Kapitel 38: Die Ruhe vor dem Sturm

Bevor ein Sturm losbricht, senkt sich eine dumpfe Stille über die Welt, als hätte jemand eine Käseglocke über die Erde gestülpt. Als hätte man sich Watte in die Ohren gestopft. Die Vögel verstummen, der Wind hört auf, zu wehen, alles hält den Atem an.
Es ist keine friedliche Ruhe. Es ist ein Zögern, Abwarten, ein Lauern. Man weiß, jeden Moment kann der Sturm losbrechen, man weiß, er wird furchtbar sein und dennoch hofft man, dass es doch nicht so kommt. Dass er sich wie durch ein Wunder wieder verzieht. Aber ist diese Stille erst einmal da, dann ist es zu spät. Dann lässt es sich nicht mehr abwenden, denn mit der Stille kommt der Sturm. Sie sind untrennbar miteinander verbunden.

Nachdem das Santuary in den letzten beiden Tagen nicht still zu stehen schien, senkt sich eben diese Stille heute, am dritten Tag, darüber. Morgen früh werden sie aufbrechen, morgen früh werden sie zum finalen Gegenschlag ausholen. Der Krieg wird morgen früh beginnen und wer weiß wann enden. Heute lebt der ein oder andere noch, der morgen mit weggeschossenem Kopf auf der staubigen Erde liegen wird.

Negan hat seine anfängliche Kamikaze-Strategie nochmal überdacht. Zum Glück. Er hat kleine Trupps ausgesendet, die zunächst die Oceansides überwachen, Stützpunkte errichten und zugleich mögliche Transport- und Fluchtwege abschneiden. Oceanside ist jetzt eine  belagerte Festung und im Idealfall, wissen deren Bewohner nicht einmal davon. In den letzten Tagen gab es für den Rest einiges zu tun: Die Trucks wurden gecheckt und betankt, Waffen wurden geputzt, Granaten und Mollotov Cocktails hergestellt, Medikamente und Verbandszeug gehortet... und und und. Von den einzelnen Außenposten kam zusätzliche Verstärkung, wodurch es in dem riesigen Fabrikgebäude fast eng geworden ist. Negans Armee umfasst fast achtzig Mann. Das ist eine beachtliche Anzahl, auch wenn er gerne mehr gehabt hätte. Aber auch die Saviors müssen immer wieder Verluste einstecken. Und der Bombenangriff hat sie schwer getroffen: Letztendlich sind dadurch neun Leute gestorben und weitere sechs sind so schwer verletzt oder verkrüppelt, dass sie nie wieder kämpfen können. Das ist auch für eine so große Gruppe wie die Saviors, die ständig neue Leute rekrutieren, eine bittere Niederlage.
Negan selbst ist noch lange nicht wieder richtig fit, aber es ist sinnlos, ihn davon abbringen zu wollen, in den Krieg zu ziehen. Er wird an der Spitze stehen, alles andere würde sein Ego kränken. Und es ist das, was seine Leute von ihm erwarten.

