Kapitel 35: Alles endet...aber nie die Musik
Sie verlässt die Empore und schwankt dabei, als wäre sie betrunken. Ihr Herz rast noch immer, Johns Schreie gellen noch immer in ihrem Kopf.
Oh man, sie kann nicht mehr. Die zwei Stunden Schlaf, die sie letzte Nacht hatte, waren eindeutig zu wenig. Und sie muss nach Negan sehen, vielleicht ist er bereits aufgewacht. Oder... Aber nein, dann hätte Carson sie gerufen.
Plötzlich steht Simon neben ihr.
"Wo willst du denn hin, Neganella?", fragt er belustigt.
Edens Augenbraue wandert nach oben.
"Neganella?", fragt sie.
Simon kichert wie ein albernes, kleines Mädchen.
"Ist mir eingefallen, als du John das Messer ins Auge geschleudert hast. Fand ich sehr passend, da du mich einerseits an Cruella de Vil und andererseits an Negan erinnerst- du verstehst?"
Er kichert wieder. Eden verdreht die Augen.
"Schmeichelhaft. Besteht die Hoffnung, dass du diesen beschissenen Spitznamen schnell wieder vergisst?", grummelt sie.
"Oh nein, Neganella."
Sie seufzt.
"Und was haben wir jetzt noch zu tun?", fragt sie gereizt.
"Wir sind die Ehrengäste auf der Party!" Er grinst breit.
"Eine Party?"
Das ist doch jetzt wohl nicht sein Ernst. Sie hat gerade jemanden ein Messer ins Auge gestoßen. Letzte Nacht haben sie und Negan zwei Männer auf bestialische Weise abgemurkst. Sie hat kaum geschlafen und musste sich den ganzen Tag mit tollwütigen Hunden herumschlagen. Negan liegt schwer verletzt in seinem Bett. Das ist das allerletzte, wofür sie jetzt Nerven hat.
"Jep! Hat sich so eingebürgert, dass wir ein bisschen feiern, wenn die Katze aus dem Haus ist.", er zwinkert ihr verschwörerisch zu.
"Dann macht das mal. Aber ohne mich. Ich muss nach Negan sehen..."
"Oh, man, Mädel, krieg die Arschbacken auseinander! Willst du die ganze Zeit an seinem Bett sitzen und ihm die Hand tätscheln? Das passt nicht zu dir, Neganella. Außerdem...", sein Tonfall wird ein wenig ernster, "Zuckerbrot und Peitsche. Nachdem du die Peitsche gerade ordentlich knallen lassen hast, solltest du jetzt ein bisschen Zuckerbrot verteilen. Gerade du kannst ein paar Freunde gebrauchen..."
Eden seufzt erneut. Sie sieht vor ihrem geistigen Auge, wie das verlockende, gemütliche Bett in weite Ferne rückt.
"Zuckerbrot ist nicht so mein Ding.", brummt sie.
"Das weiß ich, Neganella, das weiß ich. Aber dafür hast du ja mich."
Er packt sie am Arm und dirigiert sie erbarmungslos in Richtung der Aufenthaltsräume.
Der Musikgeschmack der Saviors ist wirklich nicht zu ertragen. Als sie und Simon in die Räume kommen, läuft der Song "Easy street", ein so unerträglich fröhlicher Song, dass man in die Ecke brechen möchte. Es ist stickig, qualmig, laut. Die meisten trinken bereits, als gäbe es kein Morgen.
Simon drückt ihr unerbittlich eine Bierflasche in die Hand und tanzt dann ausgelassen mit einer Savior. Sein Tanzstil erinnert an einen Zitteraal auf Koks.
Eden klammert sich an ihrer Bierflasche fest, stellt sich an den Rand und schaut mürrisch in die Runde. Wie kann man nach alldem feiern? Wie kann man heutzutage überhaupt feiern? Sie nimmt einen großen Schluck aus der Bierflasche, dann noch einen. Sie will doch einfach nur schlafen...
Die Tür geht auf und drei Saviors treten ein. Unter ihnen ist John, der wohl gerade von Carson verarztet wurde. Er hat einen dicken Verband über seinem Auge.
Edens Körper spannt sich sofort an. Das könnte jetzt ungemütlich werden, sie tastet sicherheitshalber nach ihrem Messer und beobachtet lauernd jede seiner Bewegungen.
