Kapitel 31: Macht und Machtlosigkeit
Mitten in der Nacht schreckt sie hoch. Wieder ist sie von Entsetzen erfüllt, wieder sind ihre Wangen tränennass. Orientierungslos sieht sie sich um.
Ein Arm legt sich plötzlich um sie, zieht sie an einen warmen, gleichmäßig atmenden Körper. "Ich bin da.", murmelt er, "Alles ist gut."
Ihr Zittern verschwindet, ihre Angst legt sich. Sie ist nicht allein. Sie wird sich rächen. Sie werden alle bald tot sein. So etwas wird ihr nie wieder passieren. Sie wird nie wieder so hilflos, so verloren sein.
Wenige Minuten später ist sie wieder eingeschlafen.
Sie ist bereits seit vier Tagen wieder im Sanctuary und hat seitdem Negans Räume, abgesehen von ihrem kleinen nächtlichen Ausflug, nicht verlassen. Nachdem Negan ihr gesagt hat, dass Dylan ihn mit Informationen über sie versorgt hat, ist sie unsicher, ob sie ihn überhaupt sehen will. Andererseits vermisst sie Reena und ihn... und ob es die Wahrheit war, ist ja auch nicht klar.
Schließlich fasst sie sich ein Herz und macht sich auf den Weg zu den Aufenthaltsräumen der Saviors. Sie trägt alle ihre Waffen- darauf hat Negan bestanden- außer den Baseballschläger. Den hebt sie sich für ihre ganz besonderen Freunde auf.
Auf ihrem Weg zu den Saviors begegnet sie Carson. Er nickt ihr ernst zu.
"Freut mich, dass es dir besser geht.", sagt er im typisch ärztlichen Tonfall. Eden nickt ebenfalls. Sie fühlt sich wirklich deutlich besser.
"Wenn du möchtest...", fährt er fort, "...können wir morgen mal eine Ultraschalluntersuchung machen. Einer der Saviors hat vor Kurzem ein Gerät aufgetrieben."
Eden runzelt kurz verwirrt die Stirn. Ach ja. Das Baby. Sie nickt erneut. Carson scheint heute seinen gesprächigen Tag zu haben, denn er ist immer noch nicht fertig.
"Du kannst ja Negan fragen, ob er dabei sein will. Der erste Ultraschall ist für viele werdende Eltern..."
Eden lacht laut auf. "Doktor! Jetzt reicht's aber. Glauben Sie wirklich, dass Negan für so etwas Zeit hat? Dass er mir das Gel auf den Bauch schmiert? Also wirklich!" Sie schüttelt noch immer lachend den Kopf. Carson zuckt mit den Schultern.
"Noch eine Sache... Ich hätte dich gerne wieder als meine Assistententin. Es gibt im Moment viel zu tun." Er sieht sie erwartungsvoll an. Eden überlegt einen Moment. Abgesehen von ihrem Vorhaben, alle Wölfe zur Strecke zu bringen, hat sie keinerlei Verpflichtungen. Sie nickt wieder.
"Sehr gut.", meint Carson und klingt dabei schon fast fröhlich, "Dann bis morgen."
"Bis morgen." Eden sieht ihm hinterher. Seltsam. Carson hat also doch so etwas wie Gefühle.
Lärm und laute Musik dringen aus dem Aufenthaltsraum der Saviors nach draußen. Jemand brüllt etwas. Wie die Hunde, denkt Eden und stößt schwungvoll die Tür auf.
Zigarettenrauch steht dick im Raum, der süßliche Geruch von Gras liegt in der stickigen Luft. Einige sehen betrunken aus, obwohl es erst früher Nachmittag ist. Andere haben scheinbar noch härtere Drogen als Gras, Alkohol oder Zigaretten eingeworfen. Sie hat mal gehört, dass es einige Meth-Süchtige unter den Saviors gibt.
Als sie den Raum betritt, verstummt ein Großteil der lautstarken Gespräche. Sie wird misstrauisch beäugt. In einigen Blicken liegt offensichtliche Ablehnung, Feindseligkeit, Hohn. In manchen aber auch Respekt. Nur weiß sie nicht, ob dieser ihr gilt oder Negan. Wohl eher letzteres.
