Kapitel 5: Wie Feuer

An alles, was danach passiert, erinnert Eden sich nur noch bruchstückhaft. Immer wieder wird sie ohnmächtig. Sie kommt erst wieder zu Bewusstsein, als sie auf dem Sessel in Negans Zimmer sitzt. Aus einer Wunde an ihrer Stirn läuft das Blut bis zu ihrem Kinn und tropft von dort aus auf den Boden. Tropf. Tropf. Tropf.
Negan tobt. "Verfickte, beschissene Scheiße!", brüllt er. "Ich sagte, ihr sollt sie herbringen. Und nicht, dass ihr auf sie einprügeln sollt, bis sie schielt!"
"Die Fotze hatte ein Messer. Sie hat Pete die Kehle aufgeschlitzt und Andrew erschossen.", brüllt Davie zurück. "Und mir hat sie..." Negan lässt seine Faust in Davies Gesicht krachen.
"Du unfähiger Hurensohn! Mach dich hier raus, sonst dresche ich dir den Schädel mit Lucille ein." Davie jault auf, wie ein Hund.
"Ihr alle! Raus hier! Lasst euch von einem kleinen Mädchen den Arsch aufreißen! Ich sollte euch allen die Scheiße rausprügeln!", blafft er. Amy zieht den jammernden Davie mit sich aus dem Raum. Scheinbar ist seine Nase gebrochen. Die Tür fällt zu und endlich ist es still. Eden atmet auf. Durch den Lärm fühlte es sich an als würde ihr Kopf gleich platzen. Negan atmet hörbar ein und aus. Dann geht er zur Hausbar und gießt sich großzügig einen Bourbon ein. Er kippt das Glas und gießt gleich nach. Dann kommt er auf Eden zu. 

Er kniet sich vor ihr hin und hebt ihren Kopf vorsichtig an, begutachtet ihre Wunden. "Dein hübsches Gesicht...", murmelt er, "Dieser Idiot." Trauert er gerade wirklich um ihre Schönheit? Dieses Arschloch. Aus Edens Mund kommt aber nur ein Gurgeln. Er taucht ein Stück Stoff in den Whiskey und drückt es dann auf Edens Stirn. Es brennt wie Feuer. Wäre ihr Mund nicht voller Blut, würde sie schreien. Konzentriert hockt er vor ihr und tupft das Blut von ihrem Gesicht, desinfiziert die Wunden. Auf die Wunde an der Stirn klebt er ein Pflaster. Eden ist kaum noch anwesend. In ihrem Schädel hämmert es wie verrückt. Und durch ihre Schulter pocht ein dumpfer Schmerz. Ihr ganzer Körper besteht scheinbar nur noch aus Schmerz. 

"So. So schlimm ist es doch gar nicht. Dein Gesicht ziemlich beschissen aus. Aber das wird wieder.", sagt Negan sanft und streicht ihr eine Haarsträhne aus den Augen. Er sieht sie streng an. "Welchen Teil von 'Mach keinen Mist mehr' hast du eigentlich nicht verstanden, hm?"
Eden fährt sich mit der Zunge über die Zähne, um zu kontrollieren, ob noch alle da sind. Sie schmeckt Blut, Eisen, Dreck. Der Geschmack ist so widerwärtig, dass ihr übel wird. Sie gibt ein Gurgeln von sich und übergibt sich. Der blutige Schwall landet direkt vor Negans Füßen, der noch rechtzeitig aufgesprungen ist. "Scheiße!", flucht er angewidert. Sie hört noch, wie er ihren Namen ruft, dann rast der Boden auf sie zu.

