Der Deal
Lieber einen schlechten Deal,
als keinen.
„Ich würd' dich ja schlagen, aber das wär' Tierquälerei."
Mein Schädel brummt.
Langsam öffne ich meine Augen. Über mich gebeugt, hockt das Mädchen, oder besser gesagt, eine junge Frau. Sie hält etwas in der Hand. Eine Art Eimer oder so?
„Aber das sollte klar gehen."
Im nächsten Moment schüttet sie etwas Eiskaltes über mich. Erschrocken springe ich auf. Matsch tropft auf den Boden zu meinen Füßen und meine Sicht ist eingeschränkt.
„Ich war auch vorher schon wach!", rufe ich empört.
Sie zuckt jedoch nur mit den Schultern.
„Besser, nochmal sicher zu gehen.", meint sie nur und stellt den Eimer wieder ab.
Ich richte mich langsam auf.
Sie hat mich in ein Zimmer gebracht, das aussieht, als wäre es ein Keller. Nur viel heller und höhergelegen. Ich liege auf einer Bank, gepolstert mit alten Klamotten und einem Kissen, das schon sehr zerrupft aussieht. Mein Hinterkopf wurde verbunden. Nicht mit einem Tuch, wie ich es bei meinem Bein tat, sondern mit etwas Festem, etwas Richtigem. Es fühlt sich fast an wie eine Art Bandage oder ein Verband, wie es sie früher in den Erste Hilfe Sets gab.
„So.", räuspert sie sich jetzt.
„Manche verursachen Freude, wo immer sie hingehen, andere, wann immer sie gehen."
Verwirrt blicke ich sie an. Hat sie mich gerade beleidigt, zum bereits zweiten Mal?
Sie seufzt.
„Ernsthaft? Du bist wohl einer der ganz hellen Leuchten. Du sollst verschwinden. Und komm ja nicht wieder!"
„Aber-"
„Kein aber.", mit diesen Worten schubst sie mich Richtung, der nicht mehr vorhandenen, Tür.
„Wir brauchen das Essen!"
„Wir? Meinst du etwa den Hund?", sie beginnt zu lachen.
„Der hat doch schon lange Leine gezogen. Solltest dir vielleicht eine Schnecke zulegen, die bewegen sich wenigstens so schnell wie dein Gehirn denkt."
„Dann behalt halt das Essen, ich kann anderes besorgen. Wo verdammt ist Skip?"
In diesem Moment vernehme ich ein Bellen. Es kommt aus einem Nebenraum, der durch eine kleine Tür von uns getrennt ist. Ich springe auf, spüre jedoch sofort den Schmerz in meinem Bein und mein Schädel protestiert lautstark gegen die schnelle Bewegung. Ich falle zurück auf die Bank.
„Verdammt!", murmele ich.
„Du kannst mehr auftreiben?"
Sie beugt sich wieder zu mir herunter.
„Was?"
„Du hast gesagt, dass du mehr Essen auftreiben kannst."
„Ja, vermutlich."
Mit einem zufriedenen Grinsen richtet sie sich wieder auf. Dann steckt sie sich zwei Finger in den Mund und pfeift. Es ist ein lautes, schrilles Pfeifgeräusch. Früher wollte ich das auch immer können, auf zwei Fingern pfeifen. Ich fand, wenn man das tat oder konnte, war man automatisch die mächtigste Person in einem Raum. Wer würde schon einem so lauten Pfeifen widersprechen oder es gar ignorieren?
So denkt anscheinend auch der Vierbeiner, der nun die nur angelehnte Tür aufstoßt. Skips Schnauze ist nass, er muss etwas getrunken haben. Fröhlich hechelnd kommt er zu uns gelaufen und lässt sich von der jungen Frau hinter den Ohren kraulen.
„Verräter.", murmele ich und als hätte er mich verstanden, blickt er mich schuldbewusst an.
„Du darfst hierbleiben, bis es dir besser geht. Dafür musst du aber Essen besorgen."
„Ich darf? Vielleicht will ich ja gar nicht!"
„Na dann viel Glück in deinem Zustand irgendwo hinzukommen, ohne alle drei Sekunden umzukippen!"
Leider hat sie recht. Ich kann noch nicht einmal klar denken, geschweige denn mich fortbewegen oder Essen suchen.
„In Ordnung. Aber ich will mein Essen wieder.", antworte ich dann.
„Das nehm' ich als Bezahlung für den Verband, gern geschehen, Springer."
„Und ich heiße nicht Springer, sondern Tom."
„Das ist ein echt scheußlicher Name. Ich bin Alice, Springer."
Draußen ist es stockfinster. Alice war vor einer ganzen Weile verschwunden und nur Skip war geblieben.
„Du musst mich gar nicht so ansehen!"
Natürlich bin ich nicht wütend, wenn dann etwas gekränkt das er sich so schnell so gut mit ihr versteht und ich noch immer irgendein Dahergelaufener bin. Ich mag es hier nicht. Der Raum ist unheimlich und diese Alice kenne ich kaum. Zwar denke ich nicht, dass sie mich erwürgt oder so, aber dennoch ist sie mir sehr suspekt. Ihre ganze Art. Und dann kommt noch hinzu, dass sie mein Essen gestohlen hat. Dies werde ich ihr wohl vorerst nicht verzeihen können.
