~• Kapitel 5 •~

SAYANA

Ich trat in die Stille. Bei genaurem Hören nahm ich leise Geräusche wahr. Das leise Zirpen der Grillen. Vögel. Schritte... Flink drehte ich mich um und blickte in Alexander's strahlendes Gesicht. Er selbst hatte sich ein neues, schwarzes Shirt übergeworfen. Es zeichnete gleich, wie beim alten Oberteil seine leicht zuckenden Muskeln ab. Ich musste mich dazu zwingen den Blick von seinem Körper abzuwenden. Zu Boden zu blicken.
Ich hatte mir meine lockere Stoffhose angezogen. Bei meiner Flucht trug ich sie unter meinem Rock. Derüber schlappte ein Top, welches nicht meines war. Es gehörte Alexander und war mir somit viel zu gross. Der graue Träger an der linken Seite rutschte mir immer wieder lästig über die Schulter hinab. Mit der Zeit hatte ich mir die Mühe ersparrt, den Träger wieder nach Oben zu schieben. Die halsbrecherischen Schuhe hatte ich beiseite gelegt.
Angesicht Alexander's Grinsen, kam mir auch eines über die Lippen. Ich trat aus der Tür. Vorsichtig setze ich einen Fuss auf den weichen Boden. Das Gras unter meiner nackten Haut fühlte sich warm und flaumig an. Es kitzelte leich. Ich trat einige Schritte vor und befühlte den Boden. Dann musste ich auflachen. Zuerst war er etwas verwirrt, doch dann setzte Alexander mit in das leichte Lachen ein.
"Ob du es mir glaubst oder nicht... Heute gehe ich zum ersten Mal Barfuss!" Und es fühlte sich soo unendlich gut an!
"Das wird nicht das Einzige bleiben, was du Heute zum ersten Mal tust." Er nahm meine Hände in seine und zog mich im schnellen Laufschritt mit sich. Er ging rückwärts, um mich ansehen zu können.
Das hier, dieser Moment löste etwas in mir aus. Etwas längst vergessenes. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich diese Gefühle in nächster Zeit wieder fühlen würde.
Glück.
Freude.
Hoffnung.

Es war bereits gegen Abend. Zusammen, nebeneinander gingen wir durch den Wald. Die Sonne stand kurz vor dem Sonnenuntergang. Bald würden uns die Schatten und die Kälte einholen. Bald würde die Nacht über uns herfallen.

Meine Füsse waren schon etwas wund, von der Ungewohnheit. Den verschiedenen Untergründen. Aber ich verdrängte den kleinen Schmerz. Alexander führte mich noch immer und ich wusste micht wohin. Aber ich folgte ihm. Mit den Füssen den Boden abtastend. Ich wusste nicht warum. Aber ich vertraute ihm. Ich hatte gemerkt, dass er nur ein unschuldiger Typ war, der mir wirklich helfen wollte. Der mir nichts tun wollte. Seinem Verhalten anzusehen hatte auch er angefangen, mir zu vertrauen. Mühelos kehrte er mir den Rücken zu, als hätte er vergessen, welche tödliche Waffe heute zwischen uns gestanden hatte. Welche Angst ich vor ihm hatte.

Da nahm ich plötzlich ein Rauschen wahr. Es musste von einem Fluss kommen. Von einem sehr reissenden.
"Alexander. Wo bringst du mich hin?"
"Bitte nenn mich Alex." Er warf mir einen flüchtigen Blick über die Schulter zu.
"Glaub mir, es wird dir gefallen."
"Warte, wieso tust du das überhaupt?"
"Ich habe nicht oft Besuch. Es freut mich, bleibst du für eine Nacht. Ich weiss nicht, aber du wirkst, als hättest du nicht gerade eine gute Zeit hinter dir. Ich will dir helfen, all das für einen Augenblick, wenn auch nur für einen Abend zu vergessen."
Und das tat er. Ich hatte bis jetzt, seit er mich mit sich genommen hatte keinen Gedanken an meine Vergangenheit verschwendet. Wollte die schönen Momente nicht mit dunklen Gedanken verscheiern, die in mir spukten.

