20. Schwere Entscheidungen

Ich sehe ihn nicht, ich höre ihn nicht. Morro taucht wie aus dem Nichts plötzlich über mir auf. Im nächsten Moment landet er auf mir und wir fallen gemeinsam zu Boden.

Jedoch schafft es Morro, im Gegensatz zu mir, sich abzurollen und wieder auf zu stehen. Ich will dasselbe tun, aber da ist er auch schon über mir und hält mich an den Handgelenken fest.

Ich kann mich nicht bewegen, obwohl ich es mit aller Kraft versuche. Aber Morro ist viel zu stark.

„Pling", ertönt es von unseren Uhren.

Und gleich darauf auch „Gong".

Ungläubig starre ich ihn an. Dann schiele ich auf meine Uhr. 7:8. Und 2:1.

Einen Moment lang bin ich sprachlos. Kann das wirklich sein? Hat er mich wirklich...besiegt?

Ich sehe zu ihm hoch. Seinem Gesichtsausdruck nach ist er sich seines Sieges voll und ganz bewusst. Er grinst mich an.

Er hockt immer noch über mir und plötzlich werde ich mir bewusst, wie nahe wir uns sind. Sein Gesicht ist kaum ein paar Zentimeter von meinem entfernt und ich spüre seine Hände an meinen Handgelenken.

„Du hast gewonnen...", unterbreche ich schließlich die Stille.

„Ich weiß..."

Eine Weile schweigen wir uns an, dann frage ich: „Und, was willst du als Preis haben?"

Er antwortet nicht, sagt keinen einzigen Ton. Dafür küsst er mich.

Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, dass das wirklich passiert. Aber als der erste Moment der Verwirrung vorbei ist, erwidere ich den Kuss ohne zu zögern.

Diesmal fühlt es sich anders an als beim letzten Mal. Besser. Wenn es nach mir gegangen wäre, würde dieser Moment niemals enden.

Ich spüre erneut dieses Verlangen, diesmal stärker als je zuvor. Alles, was ich will, ist, bei ihm zu bleiben.

Nach einiger Zeit, die mir viel zu kurz erscheint, spüre ich jedoch eine Veränderung. Morro löst sich von mir und richtet sich auf. Ich habe fast das Gefühl, es sei ihm unangenehm, was eben passiert ist.

Ich brauche einen Moment, um mich daran zu erinnern, wo wir sind und was eben passiert ist.

„Man Leyla, ist das dein Ernst?"

Verwundert sehe ich ihn an. „W-was meinst du?"

Er schlägt sich eine Hand vor die Stirn. „Ich küsse dich und du ERWIDERST den Kuss?"

Ich bin jetzt noch verwirrter. „Sicher..."

Schon beinahe verzweifelt sieht er mich an. „Bitte Leyla, tu mir diesen einen Gefallen, wenn ich erneut versuchen sollte dich zu küssen, stoß mich weg und sag mir, ich soll dich in Ruhe lassen."

Ich blinzle überrascht. „Was? Nein, das will ich nicht..."

Morro zieht die Beine an und lehnt sich gegen die nächstbeste Mauer. Der Rest des Labyrinths verschwindet, auch seine Kleidung sieht wieder aus wie vorher. Meine hat er wohl vergessen. Aber das ist jetzt nebensächlich.

Ich setze mich neben ihn und ziehe ebenfalls die Beine an. „Aber warum? Ich verstehe das nicht, was hindert dich daran..." Ich beende meinen Satz nicht, aber ich gehe davon aus, dass er weiß, was ich meine.

Er seufzt. Dann sieht er mich an. „Du weißt ja, dass ich vom großen Schlangenmeister gebissen wurde..."

Ich nicke.

„Du musst wissen, das Gift verhält sich bei jedem anders. Bei deinem Vater wirkte es langsam aber dafür sehr stark. Bei mir wirkte es schneller – ich war schon nach zirka drei Tagen komplett böse – aber dafür wirkt es etwas schwächer. Wenn ich will, bin ich in der Lage, es zu kontrollieren – der einzige Grund, warum ich überhaupt in der Lage bin, nett zu dir zu sein."

Morro seufzt.

„Aber du hast keine Ahnung, wie anstrengend das ist. Seit ich mit dir zu tun habe, muss ich mich fast täglich kontrollieren."

Ich sehe ihn an. „Ich verstehe. Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun?"

Er seufzt.

„Um mich zu kontrollieren, muss ich konzentriert sein. Ich darf keine Sekunde lang vergessen, was ich tue oder wo ich bin. Sonst ist die Kontrolle weg. Und ich habe dir bereits gesagt, wenn man mir zu nahe kommt, kann niemand vorhersehen, was passiert."

