Kapitel 45: Verbrannte Erde

-Negan-

Der Jeep kommt vor der ehemaligen Satellitenstation zum Stehen und Negan springt, noch bevor das Fahrzeug richtig steht, bereits aus dem Wagen. Das Zittern will einfach nicht aufhören. Scheiße, was ist nur los mit ihm?
Ein paar Männer stehen vor dem Eingang, rauchen, trinken Bier und unterhalten sich lautstark. Als sie Negan erkennen, verstummen sie abrupt und sinken dann respektvoll auf die Knie. Man, immer, wenn sie das machen, fühlt er eine Mischung aus Erregung und Unbehagen. So richtig wird er sich wohl niemals daran gewöhnen.
"Ich will zum Doc.", raunzt er die knienden Männer an.
"Er ist im Labor, Sir."
Er marschiert an den Männern vorbei, versucht dabei so selbstbewusst und unbeirrt wie immer zu wirken. Es gelingt ihm nur zum Teil. Er kann das Zittern kaum kontrollieren, seine Hände sind schweißnass und im Moment hat er einfach nur das Bedürfnis, sich irgendwo zu verkriechen und das Hirn wegzusaufen. Es ist nicht das erste Mal, seit das alles hier angefangen hat, seit er begonnen hat, die Verantwortung für all diese Menschen zu übernehmen und sie anzuführen, dass er daran zweifelt, dass er am liebsten alles hinschmeißen, weglaufen will. Aber dieses Mal ist es anders. Dieses Mal zweifelt er an sich selbst. Und das hat er noch nie getan.
'Das Labor' ist eigentlich gar kein Labor, sondern eine ehemalige Steuerzentrale. Dort stehen tausende Computer, Messgeräte und noch nen Haufen anderer Scheiß, dessen Funktion ihm ein absolutes Rätsel ist.
Er rauscht durch die Tür und sieht dann auch schon Sebastian, der wie immer gut gekleidet ist und gerade etwas auf ein Klemmbrett kritzelt. Er sieht erstaunt auf und das schiefe Grinsen zieht über sein Gesicht.
"Sieh an, der große Anführer. Was verschafft mir die Ehre?", sagt er ein wenig spöttisch.
"Ich brauch nen Psychologen.", entgegnet Negan ohne Umschweife, "Aber erstmal: Schon Ergebnisse?"
Sie haben die Satellitenstation vor wenigen Wochen entdeckt und Negan hielt es für sinnvoll, Sebastian dort hin zu schicken. Er hat den Auftrag, das zu tun, was er am besten kann: Forschen. Wenn einer in der Lage ist, etwas über das Virus herauszufinden, vielleicht sogar ein Gegenmittel zu entwickeln, dann er. Dieser Zwerg ist verdammt klug. Negan ist sich ziemlich sicher, dass nicht mehr so viele leben würden, dass es die Saviors und womöglich auch ihn als Anführer niemals gäbe, hätte er Sebastian nicht als Berater gehabt. Dieser Mann weiß immer, was zu tun ist.
"Negan, ich bin kein Chemiker und auch kein Biologe. Ich hab dir von Anfang an gesagt..."
Negan unterbricht ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung.
"Scheiß drauf! Ich bin auch kein Anführer, sondern ein verfickter Highschool Sportcoach! Aber du hast gesagt, dass ich's tun soll, also mach ich's. Jetzt sag ich dir: Sei ein verdammter Chemiker, sei ein beschissener Biologe, finde raus, wie man dieses Drecksvirus bekämpfen kann, also tust du das auch!"
Sebastian seufzt und klopft nachdenklich auf sein Klemmbrett.
"Was ist los mit dir?", fragt er.
Negan sieht auf den Baseballschläger in seiner zitternden Hand. Das Ding ist immer noch voller Blut, er hat versucht, es abzuschrubben, aber es ging einfach nicht weg... Ein Schauer läuft über seinen Rücken.
"Ich hab jemanden umgebracht.", sagt er leise, "Einen Menschen. Keinen Untoten. I-ich..."
"Setz dich.", sagt Sebastian sanft und dirigiert ihn zu dem Sessel in der hinteren Ecke des Labors.
"Willst du einen Whiskey?"
Negan nickt benommen. Er hockt auf dem Sessel wie ein Häufchen Elend, zittert am ganzen Körper. Scheiße. Er hat einen Mord begangen! Er hat jemandem den Schädel eingeschlagen. In seinem Kopf hört er noch die Schreie, das Splittern von Knochen, dieses ekelerregende, schmatzende Geräusch... Was ihn aber wirklich fertig macht, ist weniger die Tatsache, dass er jemanden kaltblütig ermordet hat, sondern viel mehr, was er dabei empfunden hat: Einen Moment lang hat er es genossen. Er hat sich mächtig gefühlt. Als Herr über Leben und Tod. Jetzt, im Nachhinein, macht ihm dies am meisten Angst. Mit dieser Leere, mit dieser 'Ich fühle nichts'-Scheiße kann er umgehen, aber das... ist nicht normal.
Sebastian reicht ihm ein großzügig gefülltes Glas, welches Negan in einem Zug kippt. Wortlos füllt der Professor nach und setzt sich dann auf den gegenüberliegenden Sessel, mustert Negan durch seine Brille.
"Warum hast du diesen Menschen getötet?", fragt er schließlich. Er spricht ruhig und gelassen, als hätte er gefragt, was der Wetterbericht für morgen gemeldet hat.
"Er...er hat eine Frau vergewaltigt. Das ist gegen die Regeln...i-ich..."
"Also hat er es verdient."
