Kapitel 10 || Rein geschäftlich
Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Philip seine Forderungen so ernst meinte. Kopfschüttelnd starrte ich auf die Limousine vor meinem Haus, und meine blonden Locken hüpften bei der Bewegung zustimmend um mich herum. Es war ja auch wirklich extrem dezent, in meinem Viertel von so einem protzigen Teil abgeholt zu werden, in das wahrscheinlich mein gesamter Stammbaum hineingepasst hätte. Inklusive Haus.
Fast wäre ich über den Saum meines langen Abendkleides gestolpert, als ich über den gepflasterten Weg zum Auto ging - Phil hatte es ausgesucht, und das hatte mich seltsamerweise positiv überrascht. Irgendwo hatte ich ihm mehr... Freizügigkeit zugetraut.
Lass dich davon aber nicht einwickeln, Lina. Du bist da nicht außer Gefahr, warnte mich trotzdem eine leise Stimme in meinem Hinterkopf.
Aber in Lebensgefahr bin ich auch nicht, gab ich patzig zurück und daraufhin folgte ein bedeutungsschwangeres Schweigen ihrerseits. Ich seufzte lautlos, dann schob ich eine lockige Haarsträhne hinters Ohr und ließ mich elegant in die Limousine gleiten, nachdem mir der Fahrer in stillem Dienst die Tür aufgehalten hatte.
Für Philip bist du nur Angelique, Lina, gab ich mir selber noch einen Rat, bevor ich umswitchte und mich lächelnd der Person zuwandte, die mir gegenüber im Halbdunkel verborgen saß.
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Es roch nach Leder, dem süßlichen Duft von Champagner und einem herben Männerparfum im Wageninneren. Autotüren wurden zugeschlagen, der Chauffeur nahm seinen Platz am Steuer ein, aber trotzdem blieb es still, selbst als der Motor leise zu schnurren begann und der Wagen langsam beschleunigte.
Außer des begrüßenden Lächelns beim Einsteigen hatte sie ihm keinerlei Beachtung geschenkt, wieso sollte sie auch. Sie tat das, was man von ihr verlangte, und nicht mehr. So blickte sie ein wenig versteift aus dem Fenster, die Haltung aufrecht, aber angespannt, und suchte in den Wolken der Abenddämmerung nach einem Gesprächsthema. Es fand sich schnell eins, das ihr unbefangen genug vorkam.
„Wohin fahren wir heute?", fragte sie in neutralem Ton und wagte es endlich, ihn anzusehen. Er hatte sich nicht vom Fleck bewegt, saß noch immer in seinem teuren, hellgrauen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte schräg gegenüber, die Beine ungezwungen übereinander geschlagen. Seine Hände legten sich auf seine Knie, als er sich nach vorne lehnte und seine Augen einen Streifen des gedimmten Lichts einfingen, sodass sie ihre grüne Farbe erkennen konnte. Trotzdem lag eine Düsternis in ihnen, die sie nicht zu beschreiben vermochte.
„Du begleitest mich zu einem Geschäftsessen. Dummerweise hat mich mein Chef gern und deshalb wird das in nächster Zeit öfters anstehen. Seine Frau ist nett, mit ihr wirst du dich gut verstehen. Sprich nicht über mich, ich möchte das Ganze nicht ins Persönliche verlagern und am Ende als dein Verlobter abgestempelt werden." Leiser Spott drang aus dem Hintergrund seiner Worte und sie antwortete mit einem Strahlen im Gesicht, das ihre ebenmäßigen Zähne erahnen ließ.
„Gibt es sonst noch etwas, das ich beachten soll?", fuhr sie ebenso geschäftsmäßig fort wie er. Irgendetwas wühlte sie auf. Dass er wirklich so professionell tat. Es regte sie auf, und sie hasste es, was es in ihr auslöste. Kränkung? Wut? Sie wusste es nicht und verbarg ihren Ärger, indem sie auf seine Krawatte starrte. Sie hatte ein Muster.
„Ja, um Gottes Willen, sprich auf keinen Fall über Alkohol am Steuer, die Wirtschaftskrise oder Tennis. Ich hab da... hm... nennen wir es Vorerfahrung." Er schmunzelte, und ihr Blick wanderte hoch zu seinen Mundwinkeln, fast als müsse sie sich vergewissern, dass er wirklich welche hatte und sie mit ihrer Vorstellung übereinstimmten.