Eden ist gerade gemeinsam mit John dabei, Waffen und Munition zu verteilen. John war lange Zeit seines Lebens Soldat und kennt sich dementsprechend gut aus. Eden hat im Moment eher den Job einer Buchhalterin inne. Es ist glühend heiß heute, Schweiß steht ihr auf der Stirn und ihr Top klebt an ihrem Körper.
Sie blickt auf ihre Liste und runzelt die Stirn.
"Wenn alle bewaffnet sind, sind wir total blank.", stellt sie fest, "Und was Munition angeht...wir müssen manche mit einem halbvollen Magazin in den Krieg schicken. Das gefällt mir nicht."
"Tja, Püppchen, falls du nicht Schwarzpulver und Patronenhülsen scheißt, kannst du daran jetzt nicht viel ändern.", brummt John neben ihr.
Jared, der ein paar Schritte von ihnen entfernt steht, lacht gackernd.
Diese widerliche Bazille. Sie hatte noch nicht besonders viel mit Jared zu tun, aber sie hasst ihn jetzt schon. Er erinnert an einen dieser High School Bullies, der nach oben kuscht und nach allen, die unter ihm stehen, tritt. Insgeheim gibt sie ihm auch die Schuld daran, dass sie jetzt in den Krieg ziehen müssen, denn er war es, der einen der Oceansides völlig grundlos erschossen hat, als das letzte mal Abgaben eingetrieben wurden. Sie wäre nicht böse, wenn er es wäre, der morgen mit weggeschossenem Kopf im Dreck liegt.
"John, pass auf! Du weißt doch, dass Püppchen hier wenig Spaß versteht und gerne mal Leuten die Augen auskratzt.", sagt Jared noch immer lachend.
Eden stört es nicht, wenn John sie Püppchen nennt. Irgendwie hat sie das Gefühl, dass er das braucht, um sich nicht allzu sehr in seiner männlichen Ehre gekränkt zu fühlen. Dass es ihm den Umstand erleichtert, unter ihrem Kommando zu stehen. Aber bei Jared ist das was anderes.
Sie entsichert die Pistole, die sie gerade in der Hand hält und zielt damit auf Jareds Hoden.
"Richtig, ich versteh wirklich keinen Spaß.", zischt sie, "Also nenn mich noch einmal 'Püppchen' und ich baller dir die Eier weg!" 
Jareds Lachen erstirbt, er mustert sie aus zusammengekniffenen Augen. Dann hebt er langsam die Hände.
"Whoa! Ist ja gut!", sagt er besänftigend,  "Hab's nicht so gemeint."
Sie macht mit der Waffe eine ruckartige Bewegung in Richtung Sanctuary.
"Dann verpiss dich endlich und tu was Nützliches!"
Jared trollt sich, nicht ohne ihr einen weiteren skeptischen Blick zu zuwerfen.
"Diese schäbige Kakerlake!", knurrt sie. John lacht neben ihr, es ist tief und volltönig.
"Schade. Ich hätte gerne gesehen, wie du ihm die Klöten frittierst."
"Bei der nächsten Gelegenheit tu ich's, versprochen!"
Sie können ihr Gespräch nicht fortsetzen, denn ein lauter Knall ertönt. Holz auf Eisen. Das erste Mal seit langer Zeit steht sie unten zwischen den Saviors und den Nummern, als Negan auf den Balkon des Sanctuarys tritt. Anstandshalber sinkt sie mit auf die Knie. Bei der Hitze ist es sogar ganz angenehm, sich mal kurz hinzuknien.

Negan steht mit ausgebreiteten Armen, Lucille in der einen Hand, über ihnen. Ein breites Lächeln liegt auf seinem Gesicht. Von hier sieht er stark und mächtig aus, wie eh und je. Wäre man näher an ihm dran, würde der Glanz in seinen Augen verraten, dass er total auf Drogen ist, um diese Show liefern zu können. Er sollte das nicht tun, denkt sie zum wiederholten Male, er sollte im Bett liegen und sich erholen.
"Erhebt euch!", ruft er und lässt seinen Blick über die Leute zu seinen Füßen schweifen,
"Wir sind die Saviors! Wir sind die gottverdammten Erlöser- und warum sind wir das? Weil wir den Leuten die verfickte Zivilisation zurückbringen, weil sie mit unserer Hilfe ein gutes, sorgenfreies Leben führen können. Und dafür sollten sie verdammt noch mal verflucht dankbar sein. Sind sie aber scheinbar nicht. Jedenfalls nicht alle.", seine Stimme schallt durch den Innenhof des Sanctuary, wird durch das Gemäuer des Fabrikgebäudes zurückgeworfen und verstärkt. Es ist wirklich imposant.
"Also sollten wir sie ab und an daran erinnern, was sie an uns haben. Und falls sie vergessen, dass wir den Dicksten und den Längsten haben, müssen wir ihn eben schneller und fester schwingen, bis wir abheben wie ein verschissener Helikopter! Und sie mal wieder so richtig ficken!"
Eden schüttelt leicht den Kopf. Er schafft es, einfach alles in einem Schwanzvergleich enden zu lassen. Unmöglich.
"Die Fischficker der Oceanside haben neun Leute getötet. Neun Mitglieder unserer Familie! Dafür werden sie büßen.
Ich will es ganz klar ausdrücken: Wir werden Oceanside morgen dem Erdboden gleich machen. Diesen Ort, diese Gemeinschaft wird es ab morgen nicht mehr geben.
Aber wir sind auch keine Monster, so wie sie. Wir werden ihnen die Chance geben, sich zu ergeben. Wer das tut, darf leben, wird einer von uns- wer nicht, stirbt. Ist das klar?"
Wie aus einer Kehle brüllen alle um ihr herum "Ja!", manche schwenken sogar ihre Waffen. Oh man...
Negan lächelt zufrieden.
"Dann, Saviors, nehmt euch den heutigen Nachmittag frei. Esst ordentlich, vögelt nochmal, genießt den restlichen Tag! Morgen brechen wir auf. Und packt eure Kackhosen ein, falls ihr sie selbst nicht braucht, könnt ihr sie dann an die Fischficker verteilen!"
Ein Lachen geht durch die Menge. Negan lässt Lucille noch einmal an das Geländer knallen und dreht sich dann um. Egal wohin Eden blickt, sie sieht Entschlossenheit, Kampfgeist, Mordlust. Er ist wirklich ein wahrer Anführer.