"Na, du hast Nerven!", sagt eine Stimme rechts neben ihr, wo ein Tischkicker steht. Es ist einer der Vergewaltiger. Der, den sie mit Lucille kastriert hat. Sie blickt ihn mit erhobenen Kinn an und verschränkt die Arme vor der Brust. Pure Verachtung liegt in ihrem Blick. Dann lächelt sie zynisch.
"Wie geht's deinem Gürkchen?", fragt sie. Der Typ, sie hat seinen unbedeutenden Namen vergessen, wird knallrot im Gesicht. Er krallt sich an dem Tischkicker fest, als wolle er ihn zerquetschen.
"Du...", zischt er leise.
"Kriegst du's noch hoch? Oder ist es...", fährt sie unbeirrt fort und lässt ihren Finger in einer unmissverständlichen Geste sinken. Der Typ stürmt auf sie zu wie eine Dampfwalze. Ein paar Saviors rufen etwas, aber keiner hält ihn auf. Seine Hände greifen nach ihr. Sie taucht unter ihnen hindurch und steht plötzlich hinter ihm. Als sie ihm das Messer an die Kehle legt, erstarrt er.
"Hör jetzt mal gut zu...", zischt sie in sein Ohr, "Ich hab was gegen Vergewaltiger. Ich finde nicht, dass sie das Recht haben, zu leben. Es ist dein Glück, dass ihr damals noch nicht dazu gekommen seid, euch an der Kleinen zu vergehen. Denn sonst...", sie drückt das Messer leicht an seine Kehle, sodass ein Blutstropfen hervor quillt, "...hätte ich kurzen Prozess mit dir gemacht. Du kannst froh sein, dass dir jetzt nur deine Eier fehlen."
Sie stößt ihn angewidert von sich.
Erschrocken greift er sich an den Hals und glotzt auf das Blut an seinen Fingern. Sein Blick ist voller Hass, als er den Kopf hebt und sie wieder ansieht. Eden steht vor ihm, ihr Lächeln ist breit und lieblich.
"Möchtest du mir noch etwas sagen?", fragt sie provokant. Der Typ schnaubt, dreht sich dann um und marschiert lautstark aus dem Raum.
Eden lässt ihren Blick schweifen. Jetzt sieht sie Respekt und Achtung in den meisten Gesichtern. Und diesmal gilt dies tatsächlich ihr. Einer applaudiert sogar. Sie macht einen halbherzigen Knicks in seine Richtung.
"Wo sind Reena und Dylan?", fragt sie. Ihre Stimme ist fest, laut und gebieterisch, was ihre Frage eher wie einen Befehl klingen lässt.
"Sie haben heute Dienst an der Essensausgabe.", antwortet der Typ, der geklatscht hat. Sie hat ihn noch nie zuvor gesehen, vielleicht ist er neu.
Statt einem Danke, nickt sie ihm kurz zu und dreht sich auf dem Absatz um.
"Ich begleite dich.", beschließt er, ohne zu fragen, ob sie das überhaupt will, und hält ihr die Tür auf.
"Wer bist du?", fragt er. Eden mustert in kurz. Er sieht gut aus. Hellblaue Augen, längere, dunkelblonde Haare, die er im Nacken zusammengebunden hat. Genau ihr Beuteschema. Wäre sie ihm vor der Apokalypse begegnet, wäre sie dahingeschmolzen.
"Wer bist du, dass du solche Fragen stellst?", fragt sie kühl zurück. Er lacht.
"Liam. Ich bin seit zwei Wochen hier- und dich hab ich noch nie gesehen."
Liam. Wie ihre erste große Liebe. Na, wenn das kein Zufall ist. Jetzt muss sie auch grinsen.
"So hieß meine erste große Liebe.", sagt sie und hätte sich im nächsten Moment am liebsten die Zunge abgebissen. Will sie hier etwa flirten? Ganz bestimmt nicht. Sie kennt diesen Typen ja nicht einmal.
"Aber er war ein Arschloch.", fügt sie daher noch schnell hinzu.
