Kapitel 14: Das Haus am See

Negan wartet in einem schwarzen Jeep auf sie. Als sie ankommt, bespricht er dich gerade noch mit Simon. Simons Blick fällt auf Eden, als sie unsicher an den Jeep tritt.
"Viel Spaß.", sagt er und nickt ihr zu.
"Hüpf rein!", ruft Negan fröhlich und klopft auf den Beifahrersitz, auf dem sein Baseballschläger steht. Mit spitzen Fingern befördert sie ihn auf den Rücksitz.
"Hm...ich dachte ihr beide hättet euch mittlerweile angefreundet.", sagt er und ignoriert ihren Gesichtsausdruck, " Hast du alles? Zahnbürste, Pyjama, Schlüppi?" Eden verdreht die Augen und lässt sich auf den Sitz fallen.
"Was wird das hier?", fragt sie.
"Eden. Kannst du ein Mal nicht glotzen, als hätte dir jemand auf's Frühstück geschissen?", meint er belustigt.
"Ich will nur wissen, was du vorhast."
"Sagte ich doch: Wir machen einen Ausflug. Flitterwochen. Urlaub. Was du willst."
"Aha. Und wohin fahren wir?"
"Lass dich doch einfach überraschen!", meint er und startet den Motor.

Eden sitzt mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz und schaut mürrisch aus dem Fenster. Die Sonne scheint heute tatsächlich mal. Sie fahren an verwilderten Feldern, ausgestorbenen Wohnsiedlungen, schattigen Wäldern und schlurfenden Untoten vorbei. Negan hat irgendeine CD mit Countrymusik eingelegt und singt und pfeift fröhlich mit. Es wirkt alles mal wieder so grotesk. Ein Wochenendausflug inmitten der Apokalypse! Negan, der "Ring of Fire" trällert und dabei einen Beißer überfahrt, sodass ekliger Glibber an die Windschutzscheibe spritzt. Alles, einfach alles, an dieser Szenerie wirkt falsch.
"Gleich sind wir da.", meint er nach einer Weile und biegt in einen Waldweg. Eden grunzt nur. Sie kann sich immer noch keinen Reim aus der ganzen Sache machen.

"Da wären wir.", sagt er schließlich feierlich. Es ist wirklich wunderschön hier. Der Wald ist licht, große, alte Bäume recken sich dem Himmel entgegen. Ein Blockaus, wahrscheinlich ein ehemaliges Ferienhäuschen, steht auf einer kleinen Anhöhe. Dahinter erstreckt sich ein See, in dem das Sonnenlicht glitzert.
"Wie findest du's?", fragt er und sieht sie erwartungsvoll an, "Schön, nicht wahr?" Eden ist geradezu überwältigt von der Schönheit dieses Ortes. Sie kann nur nicken.
Negan springt aus dem Jeep und tötet mit Lucille einen Beißer, der in einem Loch steckengeblieben ist. Dann lädt er zwei Kisten aus. Dosenessen und Bier. "Komm.", sagt er und schleppt die Kisten zu der Blockhütte.

Die Blockhütte hat eine Veranda und besteht aus einem großen Raum, in dem eine kleine Küche, ein Kamin, ein Sofa und ein Bett stehen. Über eine Leiter kann man auf den Dachboden klettern. Alles ist liebevoll und gemütlich eingerichtet, auch wenn man den Sachen ansieht, dass lange keiner mehr da war. An einer Wand hängt Angelzubehör, an der anderen eine Westerngitarre. Eden wüsste zu gerne, wer hier gelebt hat. Da entdeckt sie ein gerahmtes Foto, welches auf dem Kamin steht. Eine dicke Staubschicht hat sich auf dem Glas gesammelt. Eden wischt sie ab und ein Paar in den späten 30ern lächelt ihr entgegen. Sie hat kastanienbraune, lange Haare, blasse Haut, Sommersprossen, fröhliche haselnussbraune Augen. Ihre Zähne sind etwas schief und ihre Nase ist ein wenig zu spitz, aber sie ist wirklich schön. Sie trägt ein Blümchenkleid. Er legt den Arm um sie und lächelt breit in die Kamera. Er sieht gut aus. Verdammt gut. Glattrasiert, lebendige, dunkle Augen, rabenschwarze Haare. Sie erkennt ihn erst einen Augenblick später. Der Mann auf dem Foto ist Negan.

