⋆✧*~Kapitel 7~*✧⋆
Kalt, so furchtbar kalt! Irgendetwas zog an meinen Kleidern. Mühsam versuchte ich meine Augen zu öffnen, doch meine Lider waren so schwer. Meine Hand ertastete einen Stein, er war rund und ganz glatt. Glatt...geschliffen...durch Wasser...Wasser! Der Wasserfall!
Plötzlich war ich hellwach. Mein Kopf und Rücken schmerzten grausam. Aber ich musste aufstehen und aus dem Wasser hinaus! Ich versuchte auf Knien der eisigen Kälte zu entkommen, als ein stechender Schmerz mich durchfuhr. Ich atmete langsam und flach, um ihn ertragen zu können.
Mein Kleid hing nass und schwer an mir. Es war nur noch ein kleines Stück, dann hatte ich das sichere Ufer erreicht. Meine Kräfte versagten. Ich sackte zusammen und spürte wieder das kalte Wasser. Aber ich durfte nicht aufgeben.
Unter meinen Händen fühlte ich weiches Gras, dann auch unter meinen Knien. Ich hatte es geschafft. Mit großer Mühe ordnete ich meine Gedanken. Es war noch immer dunkel, allzu viel Zeit konnte noch nicht vergangen sein.
In meinem Kopf hämmerte es noch immer, aber ich konnte langsam wieder ohne diesen pulsierenden Schmerz atmen. Der Aufprall auf das Wasser musste wohl sehr heftig gewesen sein, doch ich erinnerte mich nicht daran.
Ich sah mich langsam um und versuchte mich zu orientieren. Das Rauschen des Wasserfalls war da, doch es schien in weiter Ferne. Ich musste also ein ganzes Stück flussabwärts getrieben sein, oder war ich geschwommen?
Wenn ich mich doch nur erinnern könnte! Da war der Abgrund, Tayron direkt vor uns, der Moment, in dem ich den Boden unter den Füßen verlor...Uns? Natürlich. Luna! Sie war bei mir gewesen, sie hatte mich...Wie vom Blitz getroffen fuhr ich herum. Wo war sie? Was wenn sie...Nein! Ich verbot mir selbst diesen Gedankengang zu beenden.
Mit zitternden Beinen stand ich auf und begann taumelnd das Ufer abzusuchen. Ich rief nach ihr. Meine Stimme war rau und kratzig, schien nicht mir zu gehören. Immer wieder blieb ich stehen, wartete auf eine Antwort, ein Lebenszeichen...irgendwas. War da ein leises Schluchzen, ein Rascheln? Oder spielten mir nur meine überreizten Sinne einen Streich?
Ich suchte vergeblich das Wasser und Ufer ab. Als die Wolkendecke aufbrach, fiel das Licht der Monde auf die schwarz wirkenden Stromschnellen. Meine Stimme versagte. In meinem Hals hatte sich ein dicker Kloß gebildet, der mir das Sprechen unmöglich machte. So würde ich sie niemals finden! Ich trat an den Fluss heran und kniete mich hin. Mit der Hand schöpfte ich etwas Wasser und trank es gierig.
Die kalte Flüssigkeit floss erfrischend meine Kehle hinunter und der Kloß schien sich etwas zu lösen. Als ich den Blick über den Fluss schweifen ließ, stockte mir der Atem. In einem Gewirr aus Ästen eines umgestürzten Baumes, die ins Wasser hingen hatte sich ein Stück Stoff verfangen. War es der Mantel von Luna?
Wieder wurden meine Knie weich, doch ich erhob mich und ging etwas näher heran. Ich schnappte mir einen herumliegenden Stock und versuchte das Kleidungsstück herauszufischen. Es gelang mir nicht auf Anhieb, doch nach einer Weile hatte ich es geschafft. Mit zittrigen Fingern entfernte ich es von dem Stock und warf ihn zur Seite. Da die Monde die Umgebung nur spärlich beleuchteten, erkannte ich ihn nicht sofort, doch bei genauerer Betrachtung sah ich es eindeutig.
Ein spitzer Schrei entfuhr mir und der Mantel landete mit einem platschenden Geräusch auf dem Boden. Der teure Seidenstoff, die aufwendigen Stickereien, selbst die Knöpfe... dieser Mantel war nicht von Luna, er gehörte Tayron! Doch wie konnte er hier sein? Tayron war doch nicht etwa...? Meine Gedanken überschlugen sich. Hektisch sah ich mich um. Konnte das sein? Hatte er sich ebenfalls den Wasserfall hinuntergestürzt, obwohl das einfach nur verrückt war?
