Kapitel 10

"Das Ding kommt wieder. Okay, fassen wir im Turbotempo die Tatsachen zusammen", flüsterte ich schnell.

"Es kann uns immer noch nicht hören", bemerkte Lena.

"Falscher Zeitpunkt! Also, wir haben zwei Tunnel. Einer muss zum Ausgang führen, der andere zur Vorratskammer. Und dann gibt es noch tausend andere Tunnel aus Erde, in denen Ida sein könnte."

"Wir müssen uns zuerst in Sicherheit bringen", sprach Lena leider die Wahrheit aus. "Wir müssen uns für einen Steintunnel entscheiden und hoffen, dass er uns zum Ausgang bringt."

"Gut, dann holen wir Hilfe und beten, dass Ria die Zeit überlebt."

"Ja nein, wir können sie doch nicht einfach zurück lassen!", änderte Lena ihre Meinung.

"Wir müssen. Wenn wir gehen, stirbt sie vielleicht. Wenn wir hierbleiben sterben wir und sie ganz sicher."

"Ist okay", nickte Lena bedrückt. "Aber welchen Tunnel nehmen wir?"

Der Geruch wurde immer stärker und benebelte meine Sinne. Das Ding konnte nicht mehr weit weg sein.

"Wir haben zwei Tunnel", fing ich an, schnell zu erklären, "und wir sind zwei Menschen. Wir stellen uns jeder vor einen und warten auf das Ding."

"Spinnst du?", unterbrach Lena mich. "Da können wir uns genauso gut gleich ans Messer liefern."

"Nein, hör mir zu. Das Ding muss sich entscheiden, wen von uns beiden es verfolgen will. Es ist nicht dumm und wird den nehmen, der näher am Ausgang steht."

"Das ist brillant. Okay los, ich nehm den hier und du den."

Wir stellten uns vor die Eingänge und warteten gespannt auf das Ding, das nach dem Geruch zu urteilen jeden Moment kommen müsste. Lena trug die Fackel mit zitternden Händen und ich schnürte den Rucksack enger, um mich auf das Laufen vorzubereiten.

Dann hörten wir das Schlurfen.

"Es kommt", sagte Lena.

Einen Wimpernschlag später stand das Ding plötzlich am Ausgang des Tunnels. Mir stiegen Tränen in die Augen - zum einen wegen des beißenden Geruchs und zum anderen wegen meiner höllischen Angst, zu sterben.

Das Ding reckte sie Nase in die Luft und schnüffelte kurz - es konnte anscheinend echt nicht hören - und dann preschte es in einer hohen Geschwindigkeit auf Lena zu.

"Fuck!", brüllte ich, um meine Sinne aufzuwecken und mich aus der Schockstarre zu reißen.

Ich rannte los, über den Platz zu Lenas Tunnel, und schnitt dem Ding gerade so den Weg ab. Es war nun direkt hinter mir.

Lena war sofort losgerannt und mit ihr die Fackel. Egal was passieren würde, ich hoffte einfach, dass wenigstens sie es schaffte.

Ich rannte um mein Leben und meine Lungen brannten bereits nach wenigen Metern. Der leuchtende Punkt, den Lena und die Fackel darstellten, wurde immer kleiner und schwächer. Lena war schon immer die Schnellere von uns beiden gewesen.

Trotzdem gab ich nicht auf und sprintete den Gang entlang, bis meine Beine schmerzten. Der Rucksack schlug mir immer wieder gegen den Rücken und die Stelle brannte auch, doch ich blendete es aus. Ich musste mich sowieso darauf konzentrieren, von dem Gestank nicht zu kotzen.

Plötzlich wurde der Schein der Fackel wieder heller. War Lena am Ausgang? Ich erhöhte das Tempo noch einmal, obwohl das gar nicht mehr möglich war, und holte sie ein.

Doch nach einer Weile, wo die Fackel immer größer wurde, begann ich stutzig zu werden. Sie war zu weit unten, um getragen zu werden.

Meine Vermutung bestätigte sich, als ich an der Fackel vorbei rauschte. Sie lag einsam auf dem Boden; Lena musste sie verloren haben.

Das bedeutete sowohl ich als auch sie hatten nun kein Licht mehr und ein Ausgang war auch nicht in Sicht.

Ich drehte meinen Kopf für einen Moment zu Seite und entdeckte im Augenwinkel das Ding bei der Fackel anhalten. Es war gut hundert Meter von mir entfernt und nun würde ich meinen Vorsprung ausbauen.

Ich riss im Laufen meine Jacke auf - mir war sowieso total warm - und griff nach meinem Handy. Der Akkustand zeigte 15% und ich hoffte, dass er halten würde.