Sie dreht sich zu ihm um, das Bild noch immer in der Hand. "Das hier ist dein Haus." Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.
Er nickt. "Lucille und ich haben es uns nach der Hochzeit gekauft. Als Ferienwohnung." Er verstaut das Bier in einem der Schränke. Edens Blick wandert zurück zu dem Bild in ihrer Hand. Lucille. Es kommt ihr jetzt vor, als würde die Frau auf dem Bild ernster schauen, so, als wolle sie nicht, dass Eden hier ist. Es fühlt sich falsch an. Hier zu sein. In Negans Ferienhaus. Mit ihm. Jetzt.
Sie seufzt und stellt das Bild zurück auf den Kamin.

"Was wollen wir hier? Ich kann ja verstehen, dass du hier gerne herkommst, aber...was soll ich hier?", fragt sie schließlich.
"Ich wollte die ganze Zeit mal herfahren. Ich war hier nicht mehr seit...die ganze Scheiße los ging. Und ich dachte, es würde dir gefallen." Er zuckt mit den Schultern. Er hat alles eingeräumt und lehnt an der Spüle.
"Es ist auch schön. Aber ich versteh dich nicht. Ich dachte, du willst mir aus dem Weg gehen? War das nicht der letzte Stand?"
Er nickt langsam. "Ja. Aber ich wollte nicht, sondern ich musste. Das ist ein Unterschied.", er sieht sie eindringlich an, "Und das war, bevor du schwanger warst. Und bevor du mich gehasst hast."
Eden lacht bitter. "Negan...ich hab dich noch nie sonderlich gemocht."
"Doch, hat du. Deshalb hast du mich geheiratet."
"Nein. Das hab ich gemacht, um meinen Arsch zu retten."
"Lügnerin!", er lacht höhnisch.
"Nur weil du es nicht hören willst, ist es noch lange keine Lüge.", gibt Eden zurück.
"Hier!", er wirft ihr seine Waffe zu, sie fängt sie im letzten Moment, "Dann tu es. Zeig mir, dass ich mich irre!"
Eden sieht verdutzt auf die Waffe in ihrer Hand. Dann entsichert sie und zielt auf Negans Kopf.
"Na mach, Eden. Du hasst mich. Du kannst mich nicht ertragen. Jetzt hast du die Chance, dich von mir zu befreien. Keiner weiß, wo wir sind. Tu es. TU ES!"
Sie sieht wie der Schuss sich löst. Wie Negans Kopf nach hinten fliegt und sich eine rote Blume auf seiner Stirn ausbreitet. Sie sieht, wie Blut und Hirn an die Scheibe hinter ihm spritzen. Wie er zusammensackt und seine Augen flattern und dann erlöschen...

Eden blinzelt. Negan starrt sie an. Sie lässt die Waffe sinken. "Wenn ich dich tot sehen wollte, dann hätte ich's längst gemacht.", sagt sie, "Und jetzt hör auf mit deinen Psychospielchen." Sie geht auf ihn zu und reicht ihm die Waffe. "Und warum hast du es bisher nicht getan?", fragt er.
Sie sieht ihn eine Weile an.
"Weil du von allem Übel noch das kleinste bist."

