In Moriartys Hand


Olivia nahm einen weiteren Schluck ihres Tees, dann sprach sie weiter.

"Ich befand mich also noch immer in Moriartys Gewalt, wie Sie sich erinnern, standen wir zu zweit auf dem Sprungbrett, sodass er mir den Weg zur Leiter versperrte und Schusswaffen auf mich gerichtet waren. Ich durchdachte alle neunzehn Möglichkeiten zu entkommen, jedoch endeten alle mit meinem frühzeitigen Tod."

Sherlock nickte und hörte ihr aufmerksam zu, wobei er die Bewunderung für 'Olivia' nicht verkennen konnte. John hingegen starrte sie nur mit großen Augen an, wie ein Schuljunge, dem eine besonders spannende Geschichte erzählt wird. Dabei war er solche Storys und Deduktionen bereits von Sherlock gewohnt. Olivia beschloss, weiterzuerzählen, obwohl ihr der Weg, auf dem sie entkommen war, fast schon peinlich erschien.

"Nun, es blieb mir also nur noch übrig, Moriarty umzustimmen, sodass er mich freiwillig gehen ließ..."



(Ein par Stunden zuvor, in dem Schwimmbad)

Moriarty lächelte. Er hatte es tatsächlich geschafft, eine Informationsquelle zu finden und sie würde keine andere Wahl haben, als alles Wissenswerte Sherlock Holmes betreffend preiszugeben. Wie sie dastand. Zitternd, Schweißperlen auf der Stirn und den Blick starr auf ihn gerichtet, um bloß nicht hinuntersehen zu müssen. Es war nicht leicht gewesen, ihre Schwächen zu ermitteln, er hatte lediglich ihre Höhenangst gefunden, denn Olivia Skielos war die einzige Person in London über die Moriarty nichts in Erfahrung bringen konnte. Er war überrascht, wie leicht es gewesen war, sie hier herzubringen, wo sie wahrscheinlich sogar mit Staatsgeheimnissen vertraut war. Moriarty bewunderte sie, jedoch würde sie das auch nicht retten.

Er lächelte noch einmal und begann dann, auf dem Brett auf und ab zu wippen, woraufhin Olivia aufschrie und nach einem kurzen Blick in die Tiefe doch den Mund aufmachte. Er lächelte.

"Warten Sie! Bitte. Ich weiß, sie brauchen diese Informationen und auch wofür." Er zog eine Augenbraue hoch. Wie konnte es sein, dass sie wusste, dass er Sherlocks und den seinen Tod plante? Oder blöffte sie? Moriarty hielt tatsächlich inne, als sie fortfuhr.

"Ich schätze Ihr Plan beinhaltet zwei nicht unwichtige Tode, jedoch bitte ich Sie inständig: Zwingen Sie mich nicht Ihnen das preiszugeben, was uns zweier Genies berauben wird."

Er stutzte: Sie wusste es tatsächlich! Woher? Andererseits gab es nichts, was sie nicht wusste. "Selbst wenn du mit deinen Vermutungen richtig liegen würdest, wieso sollte mich das dazu bringen, dich und somit meine kostbaren Informationen gehen zu lassen?" Er musste zugeben, es machte ihm Spaß, eine neue Figur in seinem Spiel zu haben.

Olivia überlegte kurz, dann sagte sie leise: "Ich weiß das Sie die Personen haben, um alle Gefängnisse, Museen und Tresoren Londons auszurauben, Sie können Städte, ja wahrscheinlich sogar ganze Länder in alphabetischer Reihenfolge in die Luft sprengen, nicht wahr?"

Er lächelte amüsiert "Und?"

"Sie sind der Auffassung, Liebe und Freundschaft sind Schwächen. Wie ich erst kürzlich Ihrer Akte hinzufügte, wollen Sie auch mit dieser Schwäche Sherlock Holmes ausschalten..."