"Ja. Ja, verdammt. Wo kommen wir denn hin, wenn wir uns benehmen wie die Tiere? Aber...", er fährt sich über die Augen.
"Ich finde, du hast richtig gehandelt."
Negan sieht erstaunt auf. Hat er gerade seinen Mord als richtig bezeichnet? Wie kann man das...
"Die Welt hat sich verändert, Negan.", fährt Sebastian fort, "Die alten Regeln und Gesetze gibt es nicht mehr. Dies lässt bei vielen sämtliche Hemmungen fallen, sie geben sich ihren Trieben hin.
Als Anführer einer größeren Gruppe musst du neue Regeln aufstellen, einen Moralkodex haben- ohne geht es nicht, nur so kannst du auch die Schwachen schützen. Und musst dafür sorgen, dass sie eingehalten werden. Du musst ja nicht jeden Verstoß mit dem Tod bestrafen...aber du darfst auch nicht nachlässig sein. Dir darf nichts entgehen. Und du musst dafür sorgen, dass sich die, die gegen deine Regeln verstoßen, an ihre Strafe erinnern. Eine Tracht Prügel reicht manchmal nicht aus."
"Du meinst...sowas wie brandmarken?"
"Zum Beispiel. Wer dazu gehören will, wer den Schutz der Gemeinschaft genießen will, muss nach den Regeln spielen. Und die, die das nicht tun, gehören auch nicht mehr dazu."
Negan seufzt und streicht sich erneut über's Gesicht. Das Zittern lässt langsam nach. Sebastian hat wie immer recht. Aber scheiße, das ist so dermaßen abgefuckt!
"Es hat mir Spaß gemacht.", gesteht er leise, "Sebastian. Bin ich ein Psychopath?"
Es ist die Frage, die ihn seit dieser Vorlesung beschäftigt. Sebastian schweigt und mustert ihn.
"Glaubst du, dass jemand mit einer solchen Persönlichkeitsstörung diese Frage stellen würde?"
Wahrscheinlich nicht. Und Leute, die Fragen mit Gegenfragen beantworten, sollte man an den Eiern aufhängen.
"Und was stimmt dann nicht mit mir?", knurrt Negan gereizt.
Sebastian lehnt sich zurück und legt die Fingerspitzen aneinander.
"Ich vermute, dass deine Persönlichkeitspathologie ..."
"Du bist hier nicht in der verdammten Uni! Rede so, dass ich's auch raffe!"
Sebastian seufzt ergebens.
"Alfred Adler sagte einst: Alle menschlichen Verfehlungen sind das Ergebnis eines Mangels an Liebe. Ich denke, dass das auch bei dir der Fall ist. Ich denke, dass du ein- oder mehrere- Traumata durchlebt hast und diese deine Persönlichkeit verändert, geprägt und gestört hat. Und ja, auf dieser Grundlage würde ich tatsächlich von einer Persönlichkeitsstörung sprechen."
"Ein Kindheitstrauma? Ist das dein verfluchter Ernst?"
"Negan. Wie viele wirklich tiefgehende Beziehungen gab es bisher in deinem Leben? Beziehungen, die auf Vertrauen und Liebe aufbauten? In denen du dich wertgeschätzt gefühlt hast? Dich nicht verstellen musstest? Wo es dir leicht gefallen ist, zu bleiben? Wie viele Menschen haben dir wirklich etwas bedeutet?"
"Eine.", gibt er kleinlaut zu.
Sebastians Gesichtsausdruck ist undefinierbar. Negan springt gereizt auf und beginnt, auf und ab zu gehen. 
"Und dann hältst du es für klug, dass ich hier die Verantwortung trage? Dass ich Anführer bin? Ich...weißt du, was ich manchmal tue? Ich reibe manchmal meinen Schwanz an diesem verfickten Baseballschläger! Das macht mich zu einem verdammten, objektophilen Psycho!"
Sebastian bleibt trotz seines Geständnisses, trotz seiner gereizten Stimmung, absolut ungerührt. Er sitzt entspannt da, mustert ihn und hat noch immer die Fingerspitzen aneinander gelegt.
"Wir wissen beide, dass dieser Baseballschläger mehr für dich ist, als ein Objekt. Dass du die Gefühle, die du für 'diese Eine' hattest, auf ihn projizierst. Weil du sie verloren hast. Weil sie das einzige war, dass dir je etwas bedeutet hat. Um das zu ertragen, tust du das. Um nicht noch mehr zu zerbrechen."
Negan bleibt abrupt stehen und starrt ihn an. Er weiß nicht, was er gerade fühlt. Nicht mal, was ihm gerade durch den Kopf geht. Was soll er schon sagen? Rumpelstilzchen hat mal wieder den Finger auf der Wunde.
"Und ja- ich halte es für klug, wenn du Anführer bist. Deine Rationalität, dein mangelndes Schuldgefühl, deine Fähigkeit die Schwächen anderer Menschen zu erkennen und sie beeinflussen zu können, all das kann dir jetzt vom Vorteil sein. Damals wäre das was anderes gewesen...aber jetzt, jetzt ist es ein Vorteil."
Negan lacht bitter.
"Als du damals gesagt hast, ich hätte Potential, hast du also gemeint, dass ich das Zeug zum Serienkiller hab.", stellt er frustriert fest.
"Oh nein. Negan, du warst schon immer zu Großem berufen."
"Ich frag mich langsam, ob ich der Irre bin, oder du."
Sebastian grinst schief und streicht sich über sein Ziegenbärtchen. Er zuckt die Achseln.
"Wer weiß. Vielleicht sind wir ja beide irre, vielleicht überleben nur noch die, die durchgeknallt genug dafür sind. Aber: Wenn es verrückt ist, aber funktioniert, dann ist es vielleicht gar nicht so verrückt."