Als sie aufwacht, liegt sie in einem Bett. Es ist herrlich bequem, weich und warm. Das ist das erste, was sie wahrnimmt. Dann spürt sie den Schmerz. In ihrer Schulter pocht es unaufhörlich. Ihr Kopf fühlt sich geschwollen und übergroß an, wie eine Wassermelone. Der Atem rasselt in ihrer Lunge. Wo ist sie hier? Der Raum ist nicht besonders groß, aber hübsch eingerichtet. Das Bett nimmt fast den gesamten Raum ein. Auf der Kommode steht eine Flasche Bourbon. Ist sie etwa in Negans Schlafzimmer? Die Tür geht auf und ein hagerer, älterer Mann tritt ein. "Oh, du bist wieder da.", stellt er fest, "Ich bin Dr. Carson." Eden erinnert sich an ihn. Er hat Ched nachdem er mit dem Eisen entstellt wurde, versorgt. "Wie lange war ich weg?", nuschelt sie. Ihre Lippen sind angeschwollen und ihre Zunge fühlt sich auch ein paar Nummern zu groß an. "Die ganze Nacht und fast den ganzen Tag.", antwortet Dr. Carson. "Angesichts deiner Verletzungen ist das aber normal. Du hast eine gebrochene Rippe, unzählige Prellungen am Kopf und am Oberkörper, ziemlich wahrscheinlich auch noch eine Gehirnerschütterung. Deine Schulter wurde glatt durchschossen, wie durch ein Wunder wurde dabei kein Knochen verletzt." Er kommt auf sie zu und macht sich an ihrem Schulterverband zu schaffen. "Ich hab dir gestern ne ordentliche Dosis Morphium verpasst. Mehr kann und darf ich dir aber nicht geben, dass heißt, du wirst in den nächsten Tagen höllische Schmerzen haben." Eden nickt. Geschieht ihr recht. Warum lässt sie sich auch immer erwischen? Sie stöhnt auf, als Carson ihre Schulter berührt. Er beachtet sie gar nicht, sondern begutachtet bedächtig ihre Verletzung. "Die Schulter sieht schon mal gut aus.", sagt er zufrieden und wickelt einen neuen Verband darum. "Wo bin ich hier?", fragt sie. "In Negans Schlafzimmer. Er übernachtet bei seinen Frauen." Eden schluckt das 'Iiiiehh', welches in ihr aufsteigt, wieder runter. Dr. Carson ist ihr angewiderter Gesichtsausdruck wohl nicht entgangen. "Ich denke, du solltest ganz schön dankbar sein. Ich habe es noch nie erlebt, dass Negan jemanden, der ihm vor die Füße kotzt, in sein Schlafzimmer einquartiert. Und eine solche Behandlung mit Medikamenten erlaubt. - Und wir hatten hier schon wesentlich härtere Fälle." Er mustert sie streng. "Er hätte dich auch einfach in eine Zelle werfen können. Ohne einen Verband, ohne Morphium. Das hat er auch schon getan." Eden nickt verbissen. Sie will ihm aber nicht dankbar dafür sein, dass er sie hier gefangen hält. "Jetzt ruh dich aus. Die Wirkung des Morphiums wird bald nachlassen.", merkt Dr. Carson an und verlässt den Raum.

Dr. Carson hat nicht zu viel versprochen. Die Schmerzen sind höllisch. Die ganze Nacht über liegt Eden wach im Bett und versucht, nicht zu schreien. Jeder Atemzug, jede noch so kleine Bewegung jagt Feuerblitze durch ihren Körper. Als der Morgen dämmert ist sie schweißgebadet. Sie hört jemanden im Nebenraum auf und ab gehen. Dann geht die Tür auf und Negan steht vor ihr.

Sie fühlt sich so elend, dass sie es nicht einmal schafft, ihn angeekelt anzusehen. "Ah. Du weilst wieder unter den Lebenden.", stellt er fest. Eden entgeht nicht, dass er selbst ziemlich fertig aussieht. Er hat dunkle Ränder unter den Augen, seine Kleidung ist staubig, die Frisur sitzt nicht so akkurat wie sonst. Es sieht nicht so aus als hätte er geschlafen. Oder sich mit seinen Frauen vergnügt. "Wie geht's dir?", fragt er und lässt sich auf den Stuhl neben ihrem Bett fallen. "Schmerzen.", presst sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, "Und selbst?" Er lacht heißer. "Müde.", entgegnet er dann ehrlich, "Dank dir und all den anderen Idioten da draußen, hab ich zwei Nächte nicht geschlafen...oder Zeit für meine Frauen gehabt." Hätte er sich die letzte Bemerkung verkniffen, hätte Eden fast Mitleid gehabt. So grunzt sie nur verächtlich. Wann hören diese verdammten Schmerzen endlich auf? "Unser Morphium ist knapp.", sagt Negan, der ihren Gesichtsausdruck wohl richtig gedeutet hat, "Wir können dir nicht mehr geben." Eden sieht ihn erstaunt an. Das, was er da sagt, klingt wie eine Entschuldigung. Müsste er sie nicht dafür hassen und bestrafen, dass sie versucht hat abzuhauen und diesmal wirklich zwei seiner Leute umgelegt hat? Sein Verhalten macht sie misstrauisch. Aber sie ist zu erschöpft, um darüber zu rätseln. Sie wird die Quittung, für das, was sie getan hat, noch früh genug bekommen. "Schon gut.", stöhnt sie, "Ich steh das schon durch." Er nickt. "Daran hab ich keinen Zweifel. Der Doc meinte, dass du die ganze Zeit vor Schmerzen rumbrüllen würdest...du hast noch keinen Ton von dir gegeben. Du bist ganz schön hart im Nehmen." Er nickt ihr anerkennend zu.