Er lacht wieder.
"Oh. Du verstehst es wirklich, Komplimente zu machen. Aber weißt du was?", er kommt ganz nah an sie heran und nimmt ihr die Waffe aus der Hand, lässt sie achtlos auf die Spüle fallen, "Ich glaub dir nen Scheiß. Du...", er spielt mit einer ihrer Haarsträhnen, "...fühlst dich zu mir hingezogen. Stimmt's?", er lässt seine Hand langsam ihre Wirbelsäule hinab wandern, "Du bist nur zu stolz und zu rechtschaffen, um es zuzugeben.", er kommt noch einen Schritt näher, seine Lippen berühren fast die ihren, "Du willst es nicht. Weil du mich abstoßend und widerlich finden willst, aber tief in deinem Inneren...macht dich das an." Er lässt seine Finger über ihren Hals und ihr Schlüsselbein gleiten. Eden erzittert unter dieser Berührung, ihr Herz beginnt schneller zu schlagen. Er sieht ihr in die Augen, seine sind ganz dunkel. "Und jetzt...", sagt er mit rauer Stimme, "...will ich angeln." Er löst sich von ihr und spaziert, die Angel über der Schulter, auf die Veranda.

Sie braucht einen Moment, um sich wieder zu sammeln. Dieses Arschloch. Dieses manipulative, hinterhältige Arschloch. Für ihn ist all das ein Spiel, ein Spaß. Und natürlich ist das, was er gesagt hat, totaler Blödsinn. Es ist eben nicht alles so, wie er es gerne hätte. Auch wenn alle immer nach seiner Pfeife tanzen- sie nicht! Sie ganz bestimmt nicht.

Sie geht zu dem See, auf dem kleine Wellen tanzen. Es gibt einen Steg, vor dem ein Boot angeleint ist, welches träge hin und her wiegt. Negan sitzt auf dem Steg und pfeift vor sich hin. Wie oft hatte er dort wohl schon gesessen? Zusammen mit seiner Frau vielleicht? Eden kommt sich vor, wie ein Eindringling. Als wäre sie in die heile Welt von Leuten eingedrungen, die sie nichts angehen.
"Und schon was gefangen?", fragt sie, als sie Negan erreicht hat und sich neben ihn auf den Steg setzt. Trotz der Sonne ist es noch ziemlich kalt. Sie zieht fröstelnd ihre Jacke enger um sich.
"Nein. Aber darum geht's beim Angeln auch nicht. Es geht darum, da zu sitzen. Und auf's Wasser zu blicken. Und einfach mal den Mund zu halten und seinen Gedanken nachzuhängen." Das tun sie dann auch. Schweigend schauen sie auf den See. Es ist friedlich und abgesehen vom zögerlichen Zwitschern der Vögel, still. Hier ist das Leben einfach weitergegangen. Was kümmert es diesen See, dass Menschen krank werden, sterben und dann wieder zum Leben erwachen? Was kümmert es diese Bäume, dass Menschen sich gegenseitig töten und quälen und hassen? Was kümmert es diese Vögel, dass es keine Supermärkte und Krankenhäuser mehr gibt?
"Ist dir kalt?", fragt er in die Stille hinein. Ohne abzuwarten zieht er seine Jacke aus und legt sie ihr um die Schultern. Sie ist ganz warm und riecht nach seinem Aftershave.
"Was du vorhin gesagt hast...", beginnt Eden. Plötzlich verschwindet der Schwimmer der Angel. Negan springt auf und beginnt die Angel einzuholen. Er ist begeistert wie ein Kind, als der blitzende Körper des Fisches kurz an der Wasseroberfläche auftaucht. Der Fisch kämpft. Er weiß scheinbar, dass es jetzt um sein Leben geht. Er stemmt sich gegen die Angel, schwimmt dagegen an. Aber er ist zu schwach. Als er an Land befördert wird und auf dem Steg liegt, hält er ganz still. Seine Kiemen blähen sich, das Maul öffnet und schließt sich. Das Auge starrt gen Himmel, vorwurfsvoll, entsetzt. Als könnte er es nicht verstehen, nicht verzeihen, was ihm angetan wird. Eigentlich hat sie mit diesem Fisch ziemlich viel gemeinsam.