Heilige Scheiße, warum denkt er in letzter Zeit ständig an Professor Rumpelstilzchen? Vielleicht, weil er ihn gerade wirklich gebrauchen könnte. Es wäre schön, mit jemanden reden zu können. Sein schiefes Grinsen zu sehen. Von ihm irgendeine logische Erklärung zu hören. Irgendetwas Aufmunterndes.

Ihm geht's nach wie vor beschissen. Seine blutige Rache an Oceanside hat überhaupt nichts gebracht, er fühlt sich kein bisschen besser. Tagsüber gelingt es ihm ganz gut, seine Rolle zu spielen, aber die Nächte sind der Horror. Er säuft sich jeden Abend ins Koma und kann dann trotzdem nicht schlafen. Und wenn doch, träumt er von ihr. Wie sie in seinen Armen verreckt. Wie sie wieder lebendig wird. Wie ihre schönen, grünen Augen trüb werden. Und dass er Schuld daran ist.
Er hat sich angewöhnt, in ihr Zimmer zu gehen, wenn er nicht schlafen kann. Eigentlich ist das das Dämlichste, was er nur tun kann, aber er kann es einfach nicht sein lassen. Auch jetzt liegt er auf ihrem Bett, blättert in ihren Büchern, liest die Notizen, Gedichte, Liedtexte, die sie dort hinein gekritzelt hat, säuft und raucht. Neben ihm liegt das Foto, welches er in der kleinen Holzschatulle in ihrem Rucksack gefunden hat. Es zeigt sie und ihre Familie. Er stellt sich manchmal vor, wie er neben ihr auf diesem Bild steht, dass es ihre Hochzeit zeigt. Tja, wie gesagt, es ist saudämlich hier her zu kommen. Er findet sein Verhalten ja selbst ein wenig unheimlich.
'Liebes Tagebuch,
fick dich! Ich hab heute nen Beißer gepackt und hatte plötzlich die Hälfte seiner Haut in der Hand! Soll das etwa witzig sein?', steht in ihrer Schrift auf dem unteren Rand einer Buchseite. Man erkennt an dem kantigen Schreibstil, wie wütend sie darüber war. Wenn er solche Sachen liest, hört er förmlich ihre Stimme. Sieht sie vor sich, wie sie mürrisch dreinblickt und die Hände zu Fäusten geballt hat. Nicht das erste Mal bricht Negan in lautes Gelächter aus. Selbst nach ihrem Tod, schafft sie es noch, ihn zum Lachen zu bringen.
Fuck, er vermisst sie so sehr.

Bevor das Stechen in seiner Brust sich ausbreitet, nimmt er einen ordentlichen Schluck Vodka. Bourbon ist leider aus, bei seinem derzeitigen Konsum ist das aber nicht allzu verwunderlich.
Es klopft. Negan sieht verwirrt auf. Warum klopft es? Erstens weiß keiner, dass er hier ist und zweitens ist es weit nach Mitternacht. Es klopft erneut. Simons Stimme dringt durch die Tür. "Sir?"
"Ja. Komm rein."
Simon sieht müde aus. Außerdem sollte dieser Flöte mal jemand sagen, dass sie auch nen Frisör haben. Wie soll ihn jemand ernst nehmen, wenn er aussieht, als wäre er vor kurzem einem Zirkus entlaufen?
Simon mustert ihn kurz, falls er sich darüber wundert, dass er hier herumlungert, lässt er sich es nicht anmerken.
"Wir haben ein Problem. Naja, eigentlich zwei.", sagt er seufzend. Hat Simon eigentlich eine Frau? Er sieht auf jeden Fall nicht gerade so aus, als würde er genug vögeln. Vielleicht sollte er mal seine Frauen zu ihm schicken, sie gehen ihm im Moment eh nur auf die Eier.
"Probleme? Toll. Her damit.", entgegnet Negan sarkastisch und klappt das Buch zu.
Simon seufzt erneut, zögert kurz.
"Okay. Erst das richtige Problem... Wir wurden angegriffen. Die Satellitenstation. Fast alle sind tot, Davie kam gerade an und..."
Wow. Diese verfickte Satellitenstation scheint verflucht zu sein. Er hatte fast zwanzig Leute dort. Bewaffnete, kampferfahrene Leute. Wie soll das gehen?
"Fuck. Wie ist das möglich?"
"Sie haben sie ihm Schlaf abgestochen."
Das wird ja immer besser.
"Und wer war das?"
"Davie meinte, es war eine fremde Gruppe. Ich vermute, Alexandria."
Negan springt fluchend auf.
"Verfluchte, verfickte Scheiße! Hat mir jemand ein Schild auf den Rücken geheftet, auf dem 'Fick mich' steht?!" Er läuft zornig auf und ab. Im Grunde schickt er immer den größten Abschaum zu den Außenposten, ein jeder der dort war, hat es sicherlich verdient, gekillt zu werden. Aber dass jetzt auch noch eine andere Gruppe Ärger macht, und dann auch noch eine, die er bisher in Ruhe gelassen hat...Er kann gar nicht so viel fressen, wie er im Moment kotzen möchte.
Er bleibt stehen und fährt sich über den Bart.
"Schicken wir ihnen ein Himmelfahrtskommando. Ein paar Jungs sollen sich auf die Bikes schwingen, und sie abfangen, bevor sie sich wieder hinter ihrem beschissenen Zaun verkriechen können."
Simon nickt und wendet sich zum Gehen.
"Und das zweite Problem?"
Er dreht sich wieder um und tippt sich an die Stirn.
"Ach ja. Dwight und Sherry sind zurückgekehrt."

Diese dämlichen Obervolltrottel sind tatsächlich freiwillig zurück gekommen. Er kann es gar nicht glauben.
Er hatte sie laufen lassen. Kurz nachdem er Eden wieder gefunden hatte, hatten seine Leute sie aufgespürt. Er hatte Eden nicht wieder verlieren wollen. Und deshalb hatte er den Befehl gegeben, die Hatz aufzugeben. Und jetzt sind sie einfach zurück gekommen...Was erwarten sie jetzt von ihm? Dass er sich einen runterholt vor Freude? Ihnen in die Arme fällt und vor Glück weint? Warum zum Teufel sind sie überhaupt wieder her gekommen?
"Schick Dwightyboy erstmal auf die easy street.", sagt er zu Joey, der vor den Zellen Wache hält, "Und ich unterhalte mich derweil mit seinem Frauchen."
Joey lächelt dümmlich und nickt eifrig. Der kleine Fettklops hat wirklich Spaß am Foltern. Und er mag den Song tatsächlich. Bei Joeys schlichtem Gemüt wundert ihn wirklich gar nichts mehr.

