Ýpnos XIII oder Ace schläft wieder in einem echten Bett


"Und... das ist okay, ja?" Ace fühlte sich irgendwie unwohl dabei, Mani für den Rest der Nacht in den kleinen Abstellraum zu sperren, in dem man sich kaum der Länge nach hinlegen konnte. Seit dem seltsamen Gespräch am Schuppen fühlte er sich verantwortlich für den fremden Mann und sein Wohlergehen, und die Anderen mochten noch so gute Argumente haben - sie kannten diesen Typen nicht, und alle anderen Räume hatten Fenster, oder Türen, oder Dinge, die sich zu Waffen umfunktionieren ließen - Ace wollte dem dennoch nicht zustimmen. Nicht uneingeschränkt. Der seltsame Mann machte es nicht gerade einfacher, weil er sich ganz und gar klaglos mit der neuen Rolle abzufinden schien. Nur für Ace.

"Mach dir keine Sorgen, Eyes. Das genügt mir."

"Okay..." Ace Worte stockten auf seinen Lippen. Ganz flüchtig musste er an zwei Gestalten denken, die bäuchlings im seichten Schnee lagen und die dieselben Westen wie er trugen. Ob er vielleicht irgendwas tröstliches sagen sollte? Das sie den Rest von Manis Gruppe schon wiederfinden würden, und dann eine Einigung erzielen konnten?

Fuck. Es käme ihm so falsch vor. Er glaubte ja selbst nicht daran.

Ace ließ sich langsam an der Tür herabsinken, sein Kopf viel zu voll mit Fragen und Gedanken, und der Blick des Mannes folgte ihm, bis er den Mund öffnete.

"Du bist schon länger hier, oder? In dieser Welt?" Manis Lächeln blieb freundlich.

"Viele, viele Jahre."

"Und... wie bist du hergekommen? Wenn du dich noch daran erinnerst?" Nun legte Mani den Kopf zurück. Er schien zu grübeln, und seine Augen flackerten kurz zur Seite

"Es war... ich glaube, es war wegen Geld. Sie haben uns Geld geboten für die Scans, und wir haben uns nicht viel dabei gedacht. Ich brauchte das Geld. Ich musste doch meine Familie ernähren - also hab ich mich in die Röhre gelegt, und ihre Stimmen verschwanden, und als ich irgendwann herauskletterte, war ich schon nicht mehr Zuhause." Ace hatte wenig Gelegenheit, sich auf die Tragik der Geschichte zu fokussieren - nicht, wenn ein anderes Detail seine Aufmerksamkeit weckte.

"Was meinst du mit Röhre? Sowas wie die alten MRT-Scans?" Mani sah ihn als, als würde er spanisch reden. Ace beschloss, seine Fragestellung zu ändern. "Und, eh - war das auch in Florida?" Falls er wirklich auf mehr Verständnis gehofft hatte, schien das nicht eintreten zu wollen. Ace verhaspelte sich in der Erklärung. "Du weißt schon, unterer Zipfel von Amerika. Sonne und Strand und viele Krokodile, und man hört andauernd von irgendwelchen irren Leuten, die sonstwas angestellt haben-...?" Blinzeln. In Manis Augen stand nichts, was einem Erkennen glich. Aces Stimme wurde langsamer. "Du... weißt nicht, was ich meine. Ja?"

Nun lächelte der Mann wieder, und zum erneuten Mal hatte Ace das Gefühl, dass Leute ihn mit einer Art unbestimmten Mitgefühls betrachteten. "Ich kam viel, viel später hierher als du, Eyes. Meine Welt war nicht mehr ganz die deine." Diesmal war es Ace, der das Gefühl hatte, kein Wort mehr zu verstehen.

"Was meinst du mit später?"

"...Später eben. Zukunft. Ich kann dir nicht sagen, wann genau. Die Zeitrechnung in unserer Kommune war nicht standardisiert."

"Ah", war alles, was Ace im ersten Moment zu sagen wusste.

Aus der Zukunft? Welcher Zukunft? War er selbst irgendwie in der Zeit gerei-

Aber das würde keinen Sinn machen, oder? Warum sollte dann Mani lange vor Ace aufwachen, wenn er doch eigentlich... wenn er früher gelebt hatte? Oder war Mani vielleicht einfach schon so lange hier, dass seine Erinnerungen verfälscht waren? Dass er gar nicht mehr wusste, wer er eigentlich war? Ace wollte am liebsten nicht darüber nachdenken. Er mochte die Implikationen nicht.

Was würde er alles vergessen, wenn er nur lange genug hier festsaß?

Ace wollte sich schon erheben und zur Tür treten, als Manis Stimme ihn noch einmal aufhorchen ließ. "Eyes, kannst du mir einen Gefallen tun?" Diesmal war sein Ton leiser. Er wisperte fast, als hätte er Angst vor ungebetenen Zuhörern.

"Hm?" Ace hielt inne, mit dem Türknauf in der Hand.

