Kapitel 7
Es war dunkel, kalt und nass. Dunkel, weil die Sonne immer tiefer sank und in einer halben Stunde komplett verschwunden sein würde.
Kalt, weil es Winter war und der Wind jetzt stärker über die Felder pfiff.
Nass, weil meine Klamotten voller Schnee und durchgeweicht waren. In etwa so fühlten sich auch meine Wangen an, aufgeweicht von meinen Tränen, die kalt auf meiner Haut hafteten.
Ich schlich zwischen den Bäumen her. Aber nicht, um leise zu sein, das schaffte ich nicht. Sondern weil mein Kopf, mein Bauch und meine Beine mich zurück an den Waldrand zerrten.
Nur mein Verstand hielt mich auf dem Weg zu der Hütte.
Die Kälte drang unter meine Jacke bis auf meine Haut und fraß sich langsam aber sicher in meine Knochen.
Meine Augenlider wurden schwerer, genau wie meine Beine.
Der Schutzmechanismus meines Körpers machte mich fertig, es fühlte sich so an, als wäre der Waldrand das Zentrum der Schwerkraft und ich wollte den Mount Everest erklimmen - ohne Sauerstoffmaske.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, doch schließlich sah ich das kleine Haus aus Holz, was drohte, bei dem nächsten Windstoß umzukippen.
Ich blickte mich eine Weile um, aber von dem Ding war nichts zu sehen. Auch roch es nicht nach Leichen oder sonst nach irgendetwas Verrottetem.
Langsam machte ich die letzten Schritte auf die Luke zu. Sie war nicht geöffnet und ich hoffte innig, dass sie abgeschlossen war.
Natürlich war sie es nicht, als ich an dem frostigen Metallgriff zog. Sie schwang mit dem üblichen Quietschen auf und hielt ihre Position in den Angeln.
Jetzt musste ich hier irgendwie rein kommen. Es gab keine andere Tür oder sonst einen Eingang.
Doch ich hatte eine Vermutung.
Ich nahm einen größeren Stock, der rechts von der Hütte lag. Trotz meiner Handschuhe wurden meine Hände klitschnass und damit auch immer kälter, zumal meine rechte noch nicht einmal wieder warm geworden ist.
Ich umfasste das Holz mit beiden Händen und stieß einmal kräftig in die Erdkuhle.
Etwas Erde sackte nach unten und ich hörte ein dumpfes Geräusch, das wie ein Erdklumpen, der auf den Boden fiel, klang.
Zitternd zog ich mein Handy aus der Hosentasche und ließ es beinahe in das Loch fallen. Überraschend stellte ich fest, dass ich wieder eine SMS bekommen hatte. Sie war von Lena und ich wollte sie ehrlich gesagt nicht lesen.
Schon besser, stand dort und ich starrte ein paar Sekunden auf den Display, bis ich das Geschriebene realisierte.
Seufzend warf ich den Stock zur Seite und wusste, was jetzt wohl oder übel folgen musste.
Der Abstieg.
Ich setzte mich mit meiner nassen Schneehose auf den Boden und leuchtete das erste Mal in das Loch.
Es ging ein wenig runter, dann sah es so aus, als wären dort angedeutete Treppenstufen.
Immer noch ängstlich ließ ich meine Beine in das Loch baumeln und sprang kurzerhand hinterher.
Nun war es stockduster, nur die Taschenlampe warf ihr weißes Licht durch den Tunnel.
Es roch stark nach nasser Erde und aus den "Wänden" ragten kleine Wurzeln heraus, die so wirkten, als ob sie mich mit sich ziehen wollten.
Auf dem Boden waren keine Fußspuren zu sehen und ich schlich zögernd die Treppe runter.
Sie war nicht lang und endete nach sechs Stufen in einem langen Gang, der mir vielleicht bis zu den Schultern ging. Ich bückte mich und setzte einen Fuß vor den anderen. Hoffentlich würde dieser Tunnel bald enden, denn lange würde mein Rücken das nicht mitmachen, genau wie meine Arme, die regelmäßig gegen die harten Wände stießen, da der Gang es auch auf keine Breite von einer Armlänge brachte.
Irgendwann war ich ohne weitere Zwischenfälle - außer diverser blauer Flecken an der Ellenbogen - am Ende des Tunnels angelangt, wo es noch einmal ein paar steile Stufen weiter nach unten ging. Es wurde immer kälter und auch der Geruch nach Erde nahm weniger ab als zu.