Sherrys Zelle ist etwas komfortabler und heller als Dwights. Trotzdem stinkt es bis raus auf den Flur nach Pisse.
Er wirft einen Blick durch das kleine Fenster in der Tür. Sherry hockt auf dem Boden, hat die Arme um die Knie geschlungen. Sie sieht ausgemergelt und erschöpft aus. Resignation liegt auf ihren Zügen. Oh, vielleicht holt er sich darauf doch einen runter. Er öffnet schwungvoll die Zellentür und schlendert, Lucille über der Schulter, hinein.
"Sherry.", begrüßt er sie lächelnd, "Da bist du ja wieder. Ich würde sagen: So schließt sich der Kreis."
Sherry sieht zu ihm auf, sie hat dunkle Ringe unter den Augen. Sie hat scheinbar auf die ganz, ganz harte Tour gelernt, was sie hier alles hatte, dass es ausgesprochen blöde war, abzuhauen. Das ist das großartigste, was er je erlebt hat. Am liebsten würde er sich diesen Moment einrahmen und ihn dann ficken.
"Ja.", sagt sie leise.
Er sinkt vor ihr in die Hocke und stützt sich dabei auf Lucille ab. Sie soll schließlich sehen, wie sehr er all das gerade genießt.
"Wo ist denn dein Schwesterchen? Habt ihr das Ganze nicht für sie gemacht?"
Er weiß die Antwort natürlich schon. Aber er möchte es gerne aus ihrem Mund hören.
"Sie ist tot.", flüstert sie.
"Oh wie tragisch!", ruft er theatralisch, "Und das schlimmste ist: Sie würde noch leben. Sie hätte sogar ein wundervolles, einfaches Leben als meine Frau. Wenn ihr hier geblieben wärt."
Sherry sieht aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen.
"Ich weiß."
Ihre Lippen beben. Sie tut ihm jetzt fast ein bisschen leid. Aber eben nur fast. Er streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sieht sie tadelnd an.
"Sherry, Sherry, Sherry. Was habt ihr euch nur dabei gedacht?"
Sie zuckt hilflos die Schultern.
"Ich...wir...wir dachten..."
"Das war ne' rhetorische Frage.", unterbricht er sie, "Nichts habt ihr euch dabei gedacht. Gar nichts! Wer ist denn bitte so blöd und gibt ein sicheres, warmes Plätzchen, an dem es täglich was zu futtern gibt, auf? Ihr seid echt die dümmste Brut, die es gibt."
Die einzige Antwort, die er bekommt, ist ein resigniertes Nicken.
"Aber deswegen seid ihr ja zurück gekommen, nicht wahr?", fragt er leise, "Weil ihr begriffen habt, dass das hier, verglichen mit dem da draußen, das reinste Paradies ist. Dass man dafür auch mal die ein oder andere bittere Pille schlucken kann."
Wieder Nicken. Oh ja, die Wahrheit tut weh.

"Die Frage ist jetzt nur...was ich mit euch mache.", überlegt er laut, "Ihr habt mich bestohlen. Mich verraten. Ihr habt gegen die Regeln verstoßen. Pffff. Das ist ne Menge. Was wäre ich für ein Anführer, wenn ich das einfach so durchgehen lassen würde?"
Er erhebt sich und beginnt nachdenklich hin und her zu gehen, Sherry folgt seinen Bewegungen mit sichtlich wachsender Sorge.
"Keine Angst. Dich werde ich nicht umbringen. Das wäre viel zu schade um deinen süßen Arsch. Aber Dwight..."
Sie springt auf und krallt ihre Hände in sein Shirt.
"Nein! Negan, bitte, tu das nicht!"
Er starrt irritiert auf ihre Hände, bis sie ihn loslässt. Zu seinem absoluten Erstaunen, sinkt sie vor ihm auf die Knie und sieht flehend zu ihm auf.
"Bitte. Ich flehe dich an. Töte ihn nicht. Wir sind freiwillig zurück gekommen. Du bekommst alles wieder, was wir dir genommen haben. Wir werden für alles bezahlen. Wir werden härter arbeiten. Wir werden alles tun, was auch immer du willst. Aber bitte, bitte..."
Er sieht auf sie runter. Diese Unterwürfigkeit kennt er gar nicht von ihr. Es gefällt ihm. Es wäre dämlich, wenn er jetzt einfach nachgibt.
Sherry atmet zitternd ein und aus.
"Negan...du wolltest Tina heiraten. Wenn...wenn du Dwight leben lässt, dann...", es kostet sie sichtlich einiges an Überwindung weiter zu sprechen, "Dann werde ich ihren Platz einnehmen. Ich werde deine Frau."
Zuerst ist er perplex. Damit hätte er jetzt nicht gerechnet. Überhaupt nicht. Dwight und Sherry sind doch das große Liebespaar, die sich unerschütterlich Liebenden.
Dann bricht er in schallendes Gelächter aus.
"Das ist das Opfer, welches du bringen willst, Sherry? Ist das dein verfickter Ernst? Mir scheint nämlich, dass du damit ziemlich gut wegkommst. Als meine Frau musst du nicht arbeiten, du wirst bedient- grandiosen Sex inklusive, wie du ja bereits weißt."
Ihr flehender Blick wird jetzt zu Wut.
"Dann eben nicht!", faucht sie und will aufstehen.

