[43] Satoru


Der Palast wurde bereits seit Tagen geschmückt.
Herbstliche Blumen wurden drapiert und festliche Girlanden aufgehangen. Selbst die kleinen Papierdrachen und die fliegenden Laternen standen bereit, obwohl die Feier erst in drei Tagen stattfinden sollte.

Drei Tage.

In drei Tagen würde Kimiko meine Frau und gleichzeitig zur Kaiserin ernannt. Ich sah in den Spiegel und starrte den einäugen Mann an, der mir entgegensah. Eine goldene Augenbinde war um die Hälfte meines Gesichts gebunden und verbarg die hässliche, halb verheilte Narbe, die einst ein Auge war.

Vier Wochen zuvor, im Kriegslager, sah ich noch aus, wie ein normaler Mann. Ein gut aussehender, junger, kriegserprobter Kaiser, der ein Reich leitete, über das er mit eiserner Hand regierte, aber liebte und versuchte gerecht zu herrschen.

Jetzt? Ich sah Jahre älter aus und zudem gefährlich. Tückisch.

»Ist gar nicht so schlimm, Hasenkaiser«, murmelte Akane, die gerade versuchte Kimiko, die auf dem Boden vor ihr saß, die Haare zu machen. »Ihr habt ja noch ein gutes Auge. Und das ist ganz arg blau.«

Ich wandte mich ihnen zu und kreuzte die Arme vor der Brust. »Na, wenn das so ist, bin ich also immer noch der hübscheste Mann im Reich?«

Sie wurde rot und schüttelte den Kopf. »Nein, großer Hasenkaiser, ich finde nämlich, dass Generals Kazuko viel besser aussieht.«

Ich lächelte, spannte mich aber an. Das mit Dai war noch immer nicht geklärt. Ich hatte es geschafft, die Berater bis nach der Ernennung zur Kaiserin zu vertrösten, doch ... viel länger würde ich seine Hinrichtung wohl nicht aufschieben können.

Akane glaubte noch immer, dass ich mich umentscheiden würde. Ritterlich im letzten Moment eine Begnadigung spräche und sie später einmal, wenn sie eine junge Frau und Dai ein viel zu alter Mann wäre, seine Gemahlin werden würde.

Träumereien eines Kindes.

Die Wahrheit war, ich wusste nicht, wie ich Dai retten konnte. Kimiko trotz ihres früheren Verrats zur Kaiserin zu machen, konnte ich damit rechtfertigen, dass sie gebärfähig war und ich keine Konkubine mehr zur Verfügung hatte, die auf die Schnelle für einen Erben sogen würde, und das Land zudem eine Kaiserin brauchte.

Sakura hatten wir durch einige Vertuschungen und Tricks im Krieg ›sterben‹ lassen, sodass sie, auf Wunsch von Kimiko, in einer kleinen Provinzstadt mit ihrer großen Liebe leben konnte.
Und da das Volk Kimiko, die sich weiterhin liebvoll für die Armen und Hilflosen einsetzte, mittlerweile regelrecht liebten ... Meine Berater konnten nicht ablehnen. Es ergab einfach Sinn, sie zu ernennen.

Doch Dai? Dai konnte ich, als meinen obersten General, weder verschwinden lassen, noch aus irgendeinem Grund begnadigen. Denn ja, er war ein guter Kämpfer und Stratege, doch für das Land durchaus entbehrlich. Für ihn sah es also schlecht aus.

Was tat ich also jetzt?

Wie rettete ich ihn?

Ich zwang mir dennoch ein Lächeln auf die Lippen. »Weißt du, ich denke, ich werde es ihm ausrichten. Dass du ihn so attraktiv findest, meine ich. Vielleicht führt er dich ja aus, wenn du eine junge Dame bist?«

Sie lief knallrot an und ließ von Kimikos Haaren ab. Dann rannte sie mit einem empörten »Nein!« einfach aus meinem Gemach.

Ich kicherte. »Eine schöne Zofe ist sie dir«, sagte ich sarkastisch, jedoch in liebevollem Ton.

