Kapitel 40: Vom Leben und Sterben
"Der Tod, als er sich zum zweitenmal um sein Eigentum betrogen sah, ging mit langen Schritten auf den Arzt zu und sprach: "Es ist aus mit dir, und die Reihe kommt nun an dich," packte ihn mit seiner eiskalten Hand so hart, daß er nicht widerstehen konnte, und führte ihn in eine unterirdische Höhle. Da sah er, wie tausend und tausend Lichter in unübersehbaren Reihen brannten, einige groß, andere halbgroß, andere klein. Jeden Augenblick verloschen einige, und andere brannten wieder auf, also daß die Flämmchen in beständigem Wechsel zu sein schienen.
"Siehst du," sprach der Tod, "das sind die Lebenslichter der Menschen. Die großen gehören Kindern, die halbgroßen Eheleuten in ihren besten Jahren, die kleinen gehören Greisen. Doch auch Kinder und junge Leute haben oft nur ein kleines Lichtchen." - "Zeige mir mein Lebenslicht," sagte der Arzt und meinte, es wäre noch recht groß. Der Tod deutete auf ein kleines Endchen, das eben auszugehen drohte, und sagte: "Siehst du, da ist es." -
"Ach, lieber Pate," sagte der erschrockene Arzt, "zündet mir ein neues an, tut mir's zuliebe, damit ich König werde und Gemahl der schönen Königstochter." -
"Ich kann nicht," antwortete der Tod, "erst muß eins verlöschen, eh' ein neues anbrennt." -"
(Die Brüder Grimm - Gevatter Tod)
Drei Beißer schlurfen auf sie zu. Eden holt aus, um ihnen die Birne mit ihrem Schläger einzumatschen, das Messer in der anderen Hand. Sie geht lieber auf Nummer Sicher. Der erste Beißer hat sie erreicht, durch den Schlag platzt sein Kopf auf wie ein Ei und eine grau-grünlich-gelbe Masse spritzt heraus. Es ist immer wieder eklig, der Geruch lässt einen immer wieder würgen. Sie will dem nächsten Beißer eine überziehen, doch jemand kommt ihr zuvor. Jemand mit einem stacheldrahtumwickelten Baseballschläger.
Negan steht plötzlich vor ihr und tötet die verbliebenen Beißer mit einer einzigen, fließendenden Bewegung. Nur einen Wimpernschlag später hat er sie an sich gezogen und küsst sie. Sie weiß gar nicht, wie ihr geschieht, aber sie erwidert den Kuss nur zu gerne. Sie hätten schließlich alle sterben können. Es interessiert sie auch nicht, dass achtzig Leute um sie herumstehen und betreten zu Boden sehen. Sie ist nur so unendlich erleichtert, bei ihm zu sein. Lebend.
Nach einer Weile schiebt er sie leicht von sich.
"Danke.", haucht er in ihr Ohr und fährt etwas lauter fort: "Und jetzt verschwindest du wieder. Was hast du dir verfickt nochmal dabei gedacht, hier her zukommen? Nehmt die Verletzten mit, vielleicht kann der Doc sie noch retten."
"Sir?" Ein Savior unterbricht sie, bevor sie antworten, bevor sie protestieren kann.
Negan dreht sich zu dem Fragenden um. Im nächsten Moment knallt es und eine Fontäne aus Blut und Hirn ergießt sich über Eden.
Eden starrt auf den Savior, der direkt vor ihnen steht. Ein Teil seines Kopfes wurde ihm weggeschossen, dieser Teil klebt jetzt an ihr.
"Sir-", haucht er, reißt die Augen erstaunt auf und sackt dann zusammen.
"Fuck!", brüllt Negan, "Zu den Trucks! Hinter die verdammten Trucks!"