Der Fisch schmeckt großartig. Sie sitzen auf der Veranda und lassen sich ihr Festmahl schmecken. Es müsste jetzt später Nachmittag sein, denn die Sonne steht bereits wieder tief über dem See.
"Was ich vorhin gesagt habe...?", fragt Negan plötzlich.
"Hm?"
"Als der Fisch angebissen hat- was wolltest du da sagen?"
Eden winkt ab.
"Nicht so wichtig. Spielst du?", sie deutet auf die Gitarre, die in der Blockhütte hängt.
Er zuckt die Schultern. "Nicht besonders gut. Aber du doch bestimmt?"
"Naja...akzeptabel."
"Dann spiel was."
Eden holt die Gitarre und lässt ihre Finger über die Saiten gleiten. Es hat sie immer mit Ehrfurcht erfüllt, dass man durch eine kleine Berührung Töne erzeugen kann, die sich dann zu einer Melodie verweben. Musik war für sie immer etwas Geheimnissvolles, Magisches. Durch Musik kann man Gefühle hörbar machen. Sie wieder fühlen, Erinnerungen zurückholen. Durch Musik kann man schlimme Dinge in etwas Schönes verwandeln.
Sie spürt, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitet. Ihre Mom hatte ihr mit vier Jahren beigebracht, Gitarre zu spielen. Sie hatte immer gesagt, dass man Musik brauche, um die Seele sprechen zu lassen.
"Das sieht schön aus.", hört sie Negan sagen. Eden sieht verwirrt auf. Sie war so mit der Gitarre beschäftigt, dass sie alles um sich herum vergessen hat.
"Was?"
"Dein Lächeln. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich dich lächeln sehe. Sonst schaust du immer so.", er runzelt die Stirn, kneift die Augen missmutig zusammen und presst die Lippen aufeinander.
"Haha!", sagt Eden, doch sie kann sich ein Lachen nicht verkneifen.
"Es ist schön. Dein Lächeln, dein Lachen.", sagt er dann noch einmal, "Und jetzt spiel was und schau die Gitarre nicht nur an." Er lehnt sich zurück.
Eden spielt, sie weiß noch nicht, was sie spielt, sie lässt ihre Hände einfach über die Saiten gleiten und die Töne fügen sich von ganz alleine zu einer Melodie. Es ist, wie nach Hause kommen. Alles ist vertraut und sicher und strahlt Geborgenheit aus. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit vergisst sie alle Sorgen, alle Probleme. Alles Schlechte. Es gibt nur sie und diese Gitarre und die Musik.

Der letzte Ton verklingt. Eden ist, als würde sie aus einem Traum aufwachen.
"Akzeptabel...", kommentiert Negan ironisch, "Das war großartig!"
Sie lächelt. "Danke."
Er sieht sie nachdenklich an.
"Dir fehlt das wirklich, hm? Die Musik, die Literatur...all die klugen und schönen Sachen?"
"Meine Mom meinte immer, schlechte Menschen und schlechte Zeiten kennen keine Musik.", entgegnet Eden. Sie seufzt. "Wenn es um's Überleben geht, denken alle, das hier ist nichts mehr wert."
"Naja, am Leben gehalten haben dich letztendlich deine Karatemoves."
"Ja. Aber nicht nur. Wenn ich dachte, ich würde gleich durchdrehen, hab ich ein Lied gesungen. An den Abenden, an denen ich allein irgendwo im Wald saß, hab ich ein Buch gelesen. Oder ein Gedicht rezitiert. Hätte ich das nicht gehabt, hätte ich mich wahrscheinlich früher oder später umgebracht. Musik, schöne Worte- sie machen uns glücklich oder traurig oder beides zugleich. Sie lassen uns fühlen. Sie machen uns lebendig. Sie helfen uns zu verarbeiten, uns zu erinnern, zu vergessen."
Negan betrachtet sie lächelnd.
"So hab ich das noch nie gesehen.", stellt er fest.
Eden zuckt die Schultern. "Wir sind eben sehr unterschiedlich."
Er schüttelt den Kopf. "Ich glaube, dass wir uns im Grunde sehr ähnlich sind."