Liam lacht erneut. Es ist angenehm hell.
"Also, nachdem wir das geklärt haben- wer bist du? Und warum hab ich dich noch nie hier gesehen?", fragt er erneut.
"Ich war eine Weile...unterwegs. Bin erst seit vier Tagen zurück und musste mich erstmal ein wenig...ausruhen.", entgegnet sie knapp.
"Also bist du eine Savior?"
"Nein. Sehe ich etwa aus, wie eine von denen?" Irgendwie macht ihr die Geheimnistuerei Spaß. Soll er sich ruhig ein wenig den Kopf zerbrechen.
"Hä?", macht er, "Eine Nummer bist du aber definitiv auch nicht!"
Sie grinst geheimnisvoll. "Da hast du recht."
Seine Miene ist ein einziges, großes Fragezeichen.
"Aber wenn du weder eine Nummer, noch eine Savior bist...was bist du dann?"
"Ein Mensch, nehme ich mal an.", gibt sie lachend zurück.
Er gibt die Hoffnung auf, dass sie es ihm einfach so verrät und wechselt das Thema.
"Warum war dieser Liam, den du mal kanntest, ein Arsch?"
"Er fand meine Band scheiße."
"Du hattest ne Band? Ich auch! Welche Instrumente? Oder Gesang?"
"Gesang und Leadgitarre.", entgegnet Eden.
"Ha!", ruft Liam, "Dann haben wir wieder was gemeinsam. Was spielst du noch?"
Er ist ein Musiker. Dass er attraktiv ist, tritt jetzt vollkommen in den Hintergrund, jetzt zählt nur noch die Musik. Eden hätte vor lauter Freude beinahe einen Hüpfer gemacht. Künstler sind in der heutigen Welt zu einer seltenen Spezies geworden. Und gerade an diesem tristen Ort, tut es gut, auf solche Leute wie Liam zu treffen. Sie malt sich vor ihrem geistigen Auge schon aus, wie sie gemeinsam Musik machen. Vielleicht hat er ja eine Gitarre dabei...
"Klavier, Gitarre.", zählt sie auf, "Bassgitarre. Ein bisschen Geige. Und in Irland habe ich gelernt, Bouzouki zu spielen. Das ist eine Cister..."
"Weiß ich.", unterbricht er sie, "Ich hab auch irische Wurzeln."
Himmel! Sie ist gerade ihrem lang verschollenen Zwillingsbruder begegnet. Bevor sie jedoch etwas sagen kann, hört sie einen schrillen Schrei.
"Eden!"
Im nächsten Moment stürmt Dylan auf sie zu, reißt sie in die Höhe und wirbelt sie im Kreis herum.
Als er sie wieder auf die Füße stellt, ist ihr ganz schwindelig. Mein lieber Scholli- Dylan ist kaum wieder zu erkennen. Er scheint fleißig zu trainieren, denn seine Arme sind mittlerweile richtige Muskelpakete. Die Haare hat er sich auf wenige Millimeter abrasiert. Er sieht jetzt wirklich nicht mehr wie ein flapsiger Hundwelpe aus, man könnte ihn stattdessen für einen Soldaten halten. Durch sein Geschrei ist auch Reena angelockt worden. Sie sieht zum Glück aus, wie eh und je und fällt Eden überschwänglich um den Hals.
"Eden also.", sagt Liam lächelnd. Eden zwinkert ihm zu.
"Wo bist du gewesen?", bestürmen Reena und Dylan sie. Es folgen noch eine Menge weiterer Fragen, bis Eden lachend die Hände hochreißt.
"Darf ich auch antworten?", fragt sie. Dann überlegt sie kurz. Was wissen sie? Wissen Sie, dass sie Claudia und Co umgebracht hat? Wissen sie, dass die Wölfe sie hatten?
"Negan hat mich losgeschickt.", sagt sie schließlich und lässt dabei bewusst zu, dass man diese Aussage verschieden verstehen kann, "Ich bin schon seit ein paar Tagen zurück, brauchte aber erstmal ein wenig Ruhe."
Dylan und Reena haken nicht weiter nach. Wenn man den Namen Negan nennt, gehen die meisten davon aus, dass es sie sowieso nichts angeht.