Hatte er diesen Sturz überlebt? Und Luna, wo war sie nur? Wie versteinert blickte ich hinab auf den Haufen Stoff. Ich war mir sicher, sie war noch am Leben und auch Tayron musste hier noch irgendwo sein. Drückende Angst schnürte mir die Kehle zu. Was wenn Luna etwas zugestoßen war? Somit hätte ich nicht nur meine beste Freundin verloren, ohne sie war ich schutzlos und verletzlich. Übermannt von meinen Gefühlen sackte ich neben Tayrons Mantel zusammen und Tränen überströmten mein Gesicht. Ich konnte sie nicht zurückhalten.
Plötzlich drang ein Geräusch an mein Ohr. Ich erstarrte. Tayron? Hatte mich gefunden? Ich suchte fieberhaft meine Umgebung ab, nach etwas, womit ich mich verteidigen konnte. Vor mir lag ein faustgroßer Stein, jedoch wagte ich nicht nach ihm zu greifen. Angst lähmte meine Glieder. Doch es war meine einzige Chance. Blitzschnell griff ich danach und wirbelte herum, als eine vertraute Stimme meinen Namen rief.
»Elena!«, Luna trat aus dem Gebüsch hervor. Ich ließ den Stein erleichtert los und fiel ihr in die Arme. Freudentränen füllten meine Augen und auch Luna merkte man an, dass all die Anspannung von ihr abfiel.
»Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe. Ich hatte schon Schlimmes befürchtet. Geht es dir gut, bist du verletzt?«, wollte sie wissen, schob mich ein wenig von sich und warf einen besorgten Blick auf mich. »Es tut mir so leid, dich dieser Gefahr ausgesetzt zu haben, Elena. Aber es gab keinen anderen Weg. Wir wären ihm sonst niemals entkommen.«
»Vielleicht sind wir das dennoch nicht«, antwortete ich mit zitternder Stimme und deutete auf den Mantel, der noch immer nass und matt-glänzend neben uns auf dem Boden lag. Sofort wich die Besorgnis in ihrem Blick erhöhter Wachsamkeit und ihre Augen suchten systematisch die Umgebung ab.
»Erstmal müssen wir vom Fluss weg! Wenn er wirklich auch gesprungen ist, könnte er noch in der Nähe sein. Außerdem werden seine Gefolgsleute schon nach ihm suchen. Wir müssen das Portal erreichen bevor es hell wird.«
Ich schluckte: »Aber es ist stockfinster, wie sollen wir da den Weg finden?«
»Die Dunkelheit ist auch unser Schutz. Es ist unsere einzige Möglichkeit ihnen zu entkommen«, beharrte sie und wand sich dem Waldrand zu. Kopfnickend gab ich ihr Recht und folgte ihr. Ich versuchte schrittzuhalten und direkt hinter ihr zu bleiben, um sie nicht zu verlieren. Rasch, aber vorsichtig, um unnötige Geräusche zu vermeiden, bewegte sie sich zielstrebig durch die Finsternis.
Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf: Wieder einmal vertraute ich Luna mein Leben an und erneut fühlte ich mich in ihrer Gegenwart geborgen und sicher. Was würde ich nur ohne sie tun!? Solange ich mich zurück erinnern konnte, war sie immer an meiner Seite gewesen. Nie hatte sie mich im Stich gelassen. Ich stand schon so tief in ihrer Schuld, dass ich mich niemals angemessen dafür erkenntlich zeigen konnte. Doch ich nahm mir fest vor, mich bei ihr zu bedanken, wenn irgendwann einmal etwas Ruhe in unser Leben einkehren würde. Das war das Mindeste, was ich tun konnte.
Ein leises Knacken hinter uns riss mich aus meinen Gedanken. Auch Luna hatte es vernommen und blieb unvermittelt stehen. Wir lauschten regungslos in die Dunkelheit. Ein kleiner dunkler Schatten schoss an uns vorbei. Ein Tier des Waldes war wohl in seiner Nachtruhe gestört worden und suchte nun eilig ein neues Versteck. Nachdem es im Dickicht verschwunden war, verharrten wir noch einem Moment und setzten danach leise unseren Weg fort.