Bevor Eden protestieren kann, steht er auf. "Lass uns reingehen und den Kamin anmachen. Hier wird's verdammt kalt."
Nach kurzer Zeit knistert ein Feuer in dem kleinen Kamin. Negan fläzt sich auf die Couch und macht sich ein weiteres Bier auf. Scheinbar ist seine Mission, die Kiste schnellstmöglich zu leeren. Eden setzt sich auf den breiten Sessel, der direkt am Kamin steht. Ihr Blick fällt wieder auf das Foto. Negan folgt ihrem Blick.
"Ich dachte die ganze Zeit, dass ich dich so interessant finde, weil du ihr so ähnlich bist.", meint er nachdenklich, "Aber ich glaube, da hab ich mir wohl auch was vorgemacht."
Eden sieht ihn erstaunt an. "Du findest mich interessant?"
Er lacht. "Sag bloß, das hast du noch nicht mitgekriegt?"
Eden zuckt die Schultern. "Ich dachte, du findest allgemein alles interessant, was zwei Beine und Titten hat."
"Nicht alles.", korrigiert er, "Meine Ehefrauen sind das Schönste, was die Apokalypse zu bieten hat."
Eden schnaubt nur verächtlich.
"Aber bei dir ist es anders.", fährt er fort, "Und ich versteh's auch nicht so ganz. Aber ich will dich nicht nur ficken. Ich will..." Er scheint nach Worten zu suchen.
Eden blinzelt erstaunt. Er scheint die Worte nicht zu finden, die er sucht, und runzelt verärgert die Stirn.
"Ich wollte vorhin sagen, dass du vielleicht nicht ganz Unrecht hast.", gibt sie leise zu und stellt fest, dass dies absolut nicht das ist, was sie vorhin sagen wollte, "Dass ich mich zu dir... hingezogen...fühle, meine ich."
Jetzt sieht er sie erstaunt an. Dann grinst er. "Wir beide sind heute ganz schön gefühlsduselig unterwegs." Eden nickt. Sie bereut bereits, dass sie das gesagt hat. Das wird er ihr auf Ewig vorhalten.
"Macht wahrscheinlich dieser Ort. Der Kamin und...", nuschelt sie verlegen. Er sieht sie an. Um seine Mundwinkel spielt noch das Lächeln. Und seine Augen, vielleicht liegt es auch an dem flackernden Feuer, sind plötzlich ganz warm. Wie bei dem Mann auf dem Foto.
Eden steht auf. Sie geht zu ihm. Sie nimmt sein Gesicht in die Hände. Ja, seine Augen sind nicht mehr kalt. In ihnen liegen Schmerz und Wut und Leidenschaft und Angst und...Liebe. Sie hat das Gefühl, ihm das erste Mal in die Augen zu blicken. Ihn überhaupt das erste Mal zu sehen. Nicht Negan, den skrupellosen Anführer. Sondern Negan, den Menschen. Den, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Den, den sie nicht hasst oder verachtet oder fürchtet, sondern...
Ohne weiter nachzudenken, küsst sie ihn. Und ihr Herz hüpft, als würden sie sich das erste Mal küssen.

