Kapitel 33: Horrortrip
Sie starrt ihn mit offenem Mund an. Komischerweise ist Wut das erste Gefühl, was in ihr aufsteigt.
Noch während sie auf ihn zu rennt, poltert sie los.
"Du dämlicher Idiot! Hast du dich zwischen mich und eine verschissene Patrone geworfen? Bist du lebensmüde?", schreit sie.
Sie tötet zwei Beißer, die von dem Geruch von frischem Blut und wohl auch von ihrem Geschrei angelockt wurden. Zum Glück sind die Leichname der Wölfe für die Beißer interessanter, es haben sich bereits einige darum eingefunden und verschlingen schmatzend die Überreste. Geschieht ihnen recht.
"Weiß auch nicht, was mich da geritten hat...", murmelt er. Es klingt beinahe entschuldigend.
Sie steht jetzt direkt vor Negan, der noch immer am Wagen lehnt und beginnt, gefährlich zu schwanken. Schweiß steht auf seiner Stirn und er zieht den Atem rasselnd ein. Die Wut verfliegt augenblicklich und Panik steigt in ihr auf.
"Scheiße!", flüstert sie und streift ihre Jacke von den Schultern, "Press die hier auf die Wunde."
"Das wird sie ruinieren.", sagt er und versucht, zu lächeln. Sie verdreht kurz die Augen und drückt dann die Jacke auf seine Wunde. Er zieht scharf die Luft ein. Dass er überhaupt noch steht, ist ein Wunder. Herrgott, warum stehen sie überhaupt noch hier rum? Sie muss ihn hier wegbringen, zu Carson, sie muss...
Negan kippt merklich zur Seite. Sie schlüpft unter seine unverletzte Seite und fängt ihn im letzten Moment ab. Sie ächzt unter seinem Gewicht auf. Gott, ist er schwer.
Mühsam schleppt sie ihn zur Beifahrerseite des Wagens, mit jedem Schritt wird er schwerer, mit jedem Schritt, geht sein Atem flacher.
"Verdammte Scheiße.", flucht sie immer wieder. Nach einer gefühlten Ewigkeit haben sie die Tür erreicht. Sie lässt Negan ächzend auf den Sitz gleiten. Er sinkt in den Sitz und legt den Kopf zurück, schließt die Augen.
Sie lässt sich auf den Fahrersitz fallen und greift nach dem Schlüssel im Zündschloss. Ihre Hände sind durch das Blut so klitschig, dass sie mehrere Versuche braucht, um den Wagen zu starten. Die Panik, die immer mehr von ihr Besitz ergreift, lässt ihren ganzen Körper zittern wie Espenlaub. Als der Wagen endlich anspringt, drückt sie zu stark aufs Gas, sodass er einen Satz nach vorne macht und wieder ausgeht.
Sie prügelt voller Verzweiflung auf das Lenkrad ein. Eden, beherrsch dich! Keine Panik, du schaffst das. Die Stimme in ihrem Kopf klingt wie ihr Dad. Sie atmet ein Mal tief durch und startet dann erneut. Diesmal springt der Jeep sofort an. Sie drückt auf das Gas und rast im vollen Tempo von der Lichtung.
"Du fährst wie eine besoffene 16-Jährige.", kommentiert er ihren Fahrstil. Seine Stimme klingt schwach.
"Halt die Klappe!", knurrt sie und versucht, das Zittern ihrer Hände, die sich an das Lenkrad krallen, zu unterbinden. In diesem Moment fällt ihr ein, dass Negan jetzt lieber nicht schweigen sollte. Sie muss ihn irgendwie bei Bewusstsein halten. "Nein! Halt nicht die Klappe!", ruft sie, ihre Stimme ist panisch, "Erzähl mir was! Erzähl mir von Lucille..." Das ist das erste, was ihr eingefallen ist.
Negan seufzt zitternd.
"Lucille. Hm..." Er lallt bereits ein wenig. Eden wirft einen kurzen Blick auf ihn. Er ist blass, Schweiß steht auf seiner Stirn. Scheiße, Scheiße, Scheiße!
"Wie hast du sie kennengelernt?", hakt Eden nach und weicht einem Beißer aus. Der Tacho zeigt jetzt 200 km/h. Wie weit sind sie von diesem scheiß Sanctuary weg?
