mittlerweile kreidebleiche Gesicht des jungen Mannes legte und ihm einen Blick schenkte, den er hingegen nur allzu gut kannte und welcher weder weitere Widerworte noch überhaupt weitere Worte zuließ.

Automatisch stellten sich seine Nackenhaare auf, während sein Körper von der unbändigen Kälte, die in den Augen des alten Königs aufblitze, geschüttelt wurde. Krampfhaft versuchte er sich aufrecht zu halten, bevor sein Gegenüber sich bereits abrupt abwandte, ihm den Rücken zukehrte und andächtig den ordentlich angelegten Weg zwischen all den Pflanzen und Sträuchern, dessen zarte Blüten mittlerweile matt im einfallenden Mondlicht schimmerten, zurück zum Palast schritt.

Taehyung indes war nicht in der Lage, auch nur noch einen klaren Gedanken zu fassen. Erbarmungslos hallten die Worte, die sein Vater an ihn gerichtet hatte, in seinem Gedächtnis wider.

Mechanisch setzte er sich in Bewegung, sacht umspielte die nunmehr kalte Nachtluft sein schwarzes Haar, ehe er mit einer harschen Bewegung die Finger um den sich mittlerweile bereits lösenden sangtu² legte und ihn gewaltsam aus dem dicken Deckhaar entfernte; die Haarnadel aus schwerem Metall, die den Haarknoten bis dahin noch mühsam zusammengehalten hatte, ließ er achtlos auf den gepflasterten Weg fallen, bevor er losrannte.


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²상투 (rev. Rom. sangtu) wird der traditionelle, hohe Haarknoten erwachsener Männer zur Zeit der Joseondynastie genannt

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