"Moment. Ich hab noch nicht 'Nein' gesagt. Um ehrlich zu sein, bin ich gar nicht so abgeneigt. Amber hat zwar jetzt schon eingewilligt, meine Frau zu werden, aber wir könnten ja auch gleich ne Doppelhochzeit machen, nicht?", er lächelt lieblich, "Dann hätte ich fünf Frauen. Ist doch ne nette Zahl."
"Sechs."
"Was?"
"Dann hast du sechs Frauen."
"Nein. Ich bin frisch verwitwet. Umso mehr freut es mich..."
Jetzt springt sie erneut auf, hat die Hände vor den Mund geschlagen.
"Oh mein Gott, wer ist gestorben?", fragt sie entsetzt. Als ob sie es nicht wüsste. Seine gute Laune ist augenblicklich verflogen.
"Das fragst du noch?", knurrt er.
Sherry reißt die Augen auf. Er sieht aufrichtige Trauer in ihren Augen. Sie mochte sie auch. Keiner Wunder, ohne sie wären sie niemals soweit gekommen. Hätte Eden ihnen nicht geholfen, hätte er Dwight wahrscheinlich noch am selben Abend den Schädel eingeschlagen.
"Eden? Oh nein. Oh Gott. Sag bitte, dass es nicht Eden ist..."
Er nickt nur. Das alles hat so gut angefangen...
Sherry schüttelt fassungslos den Kopf. Und ihr laufen jetzt tatsächlich Tränen über die Wangen. Scheiße. Er sieht Frauen nicht gerne weinen, das ruft irgendwie immer seinen Beschützerinstinkt wach.
"Das ist unmöglich...", flüstert sie immer wieder.
"Wundert dich das ernsthaft?", blafft er sie an, "Wenn es jemand darauf angelegt hat, zu verrecken, dann ja wohl sie. Hätte ich ihr den Kopf mit Lucille einschlagen wollen, wäre der Schläger an ihrem sturen Dickschädel zerbrochen."
Sherry starrt ihn an und reißt plötzlich die Augen auf, als hätte sie einen Geist gesehen.
"Hast...hast du....", stößt sie tonlos hervor, "Warst du das? Weil sie uns geholfen hat?"
Für einen Moment ist er verwirrt, weiß nicht, was sie meint. Dann begreift er. Im nächsten Augenblick springt er nach vorne, sein Gesicht befindet sich nur noch wenige Milimeter vor ihrem, seine Hand umschließt ihre Kehle.
"WIE KANNST DU ES WAGEN, AUCH NUR ANZUNEHMEN, DASS ICH SIE..." Sein ganzer Körper bebt vor Wut. Er hat komplett die Kontrolle verloren, er kann nur daran denken, wie er Sherry tötet. Im Moment will er nichts mehr, als das.
"WILLST DU MIR VORWERFEN, DASS ICH SIE UMGEBRACHT HABE? WAR ES DAS, WAS DU SAGEN WOLLTEST, HM?"
Er schüttelt sie wie einen Sack Lumpen. Sherry scheint gar nicht zu merken, dass er ihr die Luft abdrückt und sie hin und her schleudert. Ihr Entsetzen hat sich in Verwunderung gewandelt.
"Du hast sie geliebt.", stellt sie erstickt und überrascht fest, "Du hast sie wirklich geliebt."
Seine Hand löst sich von ihrer Kehle, fällt an seiner Seite herab. Die Wut ist augenblicklich verflogen. Warum ist es eigentlich für alle so abwegig, dass er sich auch mal verliebt? Warum soll er ihr was vormachen? Mittlerweile weiß es doch sowieso jeder hier.
"Ja.", er sieht ihr in die Augen, sieht dort Trauer und...Mitleid.  Er runzelt die Stirn und zuckt dann die Schultern.
"Was ändert das schon?"
"Das ändert alles.", sagt sie und in ihrem Blick sieht er, dass sich für sie dadurch wirklich etwas ändert, dass sie ihn jetzt mit anderen Augen sieht. Wie naiv sie doch ist. Er lacht bitter.
"Oh, Sherry.", sagt er zärtlich, "Es ändert nichts. Wenn es etwas ändert, dann nur, dass es alles nur viel, viel schlimmer macht." Er steht immer noch direkt vor ihr.
Sie riecht noch wie damals, nach irgendeiner Blume, er weiß nicht, welcher.
Nachdem er kurz nach Ausbruch der Apokalypse von Dwight ins Camp gebracht wurde, hatten sie Zuflucht in einem ehemaligen Hotel gefunden. Eines Nachts war Sherry in sein Zimmer gekommen. Das hatte ihn überrascht, schließlich waren sie und Dwight so verliebt ineinander, dass es kaum zu ertragen war. Er weiß bis heute nicht, warum sie das getan hat. Aber er war auch nie der Typ, der solche Dinge hinterfragt. Und natürlich hatte er sie gevögelt. Sie war die erste seit Lucilles Tod gewesen. Nicht, dass es das zu etwas Besonderem gemacht hatte. Eher im Gegenteil. Sie war zu ihm gekommen. Frauen, die es ihm leicht machten, die leicht zu kriegen waren, hatten ihn noch nie sonderlich gereizt. Dennoch hatte es ein wenig an seinem Ego gekratzt, dass sie ihn, nachdem das Hotel von Untoten überrannt wurde und sie weiterziehen mussten, danach vollkommen ignorierte und sich wieder wie eine Klette an Dwight hängte. Als er dann die Saviors aufbaute, war sie bei den Nummern gelandet und er hatte sie beinahe vergessen. Beinahe. Manchmal hatte er sich ausgemalt, wie er Dwightyboy von der Affäre mit seiner Frau erzählte. Aus irgendeinem Grund hatte die offensichtliche Liebe der Beiden ihn immer gestört. Vielleicht, weil er neidisch darauf war. Oder, weil er wirklich ein bisschen gekränkt war. Schlampe.