'Sie weiß alles', dachte er leicht alarmiert, vielleicht sollte sie nicht mehr lebend hier rauskommen.... Sie sprach weiter:

"Beantworten Sie mir eine Frage: Wer sind Ihre Eltern? Familie? Freunde? Wäre es nicht durch Zwang, so hätten Sie niemanden, der Ihnen hilft. Sie machen die Pläne, aber letztendlich bleibt ein Plan nicht mehr als ein Traum, wenn nicht all die armen, gewöhnlichen Idioten wären, die sie ihn auszuführen zwingen!" Ihre Stimme war laut geworden und James Moriarty wütend. Er vergaß zu leicht sein Temperament, doch die Launenhaftigkeit war in seinen Augen schon immer seine einzige Schwäche gewesen.


"HALT DEN MUND! Was wären sie alle ohne einen altmodischen Schurken wie mich in ihrem Spiel?! Euer aller Leben wäre so langweilig ohne mich, ja, selbst deins, Olivia Skielos! Und was Freunde betrifft... Sie bringen einem nur Schwäche, Feinde hingegen machen einen stark! Also SEI MIR gefälligst dankbar dafür, dass ich. Dich. Stark. MACHE!" Olivia war bei seiner lauten Stimme zusammengezuckt wie ein junges Reh, doch neben der Angst empfand sie fast schon so etwas wie Mitleid für ihn. Jemand der weder liebt, noch geliebt wird hatte gar nichts. Dabei war es Liebe, die dem 'Spiel' einen Sinn gibt, nicht ein psychisch kranker Irrer.

Moriarty starrte sie an, hasserfüllt und wütend. Er rief laut einen Befehl und einer der Scharfschützen lief die Leiter auf das Brett hinauf, schob sich an seinem Befehlsgeber vorbei und zwang Olivia wieder auf den Stuhl. Dann zog er eine Art Messer hervor und  schnitt grausam langsam drei Zeichen in ihren Arm. Moriarty lächelte gleichgültig und sagte: "Wenn er deine Leiche findet, wird er wissen, wer sie zu verschulden hat." Unglaublich, dass das Mädchen nicht geschrien hatte, aber als der Scharfschütze wieder verschwand und den Blick auf sie freigab, liefen ihr wenigstens ein par Tränen über ihr junges Gesicht.

Moriarty grinste und hob die Hand, woraufhin sich die roten Laser der Schusswaffen erneut auf das zitternde Mädchen richteten.

Plötzlich erfüllte ihre bebende, leise Stimme das Hallenbad:

"Warten Sie... nur noch einen Augenblick..." Sie hielt sich stöhnend den Arm und versuchte sich mit sichtlicher Mühe von dem Stuhl zu erheben.

"Ich weiß Sie.... Du kennst keine Gnade, oder so etwas wie Mitleid. Doch selbst du willst auf extravagantem Wege von uns gehen. Wenn mir schon das nicht zusteht, will ich wenigstens ein letztes Mal deinem 'Spiel' eine neue Wendung bescheren, die du nicht erwartet hast...." Sie presste die zitternde Hand auf ihren blutenden Arm und lief auf Jim Moriarty zu, der sie vor allem zornig, aber auch neugierig ansah.

"Ich habe heute bereits erwähnt, dass der Sinn des Lebens, oder 'Spiels' lieben und geliebt werden ist. Ich weiß auch, dass sie daran genauso wenig glauben wie an einen Gott, doch lassen sie mich meinem kurzen Leben noch einen Sinn geben..... Sie wissen sicher, dass ich Ihnen nach allem Geschehenen keine Freundschaft oder Liebe zuteil werden lasse, Sie würden sie ohnehin nicht wollen..... Aber wenigstens mein............ Mit...gefühl....." Sie biss die Zähne zusammen und war jetzt tatsächlich nur noch einen Schritt von Moriarty entfernt.