Er kichert leise. "Ich hab sie bei einer dieser beschissenen Collegepartys das erste Mal getroffen. Ich war total besoffen- das war ich während meiner ganzen, kurzen Collegezeit. Was anderes konnte man dort ja nicht machen. Naja- und ficken!
Ich hab den ganzen verfickten Campus flachgelegt.", er lacht wieder, "Ich konnte damals jede haben. Scheiße, ich hatte einen verfluchten Sixpack! Und ein Bike. Darauf sind die Mädels total abgefahren."
Eden muss erneut einigen Beißern ausweichen, immer wieder zuckt ihr Blick zu Negan, der auf dem Sitz hängt und schwer atmet. Ihre Jacke ist mittlerweile vollgesogen mit Blut. Bitte, bitte, lass ihn nicht verbluten, denkt sie immer wieder. Mühsam kämpft sie gegen die Panik an.
"Auf diese besagte beschissene Party bin ich gegangen, um Stacy flachzulegen. Fuck, die hatte Titten! So richtige Bälle waren das.", er lacht wieder. Gut, sehr gut. Bleib hier. "Hm...", fährt er fort, "...und da stand sie. Lucille. Sie hatte ein blaues Kleid an und sah total verloren aus. Total unsicher. Sie war wahrlich nicht das geilste Mädchen dort. Ganz und gar nicht. Trotzdem hab ich sie angemacht, eher aus Spaß- und weil ich hackedicht war. Ich weiß nicht mehr, was ich zu ihr gesagt hab...Aber ich hab mehrfach meinen Schwanz erwähnt, da bin ich mir ziemlich sicher..."
Er spricht deutlich langsamer und schwerfälliger, sein Atem geht stoßweise. Scheiße! Er darf ihr jetzt nicht verrecken!
"Und wie hat sie reagiert?", fragt Eden schnell. Ihre Hände sind schweißnass.
"Sie hat mir eine geknallt. Das ist mir bisher erst zweimal passiert.", er lacht und wirft ihr einen Blick zu. Seine Haut ist wachsig und noch blasser geworden. Verdammter Scheißdreck! "Und ich war nicht immer so charmant, wie jetzt. Ich war total plump. Trotzdem hab ich bis dahin nie nen Korb gekriegt."
Trotz seines Zustandes bekommt er es hin, so selbstgefällig zu klingen, dass es sie zur Weißglut treibt. Sie beißt sich auf die Unterlippe und lässt ihn weiterreden. Solange er redet, lebt er.
"Ab dem Moment, wollte ich sie ficken. Ich wollte schon immer am liebsten das, was ich nicht haben konnte. Ich war richtig besessen von ihr, bin ein richtiger Stalker gewesen, hab sie immer wieder abgefangen und versucht, sie mit allen Mitteln ins Bett zu kriegen- alles ohne Erfolg. Je öfter sie mich abgewiesen hat, umso mehr wollte ich sie." Er kichert leise.
"Und wie hast du sie rumgekriegt?", fragt Eden.
"Genauso wie dich.", er grinst schwach, "Ich bin mit meinem Bike zu ihr gefahren und hab gemeint, dass wir einen Ausflug machen werden. Sie war so perplex, dass sie tatsächlich mitgekommen ist. Ich hatte mir von einem Kumpel ein Ferienhäuschen besorgt. Und dort hab ich's dann endlich geschafft. Ich hab sie endlich geknackt."
"Wie schön.", ruft Eden, ihre Stimme ist eine Oktave höher und mittlerweile läuft auch ihr der Schweiß über die Stirn. Sie versucht sich darauf zu konzentrieren, den Wagen durch eine größere Menge Beißer zu schlängeln.
"Ja.", murmelt er, "Ich dachte, ich hätte, was ich wollte. Nachdem ich sie wieder zu Hause abgesetzt und zum Abschied geküsst hatte, bin ich zu Stacy gefahren, um sie zu ficken."
"Oh man.", entfährt es Eden.