Fran steht auf dem Zaun und blickt auf den Weg, der hinunter zum Strand führt. Die Hitze flirrt über dem Kies, es ist vollkommen still, nur das Meer rauscht leise und ab und an hört man eine Möwe schreien. Einige Beißer torkeln am Zaun entlang. 
Sie versteht das nicht. Warum kommen sie nicht? Sie hat Negan eine Botschaft geschickt, die eindeutig war. Sie hat ihm den Krieg erklärt. Sie hätte erwartet, dass er noch am selben Tag vor ihren Toren steht und sie angreift. Das hat er nicht getan. Bisher ist gar nichts passiert, nicht einmal seine Hunde hat er geschickt. Worauf warten sie?
Fran macht sich langsam Sorgen. Sie hatten alles gut geplant, sie waren bereit, die Falle war bereit zum Zuschnappen. Hätte Negan so gehandelt, wie sie es geplant hatte, wäre er geradewegs in diese Falle gelaufen. Sie hätten ihn und seine Bande längst überwältigt, es wäre endlich vorbei. Aber er hat mal wieder ihre Pläne durchkreuzt. Und sie hat Angst, dass wenn er noch länger auf sich warten lässt, der Deal platzen wird.
Sie hat diesen Leuten reiche Beute versprochen. Bei den Saviors gibt es einiges zu holen. Wenn die Soldaten überwältigt sind, ist ihre Basis wehrlos und man kann dort nach Herzenslust plündern- so hat sie es ihnen gesagt. Ihre Verbündeten werden jetzt langsam ungeduldig. Und wenn sie nicht bald bekommen, was Fran ihnen versprochen hat, werden sie wieder verschwinden und das nicht, ohne vorher hier alles geplündert zu haben. Das sind gefährliche Leute. Sie hätte sich niemals auf so einen Deal mit solchen Menschen eingelassen, aber der Gedanke, die Saviors endlich loszuwerden, war zu verlockend. Endlich kann sie Andys Tod rächen, hatte sie gedacht, ein Gedanke, von dem sie besessen ist.
Oh verdammt, du elendes Arschloch, komm doch endlich! Fran umgreift ihren Speer etwas fester und wischt sich den Schweiß von der Stirn.
Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, einen weiteren möglichen Grund, dass bisher niemand aufgetaucht ist: Negan ist bereits tot oder zumindest schwer verletzt.
Ihre Nichte, Paige, hat auf ihn geschossen. Fran hielt ihre Geschichte zunächst für nicht besonders glaubwürdig, aber Paige hatte geschworen, dass sie die Wahrheit sagt und dass er es war, dass sie ihn getroffen hat, nachdem er auf einer Lichtung ganz in der Nähe zwei arme Teufel totgeprügelt hatte. Er war dort fast allein gewesen, zusammen mit der Scharfschützin, die Andy damals töten wollte.
Fran hatte lange über Paiges Geschichte nachgedacht. Das erste, was ihr seltsam vorgekommen war, war der Umstand, dass Negan sich allein mit dieser Frau draußen herumtrieb. Wieso? Und welche Rolle spielt dieses verfluchte Mädchen?
Dann hatte Paige ihr noch etwas Interessantes erzählt. Nämlich, dass sie eigentlich auf das Mädchen geschossen hat. Und das Negan sich dazwischen geworfen hat. Das alles klingt überhaupt nicht nach ihm...aber falls doch...
Wenn er tot ist, müssen sie ihre Chance nutzen und ihre Basis angreifen. Sie haben um die sechzig Kämpfer, sie können damit gegen die Saviors ankommen. Aber ihr Gefühl sagt ihr, dass er noch lebt. Wenn es nicht so wäre, hätten sie sicherlich gar nicht erst die Abgaben eintreiben wollen.
Wenn er den Schuss überlebt hat, dann ist er zumindest verletzt. Es ist also der beste Moment, um ihm die Stirn zu bieten.
Ja, sie ist sich nach wie vor sicher: Er wird kommen. Und wenn man sich auf seine bodenlose Arroganz verlassen kann, wird er das rothaarige Mädchen mitbringen.
Fran lächelt in sich hinein. Von wegen es gibt nichts, was dir etwas bedeutet, du armseliges Schwein.