"Deine Begleiter - trau ihnen nicht, ja? Nicht vollständig. Ich glaube..." Mani hielt inne. Sein Blick wirkte höchst nervös, als er sich die Lippen benetzte. "Ich glaube, sie sind nicht alle, was sie zu sein vorgeben." Das veranlasste Ace, sich noch einmal umzudrehen.

"Wenn du irgendwas weißt, dann sag es mir bitte. Jetzt." Denn es gab mit Sicherheit genug Leute, die sich wohl damit fühlten, ihm ganze fünf Prozent der Wahrheit mitzugeben und ihn dann hängenzulassen. Allmählich hatte Ace es ziemlich satt.

Mani schien hin- und hergerissen, und das ängstliche Flackern in seinen Augen brachte Ace dazu, hinzuzufügen: "Ich werds auch keinem verraten. Versprochen." Einige Momente hielt die Stille an, dann mühte Mani sich, die Worte hervorzupressen.

"Der Junge in eurer Begleitung. Nimm dich in Acht vor ihm. Er ist kein Verbündeter, er - ... vor Kurzem haben sie noch behauptet, er wäre tot, und davor hat er für den Propheten gearbeitet. Sein Vollstrecker. Und er wird nicht hierher geschickt worden sein, um dir zu helfen."


Es war 2:15, und Ace starrte mit offenen Augen an die Zimmerdecke. Er konnte nicht schlafen.

Eigentlich hätte er erwartet, dass er sofort wegdämmern würde, jetzt, wo er endlich wieder ein weiches Bett in einem warmen, sicheren Zimmer hatte, aber all die Gespräche wollten ihm nicht aus dem Kopf, und er hatte das Gefühl, als würde alles an ihm immer schwerer werden, je länger er über sie sinnierte.

Das hier konnte keine Zukunft sein, oder? Es machte keinen Sinn. Rein zeittechnisch nicht. Außerdem hätten die anderen so etwas ja wohl erwähnt. Und außerdem-

Außerdem würde Zukunft bedeuten, dass es keine Vergangenheit mehr gab. Er würde nicht zurück können.

Überhaupt, wie sollte er hierher gekommen sein? Man machte doch nicht automatisch eine Zeitreise, nur weil einem das Gehirn gescannt wurde. Sein Körper war immerhin auch noch intakt und offensichtlich keinen Tag gealtert. Sogar seine Klamotten waren dieselben! Nein, Ace würde eher auf einen ganz, ganz verrückten Drogentrip bestehen als auf so etwas. Und Drogentrips waren noch okay. Immerhin waren die irgendwann vorbei, und dann würde er in seiner Gummizelle aufstehen und die Männer in weiß bitten, sein Gehirn nochmal zu re-evaluieren, damit er zurück zu seinen Eltern durfte. Und dann-

Seine Gedanken wurden vom Gemurmel aus dem anderen Ende des Raumes unterbrochen. Sie hatten die beiden Schlafräume nach Geschlechtern aufgetrennt, und während Katherine und Branwyn einverstanden damit waren, sich das große Doppelbett zu teilen, fühlte sich Ace ziemlich wohl mit dem Gedanken, dass er aktuell ganze zwei Liegen entfernt von Nero war. Nur war Nero selbst für einen Zwei-Liegen-Abstand ziemlich laut.

Allgemein war der Junge ein furchtbarer Schlafzimmergenosse, begonnen damit, dass er kaum weggenickt war und schon anfing, sich alle Viertelstunde zu drehen, als würde er dafür sorgen wollen, dass sein Körper schön gleichmäßig von der Bettdecke durchgebraten wurde. Ace hätte ihn lieber zurück ins Auto geschickt, da hatte Nero es zumindest noch geschafft, stillzuhalten. Außerdem war sein Atem unruhig. Nicht 'Ace schläft auf einem Fahrersitz ein'-unruhig, sondern insofern, dass er immer wieder mal unvermittelt nach Luft schnappte oder irgendeinen unverständlichen Laut zischte. Aber auf Schnarchen oder Worte hatte er verzichtet. Bis jetzt, zumindest.

Ace starrte ein paar Minuten lang an die Decke und fühlte sich zunehmend gereizt. Was immer Nero da hektisch vor sich hinbrabbelte, hatte das nicht tagsüber Platz? Überhaupt wusste er nicht mehr, was er von dem Kerl halten sollte. Nicht seit dem Gespräch mit Mani. Tatsache war, dass Nero eine verblüffend rasche Wandlung durchgemacht hatte und innerhalb von zwei Tagen vom heruntergekommendsten Landstreicher wieder zu seinem ätzenden Schul-Ich geworden zu sein schien... Was die Frage aufwarf, wie sehr man ihm den heruntergekommenen Landstreicher eigentlich abnehmen konnte. Und sicher, er hatte ein Tattoo, was irgendwas über seine Vergangenheit in Tankwill erzählte. Aber Tattoos konnte sich doch letzten Endes jeder stechen lassen, nicht wahr?

