[5] Satoru


Ich stand in meinem Zimmer und sah aus dem Fenster. Der Mond stand hoch am Himmel und die Sterne funkelten um die Wette.

Vor knapp einer halben Stunde hatte ich mir eine ebenso lange Predigt der Kaiserin anhören müssen, wie dreist es gewesen sei, sie nicht ebenfalls zu der Bestrafung hergerufen zu haben. Sie hätte teilhaben wollen.

Was, letztlich genau der Grund gewesen war, das ich sie nicht hatte wecken lassen.
Suiko genoss solche Momente etwas zu sehr. Vor allem wenn eine meine Konkubinen den Stock spürte.

Mein Blick schweifte über das Firmament und ich genoss die warme Brise, die mein Gesicht streifte. Ich überdachte alle Pläne und rechnete nach. Der Frühling neigte sich dem Ende zu und wenn auch der Sommer vorbei war und die Kälte Einzug hielt, stände ich nicht mehr hier in meinem prächtigen Palast, sondern auf dem Schlachtfeld. Vielleicht schon, wenn der erste Schnee fiel.

Ein erwartungsvolles Kribbeln jagte mir über die Wirbelsäule und zupfte zudem an meinen Mundwinkeln.

Als jemand eintrat, wandte ich den Blick nur halb zu der Person.

Dai kam herein in mein Zimmer und blieb an der Tür stehen. Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken und die Wut, die er verströmte. Er sagte nichts.

Irgendwann wandte ich mich ihm zu.
»Du weißt, dass ich es tun musste.«

Dai spannte den Kiefer an. »Du hättest einfach nichts tun können, Satoru. Du hättest einfach in dein Zimmer gehen können und niemandem wäre aufgefallen, das Kimiko nicht in ihrem Gemach war.«

Ich betrachtete ihn und legte den Kopf schief. »Hmm, und die Wachen in den Fluren, an denen sie vorbeigelaufen ist? Und die Kurtisanen, die, wie du weißt, jeden Schritt von jedem in meinem Anwesen kennen? Was hätten die gesagt, wenn ich so ein Verhalten ungesühnt lassen würde?«

»Du bist der Kaiser, Satoru. Du scherst dich auch sonst nicht darum, was die anderen von dir denken.«

Sein Tonfall passte mir nicht, dennoch blieb ich ruhig und konfrontierte ihn mit einem simplen Fakt. »Wenn es jemand anders wäre, würdest du den Entschluss gutheißen. Du hättest eine andere nur teilnahmslos angesehen, während ich zugeschlagen hätte.« Er widersprach mir nicht, weil Dai wusste, das ich recht hatte. »Du bist heute fast selbst an einer Bestrafung vorbeigeschildert, das ist dir hoffentlich klar.«

»Das ist es.«, brummte er und hielt seinen Körper angespannt.

Ich straffte mich ebenfalls. »Ich konnte das Angebot nicht ablehnen, Dai. Das weißt du. Die Männer ihres Vaters sind zu wichtig und könnten im Krieg den Ausschlag geben. Jeder Mann zählt.«

Er sah mich an. »Ich weiß.«

Nickend lief ich ein paar Schritte und goss uns dann den heißen Sake ein, den ich mir hatte bringen lassen. Ich reichte meinem Freund ein Glas.

»Mir tut leid, das eure Verlobung gelöst wurde. Aber ... sie ist jetzt meine Hure und nicht mehr deine Verlobte.«

Er biss die Zähne zusammen. »Nenn sie bitte nicht so.«

»Wie? Hure?«, fragte ich und lehnte mich neben ihn an die Tür. »Aber genau das ist sie ab jetzt. Konkubine, Kurtisane, Mätresse sind alles nur nette Umschreibungen. Das weißt du.«

Er wandte sich mir zu und trank den Sake in einem Zug aus. »Nenn sie nicht so, Satoru. Sie ist keine Hure.«

Ich kniff die Augen zusammen. »Du sagtest mir, du liebst sie nicht. Hast du gelogen?«

Er erstarrte, den Blick jedoch unverwandt auf mein Gesicht geheftet. »Nein, habe ich nicht.«
Wir wussten beide, dass er log. »Hätte ich das gewusst, dann-«.

»Da gibt es nichts zu wissen.«

»Warum beschützt du sie dann.«

»Das tue ich nicht.«

»Du hast dich vor sie gestellt, als ich sie züchtigen wollte.«

»Ich ...«

»Du?«, fragte ich nach und nippte an meinem eignen Sake.