Eden kommt sich vor, wie im falschen Film. Während sie schweigend mit Carla und Tyra am Mittagstisch sitzt, vergnügt sich Negan mit Nancy im Nachbarzimmer. Lautes Stöhnen übertönt die leise Musik, die aus dem Radio dudelt.
Negan hat darauf bestanden, dass sie alle zusammen Mittag essen. Er meinte, er hätte seine anderen Frauen genug vernachlässigt und besteht darauf, dass Eden mehr Zeit mit ihnen verbringt. Schließlich seien sie eine Familie. Davon, dass er als Vorspeise eine flachlegen wird, war allerdings nicht die Rede. Wer wird wohl das Dessert sein?
Mürrisch schiebt sie sich eine Tomate in den Mund.
"Können wir nicht einfach schon mal anfangen?", grummelt sie kauend.
Die beiden anderen werfen ihr einen verächtlichen Blick zu. Seit sie wieder hier ist, hassen sie sie regelrecht. Warum, weiß sie auch nicht.
"Also ich", sagt sie und schluckt die Tomate runter, "Esse jetzt. Bis die fertig sind, ist alles kalt"
Demonstrativ lädt sie sich einen Berg Kartoffeln auf den Teller, dazu Gemüse und Hähnchenfleisch. Carla und Tyra sitzen steif da und würdigen sie keines Blickes. Auch gut.
Als sie beginnt, das Essen in sich hineinzuschaufeln, schwillt das Stöhnen an und verstummt dann abrupt. Kurz darauf geht die Tür auf, Negan kommt in Boxershorts angeschlurft, Nancy trägt einen Morgenmantel. Negan lässt sich auf den freien Platz neben ihr fallen und grinst selig.
"Ist das nicht schön? Die ganze Negan-Family vereint.", sein Blick fällt auf Eden, "Warum isst du schon?"
"Wird sonst kalt.", nuschelt sie mit vollem Mund, "Und hab Hunger."
Er sieht sie tadelnd an.
"Eden, du hast keinerlei Manieren."
"Fick dich."
Er lacht.
"Tzzz. Ich ficke dich. Aber erst nach dem Essen." Er beginnt, sich selbst ebenfalls einen Berg Essen auf den Teller zu packen. Also ist sie das Dessert. Das kann er aber vergessen.
"Oder möchtest du mein Nachtisch sein, mein Blümchen?", fragt er Tyra und reicht ihr den vollen Teller. Tyra kichert verlegen und zwinkert ihm zu. Oh man, ihr kommt gleich ein bisschen Kotze hoch.
"Negan. Was ist das eigentlich für ein Verband?", fragt Nancy und deutet auf seinen Bauch.
Er winkt ab.
"Das hat dich nicht zu interessieren, Honey. Solange mein Schwanz steht wie eine Eins, ist die Welt für dich in Ordnung, okay?"
Nancy nickt und beginnt mit kleinen Bissen zu essen. Eden hält es hier keine Minute länger aus. Sie hat keinen Bock mehr auf dämliche Kosenamen, pikiertes Gekicher und hasserfüllte Seitenblicke. Sie schluckt den letzten Bissen runter und schiebt den Teller von sich weg.
"Mein Augenstern.", sagt sie sarkastisch und wendet sich an Negan, "Dürfte ich mich entfernen?"
Seine Miene verfinstert sich ein wenig, aber er nickt.
"Ich komm dann gleich zu dir.", ruft er ihr hinterher. Es klingt ein bisschen wie eine Drohung.

