Kapitel 11: Schwächen

Eden steht auf und klopft sich den Dreck von der Hose. Sie ist ganz schön wackelig auf den Beinen. Sie hasst es, anderen ohnmächtig ausgeliefert zu sein. So eine Scheiße. Sie nimmt das Maschinengewehr, welches vor ihr auf dem Boden liegt und richtet ihren Blick auf Negan. Sie will eigentlich gar nicht sehen, was jetzt kommt.

"Also, ich erkläre euch verfickt dämlichen Idioten noch ein einziges Mal, wie es läuft.", brüllt Negan. "Ihr gebt uns unseren Scheiß. Und wenn ihr es euch gegenseitig aus euren fischigen Fotzen schneiden müsst! Ihr sammelt, stellt her, fischt, klaut was das Zeug hält. Und gebt es uns dann. Jede Woche.", er lässt Lucille erneut in Frans Richtung schwingen. "Hast du das endlich kapiert, du dreckige  Fischhure?" Fran nickt widerwillig. 
"Ich höre nichts!", blafft er sie an.
"Ich hab's kapiert.", stößt Fran hervor.
"Hast du das?", fragt er leise, "Denn ich bin mir da immer noch nicht so sicher!", er geht erneut vor Fran in die Hocke, "Wo habt ihr denn diese schicken Knarren her?"
Fran hält Negans bohrenden, kalten Blick stand. Sie schweigt.
"Eden.", sagt Negan ohne sich umzudrehen, "Kannst du mir diese Frage beantworten?"
Eden überlegt einen Moment, ob sie die Oceansides verraten soll. Das würde alles nur noch schlimmer machen. Aber verdammt, die wollten sie alle umbringen.
"Sie haben ein Waffenlager im Wald.", hört sie sich sagen. Fran reißt den Kopf hoch und starrt Eden an. Ihr Blick ist voller Hass und Verachtung.
Negan beginnt zu lachen und pufft Fran an die Schulter. "Ahaaaa.", sagt er, "Erwischt!" Dann wird er wieder ernst. "Die gehören jetzt uns. Alle. Und Fran- scheinbar hast du's immer noch nicht verstanden. Das ist scheiße. Ich kann dir gar nicht sagen, wie scheiße. Stell dir einen Haufen Scheiße vor und dann pack noch einen riesigen Haufen Scheiße drauf. Und dann frisst du diesen Haufen und scheißt ihn wieder aus. Und selbst das würde nicht beschreiben, wie scheiße das alles ist!"
"Leg' uns jetzt schon alle um!", schreit Fran, "Du hast gewonnen!"
Negan mustert sie eine Weile als wäre sie ein ekliges, schleimiges Insekt.
"Ist der kleine Scheißer da nicht dein Sohn?", er deutet auf Andy. 
Fran schweigt, man hört sie leise schluchzen.
"Bringt ihn her.", befiehlt Negan. Zwei Saviors packen Andy und zerren ihn vor Negan auf die Knie.
"Ich werde euch nicht alle töten. Noch nicht. Ich will, dass ihr für mich arbeitet. Das könnt ihr nicht, wenn ihr tot seid. Nicht wahr? Und meine Leute stehen auf Seafoodpizza. Also...", er dreht sich langsam im Kreis und deutet mit Lucille auf jeden einzelnen der Oceansides, "Werde ich vorerst nur einen von euch töten. Und Andy- leider bist du das!"
Fran schluchzt nun herzzerreißend auf. "Nein!", flüstert sie, "Nimm mich. Ich hab den Aufstand angezettelt, nimm mich."
"Nein, Fran. Ich will, dass du über die ganze verfluchte Scheiße hier nachdenkst. Dass du erkennst, dass dein Sohn noch am Leben wäre, wenn du die neue Ordnung akzeptiert hättest. Dass du die alleinige Schuld an seinem Tod trägst.", sagt Negan sanft. Fran schluchzt noch lauter. Auch Andy steht kurz vorm Nervenkollaps. Er sieht sich panisch um, wippt ängstlich hin und her, Tränen laufen ihm unaufhörlich über die Wangen. Er ist noch so jung..., denkt Eden.
"Andy, jetzt mach dir nicht in die Hose. Nimm's wie ein Mann.", fährt Negan ihn unwirsch an, "Oder willst du, dass ich aus jemanden anders die Scheiße rausprügle? Denn das werde ich!" Er tritt ganz nah an Andy heran und hebt seine  Kopf an, indem er zwei Finger unter sein Kinn legt. "Hm? Vorschläge? Wer von diesen Leuten hat es mehr verdient als du?"
Andy schüttelt nur heulend den Kopf.
"Das ist heldenmütig, Andy. Du opfert dich für die Gemeinschaft. Das finde ich sehr edel von dir.", er umgreift Lucille mit beiden Händen und baut sich vor Andy auf. Andy schließt die Augen. Keiner sagt etwas, alle halten die Luft an. Negan holt aus und...