Nachdem John zwei Schnaps gekippt hat, kommt er auf sie zu geschlendert. Er bleibt vor ihr stehen und reicht ihr einen Stamper, der mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt ist.
Sie beäugt das Glas misstrauisch.
"Wodka.", sagt er, "Kein Gift drin."
Sie rümpft die Nase, folgt dann aber seinem Beispiel und kippt den Wodka in einem Zug. Als sie sich schüttelt und hustet, grinst er.
"Schmeckt widerlich, hm? Das ist einer von der ganz billigen, beschissnen Sorte."
Er lehnt sich an die Wand und mustert sie mit seinem verbliebenen Auge.
"Du hast Eier, Püppchen. Hast mich richtig vorgeführt. Hätte ich dir nicht zugetraut.", gibt er zu, "Der Doc konnte mein Scheißauge nicht mehr retten. Jetzt ist's ganz raus. Ist gut so. Und er hat mir ne ordentliche Portion Morphium verpasst. Das macht die Sache noch besser."
Eden blinzelt irritiert. Ist er ihr etwa dankbar? Oder was läuft bei ihm nicht richtig? Würde sie ein Auge verlieren, würde sie danach bestimmt nicht mit demjenigen, dem sie das zu verdanken hat, einen Schnaps trinken und plaudern, als wären sie alte Freunde.
John lacht über ihren verdutzten Gesichtsausdruck. Er klopft ihr mit seiner Riesenpranke so hart auf die Schulter, dass ihre Zähne aufeinander knallen.
"Ich brauch's manchmal auf die harte Tour. Dass mein Auge überhaupt so aussah, verdanke ich Negan. Er musste mir auch schon mal zeigen, wo mein Platz ist. Also: Alles cool bei uns?"
Er hält ihr seine Hand hin. Immer noch perplex, lässt Eden ihre Hand in die seine gleiten. Sie wird in seinem Griff beinahe zermalmt. John haut ihr erneut mit Schmackes auf den Rücken und holt sich einen neuen Schnaps.
So ein schräger Vogel. Negan hat ihn auf einem Auge erblinden lassen und seitdem ist er ihm gegenüber loyal. Sie hat dafür gesorgt, dass er es gänzlich verliert und hat dadurch seinen Respekt gewonnen.
Das entbehrt jeglicher Logik.
Mittlerweile hat sie einen Pegel erreicht, der die ganze Party fast spaßig erscheinen lässt. Sie tanzt sogar eine Runde mit einem der Saviors, wenn auch nicht ganz freiwillig. Ständig wird ihr ein Bier oder ein Stamper in die Hand gedrückt, was sie folgsam in sich hineinschüttet.
Langsam beginnt sich alles ein wenig zu drehen, ihr Kopf wird schwer. Sie sollte jetzt wirklich gehen.
Sie schlurft zum Ausgang und rempelt an jemanden, der ebenfalls auf dem Weg nach draußen ist. Sie schaut auf und sieht direkt in Liams eisblaue Augen. Hui. War er letztes Mal schon so verflucht gutaussehend?
"Willst du gehen?", fragt er. Sein Tonfall ist abweisend.
Eden nickt.
"Hm. Ich wollte gerade meine Gitarre holen. Die Musik hier ist ja nicht zum Aushalten."
Bei dem Wort Gitarre wird sie augenblicklich nüchtern.
"Du hast eine Gitarre?", flüstert sie ehrfürchtig, "Hier?"
Seine Mundwinkel zucken, sein Gesichtsausdruck wird ein wenig freundlicher.
"Hab ich vor ein paar Tagen auf einem Streifzug gefunden. Ich nehme jedes Instrument mit, das ich kriegen kann."
Edens Augen werden immer größer. Sie stolpert ihm hinterher, sie kann einfach nicht anders. Sie sind jetzt in einem der Gänge, die Musik ist nur noch gedämpft zu hören.
"Liam...ich muss mich entschuldigen. Für letztes Mal. Ich wollte dich nicht in so eine Situation bringen. Ich hab nicht damit gerechnet, dass er..."
Liam dreht sich abrupt zu ihr um.
"Du hast nicht damit gerechnet? Wir reden schon über ein und denselben Negan, oder? Was würde er wohl mit mir und dir machen, wenn er uns jetzt sehen würde?"