Er lehnt am Türrahmen und sieht sie belustigt an.
"Mein Augenstern? Willst du mich verarschen?"
Sie zuckt die Schultern und stellt Liams Gitarre beiseite.
"Du hast doch mit der Scheiße angefangen."
Er kichert kurz und wird im nächsten Moment wieder ernst.
"Die Chance, dass ich jetzt widerstandslos mein Dessert kriege, ist wohl gering, hm?"
"Du hast drei leckere Desserts da drüben sitzen, Negan. Also geh mir jetzt nicht auf den Sack."
Er seufzt, als läge die Last der gesamten Welt auf seinen Schultern.
"Ich will aber eifersüchtiges Miststück garniert mit einer Portion Oberzicke und einem Hauch Leck-mich-am-Arsch-und-fick-dich-ins-Knie."
Jetzt muss sie auch lachen. Dieser dämliche Scheißkerl.
"Tja, ist leider aus.", sagt sie dennoch unbarmherzig.
"Dass das fies ist, weißt du, oder?", grummelt er, "Ich will dich mal daran erinnern, dass ich eine ganze verschissene Woche monogam gelebt habe! Ich bin den anderen Mädels was schuldig!" Er sagt das in einem Tonfall, als hätte er den Ozean geteilt und Wasser in Wein verwandelt. Eden rollt als Antwort nur mit den Augen.
Er sieht aus dem Fenster. Die Sonne knallt mit voller Kraft auf das verschmierte Glas, der Himmel ist strahlend blau.
"Wir sollten noch mal raus gehen.", sagt er nachdenklich, "Bei dem Badewetter."
"Willst du nen Strandausflug machen?", fragt sie sarkastisch.
"Warum eigentlich nicht?"

Sie sitzen wenige Minuten später tatsächlich im Jeep und fahren ans Meer. Morgen ziehen sie in den Krieg und jetzt sitzen sie im Wagen, fahren an den Strand und singen fröhlich alte Countrysongs mit! Wie passt das zusammen? Gar nicht. Aber was spielt das für eine Rolle? Morgen können sie sterben, verdammt, sie können jeden verfluchten Tag sterben. Aber leben, leben können sie nicht jeden Tag so einfach.