"Du wirst dir wünschen, dass ich sie nicht geliebt hätte.", fährt er leise fort, "Dass ich nichts fühlen würde. Denn, diese Gefühle...Liebe...machen uns erst zu den Monstern, die wir sind."
Sherry sieht ihn verbissen an, schüttelt vehement den Kopf.
"Nein.", entgegnet sie stur, "Wir werden zu Monstern, weil wir zu wenig lieben, weil wir..."
Er unterbricht sie mit einer ungeduldigen Handbewegung.
"Hör auf, dir das einzureden. Ich kann es dir beweisen, wenn du willst."
Er sieht sie lauernd an, Sherry schüttelt immer noch den Kopf. Er grinst triumphierend.
"Dwight ist doch der Gute von euch beiden, nicht wahr? Er ist der, der niemals ne Andere ficken würde?" Wut zeichnet sich auf ihrem Gesicht ab, aber sie nickt. Sein Grinsen wird noch breiter.
"Ich könnte ihn zum Monster machen, Sherry. Es wäre so leicht. Ich müsste ihm nur drohen, dass ich dir was antun würde...oder noch besser: Dir vor seinen Augen was antun. Und er würde tun, was immer ich von ihm will. Er würde die bestialischsten Dinge tun, du würdest ihn gar nicht wieder erkennen. Und weißt du, warum es so leicht wäre? Weil er dich liebt. Viel mehr, als vernünftig ist."
Sherry hat die Arme vor der Brust verschränkt und sieht wütend zu ihm auf. Sie hat das kleine Techtelmechtel zwischen ihnen wohl verdrängt. Es wird Zeit, sie wieder daran zu erinnern, was sie getan hat, dass er sie in der Hand hat.
"Und ich könnte es noch weiter treiben.", fährt Negan süffisant fort, "Ich könnte ihn noch weiter an den Abgrund bringen, indem ich ihm davon erzähle, wie wir gefickt haben, damals im Hotel. Ich würde ihm jedes schmutzige Detail erzählen. Davon, dass du zu mir gekommen bist. Davon, wie du gestöhnt hast, wie es dir gefallen hat. Von deinem Muttermal, du weißt schon wo, was aussieht wie eine Kirsche und deine Eltern dazu veranlasst hat, dich Sherry zu nennen. Davon, dass es keine einmalige Sache war, dass du wieder gekommen bist...", er kichert, "Im doppelten Wortsinne."
Sherry ist erstarrt. Ihre Fassade bröckelt zunehmend. In ihre Wut mischt sich zunehmend Angst. Ach, es macht immer wieder Spaß.
"Das hatte nichts zu bedeuten!", faucht sie, "Du..."
"Mir hat es auch nichts bedeutet.", knurrt er, "Und trotzdem ändert es nichts an der Tatsache, dass wir gefickt haben! Dass du ihn betrogen hast! Wenn Dwight das erfährt...dann würde er zerbrechen, noch ein größeres Monster werden. Wenn ich mit ihm fertig wäre, wäre er bereit, dir höchstpersönlich den Schädel einzuschlagen. Und dass alles ist nur möglich, weil er dich so verdammt liebt."
Sherry zittert jetzt vor lauter Wut. Gib doch zu, dass ich Recht habe, denkt er hämisch. Aber sie will es immer noch nicht wahr haben, dieses dämliche, sture Ding.
"Du irrst dich.", spuckt sie ihm entgegen, "Wer fähig ist, zu lieben, für den gibt es Hoffnung. Du redest dir ein, dass du ein gefühlloses Monster bist. Du redest dir ein, dass das, was du für Eden empfunden hast, dich schwächer, schlechter gemacht hat. Du redest dir ein, dass es Spaß macht, die Gefühle anderer auszunutzen und sie zu brechen. Aber in Wirklichkeit, wünscht du dir auch nur, dass du geliebt wirst. Und das zeigt, dass du kein Monster bist."
Er muss zugeben, dass sie gut spielt, dass sie ihn für einen Moment aus dem Konzept bringt. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass sie die Eden-Karte spielt. Aber sie vergisst, dass das hier sein Spiel ist. Dass sie hier in seinem Casino sind. Und egal, wie viele Asse sie aus ihrem Ärmel schüttelt, sie wird niemals gewinnen. Denn er bestimmt, was gespielt wird und nach welchen Spielregeln.
"Nein, Sherry, du irrst dich.", erwidert er sanft, "Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche. Ich war bereits im Garten Eden. Mehrmals- falls du verstehst, was ich meine.", er lacht, da sie als Reaktion auf seine Anspielung empört nach Luft schnappt, "Ich hab von den Früchten dort gekostet. Oh ja, und wie ich das habe. Und ich wäre nur zu gerne dort geblieben. Aber wenn man glaubt, alles zu haben, was man jemals wollte, kommt der Fall und man landet wieder auf dem Boden der Tatsachen, auf verbrannter, toter Erde. Je höher man geflogen ist, umso tiefer fällt man. Umso schmerzhafter ist es. Umso monströser ist man danach. Früher oder später passiert uns das allen. Und die traurige Tatsache ist: Es gibt keine Hoffnung. Nicht für mich. Und auch nicht für euch."

Auf der Fahrt zu der Satellitenstation kann er nur an sie denken. Er hätte niemals für möglich gehalten, dass er jemals wieder so besessen von einer Frau sein könnte. Er hat immer noch ihren Geruch in der Nase, spürt noch förmlich, wie weich ihre Haut war, wie ihre Lippen sich angefühlt haben. Letzte Nacht, ihre Hochzeitsnacht, hat all seine Erwartungen übertroffen. Es war noch viel besser, als er es sich die ganze Zeit in seiner Fantasie ausgemalt hat. Und verdammt, er musste sich verflucht lange mit seiner Fantasie begnügen, denn dieses grünäugige Miststück hat ihn ganz schön lange hingehalten. Der Sex war der blanke Wahnsinn. Eden ist der Wahnsinn. Sie hasst ihn nach wie vor, das macht es aber nur noch viel, viel reizvoller.
Er ist sich ziemlich sicher, dass sie irgendetwas plant, dass sie irgendwann versuchen wird, ihn umzulegen. Ihr 'Heiratsantrag' kam viel zu plötzlich.
Aber letzte Nacht...oh verdammt, da hat sie sich selbst Lügen gestraft. Sie hat ihm einen Einblick gewährt, was hinter diesem Hass liegt. Da war Lust, Leidenschaft, Feuer...wenn er nur daran denkt, wird er hart. Und sie gehört jetzt ihm! Nur ihm allein, ob ihr das gefällt oder nicht. Was würde er jetzt dafür geben, sich mit ihr durch die Laken zu wühlen, anstatt sich mal wieder um die Probleme dieser Wichser zu kümmern. Aber Sebastians Funkspruch war drängend gewesen. Dort geht etwas gehörig schief, die Kacke ist gewaltig am dampfen. Und einen Aufstand kann er jetzt wirklich nicht gebrauchen.
Die überdimensionale Satellitenschüssel taucht vor ihm auf. Was soll's. Er wird das jetzt so schnell wie möglich hinter sich bringen und dann zurück zu ihr fahren. Der Gedanke daran, lässt sein Herz schneller schlagen. Wow. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er denken, dass er...aber nein. Er ist scharf auf sie, sie fasziniert ihn. Er liebt es, herausgefordert zu werden. Und sie fordert ihn permanent heraus. Frauen, wie sie, rufen in ihm sämtliche Jagdinstinkte wach- das ist alles. Wenn er sich an ihr abgearbeitet hat, wird sie ihn irgendwann langweilen, wie fast alle Frauen zuvor auch. Bis dahin sollte er es genießen.
Er steigt aus dem Wagen. Keiner seiner Leute ist zu sehen. Sollte hier nicht jemand Wache stehen? Hat er sich da nicht klar ausgedrückt? Diese dämlichen Pimmel.
Er marschiert in die Satellitenstation und spürt sofort, dass hier etwas nicht stimmt. Es ist viel zu still. Keine Menschenseele ist zu sehen. Er greift nach seiner Knarre, umfasst Lucille etwas fester. Ganz hinten im Gang ist Licht. Steht dort ein Tisch? Er geht darauf zu. Je näher er kommt, umso unbehaglicher wird ihm zumute. Umso mehr ärgert er sich, dass er nicht mit seinen Leuten gefahren ist, Verstärkung wird erst in erst in ein paar Stunden hier sein. Scheiße. Seine Arroganz wird ihm irgendwann noch den Arsch kosten.
Auf dem Tisch liegt irgendetwas...und ein weißes Tuch wurde darüber geworfen. Ein weißes Tuch mit roten Flecken. Was zum...? Er zieht an dem Tuch, lässt es zu Boden gleiten. Auf dem Tisch steht ein abgetrennter Kopf.

