Who is Pedro?
Ich schaute mir noch das zweite Heft an und seufzte, er schrieb fast alle Wörter klein und vergaß oft ein h oder schrieb, wie er das Wort hörte. Fast wie ein Ausländer, der erst Deutsch lernte. Grammatische Fehler gab es kaum, auch die Satzstellung stimmte. Er sprach ja auch normal. Ich legte die Hefte wieder auf den Tisch und überlegte.
„Bist du mal auf Legasthenie getestet worden?", fragte ich vorsichtig und schaute ihn fragend an. Er hielt krampfhaft seine Teetasse fest und schien zu überlegen, ob er mir antworten sollte.
„Ich bin schon auf alles und nichts getestet worden", sagte er abwesend und trank seinen Tee.
Ich traute mich nicht zu fragen, was er damit meinte. Nachdenklich trank ich ebenfalls meinen Tee. Es entstand eine quälende Stille. Paul kam inzwischen herein und verschwand nickend hinter der Tür, die links der Haustür war.
„Er ist dein Großonkel?", versuchte ich es wieder, ihn zum Sprechen zu bringen.
Niall nickte nur und stand auf. Nahm seine Tasse und wollte auch meine abräumen, stieß sie aber dabei um. Er war nervös!
Ich reichte ihm wortlos die Tasse und stand auch auf. Ich wollte nur nach Hause, das hier führte doch zu nichts. Als ich meine Jacke nahm und zur Tür wollte, sprach er endlich.
„ Kathi, ... ich möchte wirklich, ... dass ... dass du mir hilfst, aber ich ...", er schluckte und ballte die Fäuste unruhig, „ ich bin ... es nicht gewohnt ..., dass sich ... jemand um mich ... so ... bemüht!"
Hilflos hielt er sich nun am Tresen fest. Seine Fingerknöchel waren weiß, so krampfhaft umklammerte er die Kante.
„Bitte ver...versuch es doch!"
Ich ließ die Türklinke wieder los und ging zurück zum Sofa. Dort nahm ich die beiden Hefte vom Tisch und steckte sie in die Tasche. Er tat mir wieder einfach nur leid. Schließlich wollte ich ihm doch helfen und er flehte mich nun an, dies auch zu tun.
„Ich muss jetzt gehen, aber ich werde mir etwas zur Übung ausdenken. Am besten, wir treffen uns nach dem Unterricht in einem der Aufenthaltsräume der Schule", schlug ich vor und er war einverstanden.
Schnell lief ich nun zur Tür und ging ohne ein weiteres Wort.
Der Bus kam schon nach 5 Minuten und ich atmete erleichtert aus, als er endlich los fuhr.
Worauf hatte ich mich da bloß eingelassen? Aber er wollte meine Hilfe, dessen war ich mir sicher. Also musste ich versuchen, mit seinem merkwürdigen Verhalten klar zu kommen.
Die nächsten Tage trafen wir uns also regelmäßig, wenn der Stundenplan es zuließ, in einem der Aufenthaltsräume der Schule zum Üben. Er tat sich sehr schwer, aber er machte kleine Fortschritte. Als er ein Diktat mit nur 10 Fehlern auf einer Seite ablieferte, welches wir aber zum zweiten Mal schrieben, lächelte er sogar zum ersten Mal.
Es war mir Lohn der Mühe genug, ihn einmal so wundervoll lächeln zu sehen. Er hatte ein Grübchen im Gesicht. Als er den Blick plötzlich senkte, wurde mir bewusst, dass ich ihn wohl angestarrt hatte und schaute ebenfalls verlegen weg.
„Hast du Lust, noch einen Kaffee zu trinken?", unterbrach ich die peinliche Stille. Vielleicht ergab sich nun endlich mal ein privates Gespräch.
Zögerlich nickte er und wir gingen in die Schulcafeteria. Einige ungläubige Blicke folgten uns. Mir wurde in dem Moment klar, dass es wohl das erste Mal war, dass man ihn dort sah und auch noch in Begleitung, von mir.
Ich musste innerlich lächeln. Aber ich merkte auch, wie unwohl er sich so beobachtet fühlte. Trotzdem ging er mit mir mit.