Das Meer wallt träge auf und ab, jetzt weht ein lauer Wind, der die Hitze aber nur angenehmer macht. Die Sonne steht wie ein runder, glühender Ball über dem Wasser und lässt die kleinen Wellen funkeln und glitzern.
Negan beginnt den Strand mithilfe von Lucille aufzuräumen. Sie küsst einen Beißer nach dem anderen, bis sie reglos im Sand liegen.
Nachdem kein laufender Beißer mehr zu sehen ist, streift er sich alle Kleider ab, steht für einen Moment splitterfasernackt da und sieht auf das Wasser, als würde es ihm gehören.
Edens Blick wird von ihm gefesselt. Das Sonnenlicht lässt sein tiefschwarzes Haar glänzen, sein Körper besteht aus sehnigen Muskeln und wirkt wie immer angespannt, wie der einer Raubkatze, die sich zum Sprung bereit macht. Er sieht aus, als hätte ihn irgendein antiker Bildhauer dort hin gemeißelt.
Er ist...schön. Schön ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber ein anderes fällt ihr gerade nicht ein. Es ist eine raue, düstere, gefährliche Schönheit. Es ist diese Art Schönheit, die einen anzieht, wie eine Motte vom Licht angezogen wird- und in der man dann lichterloh verglüht.
Er dreht sich langsam zu ihr um, ein schiefes Lächeln liegt auf seinem Gesicht.
"Ausziehen.", befiehlt er. Eden gehorcht. Für einen Moment ist es ihr peinlich, so nackt vor ihm zu stehen, hier am Strand, seinen Blick auf ihrer Haut zu spüren. Dann hätte sie beinahe über sich selbst gelacht. Sie haben schon so oft gefickt, sie sind die einzigen lebenden Menschen hier! Warum schämt sie sich?
Er leckt sich über die Lippen. Es ist nicht dieses widerliche, anzügliche Lippenlecken, sondern ein Scheiße-wenn-du-das-nochmal-machst-wird-mein-Höschen-nass Lippenlecken.
Sie stehen sich gegenüber, tragen nichts als das Sonnenlicht auf ihrer Haut, in ihrem Haar, wie einen leuchtenden Mantel aus Licht, und bewundern sich gegenseitig.
Dann kommt er auf sie zu, schlingt seinen Arm um ihre Hüfte, wirft sie über die Schulter, als wäre sie wirklich ein kleines Püppchen, und schleppt sie ins Wasser. Sie quiekt und strampelt, aber wie immer ist sie machtlos gegen seinen Griff. 
"Pass auf, dass du nicht in einen dieser toten Scheißhaufen trittst.", raunt er ihr noch ins Ohr. Und lässt sie dann einfach fallen. Platschend fällt sie ins Wasser, sinkt auf den Grund. Es ist kalt, eiskalt. Salzig. Und es ist so still hier unten, so friedlich, so wunderschön. Prustend taucht sie wieder auf. Er steht über ihr und lacht.
"Du siehst aus wie ne Nixe. Ne verfickt scharfe, angepisste Ariel!"
Sie stürmt auf ihn zu und tackelt ihn wie ein Footballer. Er verliert das Gleichgewicht und platscht ebenfalls ins Wasser. Ha! Meine Damen und Herren, Sie sehen hier den Fall des großen Negans!
Als er auftauchen will, drückt sie ihn erbarmungslos unter Wasser. Als sie nachlässt, schnellt er nach oben, reißt sie hoch und klemmt sie unter seinen Arm, sodass sie erneut hilflos zappelt.
"Immer noch Mordgedanken, Miststück?", knurrt er und zieht sie zu sich herum. Küsst sie. Oh, verdammt. Er schmeckt nach von Sonnenlicht verbrannter Haut, nach Salz und Meerwasser. Nach Endlosigkeit und Tiefe. Nach Leben.
Wir haben nicht ewig Zeit, dieser Moment ist gleich vorbei, lass los, lass los, lass los...
Sie lässt los. Sie gibt sich diesem Moment, ihm, hin. Sie zerfließt wie die kleine Meerjungfrau. Wird zu Schaum auf den Wellen.

Eden weiß nicht, wann sie das letzte mal so viel gelacht hat, wann sie das letzte mal so sorglos war. Es liegt auf jeden Fall so lange zurück, dass sie vergessen hat, wie es sich anfühlt. Es fühlt sich an, als hätte sie nach vielen, vielen Jahren eine kleine Kiste wieder geöffnet und als hätte sie darin sich selbst wieder gefunden. Sie fühlt sich zum ersten Mal wieder ganz, vollständig, komplett. Die Scherben ihrer Seele fügen sich wieder zusammen. Sie kann wieder aus tiefstem Inneren lachen, das Leid, die Sorgen vergessen. Es ist perfekt. Es ist gut. Richtig. Schön. Sie wünschte, dieser Moment würde niemals enden.

Aber wie alles endet auch dieser Moment. Er endet und als sie ins Santuary zurückkehren, senkt sich die Stille wieder über sie wie ein unheilvoller Schleier. Die Ruhe vor dem Sturm.

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