Die Stille drückte den beiden auf die Ohren, und sie sagte überhaupt nichts mehr, sondern deutete nur ein Nicken an, dann sah sie wieder aus dem Fenster. Die letzten warmen Überbleibsel des Sonnenlichts verstreuten sich über dem Himmel, bevor sie die Kälte spüren konnte, die sich um ihre Schultern legte wie ein eisiger Windhauch. Als sie sich ihm zuwenden wollte, saß er plötzlich neben ihr, fünf lange Finger ganz nahe an ihrem Knie.
Gebannt starrten sie beide auf die Hand, als würde sie nicht zu ihm gehören, sondern ein ganz eigenständiges Lebewesen sein, das sich jederzeit bewegen könnte. Aber das tat sie nicht.
Er bewegte sich. Und bevor sie irgendwie reagieren konnte, war sein Mund an ihrer Wange und ihre Gedanken jenseits des aufgehenden Mondes. In einer überstürzten Reaktion verlor sie kurz die Fassung und wollte ihn von sich stoßen, aber er nahm ganz vorsichtig ihre Hände und verschränkte seine Finger mit den ihren, weiche, sanfte Hände.
Das scheue Reh in ihr starrte ins Licht der nahenden Scheinwerfer wie sie in seine Augen, unergründlich dunkel, aber verletzlich. Als ob er genauso viel Angst vor ihr hatte wie sie vor ihm. Sie wusste, sie konnte ihm nicht trauen und dass es falsch war, auf seinen schönen Mund zu starren. Er wusste, dass es falsch war, gleich am Anfang alles aus Spiel zu setzen.
Und der Chauffeur schien es auch zu wissen, denn als sie plötzlich abrupt anhielten und auseinandergeschleudert wurden, war die Nähe weg und mit ihr die Spannung des Augenblicks.
Er strich sich wütend die kunstvoll gestylten Haare wieder nach hinten, drückte auf einen Knopf an der Seite seines Sitzes, woraufhin sich das Fenster zur Fahrerkabine öffnete, und herrschte den Chauffeur an: „Sebastian, Sie Trampeltier! Was um alles in der Welt war das?!"
Sebastian schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln und erwiderte nur mit tiefer, voller Stimme: „Ich dachte, mir wäre ein Reh vor den Wagen gelaufen. Passiert ja öfter in dieser Gegend."
Angelique bemerkte ebenfalls, dass sie in einem kleinen Wäldchen ganz nah am Stadtrand gelandet waren. Vor ihren Augen kroch die Dunkelheit langsam über die Baumspitzen und ließ in jedem Spalt einen Schatten zurück, der ihr Herz, das sich ohnehin noch nicht ganz beruhigt hatte, einen Hüpfer machen ließ.
Die einladenden, hellen Lichter im Gastgarten eines sehr nobel aussehenden Restaurants wirkten hingegen wie eine Oase auf sie. Sebastian öffnete ihr die Tür, und sie nahm dankend seine Hand an, um nicht mit den High Heels umzuknicken, die ihr auf dem weichen Boden gerne die Füße gebrochen hätten. Der mitternachtsblaue Stoff ihres Kleides wehte in elfenhafter Anmut um sie herum und hätte er es nicht besser gewusst, hätte er sie glatt für den Geist dieses Waldes gehalten, so federleicht wie sie sich über den Untergrund bewegte. Als er ausstieg, warf sie einen Blick zurück zu ihm, ungeduldig, etwas aufgeregt, aber ihre hellen Augen leuchteten begeistert.
Und da wusste er, dass sie ihm gehören musste, egal was kommen würde.
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Philip holte mich leider ein, bevor ich am Eingang angekommen war, und deshalb fühlte ich mich gezwungen - einerseits wegen meiner guten Erziehung und andererseits, weil er mir sonst leidgetan hätte - mich bei ihm unterzuhaken. Unter dem dicken Stoff seines Anzugs spürte ich die Kraft in seinem Unterarm: Er war angespannt, und wie.
Lag das an mir oder an der Aussicht, mit dem Chef essen zu müssen?
Ich wusste es nicht, aber es war mir herzlich egal, denn sobald ich das riesige Buffet entdeckt hatte, weiteten sich meine Augen und ich musste mich beherrschen, um nicht wie eine Wildgewordene auf das Schokoladensoufflé zuzustürmen. Das leichte Angelique-Lächeln auf meinen Lippen flackerte kurz wie ein Fernseher mit schlechtem Empfang. Ich hatte Hunger, weil ich den ganzen Tag gelernt hatte, um mein Pensum zu schaffen, bevor ich mit diesem Lackaffen essen gehen musste. Da hatten wir den Salat.