"Es tut mir leid. Wirklich.", sagt sie hilflos. Liam sieht sie für einen Moment verbissen an, dann schüttelt er den Kopf und seufzt ergebens.
"Schon gut. War alles halb so schlimm. Nur, was ich mich die ganze Zeit frage...", er macht einen Schritt auf sie zu, "Was er mit dir gemacht hat. Er war auch auf dich wütend."
Für einen Moment kommt ihr wieder Negans kalte, starre Miene in den Sinn. Wie er sie lustlos ausgezogen und sie dann nach unten gedrückt hat...
Sie winkt ab.
"Nichts.", sagt sie.
Liam mustert sie erneut.
"War er das?", fragt er dann und tippt auf eine Stelle an ihrer Stirn. Es dauert eine Weile, bis sie begreift, dass er die Narbe, Quinns Souvenir, meint. Sie schüttelt vehement den Kopf.
"Nein! Oh nein, er würde mich niemals verletzen."
"Meinst du physisch, psychisch oder beides?", fragt er kühl.
Sie zögert einen Moment lang. Dies scheint Liam als Antwort zu genügen, denn er dreht sich um und geht einfach weiter.
Liam hat tatsächlich fleißig gesammelt. Er hat eine Gitarre, eine Mundharmonika, eine kleine Flöte und eine Geige in seinem Repertoire. Eden kommt sich vor wie Alice im Wunderland. So viele Instrumente. Und zwar hier! Im Sanctuary! Und sie wird spielen können...
Sie nehmen alles mit zum Aufenthaltsraum der Saviors, die sofort breitwillig ihre beschissene Gute-Laune-Musik abstellen. Eden schnappt sich die Geige und zieht den Bogen über die Saiten. Sie ist bereits perfekt gestimmt. Sie spielt die erstbeste Melodie, die ihr in den Sinn kommt, irgendwann stimmt Liam mit der Gitarre ein.
Sie harmonieren großartig, scheinen immer genau zu wissen, wie ihre Spielarten sich perfekt ineinander fügen.
Die Saviors sind nicht wiederzuerkennen, sie klatschen und tanzen und sind vollkommen aus dem Häuschen. Sie wünschen sich die albernsten Songs und rasten dann vollkommen aus, wenn sie sie spielen. Und Eden und Liam spielen an diesem Abend wirklich alles. Von ehemaligen Sporthymnen, über Balladen bis hin zu Countrysongs.
Es ist unglaublich. Es ist unbeschwert und einfach nur schön. Man könnte komplett vergessen, dass sie in einer postapokalyptischen Welt leben. Im Moment sind sie einfach alle nur Menschen, die feiern und Spaß haben und tanzen und lachen. Feindschaften und Streitigkeiten sind vergessen. Sie sind eine Gemeinschaft, verbunden durch die Musik. Morgen wird alles wieder beim Alten sein, morgen werden sie sich wieder hassen, werden prügeln und töten. Denn alles endet- aber nie die Musik.
Eden schleppt die Instrumente mit Liam zurück in sein Zimmer. Sie sind beide noch vollkommen aufgekratzt und natürlich auch ordentlich betrunken- für gefühlt jeden zweiten Song haben die Saviors ihnen einen Drink spendiert. Eigentlich hätten sie, wäre es nach den Saviors gegangen, noch stundenlang spielen können. Und Eden kann es auch kaum glauben, dass sie freiwillig die Instrumente aus der Hand legt- aber es geht wirklich nicht mehr. Ihr Körper beginnt langsam zu streiken.
Sie stellt die Instrumente ab und wendet sich zum Gehen.
"Eden, warte.", ruft Liam plötzlich und schwankt auf sie zu.
"Ich...ich wollte dir nur sagen, dass...es wunderschön war, mit dir zu spielen." Eden grinst.
"Fand ich auch."
Er blickt ihr in die Augen und in diesem Moment begreift sie, worauf das hier hinauslaufen soll. Ihr erster Impuls ist, zurückzuweichen. Sofort die Flucht zu ergreifen, solange sie noch kann. Trotzdem bleibt sie wie angewurzelt stehen.
Liam kommt noch einen Schritt auf sie zu, auf seiner Wange taucht ein kleines Grübchen auf, als er lächelt. Es fällt ihr zum ersten Mal auf.