Welch ein weiterer Erfolg heute. Ich fühlte mich großartig.
Aber ich schlug ihm vor, dass wir den Kaffee auch mitnehmen und uns draußen unter seinem Baum setzen könnten.
Zu meiner Verblüffung schüttelte er den Kopf. Ich holte also automatisch zwei Kaffee und wir setzten uns an einen kleinen Tisch, ganz hinten in der Ecke. Er dankte mir und trank einen Schluck.
Sein Handy klingelte. Er schaute auf's Display und ging dran.
„Ja?"
„Ja Pedro, Um wie viel Uhr?", fragte er und hörte genau zu. Es hörte sich unglaublich toll an, wie er sprach.
„Ja, ich werde da sein, aber nicht so lange!", beendete er das Gespräch und legte auf.
„Entschuldige!", sagte er nur zu mir und ich traute mich nicht danach zu fragen, mit wem er was gesprochen hatte. Stattdessen fragte ich nach seiner Herkunft.
„Bist du eigentlich in Deutschland geboren?"
„Nein, mein Vater ... war Ire!" Sein Gesicht veränderte sich wieder zu der versteinerten Maske.
Ich trat mir innerlich in den Hintern. Wie konnte ich nur so ein Thema ansprechen!
„Tut mir leid, ich wollte nicht...", erwiderte ich kleinlaut.
„Schon ... gut, ich bin mit sechs Jahren nach Deutschland gekommen, meine Mutter war Deutsche, sie sind beide ... tot." Ich sagte nichts darauf.
In dem Moment kam Claire um die Ecke. „Oh, ihr seid auch noch hier."
Sie schaute erst zu Niall und dann zu mir. Dann wieder zu Niall.
"Hallo Niall", sprach sie ihn vorsichtig an und setzte sich, nachdem ich auf einen freien Stuhl zeigte. Claire war Niall zumindest freundlich gesonnen und verurteilte ihn nicht gleich, wie die Anderen. Mit ihr konnte ich mich über ihn unterhalten, sie machte mir immer wieder Mut, wenn ich das Gefühl hatte, mit ihm käme ich nicht weiter.
„Hi Claire!", sagte er doch glatt und lächelte wieder.
Claire klappte der Mund auf und sie schaute mich fragend an. Ich musste innerlich lachen und antwortete nur: ,,Ja, er kann sprechen!"
Sie errötete und schaute peinlich berührt auf den Tisch. Niall grinste. Er war endlich mal ein bisschen lockerer geworden.
Dennoch verabschiedeten wir uns bald, da der Bus bald da sein würde. Niall und ich gingen zur Bushaltestelle und Claire machte sich zu Fuß auf den Weg, zu ihrem Freund Tom.
Als wir im Bus saßen, hatte ich das Gefühl, seine Lockerheit war für heute ausgereizt und seine Verschlossenheit gewann wieder die Oberhand. Wir unterhielten uns nicht und er starrte aus dem Fenster. Als ich aussteigen musste und ich mich verabschiedete, saget er auch nur „Tschüss" und blickte mich nicht mal richtig an.
Ob er an das Telefongespräch dachte?
Die nächsten Tage sahen wir uns kaum, er kam nicht mal regelmäßig zum Unterricht. Und wenn er kam, war er unausgeschlafen und unnahbar. Nur einmal trafen wir uns zum Lernen. Aber er war unkonzentriert und machte fast alle alten Fehler wieder.
Auf meine Frage, was los sei, antwortete er nicht. Wütend schrieb ich ihm meine Handynummer auf, und schob den Zettel zu ihm hin.
„Wenn du wieder ansprechbar bist, ruf mich an, dann können wir uns wieder zum Lernen treffen!", schrie ich ihn fast an und drehte mich ohne ein weiters Wort um und ging.
Mr. Unnahbar konnte mich mal, es war ihm nicht Wichtig genug, zu Üben. Soll er doch zusehen, wie er sein Abi schaffte!
Aber eigentlich war ich frustriert, dass ich bei ihm nicht weiter kam. Irgendwie hatte ich mir eingebildet, ich könnte so etwas, wie eine Freundin werden, der er sich anvertrauen konnte. Aber dem war wohl nicht so, und das machte mich traurig und wütend zu gleich. Was hatte ihn dermaßen verletzt, das er sich Allem verschloss?