Trübe, milchige Augen starren ihn an. Das Maul öffnet sich lautlos, schnappt nach ihm. Der Zombiekopf trägt eine runde Brille und hat ein albernes Ziegenbärtchen. Negan spürt, wie Übelkeit in ihm aufsteigt. Beinahe hätte er quer über Sebastians Überreste gekotzt. Er schluckt die aufsteigende Kotze runter und sieht hinter den Tisch. Ein paar Männer treten aus dem Seitengang. Mit gezogenen Waffen. Wollen die ihn verfickt noch mal verarschen?
"Negan.", begrüßt Connor ihn grinsend. Dieser elende Ficker. Er hat ihn hier hergeschickt, weil er ein verfluchter Pädo ist. Hier gibt's keine Kinder und er kann sich selbst einen rubbeln, anstatt sich an irgendjemanden zu vergreifen. Jetzt realisiert er, dass das ein Fehler war. Er hätte diesen unwürdigen Haufen Scheiße umlegen sollen. Genauso wie Donnie, Louis und Willem neben ihm. Die vier sind so siegessicher, dass sie nicht mal wirklich auf ihn zielen.
"Was soll das werden? Wollt ihr wissen, wer den längsten hat? Ich kann euch gleich sagen: Ihr seid es nicht!". Er starrt sie voller Verachtung an. Abgefuckte, verschissene Kinderficker.
Connor fuchtelt mit der Waffe herum, deutet auf Sebastians Kopf.
"Wir haben deinen dämlichen Psychoonkel umgelegt, Negan. Alle, die auf deiner Seite standen. 
Wir haben keinen Bock mehr, nach deiner Pfeife zu tanzen. Hierher abgeschoben zu werden, wie Müll..."
Negan lacht. "Das liegt daran", erklärt er sanft, "Dass ihr Müll seid."
Er drückt auf den Abzug. Connor steht für einen Moment in der Luft, während er von Patronen durchsiebt wird. Negan ist jetzt bei ihnen. Diese Oberficker haben es noch nicht einmal geschafft, zu schießen. Er zieht Willem eins mit Lucille über, Donnie knallt er ihren Griff in die Fresse. Louis bekommt eine Kugel in den Kopf. Für einen Moment verliert er sich vollkommen in diesem Rausch, in seiner unbändigen Wut.
Als er langsam wieder zu sich kommt, ist er über und über mit Blut bespritzt. Die vier Männer liegen zerfleddert auf dem Boden vor ihm.
Ekel steigt in ihm auf. Scheiße, jetzt muss er wirklich kotzen! Keuchend übergibt er sich, kotzt Connors Leiche voll. Gut so, er sollte dann noch auf diesen Wichser pissen! Als er nur noch Magensäure hochwürgt, richtet er sich auf, wischt sich über den Mund und streicht sich die Haare nach hinten.
Sein Blick fällt auf den Kopf auf dem Tisch. Langsam geht er darauf zu. Scheiße, man. Prof. Dr. Rumpelstilzchen war sein Mentor, seine einzige Vertrauensperson. Was soll er ohne ihn machen? Er legt den Lauf seiner Waffe an seine Stirn, drückt ab. Er hat das Gefühl, dass er mit Sebastian den letzten Überrest seiner Vergangenheit tötet. Und damit auch einen Teil von sich selbst.

Er könnte gerade nicht sagen, ob er gut oder schlecht drauf ist.
Für gute Laune würde sprechen, dass er gestern zwei superheiße Frauen geheiratet hat, dass er letzte Nacht mit diesen Beiden einen netten Dreier hatte und dass er trotz beachtlichem Alkoholpegel dabei ganz gut seinen Mann gestanden hat. Allerdings war er irgendwann in der Nacht aufgewacht, zum einen, weil Eden, Lucille und Sebastian ihn in seinen Träumen heimsuchten, zum anderen, weil Amber heulte und Sherry sie flüsternd zu beruhigen versuchte. Er war wortlos aufgestanden, um in Edens Zimmer zu gehen. Auf halbem Weg, war ihm dann eingefallen, dass es Edens Zimmer nicht mehr gab, dass Sherry jetzt dort wohnte. Also war er wieder umgedreht, hatte Amber und Sherry rausgeschmissen, Edens Rucksack hervorgeholt (Fuck, ja. Natürlich hatte er sich geschworen, das in Zukunft sein zu lassen.) und bis zum Morgen in ihren Büchern gelesen. All dies spricht eher für schlechte Laune.
Dagegen spricht wieder, dass er Dwight gerade noch ein bisschen verprügeln lassen hat und dass er ihm gleich noch eine besondere Überraschung bereiten wird. Und das beste ist: Sherry weiß auch noch nichts davon.
Seine Vorfreude wird allerdings wieder durch den Umstand getrübt, dass die Biker, die er den Fickern aus Alexandria an den Hals gehetzt hat, in die Luft gesprengt wurden. Diese Drecksäcke haben mittlerweile mehr als 30 seiner Leute gekillt und er findet das alles schon lange nicht mehr lustig. Er hat ihr Rattenloch umstellen und überwachen lassen und wenn sie dann heraus gekrochen kommen- und das werden sie- dann wird er ihnen mal erklären, was er davon hält, wenn man grundlos seine Leute umlegt. Wenn es nach ihm geht, können sie sich dafür noch ein, zwei Tage Zeit lassen, denn das, was er vorhat, braucht einiges an Vorbereitung und Organisation. Diese Wichser. Mit wem denken sie eigentlich, haben sie es hier zu tun? Offensichtlich haben sie keinen blassen Schimmer. Umso besser. Lucille durfte sich schon lange nicht mehr schmutzig machen und mittlerweile ist sie wirklich, wirklich verfickt durstig. Und er auch.
Keine Ahnung, ob das jetzt für gute oder schlechte Laune spricht. Ein bisschen freut er sich schon darauf, es all diesen Arschlöchern heimzuzahlen. Und zuallererst ist Pussydwighty an der Reihe.