Ich drehe mich auf die andere Seite, nur um keine Sekunde später frustriert wieder aufzustehen. Unentschlossen gehe ich langsam im Raum auf und ab. Mein Schädel brummt zwar noch gewaltig, aber mein Bein fühlt sich schon besser an. Wenn ich ihr Essen besorgen soll, muss ich schnell wieder gesund werden. Natürlich habe ich nicht vor, länger als nötig hierzubleiben. Zwei, maximal drei Monate vielleicht. Spätestens dann sollte sich das ganze hier ja geklärt haben. Mittlerweile bin ich beim Türrahmen angelangt. Das Loch in der Wand wäre früher wahrscheinlich irritierend gewesen, heute ist es aber ganz normal. Zumindest für uns hier, für mich.
Ich gehe hinaus. Es ist Vollmond und ein paar Sterne erhellen die Stufen vor dem Haus. Im Mondschein erscheinen die Trümmer der Stadt erstaunlich ruhig, als hätte es nie einen Krieg gegeben. Als hätte es nie Menschen gegeben. Ich starre in den Himmel und augenblicklich wünsche ich mir, ich hätte meiner Mutter besser zugehört als sie von Sternzeichen und Kometen sprach. Sie kannte sich aus mit allem das sich über unseren Köpfen befand. Weniger gut kannte sie die Dinge unter unseren Füßen. Dafür interessierte sie sich nie. Sie war fest davon überzeugt, dass es da draußen irgendwo noch intelligentes Leben geben würde und damit meinte sie nicht die Marsmenschen.
„Manchmal glaube ich, der beste Beweis dafür, dass es anderswo im Weltall intelligentes Leben gibt, ist der, dass noch niemand versucht hat, Kontakt mit uns aufzunehmen.", sagte sie einmal und damit hat sie anscheinend recht. Niemand, der noch etwas Intelligenz besitzt, würde mit einer Rasse wie der unseren freiwillig Kontakt aufnehmen.
„Du stehst mir im Licht.", sagt eine Stimme von irgendwo über mir.
Zuerst denke ich, dass ich gleich in ein Raumschiff gebiemt werde. Dann sehe ich das Gesicht über mir. Auf dem Dach des Hauses sitzt Alice. Sie blickt auf mich herab, als stünde sie eine Stufe über mir. Ich sehe mich um, irgendwie muss sie hinaufgekommen sein. Ein paar alte Dachziegel liegen als Haufen übereinander geworfen rechts neben dem Haus. Vorsichtig, auf mein Bein achtend, klettere ich hinauf.
Mühsam bekomme ich schließlich die frühere Dachrinne zu fassen und ziehe mich hoch.
Alice hockt am Rand des Daches und blickt hinauf zum Mond. Ihre Haare sind kurz geschnitten, wie die eines Jungen und langsam bewegen sie sich durch den leichten Wind. Erst jetzt fällt mir auf, wie fragil sie wirkt. Ihre Haut erscheint im Mondschein blass und an manchen Stellen aufgeschürft und rußig.
„Was machst du hier?", frage ich sie.
„Solltest du nicht im Bett sein?", entgegnet sie scharfzüngig.
„Konnte nicht schlafen."
„Soll der Vollmond so an sich haben. Wie geht's dir?"
Überrascht lasse ich mich etwas unsanft neben sie fallen.
„Den Umständen entsprechend, nehme ich an."
„Wann kannst du Essen besorgen?"
„Kannst du nicht selber für dein Essen sorgen?", diesmal bin ich es, der eine Gegenfrage stellt.
„Geht dich gar nichts an, Springer."
Ich warte kurz, aber anscheinend ist sie nicht der Typ Mensch der Erklärungen abgibt.
„Hör auf mich Springer zu nennen, so heiße ich nicht."
„Wieso? Es passt doch!"
„Was meinst du?"
„Hör zu, ich weiß zwar nicht ob du zu unterbelichtet dafür bist, aber früher gab es ein Brettspiel, das nennt sich Schach."
„Ich weiß was Schach ist!"
„Und da gibt es verschiedene Figuren. Es ist viel leichter Menschen in Gruppen einzuteilen, so versteht man sie besser. Du bist der Springer."
Sie scheint nicht viel Interesse für die meisten Dinge zu haben, aber als sie beginnt vom Schach und den Menschengruppen zu erzählen, leuchten ihre Augen auf.
„Warum der Springer?", frage ich.
„Du wanderst. Eindeutig musstest du viel allein erreichen und bewerkstelligen. Du bist die Person die andere unterstützt, aber nicht selbst den vernichtenden Schlag ausübt. Und du bist die einzige Figur, die über andere hinwegspringen kann. Du kannst vergessen.", fügt sie hinzu.
Ich sehe sie überrascht an.
„Ich vergesse nicht.", erwidere ich dann.
„Ach, denkst du? Was waren die letzten Worte deiner Eltern?"
Ihre Frage fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Verzweifelt denke ich nach. Doch da ist nichts, nichts in meinem Gedächtnis erinnert sich. Ich erinnere mich nicht. Nicht an ihre Körper, nicht an den Tag als sie starben.
Nicht an ihre Worte.
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