Er seufzt und streicht gedankenverloren über das Bettlaken. "Warum hast du das gemacht?", fragt er nach einer Weile. "Was?" "Warum willst du hier weg?" Edens sarkastisches Lachen verursacht so starke Schmerzen, dass ihr schwindelig wird. "Das fragst du noch?", stößt sie hervor, "Ernsthaft?" Er sieht sie wütend an. "Pass auf, wie du mit mir redest. Ich bin heute weder besonders geduldig noch verständnisvoll!", blafft er. Eden atmet zitternd ein. Langsam klingen die Schmerzen wieder ein bisschen ab. "Tut mir...leid.", seufzt sie, "Aber ich dachte, ich hätte von Anfang an klar gemacht, dass ich nicht hier sein will. Ich komme allein klar. Ich hab keinen Bock auf Punkte sammeln. Ich besorg' mir mein Essen lieber selbst. Ich hab keinen Bock auf eure Regeln, auf euren Führerkult, auf deine Machtspielchen und Diktatur. Ich hab keinen Bock darauf, mir anzusehen, wie Leuten das Gesicht weggeschmort wird. Ist diese scheiß Welt nicht schon grausam genug? Was hat das, was du hier tust mit Zivilisation zu tun? Das ist barbarisch!" Die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. Negan wird immer angespannter. Bei ihrem letzten Satz springt er zornig auf. "Halt die Fresse!", brüllt er, "Oder ich stopf dir dein vorlautes Maul ein für allemal!" Negan ist nicht gerade kritikfähig, stellt sie sarkastisch fest. "Du hast gefragt.", entgegnet sie trotzig. "Ja. Und hätte ich gewusst, dass du verfickt noch mal zu dämlich bist, um die Dinge zu begreifen, dann hätte ich's gelassen.", knurrt er. "Warum machen wir das hier?", fragt Eden erschöpft, "Warum gehst du nicht zu deinen Frauen und tobst dich ein wenig aus. Und lässt mich einfach in Ruhe." "Willst du mich jetzt ernsthaft aus meinem eigenen Schlafzimmer werfen?", fragt er und zieht dabei eine Augenbraue nach oben.

Diese verdammten Schmerzen. Sie weiß gar nicht, was sie da sagt. Falls es ihr um Schadensbegrenzung ging, ist diese Chance wohl auch verspielt. "Du siehst auf jeden Fall aus, als würdest du jetzt lieber schlafen, als dich mit mir zu streiten.", entgegnet sie diplomatisch. "Allerdings. Und das ist mein Bett.", stellt er fest. "Ja. Soll ich gehen? Oder willst du dich dazulegen?", fragt sie sarkastisch. "Warum eigentlich nicht?", fragt er bissig und beginnt sein Hemd aufzuknöpfen. Eden reißt entsetzt die Augen auf. Meint er das ernst? Oder begeben Sie sich jetzt auf Highschool-Niveau? Seelenruhig legt Negan sein Hemd auf die Kommode. Er hat zahlreiche Tattoos auf den Armen und auf dem Oberkörper. Dann zieht er die Jeans aus, faltet sie zusammen und legt sie auf das Hemd. "Negan...was wird das jetzt?", fragt Eden genervt. Er streift sich gerade die Socken ab. "Was wohl?", entgegnet er nur. Er trägt jetzt nur noch Boxershorts. Als er ihre Blicke bemerkt, fragt er sie:"Soll ich die auch noch ausziehen?" Er grinst. Idiot. "Gott bewahre!", stößt Eden hervor. Er zuckt mit den Schultern, lässt die Shorts aber an. Dann schlüpft er unter die Decke. "Hmmm. Schön warm.", seufzt er. Eden starrt ihn entrüstet an. "Ziehst du das jetzt durch?", fragt sie wütend. Er hat die Augen bereits geschlossen. "Jep.", entgegnet er leichthin. Eden könnte ausrasten. Wie kann er es wagen. Die Schmerzen machen es ihr nicht einmal möglich, von ihm wegzurücken. Trotzdem. Sie wird nicht mit diesem Menschen in einem Bett liegen bleiben. Definitiv nicht! Sie beginnt mühsam sich aufzurichten. Sie muss nur ordentlich die Zähne zusammenbeißen, dann... 