Ob doch etwas dran war, dass er am Tod seiner Eltern schuld war? Er war in einem Therapiezentrum gewesen, hatte Claire erzählt.
War er in einer Erziehungsanstalt gewesen oder in einer Psychiatrie?
So langsam ging echt meine Fantasie mit mir durch! Nein, er litt unter dem Tod der Eltern, wie lange es wohl her war? Bei Gelegenheit musste ich doch noch mal mit Fr. Kreuz sprechen. Vielleicht konnte sie mir einen Teil der Fragen beantworten.
Ein paar endlose Tage später, es war Samstagmorgen, klingelte dann mein Handy unerwartet.
Eine unbekannte Nummer war zu lesen und ich ging voller Erwartung dran.
„Kathi Timmer?" sagte ich.
„Ich bin es, Niall.", kam es etwas zögerlich. Sofort wurde ich freudig nervös.
„Hallo Niall, schön das du dich meldest!", sagte ich erstmal belanglos.
„Hast ... hast du vielleicht heute Zeit ... zum Lernen? Ich habe auch ... geübt!", brachte er zu meiner Verwunderung hervor. Er hatte tatsächlich alleine geübt?
„Ja, habe ich! Wann und wo sollen wir uns denn treffen? Die Schule ist ja heute geschlossen."
„Magst du Lasagne? Ich habe welche gemacht, wenn du also möchtest, komm um ... 12Uhr zu mir?", gab er immer leiser werdend zum Besten.
Er verblüffte mich doch immer wieder. Sogar kochen konnte er?
„Ich komme gerne, bis gleich!"
Ungläubig schob ich mein Handy zusammen und setzte mich auf mein Bett. Das war echt überraschend. Nun hatte ich tagelang nichts von ihm gehört und dann lud er mich zum Essen ein. Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
Also packte ich einige Unterlagen zusammen und speicherte seine Nummer im Handy ab. Danach brauchte ich ihn nun nicht mehr fragen.
Was hatte zu seinem Sinneswandel geführt? Wollt er mir erklären, warum er nicht in die Schule kam, wollte er sich für sein Verhalten entschuldigen? Obwohl, er hatte ja nichts gemacht. Er war nur einfach nicht da gewesen. Wenn er krank gewesen wäre, hätte zu mindest Frau Kreuz mir etwas gesagt, oder?
Ich würde es hoffentlich nachher erfahren, also dachte ich nicht weiter darüber nach.
Da es heute schon ein wenig wärmer war, verzichtete ich auf meinen Schal. Warum fror Niall eigentlich nie?
Ich lief in die Küche und teilte meiner Mutter mit, dass ich heute bei Niall essen würde.
„Oh, lernt ihr doch wieder zusammen? Ich dachte, er wollte nicht mehr", antwortete mir meine Mutter erstaunt. Ich hatte ihr vor ein paar Tagen mein Leid über Nialls Verhalten geklagt!
„Er hat sich plötzlich wieder gemeldet und mich sogar zum Essen eingeladen. Er ist echt merkwürdig, bei ihm weiß man nie, was als nächstes kommt."
„Pass auf dich auf, mein Schatz! Er ist unberechenbar, nachdem, was du mir schon alles erzählt hast. Vielleicht hat er mal Lust, mit zu dir zu kommen, ich würde ihn gern mal kennen lernen.", warf sie ein.
Das bezweifelte ich, aber ich würde ihn fragen, versprach ich ihr und ging zur Bushaltestelle.
Um 12 Uhr stieg ich vor dem Strandhaus aus dem Bus.
Diese Mal saß Paul nicht auf der Bank. Ich klopfte an der Tür und Niall öffnete.
„Hallo, da bin ich", sagte ich und trat ein, da er nichts erwiderte. Er trat einen Schritt zurück und machte die Tür mit gesenktem Blick weiter auf. Ich blicke mich im Raum um.
„Wo ist Paul?", fragte ich erneut etwas.