Salaaaaaaat..., begann nun auch die Stimme in meinem Kopf zu singen und ich wünschte mir sehnlichst, dass Philip unseren reservierten Tisch bald finden würde.
Und siehe da, sogleich tauchte vor uns eine großgewachsene, dunkelhaarige Schönheit auf, die mit ihrem perfekten Apfelpo sicherlich gut in einen Obstsalat gepasst hätte, wäre sie nicht aus unerfindlichen Gründen Kellnerin geworden. Obwohl ich es bei dem Ambiente doch irgendwie verstehen konnte.
Während wir ihren langen Beinen hinterherliefen, um zu unserem Tisch zu gelangen, starrte ich unentwegt auf ihren Hals, der ebenso einem Schwan gehören könnte, und spürte ein kleines Bisschen Eifersucht in mir aufkommen. Pah. Dafür war ich naturblond.
Philip hatte wohl auch gemerkt, dass hier der größte Schönheitsanteil Englands vor ihm mit den Hüften wackelte, und ich drückte kurz seinen Arm, um ihm weiszumachen, dass man Frauen nicht in aller Öffentlichkeit auf den Hintern starren sollte, vor allem nicht, wenn er eine hungrige Angelique neben sich hatte, die ihre High Heels gleich zur Armbrust umfunktionieren würde, wenn man ihr nicht schnell etwas zu essen brachte.
„Ihre Begleitung ist bereits da und hat schon Getränke bestellt, was darf ich Ihnen bringen?", fragte die Brünette jetzt im Gehen und warf uns ein Zahnpastalächeln zu, das ich mit einem süßen „Für mich nur Mineralwasser, danke" quittierte. Philip schüttelte über mich den Kopf und bestellte zwei Gläser Rotwein, irgendeinen aus Frankreich, der mir natürlich nichts sagte und den ich trinken müssen würde.
„Du weißt, dass mein Management bei gesellschaftlichen Events eigentlich keinen Alkohol erlaubt?", murmelte ich leise, während wir an den vorwiegend großelterlichen Gästen vorbeigingen.
„Ich bin dein Management. Du wirst schließlich nicht über deine Agentur bezahlt, sondern von mir", gab Philip absolut unbeeindruckt zurück und ich seufzte nur und bohrte nicht weiter, vor allem, weil ich mich meistens nicht an diese Regel zu halten pflegte. Was man vom Kunden angeboten bekam, das trank man.
„Moment, du bezahlst mich?", fragte ich verwirrt nach und sah ihn von der Seite an. Seine Augen trafen die meinen und er bejahte, als wäre das vollkommen selbstverständlich. Ich zog eine Augenbraue hoch. Er ahmte mich spottend nach und ich beobachtete fasziniert das schiefe Grinsen, das sich in seinem Mundwinkel einnistete. Ein echtes Lachen kam aus meinem Mund, als wir unser kleines Spielchen weiterspielten.
Als wir am Tisch ankamen, wartete ein älterer, recht schlanker Herr mit einer rundlichen, freundlich aussehenden Frau auf uns. Beide schenkten uns auf ihre Art ein Lächeln, sie herzlich und mit einer mütterlichen Umarmung, er... äh... gar nicht. Sie stellten sich als Mr. und Mrs. Wright vor.
Philip und ich nahmen nebeneinander Platz, sodass wir dem Ehepaar gegenübersaßen, und schon nach zwei Minuten wurde ich von Mrs. Wright in eine angeregte Unterhaltung über die Flauschigkeit ihrer Gästehandtücher verwickelt, sodass ich meine Meinung zum Rotwein in kürzester Zeit änderte. Philip neben mir hatte sich ebenso wie Mr. Wright nach vorne gelegt und leise Worte austauschten, die mich misstrauisch machten.
Was genau arbeitete Philip eigentlich?
Unsere Kellnerin brachte uns die Getränke und ich nahm dankbar einen großen Schluck Wein, nachdem wir angestoßen hatten, und hoffte, dass ich zumindest ein bisschen beschwipst werden würde, um diesen Abend mit der Erzählung von Mrs. Wright und ihren drei English Cocker Spaniels zu überleben.