Es riecht nach verbranntem Holz und nach altem Öl. Die Hitze treibt ihm den Schweiß auf die Stirn. Dieser Scheißofen ist wirklich der Kracher, selbst hier oben, auf der Empore, ist es glühend heiß.
Dwight sitzt bereits auf seinem Stuhl und das Publikum ist mittlerweile auch eingetroffen. Sherry sieht zu ihm auf. Ihr Blick ist voller Verachtung und Wut. Er lächelt zurück und zwinkert ihr zu.
Er hat heute wenig Lust, große Reden zu schwingen. Mit festen Schritten steigt er von der Empore herab, läuft durch die kniende Menschenmenge vor ihm und bleibt direkt vor Dwight stehen. Er sieht ganz schön verbeult aus und in seinen Augen sieht man, dass es nicht mehr viel braucht, um ihn zu brechen.
"Dwightyboy.", begrüßt Negan ihn mit rauer Stimme, "Ich bin wirklich enttäuscht von dir." Er schaut streng auf ihn herab, was Dwight den Blick senken lässt.
"Es ist schwer, das, was du getan hast, wieder gut zu machen. Ich meine- deine Exfrau hat schon mal gut vorgelegt, sie hat sich letzte Nacht ordentlich ins Zeug gelegt. Wobei ich glaube, dass es nicht wirklich eine Wiedergutmachung war...ich will damit sagen, dass es ihr verdammt noch mal richtig gut gefallen hat, falls du das jetzt nicht verstanden hast. Ich hatte das Gefühl, dass ihr es schon lange niemand mehr so richtig besorgt hat."
Dwight starrt immer noch zu Boden, zittert leicht.
Sherry macht einen Schritt nach vorne.
"Negan, bitte...", flüstert sie.
"NEIN!", brüllt er sie an, "Du bleibst schön, wo du bist! Du hast deinen Teil geleistet- jetzt ist er dran!"
Sherry senkt den Blick und tritt wieder zurück. Er sieht, dass sie weint, was ihm ein Grinsen ins Gesicht zaubert.
"Wer bist du?", fragt er einen x-beliebigen Savior, der hinter ihm rumsteht.
"Negan.", ist die Antwort.
"Wer bis du?"
"Negan."
"Und du?"
"Negan"
"Und Dwight...", er packt sein Kinn und zwingt ihn, ihn anzusehen, "Wer bist du?"
Es gibt diesen Moment, an dem etwas in einem Menschen zerbricht. Man sieht es in ihren Augen, etwas, ein Leuchten, der letzte Widerstand, verlischt in diesem Moment. Dieser Moment ist so voller grausamer Schönheit, dass man süchtig danach werden könnte. Dieser Moment ist jetzt bei Dwight gekommen. Die Risse in seiner Seele breiten sich aus und zurück bleibt ein Haufen Scherben.
"Ich bin Negan.", antwortet er.
Negan starrt ihn noch eine Weile an, genießt den Anblick, schaut ihm beim Zerbrechen zu.
"Gut. Ich will das du dich daran dein Leben lang erinnerst.", sagt er dann leise, "Dass du das niemals wieder vergisst."
Dwight nickt apathisch.
Jemand reicht Negan den feuerfesten Handschuh, dann das Eisen.
"In Zukunft musst du nur in den Spiegel sehen, falls du es mal wieder zu vergessen drohst."
Mit diesen Worten drückt er ihm das glühende Eisen ins Gesicht.
"Nein!", hört er Sherry schreien. Das ist das beste an der Liebe: Wenn zwei Seelen verbunden sind, zerbrechen sie beide gleichzeitig, wenn man auch nur eine davon zerschmettert.

- 2 Tage später -

Er hat es sich in dem Wohnwagen der Filzläuse aus Alexandria gemütlich gemacht, spielt mit Lucille und wartet, bis seine Leute alles für den großen Auftritt bereit gemacht haben. Seine Vorfreude ist vergleichbar mit der, die er als Kind empfunden hat, wenn er mit seinem Nachbar raus zum Angeln gefahren ist. Das war immer ein Abenteuer, ein ganz besonderer Lichtblick in seinem doch recht tristen Alltag. Jetzt werden diese Ficker ihn gleich kennenlernen, sie sind mittlerweile angekommen. Sie dachten, sie wären sicher, sie dachten, sie wüssten, wie das hier alles läuft. Aber sie irren sich gewaltig. Sie werden gleich auf die harte Tour lernen, wie falsch sie lagen.
Das was er im Moment tut, seit Eden und sein Sohn tot sind, ist nur auf Zerstörung und Tod aus. Es ist die Politik der verbrannten Erde- und Gesichter. Es ist nicht das, was er tun will, nicht das, worum es jemals ging. Aber sie lassen ihm keine Wahl. Nicht zum ersten Mal, fragt er sich, wie all das hier verlaufen wäre, wenn sie noch leben würde. Wahrscheinlich würden sie dann jetzt gerade in seinem Haus am See vögeln, statt dass er hier hockt und darauf wartet, jemanden den Schädel einzuschlagen. Er würde alles, was er hat und jemals hatte, dafür geben, dass es so wäre.
Er hört Schritte. Simon pocht an die Tür des Wohnmobils.
"Es ist an der Zeit, dass ihr ihn kennenlernt.", hört er ihn sagen. Negan steht seufzend auf, rückt seinen roten Schal zurecht und wirft sich Lucille über die Schulter. Er tritt aus dem Wagen und lässt seinen Blick über die vor ihm knienden Leute schweifen. Er sieht Krieger. Obwohl sie ziemlich fertig aussehen, starrt ihm Hass, Wut und Entschlossenheit entgegen. Das wird ein hartes Stück Arbeit- aber auch ne Menge Spaß.
"Na, pisst ihr euch schon ordentlich in die Hosen?", fragt er lächelnd.

THE END

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