"Hm...und dann ist etwas passiert, was mir noch nie passiert ist: Ich hatte Stacys Mördermöpse schon in der Hand und plötzlich...hab ich an Lucille gedacht. Wie sie mich angesehen hat. Wie sie gelächelt hat. Dass ihre Lippen nach Sommer, nach Erdbeeren, geschmeckt haben.", er seufzt, sein Atem ist zittrig, "Und ich hatte keinen Bock mehr, Stacy zu bumsen. Ich hab nicht mal mehr einen hochgekriegt in diesem Moment."
Er seufzt erneut. Seine Stimme wird immer leiser und seine Augen sind, wie Eden durch einem Seitenblick entsetzt feststellt, nur noch halb geöffnet.
"Und von da an wart ihr ein Paar?", fragt sie hastig, ihre Stimme überschlägt sich jetzt. Langsam kommt ihr die Umgebung vertrauter vor, sie sind bald da. Bitte, lass es nicht zu spät sein!
"Ja. Aber...naja, du weißt ja, wie ich bin. Ich bin ihr vielleicht zwei oder drei Monate treu gewesen. Dann musste ich runter vom College, meine Mom war gestorben und..."
"Oh, das tut mir leid."
"Mir nicht. Sie war, seit mein Dad mit einer seiner Affären durchgebrannt ist, eine beschissene Säuferin.
Willst du wissen, wie sie verreckt ist?
Sie ist rotzbesoffen in einen Tümpel, kaum mehr als eine Pfütze, gefallen! Und hat es fertig gebracht, darin zu ersaufen."
Er macht einen Laut, der wohl ein verächtliches Schnauben werden sollte. Sein Atem wird immer flacher.
"Ich hab meine Mom nicht gehasst, weil sie schwach und bemitleidenswert war, oder, weil sie gesoffen hat. Im großen und ganzen war sie trotzdem ne ganz gute Mutter.
Ich hab sie gehasst, weil sie sich auf einen Loser nach dem anderen eingelassen hat. Männer, wie mein Dad, die alles bumsen und schwängern, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist und dann verschwinden. Säufer. Schläger. Junkies. Dealer... und einer von ihnen hat meine kleine Schwester vergewaltigt. Ich hab ihn erwischt, bin auf ihn losgegangen. Fuck, wenn ich damals nicht erst 12 gewesen wäre...Aber er hat mich nur ausgelacht. Fuck!"
Seine Stimme ist jetzt kaum mehr als ein Flüstern. Edens Nerven sind kurz vorm Zerreißen. Zum einen, wegen der schier endlosen Fahrt und der Tatsache, dass Negan gerade langsam aber sicher neben ihr verblutet, zum anderen, wegen der Geschichte, die er ihr gerade erzählt.
"Scheiße! Wie... hat sie es verkraftet?", fragt sie schließlich leise, nachdem Negan eine Weile geschwiegen hat.
"Gar nicht.", entgegnet er, "Es hat sie zerstört. Sie ist richtig seltsam geworden. Verrückt. Drei Jahre später hat sie sich erhängt. Ich hab sie gefunden. Auf dem Dachboden. Sie trug ein geblümtes Sommerkleid und ist hin und her geschwungen. Wie eine Puppe im Wind."
Geschockt sieht sie zu ihm hinüber. Er lächelt schwach.
"Du siehst, ich vereine all die positiven Eigenschaften meiner Familie in mir: Die Trinkfestigkeit meiner Mom, die Treue meines Dads und die Abneigung gegen Vergewaltiger, hab ich von meiner Schwester.", resümiert er ironisch.
Eden greift nach seiner Hand, die kraftlos neben ihm auf dem Sitz liegt. Seine Haut ist eiskalt und von getrocknetem Blut und Schweiß überzogen. Sein Puls ist schwach. Ein einziger Gedanke durchzuckt sie: Gott, lass ihn nicht sterben! Das würde ich nicht ertragen.
"Du bist nicht wie sie.", sagt sie dann und drückt seine Hand, "Du bist stark. Und gerecht. Und lässt niemanden im Stich, du beschützt die anderen. So viele verdanken dir ihr Leben. Ich verdanke dir mein Leben."