„Reinrassig, seit drei Generationen, ganz reizende Tiere", betonte sie bereits zum wiederholten Male und ich lächelte geduldig, als ob es mich wirklich interessieren würde, woher genau jedes Tier stammte und wie der Stammbaum aussah. „Sie müssen unbedingt einmal zu uns kommen und uns besuchen, Philip und Sie", setzte sie fort, nachdem sie einen großen Schluck Sekt getrunken hatte. Etwas hilfesuchend stupste ich unter dem Tisch Phils Knie an und er blickte mich alarmiert an.
„Wissen Sie, das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Mrs. Wright, aber...", fing Philip in seiner schmeichelndsten Schmeichelstimme an, wurde aber von seinem Chef unterbrochen. „Das halte ich für keine gute Idee, Charol. Vielleicht willst du sie am Ende adoptieren", sagte der ältere Mann und nickte etwas steif zu mir hinüber. Ich suchte in seinen trüben, blauen Augen nach einem Anzeichen von Missgunst oder Abneigung, aber er schien es nett zu meinen. Vielleicht war er doch nicht so unfreundlich, wie ich anfangs gedacht hatte.
„Henry, sie werden uns schon nicht den Safe ausrauben, nun sei doch nicht so! Immerhin soll Philip seine Freundin mitnehmen dürfen, wohin er möchte!", gab Charol mit schon etwas glasigem Blick zurück und grinste meine Begleitung eindeutig verbindlich an. Ich verdrehte meine Augen möglichst unauffällig und wartete darauf, dass man uns endlich unser Essen brachte. Sollte er das doch machen.
„Wir sind nicht zusammen, das ist rein geschäftlich", meinte Philip beschwichtigend und berührte kurz mein Knie, woraufhin ich wie unter einem Elektroschlag kurz zusammenzuckte. Etwas aus der Fassung gebracht blickte ich ihn an und seine Augen verdunkelten sich kaum merklich. Eine Sekunde später waren seine Hand und das komische Knistern weg.
„Was arbeiten Sie denn, Angelina?", fragte Henry mich nun mit auf dem Tisch verschränkten Fingern und ich legte mir gerade lächelnd ein paar Sätze zurecht, da kam mir Philip zuvor: „Sie ist meine persönliche Assistentin. Sie wissen ja nicht, wie schwierig gutes Personal zu finden ist, und Angelinas Referenzen sowie ihre Leistungen sind..." - etwas verblüfft starrte ich ihn an, während er nach einem passenden Wort suchte - „herausragend." Zwinker zwinker.
Spar dir dein Zwinkern, du Arschkriecher, wir brauchen keine dritte Identität!, rief meine innere Stimme erbost und ich konnte mir vorstellen, wie sie förmlich ihre nicht vorhandene Hand zur Faust ballte, um ihm eins auf die Nase zu hauen.
„Philip...."
„Nein, nein, Angel, wirklich. Ich bin froh, dich zu haben." Er lächelte mir aufrichtig zu.
Ja, und ich werd' gleich froh sein, dir meine Gabel zwischen die Beine zu jagen! Was soll das?!
Ich ermahnte mich selbst zur Ruhe und versuchte, schlau aus dem Ganzen zu werden. Hatte er nicht vorhin im Auto gesagt, er wollte es nicht zu persönlich haben? Dass er nicht am Ende mein Freund sein wollte? Was wollte dieser Typ eigentlich?!
Aber bevor ich eine halbwegs intelligente Äußerung von mir geben konnte, kam auch schon unser Essen, und ich vergaß meine Fragen beim Anblick von Süßkartoffelpüree, gedünstetem Gemüse und dem zarten Lachsfilet. Darum konnte ich mich später auch noch kümmern. Ich ließ immer Platz für eine Nachspeise.
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Hallo, meine Lieben!
Ich weiß, ich hatte hier wieder eine Auszeit, das tut mir Leid! Ich wusste ehrlich nicht, was ich schreiben wollte, aber dann bin ich vor etwa einer Woche mal wieder auf Wattpad gegangen und habe gesehen, dass wir über unglaubliche 1,3k Reads haben! :D Danke dafür! Es ist so motivierend, wenn man sieht, dass die eigenen Geschichten auch wirklich gelesen werden, und auch wenn ich nicht für Reads, Votes und Kommentare schreibe, freue ich mich auf jeden Fall darüber, auch über Feedback, Ideen, Fragen, Anmerkungen, Beschwerden, ... Schreibt mir ruhig, ich beiße nicht! :)
Danke an dieser Stelle an @Lemitch94 fürs stetige Dranbleiben... Du warst mir bis hierher eine große Stütze, auch wenn du das vielleicht gar nicht gemerkt hast! ;)
Bis bald dann mal!
-metacarpal
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