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(Teil 2)

~2 JAHRE SPÄTER~

"Noah, Kumpel, du starrst jeden Abend auf diesen Brief, warum machst du ihn nicht einfach auf?" fragt Dylan und lehnt sich mit verschränkten Armen an den Türrahmen meines Zimmers.

"Sie hat mir nicht gesagt, warum sie geht, sie hat sich nicht verabschiedet", beginne ich aufzuzählen, ohne ihn anzusehen. "Sie hat sich von allen verabschiedet, nur nicht von mir, also warum zum Teufel sollte ich den Brief öffnen?"

"Ach, ich weiß nicht, vielleicht weil der Brief alles erklären könnte!" ruft Max und taucht neben Dylan in der Tür auf.

Carter ist vor zwei Jahren abgehauen, kein Wort zu mir, und hat sich seitdem mit niemandem außer Megan in Verbindung gesetzt. Letztes Jahr haben wir unseren Highschool-Abschluss gemacht. Dieses Jahr ist unser erstes Jahr auf dem College. Es ist ungefähr vier Monate her, seit das College-Jahr begonnen hat. Max, Dylan und ich sind Zimmergenossen, und Megan hat ein Zimmer für sich allein.

Ich werde nicht lügen, ich denke jeden Tag an Carter, aber ich hasse es, dass sie gegangen ist. Kein Lebewohl, kein gar nichts. Selbst eine SMS mit "Hey, Steinchen, ich ziehe zurück nach Neuseeland, tschüss Arschloch" hätte gereicht, aber sie hat nicht einmal versucht, mich ein letztes Mal zu besuchen. Alles, was ich bekommen habe, war dieser verdammte Brief, den sie Danny geben hat, und sie hat ihm auch gesagt, dass er mir sagen soll, dass ich recht hatte.

Und ich wusste genau, was sie meinte.

Ich hatte Recht damit, dass sie etwas vor mir verheimlicht.

Ich habe mich von Nevaeh gelöst. Ich bin jetzt mit Hazel zusammen, aber ich kann nicht sagen, dass ich glücklich bin. Sie ist anhänglich und nervig, aber Carter wollte, dass ich weitermache, also tat ich es. Ich werde mich nicht länger von einer dummen Highschool-Schwärmerei davon abhalten lassen, mit anderen Mädchen auszugehen.

Wenn sie nur eine dumme Highschool-Schwärmerei war, warum bist du dann so wütend darüber, dass sie gegangen ist?

Solltest du nicht mit mir übereinstimmen?

Ich bin dein Unterbewusstsein, Idiot. Ich bin die logische Seite von dir. Warum zum Teufel sollte ich den dummen Dingen zustimmen, die du denkst?

Siehst du, was sie mit mir gemacht hat? Mein Unterbewusstsein hat einen mexikanischen Akzent und trägt einen Sombrero, und streitet die ganze verdammte Zeit mit mir. Ich werde noch verrückt.

Verdammt, ich hasse Nevaeh Carter!

Nein, tust du nicht.

Halt die Klappe, Pablo! Doch, das tue ich.

"Sie hätte es mir ins Gesicht sagen oder mir den Brief wenigstens selbst geben sollen", beginne ich mit zusammengebissenen Zähnen. "Und ihn nicht meinem kleinen Bruder geben, damit er ihn mir gibt."

"Hast du jemals in Betracht gezogen, dass die Tatsache, dass sie vielleicht, nur vielleicht, auch verletzt ist?" beginnt Dylan. "Und dass sie, wenn sie versucht hätte, sich persönlich von dir zu verabschieden, nicht in der Lage gewesen wäre zu gehen?"

"Wäre das nicht eine gute Sache gewesen?" frage ich, stehe auf, lege den Brief in die unterste linke Schublade meines Schreibtisches und schiebe meinen wackeligen Stuhl unsanft hinein.

"Nein", Max schüttelt den Kopf. "Nicht, wenn du den Grund wüsstest, was du tun würdest, wenn dein sturer Arsch einfach den verdammten Brief lesen würde!"

Seit Carter weg ist, ist Max ein ganzes Stück reifer geworden. Natürlich ist er immer noch manchmal albern und kindisch, aber er ist jetzt viel ernster.

Dylan ist immer noch derselbe, obwohl man merkt, dass er auch ein bisschen reifer geworden ist. Er und Joey Sanders haben seit dem letzten Schuljahr eine Beziehung, die mal mehr, mal weniger gut ist.

Wenn nur Carter hier wäre, um ihn zur Vernunft zu bringen.

Megan ist eine ganz andere Geschichte. Der Grund, warum sie keine Mitbewohnerin hat, ist, dass sie keine wollte, und jedes Mal, wenn sie eine Mitbewohnerin bekommen hat, hat sie etwas getan, damit diese auszieht, so dass sie ihr schließlich keine Mitbewohnerin mehr zugewiesen haben. Anscheinend haben sie und Carter immer darüber geredet, aufs College zu gehen und sich ein Wohnheim zu teilen, und das ist die einzige Person, mit der sie zusammenwohnen will. Sie hat ein paar Freundinnen, aber sie stehen sich nicht sehr nahe. Normalerweise bleibt sie einfach bei uns.