"Dann hast du gar nicht mitbekommen, was dieser Verräter Dwight getan hat?", fragt Dylan. Eden runzelt die Stirn. Warum nennt Dylan Dwight einen Verräter? Er deutet ihre Mimik als ein 'Nein'.
"Er hat Medikamente gestohlen und ist mit Sherry und Tina abgehauen. Die drei haben Claudia, Amy und Ched bei ihrer Flucht umgebracht."
Jetzt klappt Eden der Mund auf. Nicht nur, weil es Negan augenscheinlich gelungen ist, ihre Morde Dwight in die Schuhe zu schieben, sondern auch, weil Dylan dermaßen hasserfüllt klingt. Was ist mit ihm los?
Sie überlegt erneut, was sie darauf sagen soll.
"Äh...naja, Tina ging es nicht gut...", beginnt sie. Dylan fällt ihr sofort ins Wort, er sieht jetzt richtig wütend aus.
"Das ist Verrat! Negan reißt sich den Arsch auf, damit wir es hier sicher und trocken haben. Und zum Dank beklauen sie ihn. Und töten gute Leute! Dafür müsste man sie..."
Eden starrt Dylan entsetzt an. Wurde er einer Gehirnwäsche unterzogen? Reena scheint Dylans plötzliche glühende Verehrung für Negan auch nicht ganz geheuer zu sein. Sie wirft Eden einen entschuldigenden Blick zu.
"Krieg dich ein, Dylan.", ermahnt sie ihn. Dylan schüttelt den Kopf.
"Wir alle sind Negan! Wenn jemand Negan verrät, verrät er auch uns. Wann begreifst du das, Reena?"
Peinliche Stille breitet sich zwischen ihnen aus. Dylan hat sich nicht nur äußerlich verändert. Und um ehrlich zu sein, macht ihr sein neues Ich Angst. Sie steht ja mittlerweile auch hinter Negan, aber solche Dinge würde sie niemals sagen. Reena sieht ebenfalls wenig begeistert aus. Und Liam ist einfach nur verwirrt.
"Du bist ganz schön dünn geworden." Reena spricht den ersten Gedanken aus, der ihr in den Sinn kommt, um das Thema zu wechseln.
"Da draußen gab's nicht so viel zu beißen. Schließlich gibt es da keinen Negan, der wie ein Bienchen für volle Tellerchen sorgt.", sagt sie und ihre Worte triefen vor Ironie. Dylan scheint das nicht aufzufallen, denn er nickt eifrig. Dann grinst er frech.
"Und Reena, schau dir mal ihren Bauch an!", er klatscht im Spaß auf ihre kleine Kugel, "Da scheint jemand ordentlich was nachzuholen."
Eden zuckt bei seiner Berührung zurück. Seine Naivität ist wirklich der Wahnsinn. Reena runzelt dagegen kurz die Stirn. Sie ahnt etwas, sagt aber nichts.
Nach einer Weile reicht es Eden und sie verabschiedet sich von Dylan und Reena. Sie ist enttäuscht. Enttäuscht, dass der fröhliche und gutherzige Dylan so geworden ist. Sie hatte sich so gefreut, die beiden endlich wieder zu sehen und dann das. Um zu hören, wie toll Negan ist, muss sie sich nur mit ihm selbst unterhalten. Ihre Lästereien wird es nie mehr geben- es sei denn, Dylan kommt wieder zur Besinnung.
Sie ist so in ihre Gedanken vertieft, dass sie gar nicht merkt, dass Liam sie begleitet. Erst als er etwas sagt, blickt sie verwirrt auf.
"Hm?", fragt sie.
"Hast du was dagegen, wenn ich dich zu deinem Zimmer bringe? Man trifft hier nicht jeden Tag jemanden, der Ahnung von Musik hat."
Eigentlich will sie jetzt lieber ihre Ruhe haben...Aber er hat recht.
Die Euphorie von vorhin kommt langsam wieder zurück.