Erste Sonnenstrahlen fallen in die Blockhütte. Draußen zwitschern die Vögel. Es ist noch sehr früh. Sie ist komplett nackt, genauso wie Negan, der neben ihr leise schnarcht. Das Bett ist zerwühlt. Er hat einen Arm um sie gelegt, die Hand auf ihrem Bauch. Gestern Abend...hat sie das alles nur geträumt? Was ist, wenn er die Augen aufschlägt und diese wieder kalt und hart wie Stein sind? Sie dreht sich zu ihm um und beobachtet ihn beim Schlafen. Sie versucht zu ergründen, was sie für diesen Mann, der da neben ihr liegt, empfindet. Da ist etwas...sie kann es selbst nicht erklären. Ja, vielleicht hat er recht. Vielleicht fühlt sie sich zu ihm hingezogen. Obwohl er ein fieser, manipulativer, sadistischer, narzistischer, grausamer Fiesling ist. Oder, und dieser Gedanke macht ihr ein bisschen Angst, gerade weil er so ist. Denn was sagt dies über sie selbst aus? Sie hat sich nie für die Gute gehalten. Dafür hat sie zu oft weggesehen, zu oft selbst grausame Dinge getan...Aber sie hat es getan, weil sie nicht sterben wollte. Negan begründet seine Taten zwar auch damit, aber das stimmt nicht ganz. Er tut, was er tut und er ist, was er ist, weil es ihm Spaß macht. Weil er die Macht und die Furcht und die Kontrolle liebt.

Er schlägt die Augen auf und blinzelt verschlafen. Für einen Moment ist sie wieder da, diese Kälte, diese Härte. Dann bemerkt er, dass sie ihn ansieht und ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Da ist er wieder, der Negan von gestern Abend. Eden lächelt zurück. Er fährt mit der Hand über die Linien um ihren Mund.
"Wie schön du bist.", flüstert er, "Ich hoffe, unser Kind bekommt mal deine Augen...die die Farbe wechseln. Wenn du lächelst sind sie ganz hell. Wie Laub im Frühling. Und wenn du wütend bist, sind sie so dunkel wie Moos." Eden starrt ihn entgeistert an. Sie hätte es niemals für möglich gehalten, dass Negan in der Lage ist, solch wunderschöne Dinge zu sagen. Und er ist noch lange nicht fertig! Er spielt mit einer ihrer Haarsträhnen. "Genauso deine Haare. Im Sonnenlicht sind sie fast golden...nein...sie sind wie Kupfer." Er grinst, als er ihren verdutzten Gesichtsausdruck bemerkt, "Und ich hoffe, dass es auch diese kleine Falte hier hat.", er tippt auf eine Stelle zwischen ihren Augenbrauen, "Die immer dann auftaucht, wenn du wütend bist. Also ziemlich oft." Sein Grinsen wird noch breiter.
"Ich hab ja auch allen Grund dazu.", meint Eden trocken.
"Und deine Haut.", fährt er unbeirrt fort und streicht über ihre Wange, "Ganz weich. Und du riechst immer so gut. Wie schafft man es, inmitten der Apokalypse so gut zu riechen?"
Eden muss lachen. Es tut gut.
"Jetzt hör aber auf!", prustet sie, "Ich vergesse noch, wer du bist!"
"Wer bin ich denn?", fragt er gespielt naiv.
Tja. Gute Frage. Im Moment könnte man tatsächlich glauben, sie wären ein verliebtes Paar in den Flitterwochen. Ein Paar, welches ein paar Tage in einem Liebesnest verbringt, um danach zum langweiligen Bürojob zurückzukehren.
"Das weiß ich gerade selbst nicht mehr so richtig.", sagt sie leise.

