Kapitel 18: Die Verschwörung

Die Bäume über ihr klappern durch einen Windzug wie Gerippe in einem Horrorfilm. Als wollten sie sie erinnern, dass es noch lange nicht überstanden ist. Sie muss jetzt noch zurück. Am besten unbemerkt und schnell. Sie macht sich auf den Weg, erreicht den Stützpunkt. Wie es scheint, hat keiner den Schuss gehört, denn um den Stützpunkt schleichen nur Beißer. Da sind sie ja sehr aufmerksam. Wahrscheinlich könnte eine Armee bis vor die Tore des Sanctuary marschieren und diese Idioten würden es nicht bemerken. Zur Sicherheit sollte sie trotzdem einen kleinen Bogen um das Häuschen machen. Sie will gerade lossprinten, als die Tür aufgeht. Hat Negan sie angefunkt?  Oder gehen sie auf Patrouille?
Eden schwingt sich auf einen Baum und verschwindet zwischen den Ästen. Diese Baumsache ist wirklich der beste Einfall, den sie je hatte. Kein Mensch schaut nach oben. Alle denken immer, die Gefahr kommt von hinten.

Die Saviors, die aus dem Häuschen kommen, schlendern auf Edens Baum zu. Scheinbar gab es keinen Funkspruch, denn sie sehen sehr entspannt aus. Sehr gut.
"Dann machen wir es so?", fragt eine weibliche Stimme.
"Ich finde den Plan immer noch nicht so überzeugend. Wir brauchen noch mehr Leute. Was ist mit Davie?", sagt eine andere weibliche Stimme.
"Der ist ein Schisser! Hat immer nur ein großes Maul, aber da ist nichts dahinter. Und da Negan ihn zur Satellitenstation geschickt hat, nützt er uns eh nichts.", sagt ein Mann.
Eden kennt diese Drei. Claudia, Amy und Ched. Sein entstelltes Gesicht sieht im Halbdunkel noch grußliger aus. Was macht Claudia beim Stützpunkt? Sie ist eine von Negans Topleuten und macht solche minderwertigen Jobs nicht. Und welcher Plan? Sie lehnt sich ein Stück nach vorne, um besser hören zu können.
"Es wäre besser, wir würden ihn hier im Sanctuary umlegen. Hier rechnet er weniger damit, als wenn wir unterwegs sind.", gibt Claudia zu bedenken.
"Es gibt aber auch mehr, die dazwischen gehen könnten.", widerspricht Amy, "Wir bleiben jetzt dabei: Du planst es so ein, dass nur unsere Leute mit ihm im Truck sind. Dann stechen wir ihn ab und schieben es auf eine andere Gruppe. So haben wir auch keine Probleme mit seinen Fans."
"Dass dieser Wichser überhaupt Leute hat, die scharf drauf sind, ihm die Eier zu kraulen.", knurrt Ched hasserfüllt, "Und eins müsst ihr mir versprechen: Wenn wir es schaffen, wenn wir Negan wirklich killen können, dann will ich seine kleine Schlampe haben. Also nicht nur ich. Wilson und Marcus haben auch noch eine offene Rechnung mit diesem Drecksstück!"
"Ach, du meinst die, die Andrew abgeknallt hat? Die sollten wir vor seinen Augen abstechen, so scharf wie er auf die ist.", sagt Amy und ihre Stimme trieft vor Gehässigkeit.
"Er nimmt sie seit Oceanside nicht mehr mit. Ihr müsst sie wohl danach umlegen.", sagt Claudia.
"Ist mir eh lieber. Dann können wir es langsam angehen. Mir fällt so einiges ein, was ich gerne mit ihr machen würde." Ched klingt nicht so, als wären das nette Sachen. Amy lacht. Von Claudia kommen keine Widerworte.
"Ich wüsste zu gerne, wie er schaut, wenn man ihr vor seinen Augen die Kehle aufschlitzt. Ich würde den großen Negan vor seinem Tod gerne noch einmal leiden sehen.", meint Amy dann nachdenklich.
"Ist das jetzt so wichtig?", fragt Claudia dazwischen, "Letztendlich ist sie nur seine Hure, wie die anderen auch. Ist auch völlig egal- wir müssen uns jetzt erst einmal darauf konzentrieren, wie wir die Sache mit Negan durchziehen. Dann könnt ihr euch überlegen, was ihr mit seiner Nutte macht, klar?" Zustimmendes Gemurmel. Sie sind jetzt an Edens Baum vorbei und gehen auf die Autos zu.
"Du hast Recht. Aber sie ist nicht nur seine Nutte.", sagt Amy,  "Und wisst ihr, was ich gehört hab? Sie soll von ihm schwanger sein. Vielleicht können wir das im Notfall gegen ihn benutzen." Für einen Moment herrscht Stille, dann lacht Ched. Es ist ein kehliges, widerwärtiges Lachen.
"Das sind ja mal Neuigkeiten! Das Schwein und die Oberschlampe wollen eine kleine Familie gründen! Wie rührend." Die Frauen lachen.
"Oh. Ich krieg wirklich immer mehr Lust, sie vor ihm abzuschlachten. Ich würde ihr das Baby vor seinen Augen rausschneiden..."
"Ched!", ruft Claudia. Sie klingt ein wenig empört.
"Ach, komm schon Claud, ...."