Allerdings war auch ich nun wesentlich aufmerksamer als zuvor. Wachsam beobachtete ich jeden Schatten und versuchte in die Tiefe des Waldes hinein Geräusche zu hören, oder Bewegungen wahrzunehmen. Das beklemmende Gefühl verfolgt und belauert zu werden, ließ sich einfach nicht abschütteln.
Wir waren eine Weile gegangen, da stieg mir ein vertrauter Duft in die Nase. Erst ganz schwach, dann unverkennbar: Apridrebeeren! Im selben Augenblick drehte sich Luna zu mir herum: »Riechst du das?«
Ich nickte stumm: »Sie müssen hier irgendwo wachsen, ganz in der Nähe.« Wir sahen uns nach diesen kostbaren Beeren um, die in unseren Wäldern nur sehr selten anzutreffen waren. Ich entdeckte den Strauch zuerst und zog Luna am Kleid mit mir. Wortlos stürzten wir uns auf die köstlichen Früchte. Wir waren so gierig das wir sogar die kleinen, etwas bitteren Kerne mitaßen, die gewöhnlich entfernt und zur Herstellung von Öl verwendet wurden.
Einige der Beeren, die wir uns in den Mund stopften, waren noch grün oder schon überreif. In der Dunkelheit war es unmöglich zu unterscheiden, doch es kümmerte uns auch nicht. Unsere letzte Mahlzeit lag schon einige Zeit zurück und war von Tayron und seinen Männern unterbrochen wurden, sodass die Apridrebeeren ein wahrer Glücksfall waren.
Ein fader Lichtschein beleuchtete einen Zweig etwas über mir, an dem viele Trauben mit reifen Früchten hingen. Doch so sehr ich mich bemühte: Meine Kräfte reichten nicht aus, um ihn zu mir herunterzuziehen. Luna musste mir wohl meine Erschöpfung angesehen haben, denn sie kam mir zu Hilfe. Gemeinsam gelang es uns, doch auch ihr machte die Müdigkeit zu schaffen.
»Lass uns einen Moment ausruhen!«, bat ich sie.
»Es wird zwar bald hell, aber es ist auch nicht mehr weit«, gab sie mir als Antwort und ließ sich im weichen Laub nieder. Ich fiel neben sie und seufzte erleichtert. Ich war mit meinen Kräften am Ende. Dennoch kreisten meine Gedanken um das, was vor uns lag. Die Felsenhöhle mit dem mysteriösen Portal kam mir wieder in den Sinn. Die Tatsache, dass ich nichts darüber wusste, bereitete mir größtes Unbehagen.
In die Stille hinein fragte ich leise: »Luna, dieses Portal...wie ist es da hindurchzugehen? Ist es, wie den Wasserfall hinabzuspringen? Oder macht man einfach einen Schritt und findet sich in einer anderen Welt wieder? Und wo gehen wir hin, wie ist es dort? Werden wir jemals zurückkehren? Ich weiß es ist albern, nach all den Gefahren in denen wir uns in letzter Zeit befunden haben, doch es macht mir große Angst nicht zu wissen, was mich erwartet.«
»Leider kann ich die dir auch nicht nehmen. Ich selbst habe es noch nie durchschritten«, gab sie bedauernd zu, »was ich über das Portal weiß, habe ich von meiner Mutter erfahren und diese wiederum von meiner Großmutter. Es existiert schon seit uralten Zeiten. Früher gab es viele mehr davon, verschiedene Welten waren durch sie verbunden. Doch sie wurden geschlossen und das Wissen darüber vergessen. Ihre Geheimnisse wurden von den sogenannten Wächtern gehütet, die sie innerhalb ihrer Familie über Generationen hinweg weitergaben. Auch ich bin ein solcher Wächter. Mit der Nutzung dieser Portale ist eine große Macht verbunden, nach der Tayron strebt. Deshalb darf er niemals erfahren, wo es sich befindet und wir werden es verschließen, sobald wir es durchschritten haben.«
Ich war verwirrt: »Kann er es nicht einfach wieder öffnen?«
»Nein, diese Macht haben nur wenige, ganz besondere Menschen. Nur sie besitzen die Gabe, mit Hilfe eines speziellen Gegenstandes, eine Art Schlüssel, die Portale wieder zu öffnen. Dies ist sicherlich der Grund, warum Tayron hinter dir her ist, denn du besitzt die Gabe, ebenso wie vor dir deine Mutter. Ich weiß noch nicht wie, aber auf irgendeine Weise muss er davon erfahren haben. «
Mir blieb der Mund offen stehen, alles was Luna sagte, musste ich erst einmal verdauen. Wieso hatte ich nie etwas davon erfahren, wenn es sogar Tayron wusste? Meine Gedanken überschlugen sich. Noch vor wenigen Tagen führte ich ein ganz normales Leben. Hätte mir jemand von solchen Dingen erzählt, hätte ich ihn ausgelacht und ihn für einen fantasiereichen Geschichtenerzähler gehalten. Doch nach den Ereignissen der letzten Zeit, erschien mir jetzt alles in einem anderen Licht.
