[41] Satoru
Ich konnte meine Augen einfach nicht öffnen. Es war unmöglich. Sie waren schwer und klebten regelrecht aneinander.
Ich spürte, wie weiche Felle beiseitegeschoben wurden, und die mollige Wärme verschwand. Ich stöhnte auf, konnte weder meine Arme noch Beine bewegen.
Wieso hob sich dann mein Kopf?
Ich tat nichts, konnte es nicht.
Etwas wurde an meine Lippen gelegt und heißer Dampf schlug mir ins Gesicht. Ich atmete ein und eine bittere Süße erfüllte meine Nase.
Nein.
Nein.
Ich wusste, was das war, also presste ich die Lippen zusammen. Fest. Ein Knurren entkam mir, obwohl ich verstand, warum Kimiko das tat. Aber begriff sie denn nicht, dass ich meinen Männern helfen musste?
Ich MUSSTE zurück in den Kampf. Menschen starben! Meine Männer starben!
»Wann hat er das letzte Mal den Tee bekommen?«
Dai. Dai war hier.
Halt sie auf! Ich muss doch kämpfen!
»Heute Morgen, also vor 6 Stunden« antwortete meine Geliebte mit ruhiger Stimme.
Morgen? War es schon wieder morgen?
»Wie lange willst du ihn so ruhig stellen, Ki?«
Ich musste wach werden! Musste kämpfen! Musste helfen! Aber ... Götter, der Schlaf war ein starker Gegner.
»So ... so lange es nun einmal notwendig ist. Er braucht diese Ruhe, möchte aber Gleichzeitig mit seinen Männern gemeinsam weiter kämpfen. Wenn ich das hier tun muss, um ihn zu beschützen, dann werde ich mit offenen Armen jede Strafe entgegennehmen.« Sie atmete erschöpft ein und wieder aus.
Ja, ich verstand, warum sie es tat. Ich würde es sicher genauso machen, wäre ich an ihrer Stelle. Sie erwartete keine Strafe, wenn die Klauen der Dunkelheit losließen. Aber ... froh wäre ich auch nicht.
»Dai«, sagte sie, »du hast nicht gesehen, wie er war, als er zurückkam. Er war nicht mehr Satoru. Es war, als hätte der weiße Drache seinen Körper übernommen. Er war ... so verzweifelt. Er wusste kurz nicht mal mehr, wer er ist.«
Dai schnaubte schwerfällig. »Ich weiß, wie er ist, wenn er kämpft, Kimiko. Es ist nicht das erste Mal, das ich an seiner Seite bin, wenn er ... SO ist. Aber ... Du weißt, dass er das nicht will. Sieh ihn dir an, selbst im Delirium weigert er sich, den Trunk zu schlucken.«
Ich hörte Schritte näherkommen. »Er wird sauer, wenn er aufwacht. Er will kämpfen. Lass ihn.«
Ja! Hör auf Dai, kleine Fijiwara.
Egal wie, ich presste die Lippen fester zusammen und schaffte es, den Kopf zur Seite zu drehen.
Nein, er rollte einfach herum.
Nein!
Es ging mir besser. Ich wäre sicher bei Kräften, wenn sie mich nur aufwachen ließen. Ich durfte nicht wieder einschlafen, musste verhindern, dass Kimiko mir mehr Tee einflößte.
»Das ist mir gleich!«, entgegnete sie sauer. »Ich will ... ich kann ihn nicht verlieren. Ich brauch ihn. Ich ... Ich liebe ihn.«
Und ich liebe dich, aber du musst mich kämpfen lassen.
»Ich weiß«, sagte Dai und klang verletzt. Müde. Traurig. Dann seufzte er. »Na gut, ich helfe dir.«
Götter!!!!
Mein Kopf wurde genommen und meine Wangen fest zusammengedrückt. Ich wehrte mich, versuchte, mich zu bewegen, und ... Meine Finger zuckten und meine Hände ballten sich zu Fäusten.
Ja!
Aber Dai war stark und zwang mich, den Mund zu öffnen, bevor ich meine Muskeln wieder ganz unter Kontrolle hatte.
»Ni-«, ich wollte etwas sagen, aber da goss er mir schon den Tee in den Mund. Er packte zu, zwang mich, die Lippen geschlossen zu halten und letztlich das Gebräu zu schlucken.
Und wieder ging alles schnell. Meine Muskeln erschlafften, meine Gedanken wurden in Watte gepackt und ich driftete weg. Das Letzte, was ich hörte, war Dai.
»Es tut mir leid, mein Freund. Aber unsere Kimiko hat recht.«
***
Jemand strich mir übe die Haare und meine Lider flatterten.