Oh, und sie verachtet Hazel immer noch. Genau wie Dylan und Max.

Sie zweifeln jeden Tag an meinem Verstand, weil ich mit ihr ausgehe.

Um ehrlich zu sein, ich zweifle auch an meinen Verstand.

Das tue ich auch.

Halt die Klappe, Pablo!

"Warum siehst du so aus, als würdest du gleich allein im Dunkeln sitzen, dir die größten Hits von Air Supply anhören und darüber weinen, wie sehr du Nevaeh vermisst?" meldet sich Max nach einem Moment zu Wort.

"Du bist eher der Typ 'Ich tue so, als würde ich Gitarre spielen, um Mädchen zu beeindrucken, aber wenn ich allein bin, höre ich die Greatest Hits von Air Supply und weine darüber, dass ich für immer allein bin'."

Ich lächle fast bei der Erinnerung an das erste Mal, als Nevaeh zu mir nach Hause kam. Fast.

Ich schüttele die Gedanken an Carter weg.

Ich spotte und werfe einen Schuh nach Max. "Halt die Klappe, du Arsch."

Er lacht laut, als er ausweicht und aus meinem Zimmer stürmt.

Dylan kichert, schüttelt den Kopf, stößt sich vom Türrahmen ab und geht zu meinem Schrank, öffnet ihn und holt einen beliebigen Hoodie heraus, bevor er ihn nach mir wirft. Ich strecke meine Hand aus und fange ihn auf. "Komm schon, wir gehen zu Pizza Palace."

Er geht raus und ich zucke mit den Schultern, bevor ich mir den schlichten schwarzen Hoodie überziehe. Ich stecke meine Füße in ein Paar schlichte schwarze Vans und gehe aus meinem Zimmer.

*~*

-Nevaeh-

"-und bitte, Aroha, mach keine Dummheiten."

Ich rolle spielerisch mit den Augen, obwohl Tante Mila mich durch das Telefon nicht sehen kann.

"Warum sollte ich etwas Dummes tun?" frage ich, schiebe meinen Koffer hinter mir her in den Aufzug und richte den Gurt meines Nike-Rucksacks auf meiner Schulter, bevor ich den Knopf für den fünften Stock drücke.

"Erst gestern wolltest du eine Gabel aus Metall in den Toaster schieben, weil dein Bagel stecken geblieben ist." Ich kann praktisch den leeren Blick auf ihrem Gesicht sehen.

"Was hätte ich denn nehmen sollen? Eine Plastikgabel?"

"Ja!"

Ich kichere. "Mach dir keine Sorgen, Tantchen. Ich werde keine Dummheiten machen."

"Siehst du, jetzt wo du 'keine Sorge' gesagt hast, mache ich mir noch mehr Sorgen." Ihre ruhige Stimme kommt vom anderen Ende der Leitung. "Und du versteckst dein Gesicht nicht mit der Kapuze, oder?"

Ich schüttele den Kopf, bevor mir klar wird, dass sie mich nicht sehen kann. "Nein. Ich werde die Kapuze nicht mehr tragen."

"Gut. Ich habe nicht umsonst zwei Wochen damit verbracht, diese Rede vorzubereiten."

Ein paar Monate, nachdem ich zurück nach Neuseeland gezogen war, setzte sich Tante Mila mit mir zusammen und sprach mit mir darüber, dass ich mein Gesicht nicht verstecken muss, vor allem nicht wegen - und ich zitiere - "meiner dämlichen Mutter".

Alles, was sie sagte, war richtig, und mir wurde klar, dass ich mein Gesicht nicht zu verstecken brauchte.

Außerdem entschied ich nach etwa zehn Monaten Chemotherapie, dass ich sie nicht wollte und auch nicht brauchte. Ich wäre so oder so gestorben, also wozu das Ganze?

Es hat eine Weile gedauert, bis mein Haar nachgewachsen ist, aber als es knapp über den Schulterblättern war, habe ich es abgeschnitten, so dass es knapp über den Schultern aufhört, was ich ein paar Tage bevor ich hierher kam gemacht habe.

Ich lache. "Ich liebe dich, Tantchen, byeee!"

"Ich hab dich auch lieb, Aroha, pass auf dich auf, ka kite." verabschiedet sie sich, bevor die Leitung verstummt.

Ich schiebe mein Handy in die Gesäßtasche meiner Jeans, als ich das Wohnheim 355 erreiche.

Ich atme tief durch, bevor ich an die Tür klopfe. Ein paar Sekunden später schwingt sie auf, und ich sehe das vertraute Gesicht meine besten Freundin, das mich anschaut.