Eden starrt noch immer wie versteinert auf den Savior, der vor einer Sekunde noch vor ihr stand und jetzt am Boden liegt. Sein Mund ist leicht geöffnet, als wolle er seinen Satz noch zuende sprechen. Negan schiebt sich vor sie und schuppst sie in Richtung der Trucks. Hätte er das nicht getan, wäre sie wahrscheinlich die nächste gewesen, denn jetzt knallen die Schüsse im Sekundentakt, Geschosse surren an ihr vorbei, knallen in die Erde und jagen Staubfontänen in die Höhe.
"Renn, verdammt.", hört sie ihn rufen. Sie stolpert in die Richtung, in die er sie schiebt. In ihren Ohren summt es, nur im Hintergrund nimmt sie die Schreie und Rufe der Saviors wahr.
Sie haben den Truck erreicht, Negan drückt sie nach unten.
"Unter den Truck! Und bleib da!", stößt er hervor und ist verschwunden. Eden tut, was er sagt, sie lässt sich auf den Boden fallen und robbt unter das Fahrzeug. Das Summen in ihren Ohren wird lauter, übertönt die Geräusche des Sterbens und Tötens. Sie hält sich die Ohren zu und kneift die Augen zusammen, presst die Stirn auf den staubigen Boden. Hört dieser verdammte Tinitus langsam auf? Sie dreht hier noch durch.
Zschhht! Eine Kugel knallt direkt vor ihr in den Boden, lässt sie zusammenzucken. Ihr Herz pocht bis zum Hals. Das Geschoss liegt direkt vor ihrer Nase im Dreck. Rauch steigt davon auf. Das war knapp. Ihr Schock lässt langsam nach, das Summen verstummt. Zitternd atmet sie ein und aus, bis ihr Herzschlag sich wieder normalisiert.
Sie sieht sich um, aber da sind nur Stiefel, die eilig um den Truck herumlaufen. Schüsse. Schreie. Negan, der Befehle brüllt. Die Saviors scheinen sich mittlerweile formiert zu haben.
Sie robbt nach hinten, zur Ladefläche des Trucks, vielleicht kann sie von dort aus... Stiefel erscheinen direkt vor ihr. Der Träger, oder besser: die Trägerin, scheint sich anzuschleichen, denn sie geht auf den Fußspitzen. Eine Oceanside? Eden robbt noch ein Stück näher ran und versucht, unter dem Truck hervorzulucken. Über ihr steht eine junge Frau, etwa in ihrem Alter, mit olivfarbener
Haut und dunklen Locken. Sie hält ein Maschinengewehr in den Händen und ist im Begriff, sich von hinten an die Saviors heranzuschleichen.
Eden schlingt ihren Arm um ihre Fußknöchel und reißt sie zu Boden. Sie schnellt unter dem Truck hervor und knallt der Frau den Griff ihres Baseballschlägers ins Gesicht. Ein Knacken ertönt, irgendetwas wurde gebrochen. Die Frau stöhnt auf, wirft sich aber sofort auf Eden, reißt sie zu Boden. Sie ringen, suhlen sich am Boden, treten und schlagen nacheinander. Eden bekommt einen Schlag ab, der sie hart an der Wange trifft, sie fliegt nach hinten und prallt mit dem Kopf an den Truck. Für einen Moment sieht sie Sterne, in ihren Ohren klingelt es. Die andere hat sich keuchend aufgerichtet, Blut läuft über ihr Gesicht, welches ziemlich verbeult aussieht. Ihr eigenes Gesicht sieht wohl nicht anders aus. Die Frau hält den Lauf ihrer Waffe auf Eden.
"Du schon wieder.", knurrt sie. Ungezügelter Hass schlägt Eden entgegen. Er ist in ihren Augen, in ihrer Stimme, in dem Finger, der auf dem Abzug liegt.
"Kennen wir uns?", fragt Eden und reibt sich die pochende Stelle an ihrem Hinterkopf, spürt etwas Feuchtes. Blut. Scheiße, in ihrem Kopf hämmert es wie verrückt, die Bilder verschwimmen vor ihren Augen. Die Tatsache, dass sie jeden Moment von Patronen durchsiebt werden kann, macht ihr im Moment nicht allzu viel aus, wenn nur endlich dieses Pochen in ihrem Schädel nachlassen würde.