"Eden.", sagt er sanft, "Was hast du vor?" "Ich gehe.", presst sie aus zusammengekniffenen Lippen hervor. "Nein.", befiehlt er, "Das tust du nicht." Er legt sich auf die Seite und stützt den Kopf auf den Arm. Mit der anderen Hand streicht er über ihre Schulter. Der Schmerz lässt sie aufheulen. "Du Mistkerl.", stößt sie hervor. Sie spürt, wie Tränen über ihre Wangen laufen. "Hinlegen!" Eden rutscht das Stück, welches sie sich hochgekämpft hat, wieder unter die Decke. "Eden.", flüstert er, "Dir mag das hier alles nicht gefallen, aber merk dir eins: Am Ende gewinne ich. Am Ende bekomme ich von dir, was ich will. Denn du gehörst mir. Du lebst noch, weil ich es will. Du liegst in diesem Bett, weil ich es will. Du führst mit mir dieses Gespräch, weil ich es will. Und all dies ist erst vorbei, wenn ich will, dass es vorbei ist. Hast du das begriffen?" Eden liegt steif da, Tränen laufen über ihre Wangen, der Schmerz pulsiert durch ihren Körper und sie hat das Gefühl, dass er mit jedem Wort, welches er ihr ins Ohr flüstert, ihre Seele vergewaltigt.

Ich werde ihn umbringen, schießt es ihr durch den Kopf. Ich muss ihn umbringen, sonst werde ich nie wieder mir selbst gehören.
Sie starrt ihm in die Augen. Sein Gesichtsausdruck strahlt Zufriedenheit aus. Fast liebevoll wischt er ihr eine Träne von der Wange. Aber seine Augen sind eiskalt, wie immer.
"Wie bist du nur so geworden?", fragt sie leise. Er kneift die Augen zusammen und lächelt dann. "Ich fürchte, ich war schon immer so." Sie wird ihn umbringen. Er hat es verdient. Oh, wenn einer den Tod verdient hat, dann er. "Ich habe es verstanden.", sagt sie monoton, "Ich gehöre dir. Was ich tue, tue ich für dich. Ich lebe für dich.", sagt sie. Ihre Stimme zittert leicht. "Braves Mädchen.", lobt Negan. "Unter einer Bedingung. Ich will deine Frau werden.", fügt Eden hinzu.

Negan richtet sich erstaunt neben ihr auf. "Willst du das?", fragt er überrascht. "Ja.", entgegnet Eden trocken. Negan betrachtet sie eine Weile schweigend.
"Ich dachte, du fickst lieber Beißer?", sagt er dann.
"Ich war wütend."
"Also bist du scharf auf mich?"
Was will er denn hören? Dass sie sich nach seinem alten Schwanz verzehrt? Dass sie schon immer von ihm geträumt hat? Dass sie über beide Ohren in ihn verliebt ist?
"Ist das eine Anforderung, die du an deine Frauen stellst?"
"Natürlich."
"Dann, ja."
"Eden, lass mich eins klar stellen. Als meine Frau hast du nur eine einzige Aufgabe: Mich glücklich machen. Das heißt, wir tun, wonach mir auch immer der Sinn steht. Aber ich will, dass meine Frauen das auch wollen. Ich vergewaltige nicht, ich zwinge niemanden zu irgendwas."
"Okay."
"Wie- okay?"
"Ich will deine Frau sein. Ich will dich glücklich machen." , Eden verliert langsam die Geduld, "Oder willst du nicht?"
Negan schaut sie wieder eine Weile nachdenklich an. Eden muss zugeben, dass seine Anwesenheit ihr gerade ganz gut tut. Er ist warm. Und durch ihre Wut sind die Schmerzen in den Hintergrund gerückt. Ihr Vorhaben, Negan umzulegen, hebt ihre Stimmung sogar ein bisschen.
"Das wollte ich von Anfang an.", sagt er heißer.
"Warum diskutierst du dann? Hast du Angst, dass du deinen ganzen Frauen nicht gerecht werden kannst?", fragt sie neckisch.
"Ich mach mir Sorgen, dass du mir den ganzen Hühnerstall aufmischst. Bisher hast du nicht ein Mal gemacht, was ich gesagt habe."
"Das wird sich ab jetzt ändern- wenn du das überhaupt willst. Ich denke nämlich, dass du es eigentlich ganz gut findest, dass mal jemand nicht tut, was du sagst."
Er ignoriert diese Bemerkung. "Haben die Schmerzen nachgelassen?", fragt er stattdessen.
"Ja.", antwortet sie überrascht. Die Schmerzen waren tatsächlich erträglich geworden. Er lächelt.
"Dann sollten wir jetzt wirklich ein wenig schlafen. Und ja, lass uns heiraten. Aber erst, wenn dein Gesicht nicht mehr aussieht wie eine matschige Pflaume.", er haucht ihr einen Kuss auf die Wange und macht es sich dann bequem. Nach wenigen Minuten ist er eingeschlafen. Eden beobachtet ihn beim Schlafen. Er sieht zugegebenermaßen wirklich gut aus. Und gar nicht so unmenschlich. Eigentlich ganz friedlich. Seine Nähe ist gar nicht so unangenehm, auch wenn er ein wenig nach Schweiß und Dreck riecht. Seine Brust hebt und senkt sich regelmäßig. Das wird sie bald nicht mehr tun.

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