Erst als sie diesem letzten Satz ausspricht, wird ihr bewusst, wie ernst sie das meint, wie wahr das ist. Der einzige Grund, warum ihr nicht dasselbe Schicksal widerfahren ist, wie seiner Schwester und tausenden anderen, ist er. Er ist der einzige Grund, warum sie nicht den Verstand verloren und sich längst selbst erschossen hat. Er hat ihr ihr Selbstmitleid, ihre Hilflosigkeit, ihre Verzweiflung genommen und sie mit Wut, Rachedurst und Macht ersetzt. Dadurch hat sie ihren Überlebenswillen, ihre Stärke wiedergefunden. Sie hat dadurch einen Motor gefunden, etwas was sie antreibt. Und er hat ihr gezeigt, dass man Zerbrochenes vielleicht nicht reparieren, aber es dennoch lieben kann. Dass man etwas lieben kann, obwohl oder gerade weil es kaputt ist.
Und sie ist zerbrochen. Sie ist ein gottverdammter Scherbenhaufen. Und er ist der einzige Kit, der diesen Haufen Scherben zusammenhält. Wenn er stirbt, wird sie zersplittern wie eine fragile Glaskugeln unter einem Ambosshammer. Vielleicht wird das irgendwann anders sein. Vielleicht wird ihr Kind irgendwann zu diesem Kit. Aber im Moment ist es noch nicht so weit.
Vor ihr tauchen die Schornsteine des Sanctuary auf. Sie tritt das Gaspedal bis zum Anschlag runter und der Wagen zieht nach vorne. Bitte, bitte...
Er lacht. "Das ist, glaube ich, das Netteste, was je jemand zu mir gesagt hat.", stellt er fest. Er lallt jetzt extrem und ist kaum noch zu verstehen.
"Aber wir wissen alle, dass ich kein Guter bin. Ich hatte Lucille nicht verdient. Und dich hab ich auch nicht verdient." Er dreht mühsam den Kopf zu ihr und sieht sie an. Sie sieht die Wärme in seinen Augen. Plötzlich steigen Tränen in ihr auf. Nein, gottverdammt, nein!
"Es ist schön...noch einmal...geliebt worden zu sein. Man denkt immer, man braucht das nicht. Dass es ohne leichter ist. Aber verdammt..."
Verabschiedet er sich etwa gerade? Wie kann er es wagen? Eden schüttelt verbissen den Kopf.
"Du wirst nicht sterben, Negan!", knurrt sie. Es klingt wie ein Befehl. Er seufzt und atmet rasselnd ein.
"Is' okay...", murmelt er, "Wir hatten noch mal Sex- und was für welchen! Und das letzte was man sehen sollte, sollte etwas so Schönes sein, wie dich... Fehlt nur noch Musik. The Final Countdown würde doch passen, oder?"
Ein Lächeln umspielt seine Lippen und seine Augenlider beginnen zu flattern...
Der Jeep rauscht im vollen Tempo auf das Gelände des Sanctuary und kommt quietschend kurz vor der Eingangstür zum Stehen. Sofort reißt Eden die Tür auf und springt aus dem Wagen. Zwei Saviors kommen mit gezogenen Waffen auf sie zugerannt.
"Holt Simon und Carson! Und bringt eine Trage mit!", brüllt Eden ihnen zu. Die Saviors wechseln einen Blick. Sie scheinen anzuzweifeln, ob sie sich von ihr etwas sagen lassen müssen. "Sofort!", bellt sie und läuft um den Wagen herum.
Erleichtert stellt sie fest, dass die Saviors sich in Bewegung setzen. Sie zieht die Beifahrertür auf und nimmt Negans Gesicht in die Hände.
"Wir sind da.", flüstert sie hektisch, "Gleich kommt Hilfe. Bleib wach! Bleib bei mir."
Sie streicht ihm immer wieder über die Wange. Seine Augenlider flattern erneut.
"Eden...", flüstert er.
Sie hört Schritte. Carson. Simon. Drei weitere Saviors, die eine Trage schleppen.
"Schnell!", brüllt sie.
"Was ist passiert?", fragt Simon.
