An mein geliebtes Herz,

wenn du das hier liest, dann hast du Glück. Du bekommst die Chance auf ein Leben. Ein langes, von Freude und Liebe erfülltes Leben. Das Herz in deiner Brust wird hoffentlich für viele Jahrzehnte schlagen, dass ein aufs andere Mal aus dem Takt geraten. Hoffentlich nur aus mehr als erfreulichen Gründen.

Doch, dass du diesen Brief liest, bedeutet auch, dass mein Weg zu Ende ist. Natürlich hoffe ich, dass es noch lange bis zu diesem Moment dauert, aber egal wann es so weit ist, wenn ich gehen muss, dann soll es nicht sinnlos gewesen sein.

Deshalb bekommst du das, was ich nun nicht mehr brauche. Mein Herz.

Es hat schon so einiges mit mir durchgemacht. Freude, Trauer, Hass und unendliche Liebe. Dort wo ich hingehe, nützt es mir nichts mehr. Ich nehme meine Erinnerungen mit mir, das genügt.

Du hingegen brauchst es. Ein Herz, das dich durch dein Leben führt, dich all das, was auf dich zukommt, meistern lässt. Bitte, ergreife die Chance und nutze sie!

Denn du bekommst sie, während sie anderen verwehrt bleibt. Viel zu wenige Menschen machen sich Gedanken darüber, was eine Organspende ausmachen und bewirken kann. Wenn man stirbt, braucht man nichts davon. Jemand anderes hingegen kann so noch eine Chance bekommen. Eine einzige Unterschrift kann bis zu sieben Leben retten. Sieben Menschen, die nicht leiden oder gar sterben müssen. Sieben Leben, die weiter gehen.

Vielleicht hältst du mich für verrückt. Doch warum mir dieses Thema so wichtig ist, wirst du vielleicht begreifen, wenn du meinen Vater kennenlernst.

Genau darum möchte ich dich bitten. Suche meine Familie auf. Lerne meinen Vater und somit den Grund kennen, warum mir das hier so wichtig ist. Sprich mit meiner Mum, zeige ihr, dass ich, auch wenn ich nicht mehr da bin, etwas bewirken kann.

Bitte, lerne meinen Mann Tyler kennen. Er war was das alles angeht immer auf meiner Seite, wusste schon immer, dass das etwas ist, was unausweichlich passieren wird. Neben meiner Mum ist er auch der Einzige, der von diesem Brief weiß.

Ich weiß nicht mal, ob das überhaupt erlaubt ist. Das eine tote Spenderin die Empfängerin ihres Herzens kontaktiert. Doch während ich diese Zeilen zu Papier bringe, hoffe ich tief in meinem Herzen, dass dich dieser Brief erreicht.

Doch dieser Brief ist nicht alles. Solltest du mich bereits jetzt als völlig durchgeknallt abgestempelt haben, ließ lieber nicht weiter.

Solltest du doch weiterlesen: Vielen Dank!

Denn das, um was ich dich bitten möchte, mag etwas seltsam sein. Doch es ist mir wichtig. Sieh es als meinen letzten Wunsch.

Am Ende der ersten Klasse gab uns meine Lehrerin eine Aufgabe. Wir sollten eine Liste schreiben. Eine Liste mit Dingen, die wir machen, erleben, erreichen wollen. Ich habe den darauffolgenden Nachmittag an dieser Aufgabe gesessen. In meiner aller schönsten Schrift – und wie du dir vorstellen kannst, war das mit sieben wirklich eine große Herausforderung – habe ich Wünsche, Träume und Ziele aufgeschrieben. Habe das Blatt anschließend bemalt, an den Rändern verziert. Ich bin damals richtig stolz auf meine Arbeit gewesen und es war mir auch ziemlich egal, dass die Jungs aus meiner Klasse mich damals ausgelacht haben, als ich der Lehrerin freudestrahlend meine mit pinkem Glitzer bestückte Liste gezeigt habe.

Damals mit sieben Jahren waren es eher kleine Dinge, kurzfristige Ziele oder Kleinmädchenträume.

Für immer mit meiner besten Freundin befreundet bleiben (check).

Die Grundschule schaffen (check).

Meine Haare länger als bis zu meinen Schultern wachsen lassen (mehrfach check).

Menschen helfen (check).

Mum und Dad stolz machen (check... hoffe ich zumindest).

Ich bin damals so von dieser Liste gefesselt gewesen, dass ich sie immer wieder erweitert habe. Dinge, die ich geschafft habe, bekamen ein Häkchen oder einen Stern. Dafür kamen auch immer neue Dinge dazu. Je älter ich wurde, desto erwachsener und ernster wurden auch die Punkte auf meiner Liste.

Meinen Abschluss machen (check).

Mit Pferden arbeiten und sie ausbilden (check).

Mich verlieben (check<3)

Die Liebe meines Lebens finden (check)

Heiraten (check).

Eine liebende Mutter wie meine eigene sein (check).

Doch es stehen auch noch weitaus größere Dinge auf der Liste. Dinge, zu denen ich leider nie gekommen bin.

Ein Bungii-Sprung.

Einmal nach Australien reisen.

Am Nordpol die Polarlichter sehen.

Meinem kleinen Bruder zeigen, dass es auch für ihn die wahre Liebe gibt, die sein gebrochenes Herz heilt.

So viele Dinge, die ich erleben wollte, es nun aber nicht mehr kann. Doch mein Herz kann es. Du kannst es. Ich vermache dir nicht nur mein Herz. Nein, ich vermache dir auch meine Liste. Halte sie in Ehren. Mach all die Dinge, die noch Wünsche sind. Erlebe das, was ich bereits erlebt habe. Schreibe Dinge auf, die du noch gerne machen möchtest. Orte, die du besuchen willst.

Dir stehen alle Türen offen, nutze deine Chance.

Die Liste ist in 22 Jahren wirklich lang geworden... Deshalb konnte ich sie dir nicht direkt geben. Sie liegt sicher verwahrt bei mir zu Hause. Tyler weiß von dem Stapel Papier, der sich mittlerweile angesammelt hat. Er weiß auch, was damit zu tun ist, sollte mein Herz ein neues Heim finden.

Und ich bin mir sicher, mein Herz hat weise gewählt.

Du, meine Schöne, bekommst eine zweite Chance.

Woher ich weiß, dass du eine Frau bist? Mein Herz hat es mir gesagt.

Also, Schönheit. Lache, liebe, lebe.

Möge dein Leben erfüllt sein von Glück, Freude, Lachen und Liebe.

Und sollten einmal dunkle Wolken aufziehen, denk immer daran: Nach jedem Regen folgt die Sonne und nur beide zusammen können Leben schaffen.

In Liebe, Abby

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