Die Laser ruhten noch immer auf ihr, aber Moriarty hob die linke Hand und sie wanderten vorerst in den hinteren Teil des Schwimmbades. Er wusste, dass sie nicht bewaffnet war, sie konnte ihm nichts mehr anhaben und ihre peinlich-emotionale Rede hatte ihn tatsächlich neugierig gemacht. Er hatte das, was nun kam nicht kommen sehen. Er hatte sie für eine der Idioten gehalten, die sich so leicht zu etwas bringen ließen, aber wer von ihnen hätte so lange durchgehalten wie sie? Obwohl sie noch relativ jung war. Welcher Normale hätte eine Rede über Mitgefühl und sein Spiel gehalten, anstatt jämmerlich und auf allen Vieren um sein Leben zu betteln, während er Unmengen an Blut verliert?

Olivia Skielos kam noch ein wenig näher, sodass sie jetzt, ein wenig gekrümmt vor Schmerz, direkt vor ihm stand. Er sah wie immer gleichgültig grinsend auf sie herab, dann, ehe er sich versah hatte sie die Arme um ihn geschlungen und umarmte ihn fest, während er zum ersten Mal seit langem wirklich nicht wusste, wie er reagieren sollte. Er überlegte, während sie ihn noch immer umarmte, was ihre Gestezu bedeuten hatte. Liebe? Nein. Heimlicher Versuch ihn zu ermorden? Nein. Als James Moriarty die letzte Option bedachte, war es bereits zu spät. Versuch ihr Leben zu retten? Ja!


Bevor es verhindert werden konnte, sprang Olivia bereits von dem Brett und zog Moriarty aufgrund der Umarmung mit sich. Noch während des Falls schollt er sich für seine Dummheit. Es war alles von ihr durchdacht gewesen und er hatte es erst bemerkt, als es schon zu spät war. Er hasste es so sehr, wenn er nicht überlegen war, doch sie war ihm einen Schritt voraus gewesen.

Man konnte keine Information über sie finden außer Name, Alter und Höhenangst. Hätte sie nicht gewollt, dass man das findet, wäre es auch nicht möglich. Er hatte ihren Sprung nicht kommen sehen, weil er dachte, dass sie an Höhenangst litt, doch das tat sie nicht. Sie hatte es lediglich als Falschinformation verbreitet. Er war so leichtsinnig gewesen!!! Als nächstes hatte sie vorgetäuscht, ihn nur aus 'Mitgefühl', oder um 'zu lieben' zu umarmen, aber sie hatte es getan, weil sie wusste, das sich so die Gewehre eine Sekunde von ihr abwenden würden. Als das klappte, sprang sie mit ihm, da niemand auf sie schießen würde, wenn sie so nah an Moriarty war (Die Gefahr statt ihr ihn zu treffen, war zu groß). Doch was wollte sie tun, wenn sie wieder aus dem Wasser auftauchte? Sie konnte nicht ewig dort unten bleiben und die Schützen würden sie treffen...

Zu zweit trafen sie auf der Wasseroberfläche auf und Moriarty hätte schreien können, als er versuchte ihren nächsten Schritt - ohne Erfolg - vorherzusehen. Das gechlorte Wasser brannte in seinen Augen, doch er konnte sie unklar neben sich im Wasser sehen, als sie ihm plötzlich das Jacket vom Körper riss und damit zum Beckenrand tauchte. Seine Augen weiteten sich unter Wasser, als er verstand, was sie vorhatte. Er tauchte ihr nach, doch sie würde schneller sein...

Als Olivia am Beckenrand ankam, wusste sie, dass sie nicht viel Zeit hatte, aber alle anderen Möglichkeiten würden sogar weniger funktionieren. Noch Unterwasser riss sie mühevoll einen Ärmel des nassen Jackets ab und knotete eine Art Bündel oder Kugel daraus. Den Rest der Jacke streifte sie sich über (Was mit verletztem Arm und im Wasser gar nicht so einfach war) und tauchte schließlich auf.