"Das sollten wir öfters tun."
"Ja, das sollten wir."
Er steht jetzt direkt vor ihr. Er riecht nach...Frühling. Nach frischem Gras und kalter Luft. Unter seinem Shirt zeichnen sich definierte Muskeln ab. Einfach alles an ihm ist anziehend. Also warum weglaufen? Negan wird es nie erfahren, theoretisch hat er ihr ja sogar erlaubt, mit anderen Männern zu schlafen.
"Eden...bist du freiwillig mit ihm zusammen?", fragt er plötzlich.
Er holt sie damit zurück auf den Boden der Tatsachen. Negan. Oh verdammt, er ist wegen ihr verletzt. Und sie feiert, hat Spaß und steht jetzt hier mit Liam und...
Sie runzelt kurz die Stirn.
"Ja, bin ich.", entgegnet sie knapp, und weicht ein Stück von ihm zurück. Er registriert ihre Reaktion.
"Wirklich?", fragt er eindringlich, "Ich glaube nämlich nicht, dass du so bist. Wie du heute warst, das mit John... Er macht dich dazu. Aber..."
Sie unterbricht ihn
"Liam, hör auf damit.", ermahnt sie ihn. Sie kann es ihm nicht erklären, und selbst wenn, würde er es sowieso nicht verstehen. Er sieht sie an, in seinen Augen sieht sie aufrichtiges Mitleid, Verständnis, Zuneigung.
Er kommt langsam näher, seine Lippen kommen ihren gefährlich nahe.
Einen Moment wünscht sie sich, sie könnte es einfach tun. Liam ist ein toller Mann, er sieht verdammt gut aus, er hat Verstand, sie haben viel gemeinsam- er wäre gut für sie. Er würde sie glücklich machen und womöglich ist er sogar der Typ Mann, der Rosenblätter ausstreut und mit dem man Blümchensex hat. Und ein Teil von ihr wünscht sich nichts sehnlicher, als das. Wäre sie ihm früher begegnet, vielleicht bevor sie den Wölfen in die Hände gefallen ist- wer weiß? Dann wäre er womöglich eine denkbare Alternative zu Negan gewesen. Aber jetzt...
Sie liebt Negan. Und sie hasst ihn zugleich. Aber genau das ist es, was sie braucht. Sonst würde sie beginnen, sich selbst zu hassen. Und das würde ihr Ende bedeuten.
Sie weicht vor Liams Lippen zurück und stemmt sich gegen seine Brust. Irritiert sieht er sie an.
"Eden? Hast du Angst? Wegen ihm?", fragt er leise.
Sie seufzt. Oh man...
"Nein, ich hab keine Angst. Nur das hier...", sie deutet zuerst auf ihn und dann auf sich selbst, "...wird es nicht geben. Wäre ich dir früher begegnet...dann vielleicht. Wahrscheinlich sogar.", sie lächelt kurz, "Aber seitdem ist viel passiert. Und ich bin nicht mehr wie früher. Und im Moment kannst du mir nicht geben, was ich brauche. Das kann nur Negan. Es gibt nur ihn für mich. Tut mir leid, Liam. Ich mag dich wirklich gerne, aber...mehr ist da nicht."
Liam sieht sie ungläubig an.
"Du liebst ihn?", fragt er, als könnte er es nicht fassen.
"Ja, das tue ich.", sagt sie kühl.
Liam schüttelt den Kopf.
"Eden, das ist dämlich. Er benutzt dich, manipuliert, misshandelt und verletzt dich. So, wie er es mit jedem anderen Menschen tut. Vielleicht gibt er dir das Gefühl, erweckt in dir die Illusion, dass er gut für dich ist. Aber er tut alles, was er tut, nur für sich selbst- nicht für dich.
In Wirklichkeit zerstört er dich. Er nimmt dir deine Freiheit, deine Selbstständigkeit. Er saugt all das Gute aus dir raus. Er macht dich zu einer anderen Person, einer, die ihm gleicht- und nicht mehr dir selbst."
Er greift nach ihr, aber sie weicht erneut vor ihm zurück.