Sie schwatzen den ganzen Weg bis zu Negans Zimmer über das Schönste der Welt: Musik. Liam und sie haben wirklich viel gemeinsam. Sie kann nicht anders, sie muss ihn einfach ins Herz schließen.
"Wir sollten mal gemeinsam spielen!", sagt er schließlich.
"Oh ja.", ruft Eden und bleibt vor Negans Zimmer stehen, "Da wären wir."
Liam sieht zur Tür und schüttelt dann grinsend den Kopf.
"Du verarscht mich. Soweit ich weiß, ist das Negans Zimmer."
Sie lächelt zurück.
"Nein. Sein Zimmer ist auch mein Zimmer. Ich bin seine Frau."
Das Lächeln auf Liams Gesicht friert ein. Ungläubig reißt er die Augen auf.
"Ach, komm schon, Eden. Lass den Mist. Niemand bekommt seine Frauen zu Gesicht. Sie sitzen den ganzen Tag in irgendnem Zimmer und..."
"...haben heiße Unterwäsche an.", vervollständigt sie seinen Satz, "Ja. Aber das ist nichts für mich. Liam, ich sag dir wirklich die Wahrheit."
Er schüttelt erneut den Kopf. "Negan...", beginnt er. Im nächsten Moment hallt ein Pfeifen durch den Flur. Und Besagter kommt auf sie zu geschlendert. Er sieht zersaust aus, seine Klamotten wirken, als hätte er sie eilig übergezogen. Er war wohl gerade bei Tyra, Nancy oder Carla und hatte seinen Spaß.
Bei diesem Gedanken spürt sie einen kurzen Stich in der Brust. Verdammt! Macht ihr das jetzt ernsthaft etwas aus? Scheinbar schon.
Negan kommt vor ihnen zum Stehen und pfeift seelenruhig den letzten Ton. Sein Blick bohrt sich in Liam, der vor ihm auf die Knie gesunken ist. Oh man, dieses Alphamännchengehabe geht ihr dermaßen auf den Geist.
"Negan. Kannst du diesem jungen Mann bitte bestätigen, dass ich deine Frau bin? Er glaubt mir nämlich nicht.", begrüßt Eden ihn. Sie wirft einen belustigten Blick zu Liam, der noch immer kniet.
Negan winkt mit den Fingern und bedeutet damit, dass Liam aufstehen soll. Schweigend mustert er ihn, seine Gesichtszüge sind hart. Was macht er da? Was wird das, wenn's fertig ist? Wird er gleich seinen Schwanz rausholen? Oder irgendeinen männlichen Tanz aufführen?
Und dann tut er etwas vollkommen Unerwartetes: Er lässt seine Faust in Liams Gesicht krachen.
Aus Edens Mund entweicht ein Schrei, dann schlägt sie entsetzt die Hände vor den Mund. "Liam!", kreischt sie und will zu ihm laufen, aber Negan packt ihren Arm und hält sie zurück. Liam rappelt sich auf, seine Lippe ist aufgeplatzt und blutet, aber ansonsten scheint er okay zu sein. Eden zappelt kurz in Negans unerbittlichem Griff, gibt dann aber auf, als sie merkt, dass das sinnlos ist.
Negan hat noch immer nichts gesagt, er steht da, seine Hand um ihrem Arm, und starrt auf Liam herab. Ein bösartiges Lächeln zieht über sein Gesicht.
"Ja, Eden ist meine Frau.", sagt er dann und seine Stimme erinnert an ein Gewitter, "Und ich schwöre dir- wenn du ihr noch ein Mal zu nahe kommst, bring ich dich um!"
Liam ist kreidebleich geworden. Seine Hand liegt auf seiner aufgeplatzten Lippe und seine Augen sind geweiteten. Er sieht wirklich jämmerlich aus.
"Hast du das verstanden?", donnert Negan. Liam nickt eilig. Negan springt nach vorne wie eine Raubkatze, er packt Liams Kinn und reißt seinen Kopf hoch. Liam stöhnt vor Schmerz auf.
"Rede, wenn ich mit dir rede!", brüllt er ihn an.
"Ja.", ruft Liam, "Ich habe verstanden."