»Die Leute wissen, dass sie vorher meine Verlobte war. Meine Ehre gebietet es mir, Satoru. Ich war immerhin ganze zwei Jahre verlobt und kenne sie schon mein ganzes Leben lang.«

Richtig, sie waren Kindheitsfreunde. »Warum habt ihr dann nicht geheiratet. Vorher.«

»Weil«, setzte er an. »Ich einberufen wurde und du mich zu deinem General gemacht hast.«

Ich betrachtete ihn. »Ein Wort hätte genügt, Dai.«

Er rieb sich das Haar. »Ich weiß, aber ...«
Mein Freund schwieg, aber ich wusste, was er dachte. Diese Stelle als General hatte er sich hart erarbeitet und er liebte es. Er hatte es sich verdient und durch diesen harten Einsatz, ist er zu meinem engsten Freund geworden.

Wäre er gegangen, wenn ich es ihm angeboten hätte?
Nein, wahrscheinlich nicht.

Hätte ich das Angebot von Kimikos Vater abgelehnt, wenn ich gewusst hätte, wie es um seine Gefühle stand?
Ich wusste es nicht.

Aber ich würde gerne von mir behaupten, dass ich die Gefühle meines Freundes über den Einsatz von einem Haufen Männer gestellt hätte.
Ich wusste es trotzdem nicht.

»Hast du nach ihr gesehen?«

Er schnaubte. »Sie würde mir einen Arschtritt verpassen, wenn ich jetzt zu ihr gehen würde.«

Ich grinste. »Sie macht einen sehr ... wilden Eindruck.«

»Sie ist wild.«

Ich nickte. »Wenn du willst, geh zu ihr. Ich werde sie heute sicher nicht mehr besuchen.«

Er schnaubte, doch was wohl amüsiert klingen sollte, hörte sich nach dem letzten Laut eines sterbenden Tieres an. »Sie hat mich rausgeschmissen.«

Ich blinzelte und lachte dann. »Du bist der erste General des Kaisers. Sie kann dich nicht rausschmeißen, wenn du es nicht willst.«

Er nickte, wandte sich dann aber ab und machte die Tür auf. »Oh Satoru, Kimiko Fujiwara, kann mehr, als du denkst.«

Wieder lachte ich und als er schon halb draußen war, sagte ich: »Ich weiß es.«

Er sah über seine Schulter. »Du weißt was?«

Ich sah ihn lächelnd an. »Es waren 146 Schritte, General Dai. Du schuldest mir hundert Schläge.«

Dai lächelte nicht zurück und sagte nur: »Die werde ich beim Training abarbeiten.«

Drei Tage später

Ich fand die neue Konkubine an eben jenem Teich, der ihr diese Schläge eingebrachte hatte. »Wie ich sehe, hast du dir bereits einen Lieblingsplatz auserkören.«

Sie sah über ihre Schulter und der leichte Wind wehte ihr durch die schwarzen langen Haare. Sie schob sich ein paar Strähnen hinters Ohr und sah mich an.

Ich kam nicht umher, festzustellen, dass sie wirklich hübsch war.

Kimiko erhob sich und verbeugte sich formgerecht.
»Eure Hoheit«, begrüßte sich mich, aber an ihrem bissigen Unterton konnte man deutlich heraushören, dass sie nicht erfreut war, mich zu sehen.

Ich schmunzelte. Andere Konkubinen rissen sich darum, dass ICH zu IHNEN kam. Kimiko hingegen ...

Ich betrachtete sie, bevor ich auf den Teich sah. »Geht es deinem Rücken denn besser?«

Sie stellte sich wieder aufrecht hin, dabei verzog Kimiko leicht das Gesicht.
Niedlich.

»Nun, nicht wirklich.«

Ich nickte. Man sah, dass selbst das Verbeugen ihr noch etwas schwerfiel.

»Und wie geht es euch? Läuft das Kaisersein gut?«

Wieder sah sie mir direkt in die Augen und ich kam nicht umher, ihren Blick zu erwidern.
»Hat man dir nicht beigebracht, dass keine Konkubine Augenkontakt länger halten darf, als drei Herzschläge?«

Als sie Anstalten machte, wegzusehen, hinderte ich sie, indem ich ihr Kinn mit zwei Fingern festhielt. »Nein, sieh mich ruhig an. Du bist mutig, Fijiwara Kimiko. Sehr, sehr mutig.« Ich sah ihr eine Weile in die Augen, dann ließ ich sie los und sah wieder auf den Teich. »Lass mich dich etwas rumführen, Kimiko. Und am Ende dieser Führung wist du deine Mitstreiterinnen kennenlernen – sowie die Bekanntschaft der Kaiserin machen.« Ich lachte leise. »Wobei du dich darauf wohl nicht unbedingt freuen solltest.«

»Ihr habt mich warten lassen, also wollte ich mir etwas die Beine vertreten und ...« Kimiko stoppte sich selbst, sah zu mir auf und dann wieder nach vorne. »Ist ... nicht wichtig. Ihr solltet wissen, dass ich bzgl. Euch nicht so ehrgeizig sein werde, also erwartet bitte diesbezüglich nichts von mir«, klärte sie mich auf.