"Nein, Liam, du bist dämlich. Verbringst zwei Stunden mit mir und denkst, du weißt, wie ich bin. Denkst, dass du weißt, was gut für mich ist. Das tust du aber nicht. Du weißt gar nichts. Du weißt nicht, was ich durchgemacht habe, welche Dinge ich bereits getan habe und du hast auch keine Ahnung von Negan und mir. Also halt dich da raus und kümmer dich um deinen eigenen Scheiß! Und sei froh, dass ich dir nicht wegen Verrat das Gesicht grille."
Sie ist jetzt an der Tür.
"Gute Nacht, Liam."
Sie lässt ihn einfach stehen.
Im Schlafzimmer herrscht absolute Stille, nur Negans leise Atemzüge sind zu hören. Sie zieht sich bis auf die Unterwäsche aus und schlüpft neben ihm unter die Decke. Jetzt, wo es endlich soweit ist und sie im Bett liegt, kann sie nicht einschlafen. Ihre Gedanken kreisen.
Sie hört ein Seufzen und dreht sich zu Negan. Sein Schlaf ist jetzt unruhiger, vielleicht träumt er. Ob seine Träume von Lucille beherrscht werden? Oder von seiner Schwester, wie sie vergewaltigt wird und dann erhängt vor ihm hin und her schwingt? Oder davon, wie er sich durch ganz Virginia vögelt?
Sie kann ihn nach wie vor nicht richtig fassen, weiß nicht was in ihm vorgeht. Weiß nicht, was für ein Mensch er eigentlich ist. Und vielleicht hat Liam sogar recht. Aber im Moment spielt das für sie keine Rolle, denn wenn sich etwas richtig und gut anfühlt, dann ist es in diesem Moment eben richtig und gut.
Plötzlich schlägt er die Augen auf. Sein Blick fällt auf sie, erst sieht er verwirrt aus, dann lächelt er, dann rümpft er die Nase.
"Du hast ne Fahne. Riechst wie meine Mom in ihren besten Zeiten.", begrüßt er sie. Er spricht langsam und gedämpft, lallt ein wenig, was wohl am Morphium liegt.
Ein Lächeln zieht über ihr Gesicht. Wenn er Sprüche klopfen kann, scheint es ihm nicht allzu schlecht zu gehen.
"Ich dachte ja,..", fährt er fort, "...dass mein Frauchen weinend an meinem Bett sitzt, wenn ich die Augen aufschlage. Stattdessen musste ich vorhin in die hässliche Fratze vom Doc blicken."
"Es gab viel zu tun.", entgegnet sie, aber man hört, dass sie deswegen ein schlechtes Gewissen hat.
Er grinst.
"Ja, ich rieche, was es zu tun gab."
"Simon hat mich dazu gezwungen. Zuckerbrot und Peitsche."
"Pffff.", macht er und seufzt.
"Hast du Schmerzen?", fragt sie.
"Der Doc hat mich so mit Morphium vollgepumpt, ich spüre nicht mal mehr meinen Schwanz.", er grinst sie dreckig an, "Du könntest ja mal nachsehen, ob er noch da ist..."
Ungeniert lässt Eden ihre Hand in seine Boxershorts wandern. Er zuckt zusammen, damit hat er nicht gerechnet.
"Ist noch dran. Aber schlapp wie ein Schlückchen..."
"Ja ja.", grunzt er unwirsch, "Ich wette das hat Carson mit Absicht gemacht. Der Wichser freut sich gerade bestimmt ein zweites Loch in den Arsch."
"Oder aber, er hat das gemacht, damit du schön die große Klappe haben kannst, anstatt dich vor Schmerzen im Bett zu wälzen.", gibt sie zu bedenken.
Negan gibt ein unflätiges Schnauben von sich. All das kratzt dermaßen an seinem Ego, dass Eden es beinahe genießt. Nein, sie genießt es ungemein. Als ihr das bewusst wird, hat sie sofort wieder ein schlechtes Gewissen.
"Was bedrückt dich denn?", fragt er- er hat mal wieder ihre Gedanken gelesen.
Sie schüttelt leicht den Kopf.
"Nichts."
Er lacht heißer.
"Du bist so eine grottenschlechte Lügnerin, es ist kaum zu glauben. Schätzchen, du bist ein offenes Buch für mich. Also spuck's aus!"
Eden presst verbissen die Lippen aufeinander.
"Ich weiß es.", sagt er süffisant, "Dieser Typ. Da war vorhin was zwischen euch? Habt ihr gevögelt?"