"Gut.", knurrt Negan, "Merk dir das gut." Dann erhebt er sich ruckartig, packt Eden erneut am Arm und zerrt sie hinter sich her. Eden wirft Liam noch einen entschuldigenden Blick zu, dann knallt die Tür hinter ihr ins Schloss.
Sie beginnen gleichzeitig damit, sich anzubrüllen.
"Was sollte das?", brüllt sie.
"Was hattest du mit diesem Typen?", brüllt er.
Sie funkeln sich für einen Moment an. Dann seufzt Eden und verschränkt die Arme vor der Brust.
"Du hast diesem Kerl ernsthaft eine runter gehauen, weil er sich mit mir unterhalten hat?", zischt sie, "Sag mal, tickst du noch richtig?"
Die letzte Frage kann sie sich eigentlich gleich selbst beantworten. Wenn in diesem Mann etwas tickt, dann eine Zeitbombe.
Das Lächeln, welches jetzt über sein Gesicht zieht, kennt sie noch nicht. Es ist abgrundtief bösartig.
"Hast du das mutwillig gemacht?", fragt er leise, "Damit ich es sehe?"
"Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst.", giftet sie.
"Willst du mich eifersüchtig machen? Hast du dir deswegen einen ausgesucht, der gut zehn Jahre jünger ist als ich? Herzlichen Glückwunsch- ist dir gelungen!"
Jetzt klappt ihr Mund auf.
"Ist das dein Ernst? Kriegst du jetzt Komplexe wegen deines Alters? Negan, mach dich nicht lächerlich!", sagt sie atemlos, "Und du bist eifersüchtig?" Sie kann es nicht fassen.
"Ich frage mich nur...", sagt er lauernd, "Ob du ihn schon gebumst hast oder ob du das noch tun wolltest."
Jetzt reicht's! Sie holt aus und schlägt ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Am liebsten würde sie gar nicht mehr damit aufhören. Er hat das nicht kommen sehen und wird dadurch hart getroffen. Er blinzelt verwirrt.
"Wie kannst du es wagen!", brüllt sie, "Du! Der gerade vom Ficken kommt. Du! Der ständig andere Frauen vögelt und man kann nicht mal etwas dagegen sagen, denn 'so bist du nun mal'!
Ich bin nicht wie du! Wenn ich 'Ich liebe dich' sage, dann meine ich es auch so! Dann werde ich bestimmt nicht zwei Tage später einen anderen ficken! Und was glaubst du eigentlich, wie ich drauf bin? Glaubst du, ich kann, nachdem ich tagelang vergewaltigt wurde, nicht genug von Sex kriegen? Glaubst du das? Hm? Dass ich scharf darauf bin, für den Nächstbesten die Beine breit zu machen?"
Sie steht vor ihm, hat die Hände zu Fäusten geballt und starrt ihn wütend an. So ein aufgeblasener Gockel. Er ist tatsächlich eifersüchtig. Er hat sie mit Liam gesehen, hat gesehen, dass er sie zum Lachen bringt. Und so etwas verträgt sein Ego nicht. Es ist einfach unglaublich. Ein Mann hat vier Frauen und bekommt Panik, wenn eine sich mit einem anderen Mann unterhält.
"Du gehörst mir!", knurrt er.
"Einen Scheiß gehör ich dir!", zischt sie. Er kommt mit langen Schritten auf sie zu und zieht sie an sich.
"Und ob! Und wie du mir gehörst!"
"Vergiss es! Ich gehör nur mir selbst!"
Er grinst jetzt, schüttelt langsam den Kopf, steht ganz nah vor ihr und schaut auf sie herab. Verdammt, warum klopft ihr Herz schon wieder wie verrückt? Warum hat er so eine verdammt starke Wirkung auf sie? Zitternd zieht sie die Luft ein.
Er legt eine Finger unter ihr Kinn und hebt damit ihren Kopf an, sodass sie ihm in die Augen sehen muss. Das Grinsen ist verschwunden. Auf seinen Zügen liegen Schatten, die Fältchen um seinen Lippen sind tief, als hätte sie jemand in harten Stein gemeißelt. Da ist etwas Unerbittliches in seinem Blick und es macht ihr Angst. Die Stimmung ist augenblicklich umgeschlagen. Plötzlich ist ihr Streit zu bitterem Ernst geworden. Plötzlich steht da wirklich etwas zwischen ihnen, nur weiß sie nicht, was genau es ist.