"Das liegt daran, meine Liebe,", erklärt er besserwisserisch, "dass du die Welt gerne in gut und böse einteilst. In schwarz und weiß. So einfach ist das aber nicht."
"Ach, tu ich das?", fragt sie provokant.
"Jep. Ich bin der Böse. Also passt das alles hier nicht ins Konzept. Böse Menschen tun und sagen nämlich nur böse Dinge.", er grinst triumphierend.
"Du stilisierst dich doch selbst dazu. Du willst doch, dass die Leute nur das Böse an dir sehen.", gibt Eden zu bedenken.
Er nickt. "Weil es leichter ist. Von guten Menschen erwartet man auch nur Gutes. Wenn du der Böse bist, erwartet niemand etwas von dir. Niemand ist enttäuscht."
"Aber man ist auch ganz schön einsam, wenn man immer der Böse ist, oder? Alle hassen einen."
Er mustert sie eine Weile. Dann dreht er sich auf den Rücken und blickt nachdenklich an die Decke.
"Weißt du, ich wünschte wir könnten einfach hier bleiben. Wir würden den ganzen Tag angeln und ficken und abends würdest du mir was auf der Gitarre vorspielen. Wir würden nen Haufen Kinder kriegen und all die Wichser da draußen, ob tot oder lebendig, könnten uns mal am Arsch lecken.", er wirft ihr einen kurzen Seitenblick zu,
"Ja, im Moment ist das das Schönste, was ich mir vorstellen kann. Aber ich kenne mich. Ich weiß, dass es vielleicht ein paar Wochen oder Monate gut gehen würde. Dann würdest du mich anöden. Dann würde mich das Angeln und die Musik und wahrscheinlich sogar das Ficken langweilen. So war es mit Lucille- und ich habe sie wirklich geliebt. Wirklich. Aber ich war ihr keinen Tag treu. Nicht mal am Tag unserer Hochzeit.
Das was ich da aufgebaut habe, die Saviors, kotzt mich die meiste Zeit an. Ich muss ne Menge Zeug machen, worauf ich keinen Bock hab. Aber, scheiße man, ich hab mich noch nie so wichtig gefühlt. Noch nie hatte ich so viel Macht. Noch nie haben mich andere gefürchtet und verehrt zugleich. Allein von dem Gedanken daran, geht mir fast einer ab. Ich kann darauf nicht verzichten. Auch für dich nicht."

"Und wie wird es jetzt weiter gehen?", fragt Eden nach einer Weile.
Negan dreht sich zu ihr und spielt wieder mit ihren Haaren.
"Wir machen uns noch ein paar schöne Stunden. Dann fahren wir wieder zurück und machen dort weiter, wo wir aufgehört haben. Du siehst mich wieder an, als hätte ich vor deinen Augen nen Beißer gevögelt. Und ich bin wieder das alte Arschloch. Ganz einfach."
"Toll.", antwortet Eden sarkastisch. Er lächelt.
"Genau so. Bloß nicht freundlich gucken. Immer schön mürrisch und sarkastisch sein."
"Ich geb mir Mühe."
"Aber ich weiß jetzt, dass du auch anders sein kannst. Dass du mich auch anders ansehen kannst. Und daran werde ich denken, wenn du mal wieder rumzickst.", sagt er zufrieden, "Und du wirst dich, hoffentlich, auch ab und an daran erinnern, dass ich nicht nur der Böse bin."
"Darum ging es also bei der ganzen Sache hier?"
"Genau darum.", sagt er. Er zieht sie zu sich und küsst sie. "Und darum vielleicht auch."