Jetzt hatte ich wirklich viele Fragen! Doch Luna war bereits aufgestanden und drängte darauf, unseren Weg fortzusetzen. »Es dämmert bereits. Wir müssen weiter!«
Ich musste mich eben noch gedulden, aber ich hoffte somit meine Gedanken etwas ordnen zu können. Doch diese Zeit war mir nicht vergönnt, denn schon bald tauchte vor uns wie aus dem Nichts die steile, zugewucherte Felswand auf, in deren Inneren das Portal verborgen war. Luna warf noch einmal einen prüfenden Blick zurück, um sicher zu gehen, dass uns niemand gefolgt war.
Dann schlüpften wir durch den schmalen Spalt, den ich auch dieses Mal nicht wahrgenommen hatte. Kaum hatten wir den Eingang hinter uns gelassen, kam das Portal mit seinem bläulich schimmernden Licht zum Vorschein. Mir wurde bang ums Herz. Gleich würden wir die mir bekannte Welt verlassen, vielleicht für immer. Auch wenn es vorerst Sicherheit für uns bedeutete, gingen wir doch in eine ungewisse Zukunft. Doch es war wohl die einzige Lösung.
Luna begann an ihrer Kleidung herum zu zupfen und holte aus einer verborgenen Tasche ein Amulett, bestehend aus einem fremdartigen Metall, dass mit seltsamen Zeichen bemalt war. Sie murmelte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstand und die Schriftzeichen auf dem Schmuckstück begannen in ähnlichem Blau zu leuchten, wie das Portal selbst.
»Es ist so weit«, sagte Luna und ergriff meine Hand. Sie machte einen großen Schritt und verschwand in der bläulichen Flüssigkeit, die vor uns wie die Oberfläche eines Sees schimmerte. Erschrocken stellte ich fest, dass ich meine Hand bereits nicht mehr sehen konnte. Ich wollte schreien, doch aus meinem Mund kam kein Ton heraus. Ich sah noch einmal zurück.
Mein Herz schien stehen zu bleiben: Ich sah wie Tayron die Höhle betrat und auf das Portal zustürzte. Dann schloss sich der blau glänzende Vorhang vor meinem Gesicht und ich hatte das Gefühl in einen Strudel hineingezogen zu werden. Alles drehte sich um mich herum. Gleißendes Licht wechselte schnell mit tiefer Finsternis.
Es schien als würde ich gleichzeitig fallen und fliegen, es gab kein Oben und Unten. In irrwitziger Geschwindigkeit wechselten sich Bilder in meinem Kopf ab. Ich sah meine Mutter und mich selbst als Kind auf ihrem Schoß. Sah das Schloss und die Hofdamen, Vater in seinem Arbeitszimmer über Papiere gebeugt, die Nische in der Schlossmauer und den alten Baum. Schöne Erinnerungen, die ich festhalten wollte.
Viel zu schnell verschwanden sie wieder und wurden durch neue ersetzt. Es war unmöglich alle zu erfassen und im Gedächtnis zu behalten. Mein Verstand wehrte sich gegen die nicht enden wollende Flut dieser Eindrücke. Mir wurde schwarz vor Augen. Ich verlor das Bewusstsein.
*****
Vogelgezwitscher drang an mein Ohr. Ich öffnete langsam die Augen. Bäume umgaben mich, durch deren dichtes Blattwerk helles, warmes Licht drang. Alles war so wie in meinem Traum. Aber es war kein Traum, es fühlte sich ganz anders an: Ich war wach!
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