Weitere Minuten. Ace kamen sie wie Stunden vor, und er beschloss, etwas zu unternehmen. Immerhin hatte Nero auch ihn schon geweckt, nicht wahr? Das hier war nur gerecht. Außerdem machte das Gemurmel des Jungen nicht den Anschein, einem besonders hübschen Traum zu entspannen. Zumindest nicht so angenehm wie der von Ace. Es sei denn, Nero klang auch beim Vögeln wie ein wilder Marder, den jemand verzweifelt versuchte, aus einem Auto herauszuzerren.

Langsam und behutsam tapste Ace näher, genug, um im schwachen Schein des Nachthimmels den Schweiß zu sehen, der auf Neros Stirn glänzte. Oder die Hand, deren bebende Finger sich tief ins Kissen gruben. Jetzt, wo er sich aufs Bett abstützte, konnte er endlich verstehen, was da aus gefletschten Zähnen gezischt wurde.

"-bringdichum Ichbringdichum Ichbringdichum Ichbringdichum-" Oh.

Sein Herz sackte automatisch ein paar Etagen tiefer. Irgendwie wünschte Ace urplötzlich, er hätte sein Bett nie verlassen. Zaghaft streckte er die Hand aus, um an Neros Schulter zu rütteln.

Die Fingerspitzen hatten Neros Haut kaum berührt, da schnappte sein Arm nach Ace und zog ihn vorwärts. Er schnappte erschrocken nach Luft und plumpste auf die Matratze, als sich der andere Körper auf ihn stützte, ungelenk und schläfrig. Nero schien kaum wach, und wäre die Tatsache nicht, dass er gefühlt dreimal soviel wog, wie Ace stemmen konnte, hätte er sich schon längst wieder aus dem Griff befreit. So wurde er nur in die Matratze gedrückt und versuchte, vor Schreck nicht laut einzuatmen.

"-und wenn ich dich habe..." Dafür, dass die Worte nah an seinem Ohr erklangen, schienen sie so weit weg zu sein. Genauso wie Nero selbst.

"...dann werde ich mir viel, viel Zeit lassen..." Er konnte hören, wie der Junge schwerer einatmete. Und dann herabsackte. Wars das, wollte Ace zynisch fragen und strampelte vorsichtshalber mit den Beinen, um abzumessen, wie man sich am besten aus dieser ungewollten Lage befreite. Nach allem, was Mani ihm erzählt hatte, und nach Neros liebevollen Morddrohungen war das keine Lage, in der er sich gerne befand-

Dann rutschte der Körper selbst von ihm. Ace wollte gerade erleichtert einatmen, als kräftige Arme nach ihm griffen und ihn heranzogen. Diesmal ganz ohne Todesandrohungen, auch wenn er Neros Atem etwas flattern hörte.

Ace versuchte sich herauszuwinden, aber das hatte nur die Folge, dass Nero ihn besser zu fassen bekam und an seine Brust zog. Die Arme waren so fest um ihn geschlossen, dass er auf Anhieb keine Möglichkeit sah, wieder rauszukommen.

"Eh", machte Ace, dessen überfordertes Gehirn noch einen Moment zum Hochfahren brauchte. "...Nero?" Keine Antwort. Aber der Atem hinter ihm war spürbar ruhiger geworden.

"...Nero, ich bin nichts zum Kuscheln." Und vor allem nichts, womit Nero kuscheln wollte. Aber das war sein Problem, nicht das von Ace. Er wollte in erster Linie wissen, wie man sich sinnvoll aus dieser misslichen Lage herauswinden konnte.

Ace nutzte beide Hände, um einen Arm von Nero wegzuschieben, und als er gerade schon triumphieren wollte, kam der zurück und schlang sich noch einmal fester um ihn. Wahrscheinlich hätte Ace mit den Zähnen geknirscht, hätte er hinter sich nicht die Worte gehört.

"Nich weggehn." Mehr Schlafgemurmel als Worte - aber die plötzliche Weichheit in Neros Stimme, die fast kindlich anmutete, versetzte Ace einen Stich. Er konnte nicht anders, als sich zu fragen, wen der Junge gerade vor seinem inneren Auge sehen mochte. Irgendein schönes Mädchen? Freundin, Vertraute, was-auch-immer? Es klang bedürftig und nach Zuneigung, die Ace bitter machen wollte, weil andere Leute sie bekamen, während er schon dankbar für die Aufmerksamkeit sein durfte, wenn seine Klassenkameraden ihm metaphorisch ins Gesicht spuckten. Ace versuchte, die Bitterkeit herunterzuschlucken. Aber dennoch, es gab schlimmere Orte zum Schlafen als die Arme eines anderen Kerls. Und außerdem hatte er nichts gegen den Gedanken, dass jemand das Bedürfnis nach ihm hatte. Selbst wenn es nur bis zum Morgengrauen war.



AN: Die Woche war stressig af, alle wollten sie kurz vor Weihnachten nochmal was und gleichzeitig hat sich meine Erkältung nochmal winkend zurückgemeldet. Aber nun scheints überstanden. Vielleicht! Euch wünsche ich einen schönen vierten Advent, und bis (hoffentlich) sehr bald :D

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