"Ich bin Paige. Und hab schon mal auf dich geschossen...und heute werde ich treffen."
Kurzzeitig ist Eden verwirrt, dann fällt ihr die dunkle Gestalt auf der Lichtung wieder ein. Ja, der Schuss sollte sie treffen, nicht Negan.
"Ach, du warst das.", stellt sie fest, ihre Stimme ist eiskalt.
Die Frau, die ihr mit gezogener Waffe gegenüber steht, nickt.
"Du hast es verdient. Ihr habt erst meinen Cousin, dann man meinen Freund umgebracht. Und du...ich hab euch beobachtet. Du bist genauso irre wie dein Lover!"
Eden muss lachen. Es ist ein leises, kaltes, gefährliches Lachen, eines, welches sie von sich selbst gar nicht kennt.
"Hast du Negan gerade als meinen Lover bezeichnet, Paige?"
"Ja. Ich hab euch gesehen. Wie ihr diese unschuldigen Leute umgebracht habt und dann..."
Wut kocht in ihr hoch. Unschuldig? Die Wölfe und unschuldig?!
"Wenn diese Leute unschuldig waren, dann bin ich die heilige Jungfrau Maria.", unterbricht Eden sie scharf, "Und wenn du gut aufgepasst hast, weißt du, dass ich weder heilig noch Jungfrau bin."
Paige runzelt kurz die Stirn und schüttelt dann den Kopf.
"Der, den du vögelst, hat Andy den Kopf eingeschlagen. Und seine Leute haben Marco erschossen. Einfach so. Er hat niemanden etwas getan. Wie kannst du auf ihrer Seite stehen?"
"Und ihr habt meinen Freund Liam in die Luft gesprengt. Glaubst du, er hatte das verdient?"
Paige schüttelt erneut energisch mit dem Kopf.
"Jeder von euch hat es verdient!", knurrt sie dann und entsichert die Waffe. Shit! Was jetzt?
"Und mein Kind?", hört sich Eden leise fragen, "Hat es es auch verdient?"
Paige starrt sie entgeistert an. Ihr Blick wandert zu Edens Bauch, die Wölbung ist nicht mehr zu übersehen, wenn man es weiß, sieht man es ganz deutlich.
"Du...du bist...", stammelt Paige und ihre Augen wandern wieder zu ihrem Bauch.
"Ja. Es ist jetzt um die zwanzig Zentimeter groß. Es wird ein Junge. Ich hab auch schon einen Namen." Eden weiß auch nicht, warum sie das Paige gerade erzählt. Hofft sie, dass sie Mitleid mit ihr hat? Hätte sie Mitleid mit einer Schwangeren?
Paige blinzelt, sie lässt die Waffe ein wenig sinken.
"Hat er den Tod verdient?", fährt Eden leise fort, "Kann er etwas dafür, dass wir uns mittlerweile gegenseitig umbringen?"
Unmerklich schüttelt Paige den Kopf, die Waffe sinkt noch ein Stück tiefer.
"Lass mich gehen, Paige. Ich tu das hier alles für meinen Sohn. Es tut mir leid, dass Leute, die du geliebt hast, durch uns gestorben sind. Aber sie sind tot...und mein Sohn...noch nicht." Sie schafft es sogar, ein wenig weinerlich, flehend zu klingen. Paige ringt sichtlich mit sich selbst, aber der Hass ist aus ihrem Blick verschwunden. Sie beißt sich auf die Unterlippe. Dann sichert sie die Waffe und lässt sie gänzlich sinken.
Edens Hand schnellt nach vorne, aus der Pistole darin löst sich ein Schuss. Auf Paiges Stirn ist plötzlich ein roter Punkt, der sich rasend schnell vergrößert. Sie taumelt. In ihre Augen tritt Erstaunen. Enttäuschung. Wut. Sie öffnet den Mund, doch es dringt nur ein Seufzen daraus hervor. Sie sackt zusammen und starrt dabei vorwurfsvoll zu Eden.