"Wir sind gleich da."
Wir betraten eine grosse Lichtung. Jetzt erkannte ich den Ursprung des Rauschens, welches ich vorhin gehört hatte.
Ein Wasserfall.
Ein wunderschöner, glitzernder Wasserfall.
Der Wasserfall endete in einem kleinen, verlockenden See. Die Sonne zauberte regenbogenfarbene Schimmer in das Wasser. Um den Teich herum lagen grüne Wiesen, einige bedeckt mit Blumen, andere leer. Auf dem See trieben seelenruhig verschiedene Seerosen herum. Es war ein atemberaubender Anblick.
Ehe ich mich versah, stülpte Alex sich das T-Shirt über den Kopf und...
Mein Mund blieb beinahe offen stehen. Dieser Körper! Braun gebrannte Haut. Stahlharte Muskeln...
"Was guckst du so?" Er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Hatte ich ihn etwa... Ou ja... Ich hatte ihn angeglotzt.
Und wie!
Ich starrte ihn mit grossen Augen und leicht geöffnetem Mund an. Ich wollte am liebsten im Boden versinken.
Beschämt richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Boden. Aber es war bereits zu spät. Er hatte es gesehen. Hatte gesehen, wie ich ihn beäugt hatte.
"Keine Lust auf ein Bad?" verschwörerisch grinnste er mich an. Er sah so gut aus. Es war mir schon vorher aufgefallen, aber jetzt... Dieser verschwörerische Blick. So verführerisch. Sein nackter Oberkörper.
Was tat ich da? Nur einem Abend. Einen Abend würde ich es mir gut gehen lassen. Würde mich meinen Sinnen fügen und einfach nur Spass haben. Ich meine, es konnte bestimmt keine schweren Folgen haben. Oder doch? Heute wollte ich alles vergessen. Meinen Spass mit ihm haben, egal wie gefährlich es war. Schwere Folgen hin oder her.

Er stieg zu mir gedreht langsam in den See. Die untergehende Sonne liess seine Haut leicht golden wirken und sein Haar zum strahlen bringen. Und da konnte ich nicht wiederstehen... Ich folgte ihm ans Ufer des Gewässers. Setzte vorsichtig einen Fuss hinein und... War klatschnass.
Prustend tauchte ich auf. Mein Haar klebte mir überall verteilt im Gesicht. Ich musste lachen. "Du Mistkerl! Jetzt geht es dir aber wirklich an den Kragen!" Er musste eine gerechte Strafe für sein Verhalten erhalten. Er hatte mich an der Hüfte gepackt und ins Wasser gezogen.
"Jetzt habe ich aber Angst!" Gröllte er, als er in schnellen Zügen Abstand zu mir gewann. "Dich kriege ich schon noch!" zischte ich.
Ich hechtete ihm hinterher. Ziemlich langsamer als er, aber er würde nicht ewig von mir fliehen können. Ich versuchte das Ziehen an meinen Kleidern zu vergessen. Sie hatten sich sofort mit Wasser vollgesaugt und zogen mich nach unten. Erinnerungen kochten in mir hoch. Nasse Kleider. Moor. Verfolgung...
Ich schnappte nach Luft und tauchte unter. Unterwasser hielt ich kurz inne, um dann hastig wieder aufzutauchen. Ich hasste Tauchen. Es gab mir das Gefühl zu ertrinken.
Als ich auftauchte waren die Erinnerungen wie weggewischt, obschon ich wusste, dass sie mich bald wieder heimsuchen würden.