Sie hört nicht mehr, was Ched zu seiner Verteidigung sagen wollte.
Im ersten Moment, als sie begriffen hat, dass sie Negan töten wollen, hat sie Genugtuung empfunden. Die dann aber bald verschwunden ist und Platz für Abscheu und Wut gemacht hat. Negan mag ein Arsch sein. Ein gewaltiger Arsch. Es wundert keinen, dass er, auch von seinen eigenen Leuten, gehasst wird. Und er hat es verdient, getötet zu werden. Aber nicht so. Auf keinen Fall so. Von diesen Ratten, die Schiss vor ihm haben und noch bestialischer sind als er. Die vor ihm kuschen und dann hinter seinem Rücken Pläne schmieden. Von Leuten wie Claudia, die hinter ihrer Maskerade der verantwortungsvollen, pflichtbewussten Ex-Polizistin, in Wahrheit hässliche, abtrünnige, hinterhältige Kakerlaken sind. Er hat verdient, von jemanden getötet zu werden, der ihm ebenbürtig ist, der ihm das Messer ins Herz stößt- nicht in den Rücken. Das sind ihm all diese Leute hier schuldig. Dass er als Anführer stirbt mit Lucille in seiner Hand.
Rot sieht Eden aber erst, als sie beginnen über sie zu sprechen. Die Sache mit Ched tut ihr immer noch ein wenig leid, aber letztendlich kann sie nichts dafür, dass er entstellt wurde. Und diese Vergewaltiger können froh sein, dass sie noch leben. Durch ihre Gewaltfantasien offenbaren sie letztendlich nur, dass sie noch schlimmer sind als Negan. Viel schlimmer. Wer droht, jemanden das Baby rauszuschneiden, um dem Vater eins auszuwischen...der ist widerwärtiger als jeder Negan der Welt. Und es ist auch dieser letzte Satz von Ched, der bei Eden eine Sicherung durchbrennen lässt.

Lautlos lässt sie sich hinter den Dreien auf den Boden fallen. Sie zieht ihr Messer und hechtet dann auch schon auf Claudia zu, all das in einer einzigen fließenden Bewegung. Claudia muss die erste sein. Sie ist am besten bewaffnet, ist die beste Schützin und auch die Klügste. Eden bekommt Claudias Schulter zu fassen und reißt sie herum. Claudia stößt einen erstaunten Laut aus, ihre Hand geht sofort zu ihrer Waffe. Routine. Doch dann zuckt ihre Hand zurück, greift an ihre Brust. Da, wo Edens Messer steckt. Überrascht, mit einem "Oh" auf den Lippen, starrt sie auf das Messer. Sie taumelt. Blut blubbert aus ihrem Mund. Bevor sie einknickt und zu Boden sinkt, reißt Eden ihr das Messer wieder aus der Brust. All das spielt sich innerhalb eines Augenblicks ab. Amy und Ched haben noch nicht einmal zu ihren Waffen gegriffen.

Letztendlich ist es wie Beißer töten. Nur das diese Kreaturen denkende und fühlende Wesen sind. Und genau das ist in diesem Moment ihr Problem. Die Beißer handeln nach ihrem Trieb. Sie kennen nur den Hunger. Wenn einer von ihnen niedergemäht wird, gehen sie einfach weiter, ohne sich auch nur umzusehen. Ched und Amy sind dagegen vollkommen erstarrt. Ihr vertändnisloser Blick liegt auf Claudia, die am Boden röchelt. Ihre Gehirne realisieren nicht, was da gerade passiert, wo Eden überhaupt herkommt und warum Claudia gerade stirbt. Und solange ihr Gehirn nichts begriffen hat, sind sie handlungsunfähig.
Amy ist als nächstes dran. Eden treibt ihr das Messer in den Hals, trifft ihre Halsschlagader. Ein Schwall Blut ergießt sich über sie beide, als sie das Messer wieder rauszieht. Amy greift sich an den Hals, ein Gurgeln dringt aus ihrer Kehle. Dann knickt auch sie ein. Ched. Er starrt sie an, die Augen weit aufgerissen. Seine Hände gehen nicht zu seiner Waffe, sondern in die Höhe. Wie irrational. Aus den Augenwinkeln registriert Eden, dass sich Scheinwerfer nähern. Verstärkung? Sie springt auf Ched zu, dessen Kopf ebenfalls in Richtung der Scheinwerfer zuckt.
"Die Oberschlampe killt dich jetzt, du mieses Stück Scheiße!", zischt sie und dann ist das Messer auch schon in seinem Hirn. Genau zwischen den Augen. Wie bei den Beißern. Denn mehr ist er nicht. Es scheint, als wolle er mit seinem Blick dem Messer folgen. Seine Augen drehen sich nach innen, dann nach oben. Dann fällt er um wie ein Brett.
Eden zieht ihr Messer wieder heraus. Sie merkt erst jetzt, wie ihr Herz in ihrer Brust trommelt. Wie schnell und stoßweise ihr Atem geht. Sie ist wie berauscht von ihrem Zorn. Erst jetzt lässt es langsam nach. Sie beginnt langsam wieder klar zu sehen. Hinter ihr schlägt eine Tür zu. Schritte kommen näher. Noch mehr Verschwörer? Gegen die kommt sie jetzt nicht an. Langsam dreht sie sich um, das Messer in der Hand...

...und blickt direkt in die Augen von Negan, der mit gezogener Waffe direkt vor ihr zum Stehen kommt.

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