Ich machte die Taschenlampe an und rannte weiter. Nach einer weiteren Strecke von deren Länge ich keine Ahnung hatte, hörte ich leise Schritte.

"Lena?", brüllte ich so laut es mir meine Lungen erlaubten.

"Ida", hörte ich ein Schluchzen.

Ich sprang hoch und schöpfte meine letzte Kraft aus meinen Beinen, bis ich abrupt bremsen musste. Vor mir war eine Wand.

Der Tunnel machte eine starke Biegung nach rechts und jetzt verstand ich - Lena hatte nichts gesehen und ist voll gegen den Stein gerannt.

"Geht es dir gut?", rief ich und lief nach rechts.

"Nein", kam es zurück und keine zwanzig Meter weiter fand ich Lena taumelnd den Gang langtastend.

"Scheiße", fluchte ich und blickte auf Lenas runter hängenden Arm und ihr blutendes Gesicht.

"Ida, das tut weh", hauchte sie und ich wusste nicht, was ich tun sollte.

Ich war restlos überfordert. Das Ding folgte uns noch immer, mein Handy könnte jeder Zeit wieder den Geist aufgeben und Lena war von den Verletzungen so beeinträchtigt, als wäre sie auf Drogen.

"Komm, wir müssen weiter", versuchte ich Lena zu überreden und legte ihren heilen Arm um meine Schulter.

So schnell es ging kämpften wir uns weiter den Weg voran und ich versuchte den erneut stärkerwerdenden Geruch zu ignorieren.

Doch das Glück schien sich wieder auf unsere Seite geschlagen zu haben und ich erblickte Licht. Schnell nahm ich dir Taschenlampe runter.

"Ida, was soll das?", fragte Lena mit schwacher Stimme.

"Siehst du das? Da ist Licht! Scheiße nochmal, Lena, das muss der Ausgang sein!", keuchte ich und zog sie schneller durch den Tunnel.

Auch Lena schien durch diese Erkenntnis an Lebenskraft gewonnen zu haben und lief ein bisschen schneller. Schließlich joggten wir dem Licht entgegen und kamen nach wenigen Minuten tatsächlich an.

"Es ist ein Gitter", schnaubte ich verzweifelt. "Ein fucking Gitter!"

"Und jetzt? Das Ding ist gleich da."

Lena hatte recht. Wir konnten aufgrund der Dunkelheit des Tunnels nichts sehen, aber der Geruch war auch durch die Frischluft nicht verflogen und wenn mir meine Ohren keinen Streich spielten, vernahm ich das Schlurfen.

"Kannst du einen Haken zum Öffnen oder so sehen?", fragte Lena.

Ich stellte mich unter das Gitter und versuchte, das eingeschneite Gras von außen zu entfernen. Es war mittlerweile dunkel draußen, aber der Mond schien so hell, dass ich keine Taschenlampe brauchte.

"Hier ist ein Schloss!", rief ich erleichtert.

"Kriegst du es auf? Oh mein Gott, Ida, beeil dich, das Ding ist da hinten!", schrie Lena auf und ich rüttelte am Schloss.

"Es is rostig, vielleicht krieg ich es auf."

Ich zog und rüttelte weiter, bis der Verschluss schließlich tatsächlich nachgab und die verrostete Stelle zerbröselte.

"Es ist offen!", lachte ich, stieß das Gitter auf und half Lena hoch, die mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden hockte.

"Ich helf dir jetzt da hoch, komm", entschied ich.

"Nein, geh du als erste", widersprach Lena mir.

"Halt die Klappe und hopp jetzt", befahl ich barsch.

Ich umklammerte Lenas Beine und hob sie hoch. Lena benutze ihren starken Arm, indem sie sich auf dem Gras aufstütze und sich hochdrückte. Ich nahm einen Fuß von unten in die Hand und hievte ihn hoch, sodass Lena ihr Knie auf dem Gras aufsetzen konnte.

"Ich bin oben!", rief sie erleichtert und drehte sich sofort um, um mich hochzuziehen.

Ich griff nach ihrem Arm und suchte mit der anderen Hand nach dem richtigen Boden. Meine Füße tastete nach einem Vorsprung in der Wand, um mich hochzudrücken.

Ich fand tatsächlich einen herausragenden Stein, auf den ich meinen Fuß stellte. Lena zog kräftig und ich lag mit meinem Oberkörper im kalten nassen Gras.

"Fuck, ich hasse mein Leben", keuchte ich.

"Ist es vorbei?", fragte Lena kreidebleich.

"Ich glaube sch - "

In diesem Moment griff eine kalte Hand nach meinem Bein, was ich gerade hochzog, und riss mich zurück nach unten.

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