Ich sah Kimiko entgegen, die sich schmunzelnd erhob. Sie kam zu mir und legte ihre Hände auf meine Brust. »Du solltest sie vielleicht nicht mehr mit ihrer Liebe zu Dai aufziehen. Dann sollte es ganz gut klappen mit ihr.« Ihre Finger wanderten höher und legten sich um meinen Hals. Sie sah auf meine Augenbinde. »Sag schon, über was machst du dir Gedanken? Über deine Augenbinde? Ich finde sie attraktiv. Und du solltest sie mit stolz tragen.«

Ich sah ihr entgegen, dann sagte ich ehrlich: »Wir haben noch nicht gesprochen über das, was wir uns gegenseitig vorgeworfen haben. Alles ging so schnell und wir konnten nichts klären. Bevor ich dich heirate, will ich jedoch, dass alles, was zwischen uns steht, was irgendwie für spätere Schlagabtausche sorgen könnte, aus dem Weg geräumt ist. Also-«, ich deutete auf den Tisch, »lass uns reden. Jetzt.« Dann fügte ich noch hinzu: »Und ... es gibt keinen Weg, Dai zu retten, Kimiko. Keinen.«

Mein Blick wurde ernster.

Ihr Lächeln verschwand ebenfalls. »Also gut«, setzte sie an und ließ sich mir gegenüber nieder. »Eine Sache, die mir am Herzen lag ...« Sie hielt mit geballten Fäusten inne. »War dein Vorwurf, dass ich keine Jungfrau mehr war. Du hast es gewusst. Wieso also, hast du nichts gesagt? Wieso hast du mich am Leben gelassen? Wieso es akzeptiert? Und fandest du es nicht ekelig?«

Ich hob die Braue meines gesunden Auges. »Ekelig? Warum solle ich es eklig finden?« Die Frage irritierte mich.

Sie spannte sich an. »Nun ...  es heißt immer, die Männer möchten eine reine und unberührte Frau haben. So läuft doch das System. Vielleicht bekommst du das im Palast nicht mit, aber wäre so etwas bei einem anderen Mann passiert, dieser hätte mich sofort zu meinem Vater zurückgebracht und mein Ruf wäre zerstört.«

Ich schnaubte und schüttelte verächtlich den Kopf. »Du weißt, das mir solche Dinge egal sind, Liebste. Reinheit hat nichts damit zu tun, wer dich berührt hat, bevor ich es tat. Aber ich bin ehrlich, als ich es bemerkte, währenddessen, war ich sauer, und hatte durchaus überlegte, was ich tun sollte. Doch ... mir war schnell klar, das du und Dai mehr füreinander empfanden, als ihr beide je zugegeben hättet«, fing ich an zu erklären. »Ihr ... hättet es einfach sagen müssen. Was zwischen euch war. Götter, ich hätte dich zwar wegen der Männer deines Vaters hierbehalten, aber niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dich anzufassen, wenn doch Dai damals dein Herz gehört hat.«

Ich lehnte mich zurück. »Das du schon ihn geliebt hast, stört mich nicht. Er war immerhin nicht einer von vielen und wie schon gesagt, du liebtest ihn. Ich wäre ein ziemlicher Heuchler, wenn ich dir das ankreiden würde, oder? Ein Mann mit Ehefrau und drei Huren, die er regelmäßig bestiegen hat, hat kein Recht dazu.« Ich sah sie ernst an. »Der Vorwurf, galt also nicht der Tatsache, dass du vor mir berührt wurdest, sondern eher dem, dass du es nicht erwähnt hattest, und mir vorwarfst, ich seie ein Lügner.«

Überfordert sah sie mir entgegen. Offensichtlich hatte sie mit dieser Erklärung nicht gerechnet.
»Du ... bist einfach so anders, als alle anderen Männer«, sagte sie und presste die Lippen aufeinander. »Ich kann dir nur ehrlich sagen, dass ich es dir erzählen wollte. Doch ... Dai ... wir hatten Angst, dass du uns zu Tode verurteilst. Ich hatte in der Nacht, in der du mich das erste Mal besucht hast, solche Angst gehabt.« Kimiko seufzte. »Aber du warst so liebenswert und freundlich. Doch-«, setzte sie wieder an und erwiderte meinen Blick. »-als ich meinen Mut zusammengenommen habe und dich fragte, ob ich auch eine Wahl hätte, da hattest du mir zwei Möglichkeiten genannt.«

Sie zeigte mit meinen Fingern eine Zwei. »Ich bleibe deine Hure oder ich gehe und lande im Hurenhaus. Die Wahl einen Mann zu wählen, sei mir verwehrt. Wieso hast du mir das gesagt? Wenn du doch da schon wusstest, dass ich und Dai füreinander Gefühle hegten. Das bedeutet, du hast auch gewusst, dass ich ihn meinte, mit Mann auswählen.«