Er nimmt mein Kinn in die Hand und sieht mich an.

„Ich liebe dich, Leyla. Und sollte ich dir jemals etwas antun ...könnte ich mir das niemals verzeihen."

Ich reiße die Augen auf. Hat er das eben wirklich gesagt? Mein Herz schlägt doppelt so schnell wie zuvor.

„Und deshalb musst du dich von mir fernhalten." Seine Stimme klingt eindringlich. „Ich bin gefährlich, verstehst du?"

Ohne wirklich zu registrieren, was Morro sagt, lehne ich mich vor und küsse ihn. Es dauert nicht lange, aber für einen unendlich kurzen Moment habe ich das Gefühl, er ist kurz davor den Kuss zu erwidern.

Dann wendet er sich von mir ab und schüttelt den Kopf. „Leyla ich sage dir, ich bin gefährlich und du küsst mich?"

Ich schaue verlegen zu Boden.

Mehr zu sich selbst murmelt er: „Ich wünschte ich könnte deinen Körper verlassen...das würde alles um einiges einfacher machen."

„I-ich will nicht, dass du gehst!", rufe ich. Dann besinne ich mich darauf, dass ich ihm eben eröffnet habe, ihn für immer hier behalten zu wollen.

„Ich meine...", verzweifelt suche ich nach irgendeiner Entschuldigung. „...Warum kannst du nicht gehen?", frage ich schließlich. Auch, weil mich das wirklich interessiert.

Er seufzt.

„Weil ich deinen Körper brauche."

Ich sehe ihn verwundert an.

„Also schön, vielleicht wird es Zeit, dir mein wahres Ziel zu verraten. Abgesehen davon, dass ich mich an Wu und Garmadon rächen will, möchte ich einen weiteren Ort finden, der vom ersten Spinjitzu-Meister erschaffen wurde."

Morro macht eine kleine Pause.

„Du weißt doch, was mit den Körpern all jener geschieht, die in die Verfluchte Welt verbannt werden, geschieht?"

„Sie verschwinden?"

„Falsch."

Ich sehe ihn überrascht an.

„Einer der Schriftrollen nach, die ich damals in Wus Keller studiert habe, gibt es einen sagenumwobenen Ort, genannt die Eishöhlen, wo angeblich alle Körper jener Seelen, die in die Verfluchte Welt verbannt werden, für immer in Gletschereis eingefroren werden."

Ich starre ihn fassungslos an. „D-du meinst, auch dein Körper befindet sich dort?"

Er nickt. „Die einzige Chance, wieder normal leben zu können, ist es, ihn zu finden. Und um die Höhle zu öffnen, bedarf es eines Nachfahren des ersten Spinjitzu-Meisters."

Er seufzt.

„Du weißt nicht, wie gern ich Wus Körper verwenden würde, aber leider weiß der, wie man sich gegen Geister verteidigt."

Ich sehe kurz zu Boden. „Das ist okay", sage ich schließlich.

Morro sieht überrascht auf. „Was?"

Ich schlucke kurz. „Du kannst meinen Körper haben. Für die Zeit."

Die Verwirrung in seinem Gesicht ist deutlich zu sehen. „D-du...?"

Ich lege meine Arme um ihn. „Ich verstehe das...glaub mir. Es macht mir nichts aus."

Vorsichtig erwidert er meine Umarmung, dann hebt er mein Kinn an. Ich merke erst, was passiert, als ich seine Lippen auf meinen spüre.

Kurz denke ich an seine Warnung, dann jedoch schiebe ich sie rasch beiseite. Das hier fühlt sich zu gut an.

Dann löst er sich. „Leyla das geht nicht! Hörst du mir denn gar nicht zu?" Er sieht mich verzweifelt an.

„I-ich kann nichts dagegen tun...", ich greife nach ihm, aber er weicht mir aus.

„Warum? Warum fühlst du das? Ich bin ein böser Geist, Leyla, du solltest dich vor mir fürchten!"

Er wendet sich ab und verschränkt die Arme.

„Ich weiß es nicht..."

Eine Weile passiert nichts, doch dann wirbelt er plötzlich herum. Ich merke die Veränderung sofort.

Seine Augen sind von dunklen Schatten umrandet und seine Haut schimmert grünlich, wie in seinem Geisterzustand.

Aber daran liegt es diesmal nicht.

Ehe ich mich versehe stößt Morro mich nach hinten und drückt meine Handgelenke gegen die Wand.

„Aber ich weiß es.", flüstert er. Seine Augen funkeln böse.

„Weil ich bis jetzt viel zu nett zu dir war."


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