Sie sitzen wieder im Jeep. Die Blockhütte am See liegt weit hinter ihnen. Negan hatte ihr angeboten, die Gitarre mitzunehmen. Sie hat abgelehnt. Das Sanctuary ist kein Ort für Musik. Jetzt bereut sie ihre Entscheidung. Schmerzlich. Wieder zurückzufahren, kommt ihr vor, wie freiwillig in Säure zu baden. Allein der Gedanke daran verursacht schon Schmerzen. Sie sieht sehnsüchtig auf den Wald, der an ihnen vorbei zieht. Wie gerne wäre sie jetzt dort. Sie seufzt, wahrscheinlich das zehnte Mal seit sie losgefahren sind.
Negan wirft ihr einen prüfenden Blick zu.
"Wäre es erträglicher, wenn du dich von jetzt an frei bewegen darfst?", schlägt er vor, "Du darfst raus und rein, wie du magst. Du musst natürlich wenn es dunkel wird zurück sein...und darfst keinen meiner Leute umlegen."
Vor ein paar Tagen wäre Eden darüber in Begeisterung ausgebrochen. Jetzt nickt sie nur und seufzt erneut.
"Ach, komm. Eden. Jetzt mach mir kein schlechtes Gewissen!"
"Hast du sowas?"
Er klopft genervt auf das Lenkrad und dreht die Musik ein Stück lauter.
"Du musst vorsichtig sein.", sagt er nach einer Weile, "Bei mir darfst du gerne das bockige, kleine Miststück sein, ich steh drauf. Aber meine Leute...da gibt es einige, die nicht so gut auf dich zu sprechen sind. Ched. Davie. Amy. Wilson. Marcus. Die Liste wird immer länger."
"Wilson und Marcus?"
"Einen davon hast du kastriert."
"Ach, die."
"Ich meine das ernst. Sie werden es nicht wagen, dir was anzutun. Aber...du solltest niemanden mehr provozieren. Wenn einer Mist baut, lass mich das regeln und halte dich da raus."
"Okay."
"Gut. Halt dich dran. Ich behandle dich eher wie einen Savior als wie eine Ehefrau. Das gefällt einigen nicht."
"Dann mach mich doch zum Savior. Du bist der Boss."
"Das wäre zu gefährlich."
Eden zuckt die Schultern und sieht wieder aus dem Fenster. Im Spiegel sieht sie Lucille, die auf dem Rücksitz liegt.
"Wenn ich bei der Geburt draufgehen sollte- wag es nicht, einen bekloppten Baseballschläger nach mir zu benennen!", sagt sie unvermittelt.
Negan wirft ihr einen irritierten Blick zu.
"Frauen kriegen schon immer Babies. Du bist zäher, als jede Frau die ich sonst kenne- warum solltest du bei der Geburt draufgehen?"
"Das kann immer passieren. Ist auch nicht wichtig. Ich will nur nicht, sollte ich sterben und das ist ja heutzutage immer möglich, dass irgendetwas nach mir benannt wird."
"Du wirst nicht sterben. Jedenfalls nicht, wenn du meine Regeln befolgst.", sagt er nur.
"Ich will, dass ich verklinge wie ein Ton.", philosophiert sie unbeirrt weiter, "Und erst wenn wieder jemand diesen Ton spielt, soll man sich an mich erinnern."
"Was redest du für einen pathetischen Schwachsinn?"
"Ich will nur, dass du das weißt.", sagt Eden und sieht ihn eindringlich an. Negan schüttelt nur den Kopf. "Verklingen wie ein Ton...so eine Scheiße!", knurrt er leise vor sich hin.

In der Ferne sieht man jetzt bereits die Schornsteine des Fabrikgebäudes. Mit jedem Meter, den sie näher kommen, verschlechtert sich Edens Laune. Plötzlich fährt Negan an den Rand und bringt den Wagen zum Stehen.
"Noch eine Sache.", sagt er, "Bevor wir wieder da reingehen und unsere Rollen spielen." Er scheint kurz zu zögern.
"Wegen dem Baby. Ich überlasse dir die Entscheidung. Wenn du es nicht haben willst, dann lass es abtreiben. Ich werde dem Doc sagen, dass er tun soll, was immer du willst. Ich möchte nur, dass du weißt, dass... ich wünschte, du würdest es nicht tun."
Eden sieht ihn erstaunt an. Sie spürt, wie Tränen in ihr aufsteigen.
"Danke.", flüstert sie. Sie lehnt sich zu ihm und haucht ihm einen Kuss auf die Lippen. Er lächelt. Es ist ein trauriges Lächeln. Dann startet er den Motor und fährt weiter.


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