»Ja, das wusste ich und die Antwort ist so einfach wie brutal«, sagte ich. »Du und er, ihr habt nie etwas gesagt. Wenn ihr den Mut gehabt hättet, dann hätte ich dich behalten, aber du wärst sein gewesen. Du wolltest jedoch gehen und das konnte ich nicht rechtfertigen. Warum sollte ich auch eine meiner Huren gehen lassen, damit sie mit einem andern Mann glücklich ist? Kimiko, ich war und bin ein Kaiser. Und als solcher kann ich mir viel leisten, aber dennoch muss ich für alles, was ich tue eine Begründung liefern können. Ich regiere offen, nachvollziehbar. Und hätte ich das getan, wäre das nichts von dem gewesen.«

»Dann erkläre mir, wie hätte ich Dai gehören können, wenn ich doch weiter deine Hure gewesen wäre?«

Ich legte den Kopf schief, weil sie das Offensichtliche wohl nicht sah. »Wir hätten bei meinen Besuchen geredet. Und du und Dai, hätten euch geliebt. Es wäre nicht optimal, das gebe ich zu, aber es wäre das gewesen, was ich euch hätte ermöglichen können. Liebe. Heimlich, aber dennoch Liebe. Und hättest du irgendwann sein Kind getragen, wäre es kompliziert geworden, aber machbar. Es wäre als meines aufgewachsen und unter der Aufsicht seines Vaters zum Soldaten ausgebildet worden. Und wenn ich mit einer anderen ein Kind gezeugt hätte, dann hätte das seinen Anspruch auf den Thron abgetreten, um als General bei Hofe zu bleiben.«

Sie starrte mich verständnislos an. »Du scheinst mich nicht zu kennen, wenn du wirklich glaubst, dass mir das gereicht hätte. Mein Wunsch war es zu heiraten, eine Familie aufzubauen und glücklich mit dem Mann zu werden, mit dem ich gemeinsam alt werde.« Sie schüttelte enttäuscht den Kopf. »Satoru, sobald so etwas rausgekommen wäre, dann hätte man das Kind getötet. Und wie hätte es als dein Kind aufwachsen können? Wenn es doch aussehen würde, wie sein Vater. Dazu kommt noch, wie schnell können Gerüchte umherwandern, dass das Kind nicht deins wäre? Dass unser verstorbener Sohn weißes Haar hatte, hatte mich gerettet. Solche Kleinigkeiten sind beim Thronanspruch wichtig.« Kimiko seufzte. »Ich weiß, dass du sehr gutmütig bist, und genau diese Seite liebe ich an dir. Aber das wäre nicht gut gegangen. Ich hätte mich letzten Endes wahrscheinlich trotzdem für dich entschieden, hätte mich wahrscheinlich trotzdem in dich verliebt.«

Ich nickte, sagte aber recht trocken. »Du hast schwarze Haare, Kimiko. So wie dein Vater und deine Mutter auch. Dieser Fakt wäre also unerheblich gewesen. Und« fügte ich milder bei, weil ich wusste, dass der Verlust unseres Kindes noch schwer wog, »Auch wenn das Kind schwarze Haare gehabt hätte, hätte ich niemals zugelassen, das man es tötet. Das war nie in irgendeiner Form die Rede, wenn ich dich erinnern darf. All meine Entscheidungen, bezüglich des Kindes, würde ja erst spruchreif, weil ihr erwischt wurdet. Wäre nicht herausgekommen, dass es von Dai hätte sein können, wäre eine solche Debatte nie erst entstanden. Denn Gerede ist keine ausrechende Grundlage, das Wort des Kaisers zu biegen. Beweise hingegen schon. Und wenn ich damals im Palast gewesen wäre, als du und er ...« Ich schluckte. »Ich hätte dir zuliebe gesagt, dass es mein Samen wäre«, erklärte ich.

Dann räusperte ich mich. »Richtig, eine Ehe hätte ich dir nicht bieten können. Doch eine Zukunft sehr wohl. Und in erster Linie, hättest du, wenn es dir nur allzu wichtig gewesen wäre, Kimiko, dafür vor deinem Vater einstehen müssen. Hätten du und Dai das gemeinsam getan, wäre es niemals so weit gekommen.«

Kimiko stiegen Tränen in die Augen. Sie erhob sich, ging um den Tisch herum und setzte sich fast fragend auf meinen Schoß. »Erkläre mir, wieso du so ein toller, attraktiver und Liebenswerter Mann bist?« Sie legte die Arme um meinen Hals. »Ich möchte noch eine letzte Sache sagen: Ich wollte für uns einstehen, aber ...« Sie ließ diesen Teil des Satzes unvollendet. Doch wir wussten beide, wen sie meinte. »Doch es ist nicht mehr wichtig. Die Götter haben unsere Entscheidungen geleitet und vielleicht waren wir von Anfang an füreinander bestimmt.« Sie senkte den Kopf und küsste mich. »Ich liebe dich, Satoru.«

