15 ~ Die Aufführung

Heute war der Tag X. Der Tag, auf den wir so lange hin gearbeitet hatten, auf den wir schon so sehnsüchtig und voller Aufregung gewartet hatten. Die Aufführung. Der Unterricht war heute Vormittag ausgefallen, da die Lehrer bereits alle wussten, wie blank die Nerven bei uns lagen. June saß auf ihrem Bett und weinte, sagte immer wieder, dass sie es niemals schaffen würde, vor so einem großen Publikum zu tanzen, doch ich war bei ihr und redete ihr immer wieder gut zu. Auch ich war aufgeregt, auch wenn sich meine Auftrittszeit auf gerademal fünf Minuten von eineinhalb Stunden beschränkte. Es war eben unsere erste Erfahrung mit der Bühnenluft. Wir hatten allen Grund dazu, aus dem Häuschen zu sein.

June schniefte und sah zu mir. »Danke, dass du mich so unterstützst. Was würde ich nur ohne dich machen.« Sanft zog meine beste Freundin mich an ihre Brust und vergrub ihre Nase in meinen dunkelblonden Haaren. Ich erwiderte ihre Umarmung nur stumm und musste schmunzeln. Irgendwann war es aber soweit und wir wurden von unserer Lehrerin Mrs Jeffreys abgeholt. Der Direktor begleitete uns, während wir zu einem großen Buss mit dem Logo der Schule gebracht wurden. Ein Pinkfarbener Tänzer, welcher auf einem Bein auf Zehenspitzen balancierte, das andere von sich weg in die Luft streckte und von vielen Sternen umgeben war, zierte die Front des Busses, der ansonsten silber glänzte. Die Mädchen redeten alle aufgeregt durcheinander und stiegen eilig ein. Ich folgte der Menschentraube und ließ mich schließlich auf einem Platz weiter vorne fallen.

»Darf ich um Ruhe bitten«, erklang plötzlich die Stimme des Direktors und brachte damit das Gemurmel zum Schweigen. Alle Augenpaare waren nun auf den Mittvierziger gerichtet, welcher jeden einzelnen von uns einmal ansah, bevor er anfing, zu sprechen.

»Das hier ist ein großer Moment für Sie alle und ich bin wahnsinnig stolz auf jede Einzelne und auf Silas«, der Mann bedachte mich mit einem kurzen Blick, den ich mit einem leichten Nicken zur Kenntnis nahm, » und ich weiß, dass Sie heute dieses Theater zum Beben bringen werden. Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, dass Sie den Moment dort oben auf der Bühne genießen können. Selbstverständlich werde ich alles aus der ersten Reihe mitverfolgen. Also, tanzt alles in Grund und Boden«, schloss er feierlich und automatisch brach Applaus los. Mein Herzschlag nahm an Fahrt auf, als der Bus sich in Bewegung setzte und sich im Straßenverkehr einordnete. Nun ging es los. Luca hatte ich in den letzten Tagen nicht mehr gesehen. Ich hatte mich immer wieder verstohlen nach ihm umgesehen, in jeder Pause, sogar manchmal während dem Unterricht war mein Blick durch die Glasscheiben nach draußen auf den Gang geglitten, doch er war nicht aufgetaucht. Ich weigerte mich strikt dagegen, traurig deswegen zu sein, doch ich konnte nichts dagegen tun, dass ich es tatsächlich war. Nachdem er mich schon fast verfolgt hatte, hatte ich schon gedacht, dass er sich öfter blicken ließ, doch offenbar war ich ihm nicht so wichtig. Trotzig sah ich aus dem Fenster und nahm mir vor, meinen Frust gleich auf der Bühne einfach raus zu tanzen.
Keine zwei Minuten später kamen wir auch schon an. Noch war alles leer, doch da das Stück heute ausverkauft war, würde sich das Theater später ganz schön füllen. Eilig führte uns Mrs Jeffreys hinter die Bühne, wo uns bereits ein ganzes Maskenteam erwartete, welches sogleich die Kanditaten für die Hauptrollen in Beschlag nahm. Immerhin brauchten sie das meiste Make-Up. June warf mir einen Luftkuss zu, den ich erwiderte und dann wurden wir getrennt. Die übrigen bekamen ihre Kostüme, die sie anziehen sollten. Ich erhielt einen enanliegenden Ganzkörperanzug, welcher in einem schlichten schwarz gehalten war, doch eine Besonderheit hatte er, denn er war nicht einfach nur schwarz. Kleine Glitzersteine brachten das Kleidungsstück im Licht zum funkeln und so würde auch ich ein kleines bisschen auffallen. Schnell schlüpfte ich hinein und fing dann auf die Anweisungen der Lehrerin an, mich aufzuwärmen, bis ich in die Maske gerufen wurde. Es herrschte ein Gewussel wie in einem Ameisenbau. Ein Wunder, dass die Maskenbildner sich bei dem Chaos zurecht fanden. Lydia bekam gerade einen halben Anfall, da sie nicht in das für sie vorgesehene Kostüm passte, da sie zu groß war. Ich ignorierte die Dramaqueen und setzte mich auf den Stuhl, wo die junge Frau sogleich damit begann, mein Gesicht in ein Kunstwerk zu verwandeln. Als sie fertig war, blickte mir ein Junge mit schwarzumrandeten Augen entgegen. Meine braunen Augen wirkten dadurch ebenfalls schwarz und auch meine Lippen waren schwarz bemalt. Langsam erhob ich mich und machte Platz für das nächste Mädchen. June kam sofort auf mich zu. Ihre Augen funkelten vor Aufregung. Bei näherem Betrachten fiel mir auf, dass ihre langen, braunen Haare zu einer aufwändigen Flechtfrisur hochgesteckt worden waren.

»Wow, du siehst unglaublich aus. Silas, ich glaube ich sterbe. Ich bin so aufgeregt«, sprach sie aufgedreht und fasste sich theatralisch an die Stirn.
»Danke, du siehst aber auch umwerfend aus und nein, du schaffst das. Das Training hat doch bei den letzten Malen auch gut geklappt«, versuchte ich sie aufzubauen. June trug ein oranges Kleid, welches bis zu den Knien reichte und ab der Taille bauschig wurde. Es bot viel Beinfreiheit, was Vorraussetzung bei einem Balettkostüm war. An der Brust war es feuerrot und mit roten Glitzersteinen versehen. Bis zur Taille verlief das rot in ein Orange, das sich in den Spitzen des Kleides in ein Weiß verwandelte. Das Make-Up meiner Freundin war in den gleichen Farben gehalten und brachte das schimmernde Blau-Grün zur Geltung. Wir waren definitiv bereit für die Bühne, doch als man uns eine Viertelstunde später tatsächlich aufrief, änderte ich meine Meinung. Ich begann zu glauben, dass ich vielleicht zu wenig trainiert und das ganze zu locker genommen hatte, doch schon als wir hinaus auf die Bühne traten, die Scheinwerfer warm auf uns herabstrahlten und wir das Publikum anfunkelten, welches zu uns herauf jubelte, verflüchtigte sich meine Angst. Gemeinsam verbeugten wir uns und gingen wieder von der Bühne. Nur jene, die gleich ihren ersten Auftritt hatten, verweilten am Rande im Schatten, so dass man sie nicht sehen konnte. Nun konnte es losgehen!

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