"Bauchschuss?", stellt Carson mit einem Blick auf Negan fest. Eden nickt nur. Er übernimmt jetzt das Kommando. Sie sieht zu, wie die Saviors Negan auf die Trage hieven. Läuft neben ihnen her zur Krankenstation. Ihr Körper funktioniert nur noch, in ihrem Kopf läuft ein und dasselbe Gebet in Dauerschleife. Lass ihn nicht sterben, lass ihn leben, lass ihn nicht sterben...
"Du musst mir assistieren.", sagt Carson an sie gewandt, als sie an seinem Behandlungszimmer ankommen. Sie nickt erneut.
"Simon.", sagt Negan plötzlich, Simon tritt sofort an die Trage, "Du übernimmst. Du und Eden." Simon sieht erstaunt auf, sein Blick huscht zu ihr. Stirnrunzeln.
"Ja, Sir!", sagt er schließlich. Negan seufzt und seine Augen fallen zu.
Eden wird von jemanden in das Behandlungszimmer geschoben. Jetzt gibt es nur noch Carson, sie und den Patienten.
Negan liegt bewusslos auf der Pritsche und Carson öffnet sein Hemd. Die Wunde sieht total unscheinbar aus, nur das stetige Rinnsal Blut deutet darauf hin, dass es hier um Leben und Tod geht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit zieht Carson die Kugel aus Negans Körper und beginnt die verletzten Organe zu flicken.
Es ist, als würde sie sich selbst beobachten. Schweigend führt sie alle Befehle, die Carson leise von sich gibt, aus.
In ihrem ersten Collegesemester hatte sie mal ein bisschen mit Pilzen und LSD experimentiert. Einmal hatte sie dadurch einen echten Horrortrip, der beinahe damit geendet hätte, dass sie überfahren worden wäre. Sie war einfach auf die Straße gelaufen, hatte in die Scheinwerfer geblickt und abgewartet. Ein Freund hatte sie im letzten Moment von der Straße gezerrt.
Genauso fühlt sich das gerade an, nur sind die Farben nicht so grell, die Geräusche nicht so intensiv. Eigentlich wirkt alles eher abgedämpft. Aber sie hat genau wie damals das Gefühl, zu ersticken. Als würden die Wände auf sie zu kommen und drohen, sie zu zerquetschen. Als wäre sie in einem Vakuum. Als wäre die Zeit stehen geblieben.
Es hört einfach nicht auf. Sie ist in einem nicht enden wollenden Horrortrip gefangen.
Plötzlich steht Carson neben ihr. Um Negans Bauch ist ein dicker Verband gewickelt, eine Infusion tropft stetig in seinen Arm.
"Das war's.", sagt Carson, er klingt zufrieden, "Mehr können wir nicht tun." Er zögert kurz. "Du hast das gut gemacht."
Eden blinzelt und schluckt. Ihr Hirn ist zu benebelt, um sich über Carsons Lob zu freuen. Ist noch Nacht oder schon Tag?
"Wird er...Wird er es schaffen?", fragt sie tonlos.
"Das kann man bei solchen Verletzungen immer schwer sagen.", entgegnet er ehrlich, "Im Moment sieht es gut aus. Eigentlich bräuchten wir Blut. Haben wir aber nicht. Wir werden sehen."
Er legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.
"Du solltest dich jetzt ein wenig hinlegen."
Eden reißt den Kopf in die Höhe. Ihn allein lassen? Niemals! Stoisch schüttelt sie den Kopf.
"Ich bleibe bei ihm."
Carson seufzt.
"Ich finde es wirklich schön, dass er dir mittlerweile so viel bedeutet. Aber du musst auch an dich denken. Und du kannst im Moment nichts für ihn tun."
Erneut schüttelt sie bockig den Kopf.
"Nein.", zischt sie.
Er mustert sie kurz mit unbeweglicher Miene.
"Dann mach dich wenigstens sauber. Der ganze Dreck ist Gift für einen Verletzten."
Eden sieht an sich hinunter. Sie ist mal wieder voller Blut und Dreck. Eigentlich ist es verschwendete Lebensmüh, sich zu waschen, es endet ja doch damit, dass sie wieder aussieht als hätte sie sich in einem Loch mit blutigem Schlamm gewälzt. Sie seufzt ergeben, wirft noch einen Blick auf den bewusstlosen Negan und verlässt dann gehorsam das Behandlungszimmer.