Sie starrt ihn entgeistert an. Nicht, weil er fast genau weiß, was passiert ist, sondern weil er diesmal überhaupt nicht wütend klingt. Vielleicht liegt es ja am Morphium...
Sie lugt ihn misstrauisch von der Seite an. Wie wird er reagieren? Wird er Liam umbringen? Sie muss mit allem rechnen.
"Ich bin dir nicht böse.", sagt er gönnerhaft, "Und diesen Vollpfosten lass ich auch am Leben- wenn du darauf bestehst."
"W-warum?", stottert sie.
Er lacht.
"Also ja? Hat er dich durchgeknattert wie..."
"Nein!", faucht sie, "Hat er nicht! Wir haben uns nicht mal geküsst, weil...weil ich...weil du..." Sie weiß nicht, wie sie es ihm sagen soll.
Er zieht eine Augenbraue hoch.
"Und du hast trotzdem ein schlechtes Gewissen? Oho, Eden, dann hab ich dir letztes Mal aber ordentlich Respekt eingeflößt!"
Sie funkelt ihn wütend an. Welches Spielchen spielt er jetzt schon wieder mit ihr?
Er seufzt.
"Es gefällt mir nicht. Ganz und gar nicht. Aber ich verstehe es. Und als ich in deinem Alter war...scheiße, wie alt bist du eigentlich?"
"26."
"Leck mich fett! So jung? Fuck, ich könnte dein Daddy sein.", er schüttelt ungläubig den Kopf, "Naja, egal, als ich in deinem Alter war, wusste ich auch nicht, was ich will. Woher soll man das auch wissen? Diese Welt hat so verflucht viel zu bieten.
Und jetzt leben wir in einer Welt, in der man tagtäglich mit dem Sterben konfrontiert ist. Und umso mehr will man aus den Vollen schöpfen, denn morgen könnte es schon vorbei sein. Monogamie, Frust, Streit, der ganze Scheiß...alles Zeitverschwendung. Stattdessen sollte man sich nehmen, was auch immer man gerade begehrt, was auch immer einem gerade Freude bereitet, worauf auch immer man gerade Lust hat."
Entgeistert starrt sie ihn an.
"Bist du...Liegt das am Morphium? Oder daran, dass du beinahe gestorben wärst? Oder warum bist du gerade so...gar nicht du?"
"Hm...wenn man dem Tode nahe ist, zieht das Leben an einem vorbei, man sieht seine Fehler, bereut so einiges. Und nimmt sich vor, alles besser zu machen..."
Eden klappt der Mund auf.
Er sieht sie ernst an und bricht dann in schallendes Gelächter aus.
"Hehe...natürlich nicht! Hast du das ernsthaft geglaubt, Dummerchen?", prustet er und fügt dann etwas ernster hinzu: "Wenn ich wieder auf der Höhe bin, werd ich zur Strafe deinen Arsch so hart und so lange ficken, bis du nicht mehr laufen kannst."
Sie ist sich nicht sicher, ob letzteres auch Spaß ist oder sein voller Ernst. Denkbar wäre beides.
"Eden, ich muss nur eines wissen und ich will, dass du ehrlich zu mir bist.", sagt er nach einer Weile, "Muss ich mir Sorgen machen, dass er dir mal so viel oder sogar mehr als ich bedeutet? Dass du lieber Zeit mit ihm verbringst? Mit ihm irgendwann durchbrennst?"
"Nein", sagt sie wie aus der Pistole geschossen, "Musst du nicht. Es wird überhaupt nichts passieren. Ich mag ihn, aber er bedeutet mir nichts. Und ich bin nicht wie du: Es gibt keinen bedeutungslosen Sex für mich. Also...", sie holt tief Luft, "Gibt es für mich nur dich."
Ihre Worte streicheln sein Ego, das sieht man ihm deutlich an.
"Aww, komm her, mein süßes Miststück.", brummt er und streckt den Arm zur Seite, damit sie sich an ihn kuscheln kann. Er küsst sie sanft auf die Stirn.
"Nachdem du so nette Sachen gesagt hast, werd ich mir das mit der Strafe noch mal überlegen...", murmelt er und küsst sie erneut, diesmal auf die Nasenspitze. Sie grinst.
"Krieg erstmal wieder einen hoch."
Hätte sie das mal lieber nicht gesagt.
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