Sie lehnt sich nach hinten an den Truck, schließt für einen Moment die Augen, versucht das Dröhnen in ihrem Kopf zu ignorieren. Scheiße man, sie hatte Mitleid. Sie hätte sie gehen lassen. Sie hätte sie nicht töten müssen. Scheiße!
Eden öffnet die Augen wieder, noch immer knallen überall Schüsse, aber sie bildet sich ein, dass es weniger geworden sind. Ächzend erhebt sie sich und wäre beinahe wieder umgekippt, hätte sie sich nicht am Truck abgefangen. Um sie herum dreht sich alles. Sie hangelt sich an dem Truck entlang nach hinten, versucht, sich zu fokussieren. Sie weiß gar nicht so richtig, wo sie überhaupt hin will.
"Rückzug!", hört sie eine fremde Stimme rufen, "Rückzug!"
Dann geht alles ganz schnell. Das Knallen verstummt, manche Saviors beginnen zu jubeln. Edens Blick fällt auf Paiges Leiche. Auf ihre Augen, die vorwurfsvoll zu ihr herauf starren. Diesmal kann sie sich nicht freuen, diesmal hat dies alles einen bitteren Beigeschmack.
Sie haben die zweite Schlacht gewonnen.
"Hinterher! Verfolgung aufnehmen!", brüllt Negan irgendwo, "Sie werden uns durch das Minenfeld führen! Los, schnell, hinterher!"
Minenfeld? Die Oceansides haben sich wirklich eine ganze Reihe an Überraschungen ausgedacht.
Einen Moment später findet sich Eden in irgendeinem Truck wieder, wie auch immer sie da drin gelandet ist, der über die unzähligen Leichen holpert. Sie rasen nicht nur über tote Beißer. Sondern auch frische Leichen. Über Leute, die vorhin noch geatmet haben. Die Freunde, Familie hatten. Seit wann ist es eigentlich normal für sie, zu töten? Wann hat das angefangen? Bevor sie bei den Saviors gelandet ist, hat sie nie einen Lebenden getötet. Ihre Strategie war es, unauffällig zu sein und das war sie auch die meiste Zeit. Klar, sie hat andere bestohlen. Und sie hätte vielleicht das ein oder andere Leben retten können, hätte sie eingegriffen, wenn Beißer über andere hergefallen sind. Aber sie hat nie jemanden getötet.
Pete war ihr erster Mord. Komisch, dass sie darüber nie nachgedacht hat. Dass sie deswegen nie Schuldgefühle hatte. Ist der erste nicht besonders tragisch? Heißt es nicht immer, dass es so ist? Aber sie hat nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet. Genauso hat sie sich nie schlecht gefühlt, weil sie Claudia, Amy, Ched und die vier Wölfe umgebracht hat. Verdient hatten es ja irgendwie alle. Aber... Was hat es ihr was gebracht? Fühlt sie sich dadurch besser? Hat es auch nur irgendetwas im Geringsten verbessert? Die traurige Antwort ist: Nein. Es hat alles nur schlimmer gemacht. Rache, Mordlust, Hass- das sind mächtige, zerstörerische Gefühle. Es ist leicht, sich ihnen hinzugeben, verführerisch. Viel schwieriger ist es, zu vergeben. Das Risiko einzugehen, für einen Feind Mitgefühl aufzubringen, so wie Paige es getan hat. Und sie hat dies ausgenutzt. Sie hat dieses Mitleid ausgenutzt und ihr Kind dafür benutzt, ihren Arsch zu retten. Eden schließt die Augen und lehnt sich an die Plane des Trucks.
Sie hätte das nicht tun dürfen.
Sie hätte Paige am Leben lassen sollen. Es war falsch, sie zu töten. Das wird sie sich niemals verzeihen können.