"Lena?", flüsterte ich die Treppe nach unten.
"Ria!"
Doch keine von beiden antwortet mir.
Immerhin war von dem Ding auch keine Spur.
Mir blieb nichts anderes übrig, als den Weg nach unten zu nehmen, was ich auch tat. Unten angelangt konnte ich ohne Einschränkung stehen und streckte mich.
Erst, nachdem mein Rücken sich wieder eingerenkt hatte, sah ich mich um. Ich stand in einem unterirdischen Tunnelsystem, was durch Holzbalken gestützt wurde. Insgesamt befanden sich vier verschiedene Gänge vor mir und jeder sah gleich aus.
Das würde mir nie irgendjemand glauben.
Und in diesem Moment kam mir eine Idee. Wozu hatte ich eine Kamera in meiner Jackentasche?
Ich öffnete den Reißverschluss und das knatternde Geräusch kam mir unheimlich laut vor. Es hallte in den Tunneln wieder - was es eigentlich nicht dürfte, denn die Tunnel waren aus Erde.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte mich zu überzeugen, dass ich mir das nur eingebildet hatte.
Die Kamera war eiskalt und nass. Fluchend wischte ich mit einer etwas trockeneren Stelle meines Ärmels das Wasser von den wichtigen Stellen und klappte das Display auf.
Wie immer ging die Kamera an und gab dabei ein lautes Geräusch von sich. Ich verfluchte, dass man dies nicht ausschalten konnte und hielt schützend meinen Ärmel über den Lautsprecher.
Das half nicht viel, genauso wie bei dem Pling des startenden Videos, was ich versuchte, zu dämmen.
Mit der Taschenlampe leuchtete ich in die verschiedenen Gänge und nahm parallel alles dazu auf. Letztendlich leuchtete noch an die Decke, was mir die Sprache verschlug und ich musste auf meine Zunge beißen, um nicht laut loszuschreien.
An der Decke hingen unzählige Spinnen. Ob sie krabbelten, sich von der Decke baumeln ließen oder einfach nur dick und fett neben ihren Artgenossen saßen, alles war dabei und sie machten mich verrückt.
Wenn es eins gab, was ich neben Clowns und Puppen nicht ab konnte, dann waren es Spinnen.
Überfordert entschied ich mich kurzfristig für den rechten Tunnel. Ich versuchte die Spinnen zu vergessen und flüsterte immer wieder Lenas und Rias Namen, als ich durch den Gang schlich.
Nach einer Kurve spaltete er sich wieder in vier Gänge auf.
Die Chance, hier den richtigen Gang zu erwischen, war ziemlich gering; Eine Wahrscheinlichkeit von - keine Ahnung, ich konnte Stochastik nicht und wollte mich damit jetzt auch nicht auseinander setzten.
Langsam fing es an, nach dem Ding zu stinken, was in mir Würgreize verursachte. Ich beschloss, mich ab sofort immer rechts zu halten.
Doch dieser Weg endete in einer Sackgasse, genau wie die anderen drei auch. Also kehrte ich wieder an die erste Kreuzung zurück, ging um die Kurve und lief den Gang wieder zurück, in Hoffnung, dass ich nun den richtigen Tunnel wählen würde.
Doch als ich ans Ende des Tunnels leuchtete, waren die Spinnen an der Decke verschwunden und stattdessen saß eine Person neben der Treppe nach oben.
Mit Tränen in den Augen rannte ich darauf zu und stellte beruhigt fest, dass es Lena war, die mit einem alten Lappen im Mund gefesselt und weinend an der Wand kauerte.
"Lena!", ächzte ich und sie sah erschrocken auf.
Als sie mich erkannte, bewegte sie sich und versuchte, mir etwas mitzuteilen, was ich nicht verstand.
"Ja, ich freu mich mindestens genau so", sprach ich ihr zu und kniete mich neben sie.
Wieder stieß sie Laute aus und ich zog ihr das Tuch von Mund.
"Ida!", versuchte sie mit heiserer Stimme zu sagen. Sie hörte sich an, als hätte sie seit drei Tagen nichts mehr getrunken.
"Es ist eine Falle!"
Ich riss die Augen auf und drehte mich um.
Wie erwartet kam aus dem gleichen Tunnel, in den ich hinein gegangen war, das Ding raus und bewegte sich mit einem lauten Heulen in hohem Tempo auf uns zu.
"Scheiße", flüsterte ich, riss Lena hoch und schleifte sie mit mir um die Kurve, in einen der Gänge.
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