"Ach ja!", ruft er plötzlich, "Weißt du Andy, das Mädel, das du vorhin umlegen wolltest, hat Literatur studiert. Ich finde, wir sollten als Wiedergutmachung deinen Abgang ein wenig niveauvoller, poetischer gestalten. Was meinst du?" Andy wimmert nur vor sich hin. "Hast du Pulp Fiction gesehen?", fragt Negan. Andy schüttelt nur den Kopf. "Schade. Also da ist ein Spruch, den ich so cool fand, dass ich ich auswendig gelernt habe. Ist wohl was Biblisches. Also, Leutchen, gebt fein Acht!", Negan räuspert sich theatralisch. Dann zitiert er Jules Winfield aus Pulp Fiction:

 "Der Pfad der Gerechten ist zu beiden Seiten gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen und der Tyrannei böser Männer. Gesegnet sei der, der im Namen der Barmherzigkeit und des guten Willens die Schwachen durch das Tal der Dunkelheit geleitet. Denn er ist der wahre Hüter seines Bruders und der Retter der verlorenen Kinder.
Ich will große Rachetaten an denen vollführen, die da versuchen meine Brüder zu vergiften und zu vernichten, und mit Grimm werde ich sie strafen, dass sie erfahren sollen: Ich sei der Herr, wenn ich meine Rache an ihnen vollstreckt habe." 

Seine Worte verstummen und für einen Moment herrscht Totenstille. "Das wollte ich schon immer mal sagen, bevor ich jemanden das Hirn rausprügle.", ruft Negan begeistert, "Wie passend, nicht wahr?" Dann hebt er den Baseballschläger und lässt ihn mit voller Wucht auf Andy niederprasseln. 

Andy wird mit einer solchen Wucht getroffen, dass er nach vorne stürzt. Blut sprudelt aus seinen Kopf. Andy versucht sich hochzukämpfen, aber Negan verpasst ihm schon den zweiten Schlag. Ein widerlich saugendes Geräusch ertönt, als Andys Schädel aufplatzt. Negan lacht. Es ist tief, heißer, eiskalt. Seine Bewegungen erinnern Eden an einen von Drogen Berauschten. Er schwankt, taumelt, dreht sich. Man könnte es auch als einen perversen, blutigen Tanz bezeichnen. Und Lucille, dieser mit Stacheldraht umwickelte Baseballschläger, ist seine Tanzpartnerin. Sie fliegt immer wieder durch die Luft, trifft mit einem dumpfen Schlag auf das, was einmal Andys Kopf gewesen ist. Hirn und Blut spritzen bei jedem Schlag auf die darum hockenden Oceansides. Manche von ihnen haben die Hände vor den Mund geschlagen. Manche weinen leise vor sich hin. Manche haben sich abgewendet und blicken zitternd auf den Boden. Manche starren mit offenen Mund auf den grunzenden Negan, der immer und immer wieder ausholt. Immer und immer wieder. Hör auf, schreit es in Eden, hör endlich auf! Sie spürt Übelkeit in sich aufsteigen. Sie wendet sich ab und unterdrückt das Bedürfnis zu kotzen.

"Oh man!", ruft Negan schwer atmend, "Schaut euch das an." Er schwankt auf Fran zu, die voller Verzweiflung auf die Leiche ihres Sohnes starrt. Ihre Fingernägel haben rote Kratzer in ihrem Gesicht hinterlassen. "Fran! Fran! Schau dir mein schmutziges Mädchen an!", ruft er voller Begeisterung und hält ihr den Baseballschläger direkt vor die Nase. Blut tropft von dem Schläger auf Frans Bluse. An den Stacheln des Drahtes stecken noch Hirn- und Hautfetzen. Fran gräbt sich erneut die Nägel in die Wangen. Sie gibt nur noch wimmernde Laute von sich.  "Ach, komm, schau doch mal! Es riecht bestimmt noch nach deinem Sohn." Er lacht wieder. Seine Augen glänzen fiebrig. "Fran! Sieh dir das jetzt an!", brüllt er. Fran hebt ihren Kopf. Ihre geweiteten Augen sind voller Schrecken. Ihre Lippen beben. Ihre Augen flattern über den Baseballschläger hinweg wieder hin zu ihrem Sohn. "Ich werde...", ihre Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern, "Ich werde...etwas finden...das dir etwas bedeutet. Und dann werde ich es zerstören." Negan lacht heißer auf. "Fran. Mach dir keine Mühe. Es gibt nichts, was mir etwas bedeutet."