"Bist du okay, Eden?", fragt jemand neben ihr. Sie schlägt die Augen auf und realisiert, dass sie zwischen Reena und Dylan sitzt. Waren sie die ganze Zeit schon hier?
"Ich...äh...ja. Denke ich. Ich weiß nur gar nicht...", stammelt sie und sieht sich verwirrt um. Sie erkennt einige Saviors, zum Beispiel Arat, die neben Dylan sitzt.
"Du bist hinter den Trucks rumgeirrt. Wir haben dich einfach mitgenommen. Ich glaube, du warst nicht so ganz da. Vielleicht hast du ein Knalltrauma oder sowas...", erklärt Dylan. Er und Reena sehen sie besorgt an.
"Ich tippe auf ne' Gehirnerschütterung. Bin mit dem Kopf an den Truck geknallt.", murmelt Eden und greift an die Stelle an ihrem Hinterkopf. Das Blut ist mittlerweile getrocknet.
"Du...äh...siehst ziemlich...", beginnt Reena.
"-scheiße aus.", vervollständigt Arat ihren Satz. Ihre Tonlage ist wie immer gelangweilt, emotionslos.
Eden sieht an sich hinunter. Natürlich. Blut, Beißerglibber, Dreck, Knochensplitter. Man könnte sagen, sie sieht aus wie immer.
"Hast du dich mit jemandem geprügelt?", fragt Dylan.
"Ja. Aber...mir geht's gut." Das stimmt. Zumindest halbwegs. Das Hämmern in ihrem Kopf lässt langsam nach.
"Negan sucht dich.", sagt ein Savior, der ihr gegenüber sitzt. Gavin heißt er, wenn sie sich richtig erinnert. Er ist eigentlich an einem der Außenposten in der Nähe des Königreichs stationiert.
Eden nickt. Natürlich. Sie hat ihn seit die Schießerei losging, nicht mehr gesehen. Und sollte überhaupt nicht hier sein. Sie tastet mach ihrem Funkgerät, aber es steckt nicht mehr an ihrem Gürtel.
"Kann ihn jemand anfunken?"
"Hab ich schon.", entgegnet Gavin. Gut. Sonst würde er bestimmt gerade durchdrehen. Sie lehnt sich wieder an die Plane und versucht, nicht bei jedem Holpern zusammenzuzucken.
"Die Sache mit dem Kabel...die war echt genial!", sagt Reena und grinst schief, "Ich dachte schon, es wäre alles vorbei, dass wie als Beißerfutter enden."
"Negan hätte uns nicht so einfach sterben lassen, Reena.", wirft Dylan dazwischen, "Ihm wäre garantiert was eingefallen." Moment mal...hält er mit Arat Händchen? Sind die beiden etwa...?
"Seid ihr zusammen?", fragt sie ihn. Er sieht ein wenig verlegen aus, kratzt sich am Kinn.
"Ja.", entgegnet Arat, "Hast du ein Problem damit?"
"Nö. Ich freu mich für euch."
Eden grinst Dylan an, was auch ein Lächeln über sein Gesicht ziehen lässt. Es freut sie wirklich. Es zeigt ihr, dass es inmitten all dem Töten und Sterben und Leiden auch noch Gutes, Schönes gibt. Dass Dylan, der ja lange Zeit ein wenig in sie verknallt war, jemanden gefunden hat. Arat ist zwar eine kalte Bitch- aber was soll's? Wenn's ihn glücklich macht? Sie grinsen sich an, wie kleine Kinder.
Der Truck kommt zum Stehen. Sie sind da. Keine Minen. Keine weiteren Verluste. Ein weiterer kleiner Sieg. Jetzt kommt die finale Schlacht.
Sie springen alle nacheinander aus dem Truck. Eden ist immer noch ein wenig wacklig auf den Beinen, unsicher steht sie am Rand der Ladefläche.
"Soll ich dir helfen?", fragt Dylan und sieht zu ihr auf.