Wie immer sind die Eimer in Negans Bad mit lauwarmen Wasser gefüllt. Eden zieht sich aus und stellt sich dann in die nicht funktionierende Dusche. Aus dem Hahn käme nur braune Brühe. Leider. Was gäbe sie jetzt für eine heiße Dusche!
Sie hebt einen Eimer über ihren Kopf und kippt ihn über sich aus. Sofort ist ihr eiskalt, ihre Glieder beginnen zu zittern. Rostbraune Rinnsale fließen ihre Beine hinunter auf den gefliesten Boden, bis sie dann im Abfluss verschwinden. Ihr Blick wird davon gefesselt.
Das ist sie also jetzt. Eine mordende, eiskalte Schlampe.
Sie packt ein Stück Seife und schrubbt wie besessen jeden Zentimeter ihres Körpers, bis ihre Haut ganz rot ist und brennt.
Als es nichts mehr zu schrubben gibt, steht sie da, Wasser tropft auf den Boden. Tropf. Tropf. Tropf.
Er darf nicht sterben. Schon gar nicht wegen ihr. Wie konnte sie nur so blöd sein? Warum hat sie die Wölfe nicht einfach den Saviors überlassen? Warum ist sie dieser Person hinterher gerannt? Wieso? Tropf. Tropf.
Wenn er stirbt, dann ist das ihre Schuld. Sie erträgt diesen Gedanken nicht.
Ihr Blick fällt auf ihr Spiegelbild. Ihre Augen sind gerötet und dunkel umrandet. Ihre Haare kleben nass an ihrem Kopf. Sie erträgt ihren eigenen Anblick nicht.
Ihre Faust kracht in den Spiegel, Risse bilden sich. Jetzt wird ihr Spiegelbild verzerrt und hässlich. Jetzt stimmt es wieder mit dem über ein, wie es in ihrem Inneren aussieht.
Als sie ins Behandlungszimmer zurückkehrt, ist Negan verschwunden. Die Pritsche ist leer. Panisch sieht sie sich um. Wo ist er? Wo? Ist er tot? Haben Sie ihn schon weggebracht? Verdammt, wo...?
Carson steht plötzlich hinter ihr, sie hätte ihm beinahe eine runter gehauen. Sie packt ihn stattdessen an seinem Kittel und schüttelt ihn.
"Wo ist er?", schreit sie hysterisch, "Wo habt ihr ihn..."
Carson schiebt sie sanft von sich weg und löst ihren Griff von seinem Kittel.
"Beruhig dich, Eden. Ich hab ihn in sein Zimmer verlegt. Es ist besser, wenn ihn möglichst wenige so sehen...", entgegnet er gelassen, "Trink das." Er reicht ihr ein Glas, in dem bestimmt nicht nur Wasser ist. Misstrauisch beäugt sie das Gesöff. Ist da ein Schlafmittel drin? Will er sie dazu zwingen, zu schlafen?
"Ein schwaches Beruhigungsmittel.", erklärt Carson, der ihre Miene richtig gedeutet hat, "Du wirst davon nicht einschlafen, aber es hilft ein wenig gegen die innere Unruhe."
Sie beschließt, ihm einfach zu vertrauen. Sie kippt das Glas in einem Zug und ist im nächsten Moment schon durch die Tür.
Er sieht so friedlich aus. Wären da nicht diese extreme Blässe und die dunklen Schatten, würde man denken, dass er einfach nur schläft. Sein Atem geht flach, aber gleichmäßig. Eden schlüpft neben ihm unter die Decke und streicht ihm über die Wange.
"Du wirst nicht sterben, hörst du?", flüstert sie. Sie hat das Gefühl, dass sie das eher zu sich selbst sagt.
Sie beugt sich über ihn und küsst ihn vorsichtig. Sie blinzelt die Tränen weg, die ihr in die Augen schießen. Dann kuschelt sie sich an ihn und horcht auf seine Atemzüge.
"Ich liebe dich.", flüstert sie, "Und ich brauche dich. Geh nicht. Oh bitte, lass mich nicht allein."
Ein kleiner Einblick in Negans Vergangenheit 🙂. Ich hoffe, es gefällt euch.
Kuss, Katha
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