Eden ist froh, als sie den Befehl erhält eine Gruppe Saviors zu dem Waffenlager zu führen. Endlich kann sie hier weg.
Als sie im Truck sitzt und sie an der Küste entlang zurückfahren, ist das Meer grau und trostlos und wie giftige Brühe. Beißer mit den aufgedunsenen Körpern von Wasserleichen wanken durch den Sand. Eine tote Möwe liegt am Wegesrand. Das Salz in der Luft ist ätzend. Es stinkt nach Fisch und Tod.

Als sie im Santuary ankommen, ist die Stimmung gedrückt. Drei Saviors sind heute gestorben. Reena und Dylan sehen blass und mitgenommen aus. Eden verabschiedet sich von ihnen und schlurft zu ihrem Zimmer. Sie fühlt sich so ausgelaugt und erschöpft wie schon lange nicht mehr. Außerdem ist ihr immer noch übel.
Auf dem Weg begegnet sie Negan, der mit Simon und Claudia spricht. Als er sie entdeckt, winkt er sie zu sich. Er verabschiedet sich von seinen Vertrauten und weist Eden den Weg zu seinem Zimmer. Dort angekommen gießt er erst einmal zwei Gläser Whiskey ein. Er reicht ihr ein Glas und leert seines in einem Zug, dann schenkt er nach und trinkt wieder. "Zeig mal deine Verletzung.", sagt er nach einer Weile. Seine Kleidung ist noch voller Blut.
"Das ist nichts.", sagt Eden und winkt ab.
"Hmhm. Trotzdem.", er geht vor ihr in die Hocke und nimmt ihr Gesicht in die Hände. Er nickt zufrieden. "Ist nur ne kleine Platzwunde.", stellt er fest.
"Sag ich doch."
Er hat immer noch ihr Gesicht in den Händen und sieht sie nachdenklich an.
"Ich will ficken.", sagt er dann, steht auf und will Eden auf die Füße ziehen.
"Nein.", sagt Eden und macht sich schwer. Negan sieht sie an, als hätte sie ihm gerade verkündet, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt.
"Wie bitte?"
"Ich sagte 'Nein'. Ich will jetzt nicht mit dir ficken.", entgegnet Eden. Sie will jetzt einfach nur duschen und schlafen und vergessen.
"Äh...und wieso?", fragt er erstaunt, "Hast du deine Tage, oder was?"
"Nein."
Negan sieht sie verständnislos an. Dann zuckt er die Schultern.
"Ist mir scheißegal, was du willst. Ich will jetzt vögeln!"
"Dann musst du mich vergewaltigen. Oder, wenn ich mich recht erinnere, hast du ja noch mehr Ehefrauen.", sagt Eden trocken.
"Ich will aber dich. Was hast du?"
So langsam geht er ihr auf die Nerven. Kann er sich das denn nicht denken? Dass er überhaupt auf die Idee kommt...
"Hmmm...lass mal überlegen", brummt Eden, "Vielleicht weil du heute einen Typen dazu ermutigt hast, mich umzulegen? Oder vielleicht, weil du mir ne Knarre an den Kopf gehalten hast? Oder vielleicht auch, weil du vor ein paar Stunden den Kopf eines Menschen zu Brei geschlagen hast? Und noch immer aussiehst wie ein Metzger?" Sie wirft einen Blick auf die Blutspritzer an seiner Kleidung.
Negan verschränkt die Arme vor der Brust. Er mustert sie eine Weile schweigend. "Wenn du das nicht aushältst, kannst du nicht mehr mitkommen. So läuft das nun mal.", sagt er dann, "Aber wo wir schon beim Thema sind: Ich will dich sowieso nicht mehr mitnehmen."
"Was?", stößt Eden hervor. Allein der Gedanke, die ganze Zeit im Sanctuary herumzuhocken bereitet ihr Unbehagen.
"Du hast es doch gerade selbst gesagt. Das hätte heute verdammt schief gehen können.", sagt er.
"Ich hab euch allen heute verdammt noch mal den Arsch gerettet!"
"Ja. Aber du hättest auch drauf gehen können."
"Nen Scheiß!", faucht Eden, "Ich hätte euch auch beim Sterben zusehen können und wäre danach gemütlich davon geschlendert. Nur weil ich das nicht getan habe, haben sie mich erwischt. Und dann hast du den Typen noch angestachelt..."
Negan wischt ihre Vorwürfe mit einer Handbewegung fort. "Es war von Vornherein klar, dass er dazu nicht die Eier hat. Zick' deswegen nicht rum."
Eden blitzt ihn wütend an. "Dann erklär's mir. Ich verstehe es nämlich nicht."