Ich seufzte und sagte: »Ich liebe dich auch.« Dann küsste ich ihre Mundwinkel und schmunzelte. »Ich denke, das du, wie bereits erwähnt, meiner Mutter dafür danken musst. Und jetzt, sag mir, ob dir noch etwas auf dem Herzen liegt. Denn wenn nicht, möchte ich mich einfach bei dir für jedes weiter gesagte Wort entschuldigen. Ich wollte dich niemals verletzte und niemals SO wie bei dem Streit diese Dinge aus der Welt schaffen.«

Sie spielte an dem Kragen meines Gewandes. »Da wäre noch etwas, dass mir am Herzen liegt«, begann sie. »Gibt es keine Möglichkeit ... Dai zu retten? Ich finde es ungerecht, dass ich leben darf und er nicht.«

Ich versteifte mich augenblicklich. »Denkst du nicht, dass mir seit Wochen nichts anderes durch den Kopf geht, Kimiko?« Ich klang kälter als beabsichtigt.

Sie zuckte auch direkt zusammen und versuchte, aufzustehen. »Das ... wusste ich doch nicht. Du brauchst nicht so mit mir zu reden, wenn du dich vor nicht mal einer Minute entschuldigt hast.«

Ich ließ sie nicht gehen und zog sie zurück auf meinen Schoß. Meine Finger in ihrem Haar vergraben, zwang ich sie, mich anzusehen und sagte das, was ich vorhin gedacht hatte. »Ich kann seine Hinrichtung nicht viel länger aufschieben. Ich weiß nicht, wie ich Dai retten kann. Kimiko, trotz deines Verrats kann ich dich, dank deiner Fähigkeit mir einen Erben zu schenken, zur Kaiserin machen. Das kann ich rechtfertigen. Yuri ist tot, Sakura weg. Und das Volk liebt dich. Es ergab einfach Sinn, dich zu ernennen. Aber bei Dai ist das nicht so einfach. Ihn kann ich, als meinen obersten General ersetzten. Egal wie gut er kämpft, jemandem das beizubringen, was er schon kann, ist nun mal keine Besonderheit. Zumal nun auch der Krieg vorbei ist, und wir gleich alle drei Gegner besiegen konnten, besteht für seinen Posten, erst einmal keine große Notwendigkeit. Für ihn sieht es also schlecht aus.« Ich sah ihr tief in die Augen. »Wenn du eine Idee hast, dann bitte! Denn ich ... Götter, ich habe keine!«

Kimiko sah mich gezwungenermaßen an. Lange.
»Ich verstehe das nicht. Wenn die Kaiserin, die das wollte, tot ist. Er hat einen Fehler gemacht! Einen einzigen. Sonst war er dir immer treu ergeben, er ist dein Freund ...«, sie wurde leiser. »Er ist mein Freund. Kannst du nicht sagen, dass er als Soldat gebraucht wird? Das er dein höchstes Vertrauen besitzt und deswegen uns und unsere Familie, die wir gründen werden, beschützen muss? Das nur er mit so einer wichtigen Aufgabe beauftragt werden kann?«

Mein Griff wurde fester, damit sie endlich verstand. »IHR habt einen Fehler gemacht, Kimiko«, sagte ich sanft, was im Gegensatz zu der Berührung stand. »Nicht er alleine. Ihr beide. Und ich habe das Urteil gesprochen, nicht Suiko. Es ist egal, dass sie nicht mehr hier ist.« Dann schüttelte ich den Kopf. »Hör mir doch zu. Dai ist ersetzbar und das mit dem Vertrauen ...« Ich sah sie traurig an. »Wer würde mir das glauben? Wer würde das verstehen, nachdem ich mich wochenlang hintergangen habt? Du weißt, dass es so ist, wie du sagts, und ich weiß es. Aber die Berater, ausgeschlossen meines Onkels, und das Volk werden das anders sehen.«

»Du tust mir weh, Satoru«, sagte sie und nun begann sie zu weinen.

Ich ließ sofort los und zog sie an mich. Es waren keine Worte mehr nötig, außer der Lüge, von der sie wusste, dass ich sie niemals einhalten konnte. »Ich werde einen Weg finden. Aber ... du solltest dich für den schlimmsten Fall vielleicht dennoch verabschieden. Sprich mit ihm, verbring Zeit mit ihm. Denn ...«

Ich schwieg und begann, mit ihr auf dem Arm vor uns zurück zu schaukeln.

Denn die Wahrheit war, Dai würde sterben.

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