"Du verpisst dich jetzt und beziehst Stellung!", ertönt Negans Stimme von der Seite des Trucks und im nächsten Moment steht er vor ihr. Dylan trabt brav davon. Er sieht zu ihr auf und mustert sie ernst, seine Kiefer mahlen aufeinander, ein Anzeichen dafür, dass er weder über ihr Hiersein noch über ihren Anblick erfreut ist. Da er keinerlei Anstalten macht, ihr von dem Truck runter zu helfen, setzt sie sich auf die Kante der Ladefläche. Jetzt sind sie ungefähr auf gleicher Höhe. Das Bedürfnis, ihn zu küssen, wallt in ihr auf.
"Was ist mit dir passiert?", fragt er schneidend.
"Ich hatte eine kleine Meinungsverschiedenheit mit der Schützin, die damals auf der Lichtung auf uns geschossen hat.", entgegnet sie. Er hebt fragend die Brauen.
"Sie wollte sich von hinten an euch ranschleichen. Wir haben uns ein bisschen geprügelt." Als sie den Zorn sieht, der auf seinen Zügen auflodert, fügt sie noch schnell hinzu: "Sie ist tot. Ich hab ihr ins Gesicht geschossen."
Er zieht scharf die Luft ein. Macht dann einen Schritt auf sie zu.
"Ich muss. Bleibst du bitte, bitte, bitte in diesem verdammten Truck?"
Die einstige Kälte ist gänzlich aus seinem Blick verschwunden, stattdessen ist da Wut, Sorge, Liebe. Ihr Herz beginnt schneller zu klopfen, ihr Blick wandert zu seinen Lippen. Nicht der richtige Zeitpunkt, Eden. Sie nickt benommen.
"Wenn du mich noch mal küsst.", flüstert sie. Der Anflug eines Lächelns huscht über sein Gesicht.
Er macht noch einen weiteren Schritt auf sie zu. Sie greift nach ihm und zieht ihn das letzte Stück an sich. Ihre Hände wandern in seinen Nacken, wühlen sich in seine Haare. Seine Lippen senken sich auf die ihren, was ihr ein Seufzen entlockt. Sie schließt die Augen. Er schmeckt nach Blut, Rauch, Dreck, Schweiß. In diesem Moment kann sie sich nichts vorstellen, was besser schmeckt.
Plötzlich spürt sie ein Puffen in ihrem Bauch. Es ist nur ganz leicht, kaum merklich, trotzdem zuckt sie erschrocken zusammen, was Negan von ihr wegrücken lässt.
"Was ist?", fragt er besorgt.
"I-ich...", sie streicht sich über den Bauch, wo sie eine winzige Delle spürt. Sie fasst seine Hand und legt sie auf ihren Bauch.
"Ich glaube, das Baby hat gerade getreten. Spürst du das?"
Wie zur Bestätigung pufft es erneut. In Negans Gesicht spiegelt sich eine ganze Reihe von Emotionen wider. Erstaunen, Verwunderung, Freude, Hoffnung, Glück. Sie hat dies noch nie bei ihm gesehen. Es steht ihm. Ein Lächeln zieht über sein Gesicht.
"Ich spür's.", sagt er ganz leise, erstaunt, als könnte er das gerade alles nicht fassen.
Jetzt muss sie auch lächeln. Gott, sie fühlt etwas. Es überkommt sie regelrecht. Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen, aber das kann sie jetzt nicht, Negan muss jetzt los, sie sind im Krieg, sie kann jetzt nicht...
Sie zieht ihn erneut an sich, damit er die Tränen nicht sieht. Küsst ihn.
"Komm wieder.", haucht sie in sein Ohr. Er beißt sie leicht in die Stelle unterhalb ihres Ohr, was ihr einen Schauer über den ganzen Körper jagt.
"Das werde ich.", entgegnet er.
Dann löst er sich von ihr, legt sich Lucille über die Schulter, zwinkert ihr zu und marschiert mit festen Schritten davon.
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