Unverfroren weigerte sie meinen Blick zu erwidern. »Verständlich. Die Kaiserin möchte natürlich, dass ihr nur Augen für sie habt. Jede normal denkende Frau wäre so.«

»Alles ist wichtig, Kimiko. Immer. Jedes Wort zu jedem. Jeder Blick, der einer Person zugeworfen wird. Jede heimliche Berührung, die man beobachtet«, neckte ich sie, um zu sehen, wie sie reagierte. Dann fuhr ich fort: »Oh, ich lasse so ziemlich jeden warten, aber niemand kommt auf die Idee, sich die Beine zu vertreten und mich damit zu kränken. Selbst wenn sich dein Ehrgeiz, mir bezüglich, noch in Grenzen halten mag. Und was die Kaiserin angeht«, fing ich an, suchte innerlich jedoch nach den richtigen Worten.

Ich kannte Kimiko noch nicht und auch wenn Dai mein engster Vertrauter war, musste das nicht für sie gelten. Ich sah sie von der Seite aus an. »Ihr sind meine Augen und auf wem sie liegen egal. Sie hat andere Gründe frustriert zu sein. Gründe, die sie nicht als ihre Schuld einräumen möchte und die sie seit Jahren auf andere abwälzt.«

Ich schwieg eine gute Minute, bis wir das Areal meines kaiserlichen Gartens hinter uns gebracht hatten, wo die Bäume ihre Kirschblüten, trotzt der späten Jahreszeit und dem Ende des Frühlings, noch beharrlich festhielten. Die Blüten fielen, als wir unter den Stämmen hindurchliefen, wie rosafarbener Regen auf und herab.

»Und wie denkst du darüber?«, fragte ich nach und sah sie an. »Denn ich bekomme so den Eindruck, dass du nicht zwangsmäßig eine normale Frau bist, Fijiwara Kimiko.«

Sie spannte ihren Körper etwas an, aber sah noch immer geradeaus. »Ihr beobachtet also gerne?«, stellte sie eine rhetorische Frage. »Ich wusste nicht, das euch sowas kränken würde. Eigentlich hatte ich gehof-«. Kimiko stoppte erneut, presste ihre vollen Lippen zusammen und setzte erneut an. »Ich habe gedacht, dass ihr nicht mehr kommen würdet«, verbesserte sie ihre Wortwahl. Dann nickte sie einmal knapp.

Kimiko sah sich die Kirschblüten an und ihre Augen begannen zu leuchten.
»Wunderschön«, erklärte sie und konnte sich ein Lächeln scheinbar nicht verkneifen. Doch sie seufzte kurz darauf, kramte in ihrem Ärmel herum und zog ein Taschentuch raus.
»Hier, für Euch«, meinte sie und versuchte, unbeteiligt zu klingen.

Auf dem Taschentuch stand:

Damit ihr es lernt.
Fujiwara Kimiko.

Sie schmunzelte und sah sich wieder die Kirschblüten an. »Nun, ich würde versuchen, eure Lage zu verstehen. Zu verstehen, wieso ihr das tut, was ihr nun einmal tun müsst. Die Kaiserin könnte die Kinder der Konkubinen ja auch als ihre eigenen betrachten. Immerhin ist sie letzten Endes die Kaiserin und steht somit nur unter euch.«

Ich nahm das bestickte Taschentuch entgegen und blinzelte irritiert. »Damit ich was lerne?«

»Meinen Namen.« Sie schmunzelte und lief dann an mir vorbei.

Lachend packte ich sie am Arm und bremste sie aus, bevor wir das Innere des Palastes betraten. »Ich kenne deinen Namen. Ich finde es nur lustig, was für ein Gesicht du ziehst, wenn ich ihn falsch sage, Dame FIJIWARA.«

»Ihr macht das also mit Absicht?«

Ich grinste schief und sah ihr fest entgegen. »Ich wäre wahrlich ein schlechter Kaiser, wenn ich mir einen Namen nicht merken könnte, oder?«

Meine Konkubine sah in meine Augen, dann sah sie peinlich berührt zur Seite. »Nun ... das stimmt wohl«, gab sie zu.