"Okay Lyla, ich ergebe mich." Alexander schwamm noch immer wenige Meter von mir entfernt. Jetzt hob er ergeben beide Hände. "Ich habe die Strafe verdient."
Ja, dass hatte er. Mich einfach so hier in diesen Teich zu fegen. In wenigen Schwimmzügen war ich bei ihm.
"Ich hoffe, du ertränkst mich nicht gleich." sagte er lachend.
"Wer weiss..."
Gespielt holte er Atem und ich stützte mich auf seine Schultern. Alexander wurde prustend unterwasser gedrückt. Unter meinen Händen spürte ich die Wärme und die starke Muskulatur. Ich wollte mehr von ihm fühlen. Wollte mit meinen Fingern seinem warmen Oberkörper entlang fahren. Erschrocken über diesen Gedanken nahm ich blitzschnell meine Hände von seinen Schultern. So als hätte ich mich an etwas heissem verbrannt.
Nach einigen Sekunden tauchte er schnell auf und versuchte das Wasser aus seinen Haaren zu schütteln. Kalte Tropfen trafen mich und ich hob abwehrend die Hände. Erst jetzt bemerkte ich, dass die warme Sonne meine Haut bereits aufgewärmt hatte und sich das Wasser wie Eis auf Feuer auf meiner Haut anfühlte.
"Lebst du jetzt noch, oder habe ich meine Drohung wahr gemacht?" Ich musste erneut lachen und er stimmte mit ein.
"Mir gehts bestimmt gut... Aber du... Nach mir siehst du noch etwas trocken aus. Wie wärs wenn ich deine Schuld begleichen würde?" Grinsend deutete er auf mich und dann in das jetzt etwas unklare Wasser.
"Das wagst du nicht! Wir sind bereits quitt, schon vergessen?!" Aber die Worte nützten nichts. Er kam auf mich zu. Langsam. Schleichend. Wie eine Raubkatze, die nur darauf wartete zuzuschlagen. Wie er mich mit seinen leuchtenden Augen betrachtete. Mich in seinen Bann zog und seinem Blick kein Entkommen gewährte. Ich starrte zurück, in der Hoffnung, er würde seinen Blick abwenden. Aufgeben. Aber ihm schien nicht danach zumute zu sein.
Das Wasser rann ihm in kleinen Rinnsalen über das leicht gehobene Kinn. Die Wimpern waren dunkler als vornin, durchnässt. Sein nasses Haar klebte ihm an der Stirn und im Nacken. Es glitzerte in den letzten Strahlen, der fast untergegangenen Sonne.
Und dann wendete er sich ab. Kam neben mich und legte mir sanft eine Hand auf das Schulterblatt. "Du hasr Recht, wir sind quitt. Lass mich dir etwas zeigen." Jetzt blickte er mir wieder direkt in die Augen. In meinem Bauch machte sich etwas komisches zugange. Dieses 'etwas' war mir unbekannt. Mit der anderen Hand deutete er an den Horizont. Über dem See, in welchem wir klatschnass standen, sank die Sonne langsam. Sank hinunter, verschwand gähnend zwischen Bäumen mit im Wind raschelnden Blättern. Wurde von den Bergen verschluckt. Leise setzten die Grillen mit ihrem beruhigenden Zirpen auch hier ein. Eine rötliche Spieglung legte sich auf den ruhigen See und verwandelte ihn somit in meinen Augen in ein Blutbad. Panik drohte in mir aufzusteigen. Gleich würde ich aufspringen und aus dem Wasser stürzen. Mein Körper verkrampfte sich ruckartig und machte sich auf die klebrige Konsistanz gefasst, durch die ich mich gleich kämpfen musste. Kein Blut. Kein Blut. Kein Blut... Natürlich war es kein Blut, aber ich sah nur noch den roten Teich vor mir und mein Gehirn spielte mir streiche.
Alexander neben mir schien meine Angespanntheit zu fühlen und drehte den Kopf in meine Richtung. Ich zwang mich dazu, ihm mein Gesicht zuzuwenden und ihn anzusehen. Nur ihn. Nicht den von der Spieglung des Sonnenuntergangs geröteten Teich.
"Ich muss hier raus..." Auf dieses Geständnis musterte er mich noch genauer.
"Ich würde zwar gerne nachfragen wieso, aber es hätte sowieso keinen Sinn." antwortete er.
Meine Knie schlotterten und drohten nachzugeben. Auch dies schien er zu merken und legte vorsichtig einen Arm um meine Hüfte. Ich war äusserst verwirrt darüber, liess es mir aber nicht anmerken. Jetzt Begriff ich! Er hebte mich sachte aus dem Wasser und nahm mich in seine Arme. Wasser rann über den weichen Stoff meines Kleides nach unten und ich hörte die Tropfen auf dem Wasser aufschlagen.
Ich spürte seine Muskeln. Seine Wärme. Seinen Geruch. Noch immer wusste ich nicht, weshalb ich das Gefühl, ihm so nahe zu sein so intensiv mochte. Er gab mir Sicherheit.
Ich mussste mindestens fünf Kilogramm mehr wägen, mit dem durchnässten langen Kleid. Aber es hielt ihn nicht davon ab, mich in eleganten, sicheren Bewegungen zum Ufer zu tragen. Seine Muskeln zuckten unter seiner Haut.
Dort setzte er mich behutsam auf den Boden. Selbst gesellte er sich daneben und liess sich auf den Rücken fallen. Ich tat es ihm gleich und nun lagen wir gemeinsam auf dem kalten Rasen. Bis in die Knochen durchnässt. Starrten in den Himmel. In die endlose Weite. Beobachteten die aufziehenden Sterne in der Dunkelheit. Sprachen kein weiteres Wort und liessen uns langsam von der Dunkelheit zudecken. Mit einer Decke aus dunklem Nichts, in der nur die glühenden Sterne Licht und Sicherheit schenkten.
Die Sonne verschwand. Die Zirpen verstummten. Zurück blieb das Rauschen des Wasserfalls und unser gleichmässiges Atmen.

"Erzähl mir deine Geschichte Lyla."

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