Negan seufzt und sieht auf seine Hände. "Du warst heute großartig, wirklich. Aber..." Er zögert. Er geht zur Hausbar und macht sich ein Bier auf. Dann dreht er sich wieder zu Eden um.
"Weißt du, warum bisher noch keiner gegen mich angekommen ist? Und versucht haben es schon einige.", er trinkt einen Schluck, "Weil mir nichts heilig ist. Wenn man meine Leute tötet, ist das höchstens ärgerlich. Selbst wenn man meine Frauen töten würde, würde mich das nicht sonderlich stören. Im Grunde sind sie mir egal, ich will nur ficken. Und wenn sie versuchen, mich zu töten...beeindruckt mich das auch nicht sonderlich."
Eden weiß nicht, worauf er hinaus will. Sie versteht nur Bahnhof.
"Menschen sind dann am verletzlichsten, angreifbar, wenn sie etwas lieben. Das haben wir heute bei Fran gesehen. Sie ist eine gute Anführerin und nützt mir lebend am meisten. Hätte ich sie selbst getötet, wäre sie für ihre Leute zur Märtyrerin geworden. Das weckt Kampfgeist. Außerdem hat sie mit ihrem Tod gerechnet, es hätte ihr nichts ausgemacht. Aber ich habe ihr das genommen, was sie liebt und sie damit gebrochen...und damit habe ich mir eine gute Anführerin gesichert, die tut, was ich sage und dafür sorgt, dass ihre Leute machen, was ich sage.
Wenn ich etwas hätte, was mir etwas bedeutet, etwas...was ich nicht verlieren will, dann mache ich mich angreifbar. Dann bin ich schwach.
Und warst du nicht diejenige, die mich darauf hingewiesen hat, dass manche Leute nur darauf warten, dass ich einen Moment schwach bin?"
Er sieht sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Eden nickt langsam.
"Ja.", sagt sie gedehnt, "Ich verstehe nur immer noch nicht, was du mir sagen willst."
Negan seufzt. "Du willst unbedingt, dass ich es sage, hm?"
"Dass du was sagst? Negan- komm auf den Punkt!", stößt sie gereizt hervor.
"Schön. Als Andy dir heute die Waffe an den Kopf gehalten hat, da hatte ich einen Moment Angst. Angst, dass dir was passiert. Angst, dass du stirbst. Ich...", er wirft hilflos die Arme in die Luft, "Ich will nicht, dass du meine Schwäche wirst, Eden. Wenn auch nur einer das mitbekommt, dann bist du in wirklich großer Gefahr."
Eden blinzelt irritiert. Sie hört zwar, was er sagt, aber die Bedeutung dieser Worte kann ihr überreiztes Hirn nicht verarbeiten.
"Ich...äh...", stammelt sie verwirrt.
Negan lächelt sie an, es ist ein freudloses Lächeln . "Ich bin gerne mit dir zusammen. Nicht nur zum Vögeln, meine ich. Aber das muss aufhören. Und du kannst nicht mehr mitkommen. Umso weniger wir uns sehen, desto besser. Verstehst du das?"
"Äh...." Edens Hirn setzt jetzt komplett aus. Was will er?
Er kommt auf sie zu, streicht ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht. Dann küsst er sie auf die Stirn. "Geh jetzt schlafen. Ruh dich aus. Gute Nacht." Er schiebt sie Richtung Ausgang. Mechanisch läuft sie auf die Tür zu. In ihrem Kopf rattert es.
"Ach, und Eden?", hört sie ihn sagen und dreht sich noch einmal um, "Danke, dass du uns heute das Leben gerettet hast. Danke, dass du mir das Leben gerettet hast."
"Äh...gern geschehen.", nuschelt sie verwirrt und verlässt das Zimmer.

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