"Kia Ora, Mitbewohnerin." grinse ich.

"OH MEIN GOTT, NEVAEH!" quiekt Megan, wirft ihre Arme um mich und drückt mich fast zu Tode.

"Hey, Meg." kichere ich und drücke mich genauso fest an sie zurück.

Sie zieht mich ins Zimmer, zusammen mit meinen Taschen, bevor sie die Tür zuknallt.

"Bitch", sie wirft ein Couchkissen nach mir. "Du hast gesagt, du würdest nicht vor nächstem Monat hier sein."

Ich grinse schelmisch. "Überraschung."

Sie lacht und zieht mich in eine weitere Umarmung. "Ich habe dich vermisst."

Ich lächle sanft. "Ich habe dich auch vermisst."

Ihre Augen flackern hinunter zu meinem Hoodie, bevor sie wieder hoch zu meinem Gesicht wandern, während sich langsam ein Grinsen auf ihrem Gesicht bildet. "Du versteckst dein Gesicht nicht mehr?"

"Nö." Ich schüttele den Kopf, immer noch lächelnd.

"Was hältst du davon, wenn wir zu Pizza Palace gehen und eine halbe Hawaii und eine halbe Salami bestellen, hm?" Sie lächelt breit. "Wie in alten Zeiten?"

"Hell yeah." nicke ich. Wir gehen zur Tür, aber ich bleibe stehen. "Äh, hey Megan, wie geht's..."

"Noah?" beendet sie. "Nun..."

"Er hat den Brief nicht gelesen, oder?" Ich seufze wissend.

Sie schüttelt den Kopf, was mich wieder seufzen lässt. "Er ist stinksauer, Vaeh."

"Ich sagte doch, dass er mich hassen würde."

"Er hasst dich nicht, du Idiot." Megan seufzt. "Er ist nur sauer und verletzt, und verdammt dumm, weil er den Brief nicht gelesen hat."

"Ich bin gegangen, ohne mich zu verabschieden, er hat das Recht, wütend und verletzt zu sein." Ich zucke mit den Schultern. "Ich konnte mich einfach nicht verabschieden. Ich wußte nicht, wie. Ich hatte Angst, dass ich zusammenbreche und ihm alles erzähle, wenn ich mit ihm persönlich rede."

"Ich verstehe. Ich verstehe vielleicht nicht genau, was du durchmachst, aber ich verstehe, warum du es ihm nicht sagen konntest." Megan lächelt sanft. "Also, Pizza?"

Ich lächle dankbar. "Ja, lass uns gehen."

*~*

-Noah-

"Ich will damit nur sagen, dass Voldemort mit einer Nase wirklich seltsam aussehen würde." beendet Max und nimmt einen Schluck von seiner Dr. Pepper, während wir an einem Tisch im Pizza Palace sitzen und uns drei verschiedene Pizzen teilen.

"Max, niemand hat gefragt." stelle ich unverblümt fest und beiße in mein Stück Hawaii-Pizza.

Dylan verschluckt sich an seiner Pizza und lacht laut. Max schmollt und tritt mir unter dem Tisch gegen das Schienbein.

Ich lache und trete ihn zurück. Dann beginnen wir, uns gegenseitig hin und her zu treten.

Die Glocke über der Tür klingelt, als sie aufgestoßen wird, aber Max und ich beachten sie nicht, da wir zu sehr damit beschäftigt sind, uns gegenseitig zu treten.

"Auf keinen Fall ..." atmet Dylan aus, seine Augen sind auf etwas an der Tür fixiert.

Max und ich hören auf, uns gegenseitig zu treten, bevor wir einen Blick austauschen und unsere Blicke auf die Tür richten.

Dort steht neben Megan ein Mädchen mit strahlend blauen Augen, gewelltem hellbraunem Haar, das ihr nur knapp über die Schultern reicht, und mit sichtbaren Grübchen, als sie über das lächelt, was Megan gesagt hat. Außerdem trägt sie einen vertrauten Basketball-Hoodie.

Das Seltsame ist jedoch, dass die Kapuze nicht ihr Gesicht verdeckt.

Sie wendet ihren Blick von Megan ab und sieht mir in die Augen.

Ihr Lächeln verblasst langsam, als sich ein schmerzhafter Ausdruck auf ihr Gesicht legt.

Sie weiß es. Sie weiß, dass ich den Brief nicht gelesen habe.

Megan schaut traurig zwischen uns hin und her, bevor sie ihren Arm tätschelt und ihr etwas zuflüstert.

Sie nickt nur, bevor sie sich einen Platz im hinteren Bereich sucht, während Megan zum Tresen geht.

Ich stehe auf und stürme aus der Pizzeria.

Sie ist wieder da.

Carter ist wieder da.


*NICHT ÜBERARBEITET*

A/N ein Kapitel kommt noch und dann gehts morgen am Abend mit der Lesenacht weiter :)

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