„In seinem Zimmer, schön das du gekommen bist", sagte er nun endlich doch was.
Als ob er erst antesten musste, was sein gegenüber für eine Laune hatte, bevor er etwas sagen konnte!
Er nahm mir die Jacke ab und hing sie auf. Ich ging zum Tresen, dort hatte er für drei Personen gedeckt. Paul würde also mit uns essen.
„Wo warst du die letzen Tage? In der Schule jedenfalls nicht so häufig?", fragte ich neugierig.
„Arbeiten", antwortete er kurz angebunden.
„Du arbeitest während der Schule? Wo und warum?", verblüfft schaute ich ihn an.
Er hielt mit seinem Tun inne und schaute auf seine Hände, als wenn dort die Antwort wäre.
„Ich ... ich brauche das Geld zum ... Leben. Ich arbeite im ... Chicka's, ... nur hinterm Tresen, wirklich", antwortete er kleinlaut und sichtlich nervös.
Von dem Laden hatte ich noch nie gehört, aber ich wohne auch noch nicht sehr lange hier.
„Bekommst du keine ... Weisenrente, oder so?"
„Das und das bisschen Geld von Paul reichen aber nicht immer, also gehe ich bei Pedro ... aushelfen!", erklärte er.
Pedro, so erinnerte ich mich, war der Anrufer letztens in der Schulcafeteria gewesen.
Niall ging und holte Paul aus seinem Zimmer zum Essen. Es roch wirklich gut.
Paul kam hinter Niall hergeschlurft und begrüßte mich erfreut. Ich mochte ihn irgendwie. Niall nahm die Lasagne aus dem Ofen und gab jedem ein Stück auf den Teller. Vorsichtig probierte ich sie, da es noch sehr heiß war.
Die Lasagne war wirklich lecker.
"Woher kannst du so gut kochen?"
„Einer muss es ja von uns tun", brummte er und schaute zu Paul, der aber lachte nur.
„Ich bin als Koch eine Katastrophe, da blieb ihm nichts anderes übrig, als es zu lernen!", erklärte Paul.
Alles in Allem war es ein entspanntes Essen. Paul erzählte etwas von seiner Zeit als Seemann und Niall hörte zumindest aufmerksam zu. Manchmal hatte ich das Gefühl, er schaute mich an, aber immer wenn ich zu ihm blickte, schaute er wieder zu Paul.
Jedoch fiel mir auch auf, dass, wenn Paul ihn anschaute, Niall ebenfalls die Augen senkte und auf den Tresen blickte.
Offensichtlich konnte er niemanden direkt in die Augen schauen.
„So ihr beiden, ich lasse euch denn mal alleine! Ich gehe meinen Spaziergang machen!", sagte Paul plötzlich und stand auf. Er nahm seine Jacke vom Haken und ging durch die Tür nach draußen.
Wir räumten noch ab und setzten uns dann an den Tisch am Sofa. Er auf dem Hocker, ich auf dem Sofa, wie gehabt.
Ich diktierte ihm dasselbe Diktat, wie zuletzt in der Schule und er schrieb es tatsächlich fehlerfrei.
„Das war klasse, du hast wirklich geübt! Wenn wir Montag die Deutscharbeit schreiben, wird's wohl was werden!", freute ich mich für ihn.
Auch Niall schien glücklich darüber zu sein. Er schaute mir diesmal kurz in die Augen und ... lachte! Das machte mich mutig.
„Wer ist Pedro? Und was ist das für ein Laden in dem du arbeitest?"
Er wurde wieder nervös und schaute weg. Unruhig ging er zum Fenster und blickte hinaus.
„Pedro ist ... ein Freund, ihm gehört das ... Chicka's." Er biss sich auf die Lippe.
„Das ist eine ... Bar für ...für ...", er holte tief Luft bevor er weiter sprach.
„Es ist ein Treffpunkt für Schwule und Lesben."
Ich schluckte. In so einem Lokal arbeitete er? Ungläubig schaute ich ihn an.
War er etwa auch schwul? War das eins seiner Probleme?
Fragen über Fragen.
Was denkt ihr ist Niall schwul? Oder arbeitet er dort wirklich nur hinter der Bar?
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