»Du wirst rot, Kimiko«, stellte ich fest und neigte mich etwas näher zu ihr hinab. Dabei fiel mir auf, dass sie mir nur bis zum Schlüsselbein reichte. »Macht dich dein Kaiser etwa nervös?«

Sie sah mich an. »Nein, wieso solltet ihr mich nervös machen?«

»Nun«, setzte ich an und kam noch näher. »Man sagt sich, dass ich gelegentlich so eine Wirkung auf die Damen des Hauses habe. Meine Gemahlin ausgenommen.« Ich hob eine Hand und nahm eine Strähne in meine Finger. Dann hob ich die Hand und zog langsam die Jadespange aus ihrem Haar, sodass es gänzlich offen über ihre Schultern fiel. Ich strich darüber und legte den Kopf schief. »Ich werde heute Abend zu dir kommen, Kimiko«, beschloss ich und vergrößerte den Abstand wieder.

Kimikos Augen weiteten sich. »Aber meine Wunden. Also ... sie sind noch nicht wirklich ... verheilt.«

Ich schmunzelte, weil sie sich definitiv versuchte rauszureden. Ich lief weiter und ließ sie hinterherlaufen. »Ich werde Rücksicht nehmen, wenn es das ist, was du fürchtest. Ich mag einen Ruf auf dem Schlachtfeld innehaben, aber ein brutaler Liebhaber, bin ich nicht«, stellte ich klar. »Es sei denn, meine Dame der Wahl möchte es so.«

Ich sah über die Schultern zu ihr, beobachtete ihre Reaktion und wurde nicht enttäuscht, denn Kimiko sah mich überfordert an.
»Das ... Das ist es nicht! Eure Hoheit!«, erwiderte Kimiko mit hoch roten Kopf. »Ich möcht das nicht so«, erwiderte sie heißer.

Ich lachte. »Dann sorgst du dich umsonst wegen deines Rückens. Ich bin kein lüsternes Tier, das seine Konkubinen besteigt und misshandelt. Und jetzt komm.«

Wir schlenderten durch den Palast und ich erklärte ihr recht sachlich alles Nötige.
Es gab 134 Zimmer, 4 große Gärten und 2 kleinere Versionen. 9 Kochstuben und diverse, aber zählbare Höfe, die für das Hofhalten oder Kampftraining genutzt wurden. 7 Säle, für Besprechungen, Feste und oder andere Anlässe wie Hinrichtungen oder Bestrafungen. Die Dienerschaft hauste im Dorf unterhalb der langen Straße und kam vor dem Sonnenaufgang her und ging nach Sonnenuntergang wieder. Im Wechsel blieben um die 50 Diener des Nachts hier, damit auch wenn der Mond schien, für das kaiserliche Wohl gesorgt war.

Die Konkubinen hatten je nach Rang und wohlwollen meinerseits, ihre Gemächer näher an den kaiserlichen Räumlichkeiten, als die anderen. Kimikos war aktuell das am weitesten entfernte. Die Kaiserin bezog das Zimmer neben meinem und hatte ihre eigene Schaar an Zofen, die sie ständig umzingelte.

Essen gab es immer zur selben Zeit im immer gleichen Saal – und alle mussten anwesend sein. Es wurde gewartet, bis der Kaiser mit dem Frühstück fertig war, ehe alle andere aßen.
Ich beendete das Geschwafel und sagte: »Ansonsten hast du das Recht, zu tun, was auch immer du willst. Solange du auf dem Anwesen bleibst, immer jemanden bei dir hast und kommst, wenn ich es verlange, steht dir jede Tür offen. Nun«, verbesserte ich, »fast jede. Die Unterkünfte der Soldaten sind strengstens verboten.«

Ich sah sie an. »Immerhin will ich meine Mätressen nicht in der Nähe ungehobelter Männer wissen, die keine Ahnung davon haben, wie man eine Dame behandelt. Außerdem schlage ich ungern Köpfe ab, wenn jemand mein Eigentum anfasst. Ich tue es, aber nicht gerne.«

Ich deutete auf einen Saal, der im Gegensatz zu dem, den Kimiko schon kennt, nicht halb aus Gold, sondern aus Silber bestand. »So, es wird wohl Zeit, dass du dich aus deinem Schneckenhaus zurückziehst und deine neune Mitstreiterinnen kennenlernst.« Ich lenkte sie in den Saal und beugte mich dann, ein Auge bereits auf die anwesenden Damen, ein letztes Mal zu ihr hinab. »Ach, und eine Kleinigkeit noch. Ich habe General Kazuko als deine persönliche Wache anstellen lassen. Nur um noch einen frühzeitigen Wechsel an Konkubinen ausschließen zu können.«

Ich ließ sie stehen und lief auf den einzigen Stuhl zu, der vor einem Wandgemälde eines weißen, bis an die Decke gezeichneten Drachen stand, der einen mit tödlich ruhigen eisblauen Augen anstarrte.

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