Seine Hände wandern jetzt zu den Knöpfen ihrer Bluse, langsam öffnet er Knopf für Knopf. Es ist ein mechanischer Vorgang, Als würde er gerade lustlos seine Puppe ausziehen.
"Es ist nicht die Tatsache, dass du mit ihm geredet hast. Im Grunde hätte ich nicht einmal etwas dagegen, wenn du einen anderen fickst.", sagt er, seine Stimme ist sanft und doch kalt. Er hat alle Knöpfe geöffnet und streift ihr die Bluse von den Schultern. Sie landet achtlos auf dem Boden, genauso wie das T-Shirt, welches sie darunter trägt, und ihr BH wenige Minuten später.
"Es ist die Tatsache, wie du ihn angesehen hast. Dass du ihn angelächelt hast. Dass du die Zeit mit ihm genossen hast. Dass du Angst davor hattest, dass ich ihn verletze...oder töte.", fährt er im selben eisigen Tonfall fort, "Es gibt Dinge, die du tun kannst, mit wem auch immer du willst- bedeutungslosen Sex eingeschlossen ...und es gibt Dinge, die nur mir vorbehalten sind. Die nur mir vorbehalten sein müssen."
Sie sieht zu ihm auf und es beschleicht sie das Gefühl, dass sie ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Sie fühlt sich wie ein Hund, der nicht genau weiß, was er ausgefressen hat, aber geduldig auf seine Prügel wartet. Und sie versteht nicht, warum sie sich nicht wehrt, warum sie es zulässt. Warum sie hier halbnackt vor ihm steht und seine Machtdemonstration und Demütigung über sich ergehen lässt.
"Ich bin auf der anderen Seite bereit, dieselben Dinge nur dir vorzubehalten. Aber...", seine Stimme wird noch einen Zacken kälter, "Wenn du vergisst, wo dein Platz ist, wenn du denkst, dass du die Grenzen ohne Konsequenzen überschreiten kannst...dann hast du dich geirrt."
Er öffnet seinen Gürtel, dann den Reißverschluss seiner Hose.
Die Erkenntnis trifft sie wie ein Fausthieb. Sie starrt zu ihm hoch, ihre Lippen beginnen zu beben. Sie zuckt von ihm weg, was dazu führt, dass er seine Hände auf ihre Schultern legt und sie wieder zu sich zieht. Seine Berührung ist nicht einmal fest, trotzdem erstarrt sie unter seinem Griff, ist vollkommen bewegungsunfähig.
"Negan...", flüstert sie tonlos.
"Eden. Du weißt, was ich für dich empfinde. Und wenn es bei dir anders ist, wenn du es nicht erwidern kannst, dann ist das okay. Aber du musst dich entscheiden: Entweder wählst du mich oder nicht. Es gibt nichts dazwischen. Also...", er lässt seine Hose samt Boxershorts nach unten gleiten, "Wer bist du?"
Sie sieht in seine Augen, sucht dort nach einem Anzeichen dafür, dass er nur Spaß macht, oder, dass es ihm bereits leid tut. Aber da ist nichts. Er meint es ernst. Entweder sie verschreibt sich ihm mit Haut und Haaren oder...um ehrlich zu sein, weiß sie gar nicht, was die Alternative ist. Sie hat diese Entscheidung schon längst getroffen.
"Ich bin Negan.", antwortet sie. Er mustert sie kurz, nickt zufrieden und drückt sie dann sanft, aber bestimmt, nach unten.
Sie könnte in diesem Moment nicht sagen, ob er sie gerade dazu zwingt, ihm einen zu blasen, oder ob sie es freiwillig tut. Sie weiß nicht, ob sie sich ihm unterwirft, weil sie es will oder weil sie muss. Sie hat ihn mal wieder unterschätzt. Sie hat sich selbst mal wieder unterschätzt. Und sie hat vergessen, welche Konsequenzen das haben kann.
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