Die umstehenden Schützen richteten augenblicklich ihre Waffen auf die Person, die als erstes am Beckenrand aufgetaucht war. Gerade wollte einer schießen, als sie bemerkten, dass es Moriarty, ihr Auftraggeber war. Seinem Jacket fehlte zwar ein Ärmel, aber das schien niemandem wichtig zu sein. Plötzlich warf die Person eine Art Ball aus dem Wasser an Land. Plötzlich merkten die trainierten Killer es: Es war dieses Mädchen, lediglich mit Moriartys Kleidungsstück. Gerade wollten sie schießen, als der Ball (Oder bessergesagt ein umfunktionierter, nasser Ärmel) in einen kleinen Raum und dann auf ein kleines, in die Wand eingelassenes, Amatourenbrett prallte. Olivia hatte perfekt getroffen. Der Raum hätte abgeschlossen sein müssen, aber natürlich mussten die Schützen und Moriarty nach ihrem gesetzeswidrigen Eindringen erst wieder den Strom einschalten und irgendein Idiot hatte jenen Raum hinterher nicht abgeschlossen. Olivia hatte es schon nach ihrem Erwachen gemerkt, da sie sich sofort unauffällig in dem Hallenbad umgesehen hatte.

Sobald der nasse 'Ärmel-Ball' auf das Amatourenbrett traf, ging in dem ganzen Schwimmbad der Strom und somit auch das Licht aus. Keiner der Scharfschützen, aber auch nicht Moriarty, der soeben aufgetaucht war, konnten in der plötzlichen Dunkelheit sehen, wie Olivia Skielos leise an der Wand entlang zum Ausgang fand und so entkam.



Draußen wurde sie seltsam von den Passanten gemustert, sie war noch immer triefend nass, obwohl sie wenigstens ihre höllisch schmerzende und blutende Wunde unter ihrem Ärmel verbergen konnte. Zu viel Aufsehen wollte sie nicht erregen, schon gar nicht das der Polizei. Ihr Ziel war die Bakerstreet, der erste der es erfahren sollte, war jemand, dessen Leben ebenfalls von Jim Moriarty bedroht wurde. 'Verdammt!' dachte sie und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, als ihre Armverwundung schlimmer schmerzte. Sofort ging sie in einen der besten Paläste, den sie jemals gesehen hatte. Der in ihrem Gedächtnis. Es war schwer, gleichzeitig zu laufen, während man dort war, aber sie hatte es gelernt.

Zufrieden verließ sie wieder den Ort, der sie auch aus dem Hallenbad befreit hatte, mit einer äußerst wichtigen Information über Sherlock Holmes' Mitbewohner... Namens John Hamish Watson. Zu ihm hatte sie viele Informationen in ihrem Gedächtnispalast abgespeichert, doch nur eine zählte: Ehemaliger Feldarzt. Genau das, was sie brauchte.

Sie war jetzt nur noch zwei Straßen von ihrem Ziel entfernt, doch der Schmerz wurde unerträglich. Sie berechnete schnell die Zeit, die sie noch hatte, bevor sie ohnmächtig wurde: ca. sechs Minuten. Zeit bis sie ihr Ziel erreichte: ca. sechs Minuten.

"Verdammt!!" Stöhnte sie und zwang sich weiterzugehen, während sie eine Frau mit Kinderwagen skeptisch im Vorbeigehen musterte. Olivia wusste, dass Holmes und Watson einen Krankenwagen rufen würden, sie musste ihnen, selbst wenn sie nicht bei Bewusstsein wäre, sagen: "Ruft nicht den Krankenwagen!" Stift und Papier und auch ihr Handy hatte sie im Schwimmbad verloren, das einzige was sie in ihrer Tasche fand, waren einige Münzen, auch eine antike aus dem Museums-Shop. Ihr kam eine mutige Idee.

Die Rose ritzte sie sich in die Hand, während sie die Treppe zu Holmes' Wohnung empor kletterte, sie spürte wie sie das Bewusstsein verlor. Das letzte was Olivia spürte, war die kalte Tür, gegen die sie stolperte.

Wenn Sherlock Holmes so gut war, wie ihr Gedächtnispalast versicherte, sollte er den Hinweis mit der Rose und der Münze verstehen.   



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