Das wievielt mal versuchte ich mich jetzt schon aus dem Schlaf zu kämpfen? Drei-, viermal?
»Bitte«, flüsterte ich. »Ich muss ...«
»Ich weiß«, hauchte sie und küsste mich. »Deine Wunden heilen sehr gut. Nur noch ein paar Tage, mein kleiner Hase.«
»Kimiko«, sagte ich ihren Namen, weil meine Kraft schon wieder am Ende war. Ich hob dennoch fahrig den Arm und schaffte es, meine Augen einen Spalt zu öffnen. Da ich allerdings keinerlei Kontrolle über die Bewegungen hatte, klatschte mein Arm irgendwo auf dem Tisch auf. »Tu das n- nicht.«
Sie nahm meine Hand in ihre. »Bitte verstehe mich. Wenn dir etwas passieren sollte ... Ich ... würde womöglich so enden wie deine Mutter.«
Ich erstarrte und blanker Horror machte sich in mir breit. »Ich brauche dich. Bitte, sei mir nicht böse.«
»Nein, ich-«, bin dir nicht böse, sollte der Satz enden, doch mein Mund war so verklebt und meine Zunge so trocken, dass ich nicht weiter sprechen konnte.
Tu. Das. Nicht.
Erneut füllte sie meinen Mund mit Tee und erneut küsste mich die Dunkelheit und der selige Schlaf, brachte gute wie schlechte Bilder.
Ich sah meine Mutter hängen.
Fand mich vor dem Altar wieder.
Kimiko neben mir.
Dann sah ich meine Frau hängen.
Stich über ihren runden, prallen Bauch.
Musste mit ansehen, wie Suiko mein Kind in einem Fluss ertränkte.
Flog als weißer Drache durch die Wolken.
Verbrachet eine Nacht voller Lust mit Kimiko.
Schlug sie erneut und brüllte sie an.
Wunderbare Bilder und schrecklich Albträume jagten einander in meinem Kopf und während ich mich in ihnen verlor und weiter Male zum Trinken genötigt wurde ... heilten meine Wunden.
***
Als ich dieses Mal aufwachte, durfte ich in der Realität verweilen. Es dauerte seine Zeit, bis ich mich aufsetzen und reden konnte. Mein Kopf wurde mit jedem Atemzug klarer und meine Gedanken fanden sich in richtiger Reihenfolge wieder.
Diese kleine Hexe, dachte ich und streckte vorsichtig meine Muskeln. Erst wackelte ich mit den Zehen. Dann bewegte ich die Finger, schloss und öffnet sie. Ein Bein angewinkelt, prüfte ich, wie stark ich war und atmete erleichter aus, als es nicht zur Seite kippe.
Gut. Das war gut.
Meine Arme kribbelten etwas, als ich auch diese anhob und nachdem ich einen sehr tiefen Atemzug genommen hatte, stützte ich mich erst auf die Ellenbogen ab und setzte mich dann auf.
Ich spürte Dai und einen weiteren Mann im Zelt. Nur Kimiko konnte ich nicht wahrnehmen.
Ich rieb mir das Haar, wuschelte hindurch und sah mich endlich um.
Das Feuer brannte immer noch und obwohl ich mehrmals blinzeln und die Augen neu fokussieren musste, wurde mir schnell klar, dass es draußen dämmerte.
Ich lachte einmal auf.
»Götter, ich sollte anfangen, besser darauf acht zu geben, Tee von Frauen anzunehmen. In letzter Zeit war das selten eine gute Idee.«
»Satoru«, setzte Dai an, doch meine Onkel fuhr im ins Wort.
»Wie geht es dir, Junge?«
Ich hob den Kopf. »Die Schmerzen sind erträglich. Und wenn ich es recht einschätze, habe ich für die nächsten Wochen eine Menge schlaf aufgeholt.« Kopfschüttelnd fragte ich: »Wir lange habt ihr mich ruhig gestellt?«
»Sa-«
»Fünf Tage.«
Mein Kopf zuckte ruckartig zu den beiden. »Was?!«, fauchte ich und sprang von Tisch auf. Meine Beine fühlten sich noch etwas taub an, doch ich schaffte es, nur ganz kurz zu wanken. »Fünf? Seid ihr von allen guten Göttern verlassen?! Wie ist die Lage?«, erkundigte ich mich sogleich und sah zu den Karten.
»Gut«, sagte mein Onkeln und ich blinzelte. Gut? »Sehr gut sogar. Wir können davon ausgehen, dass wir mit der nächsten Schlacht den Krieg gewonnen haben.«
»Das ...« Ich sah zu Dai, um mir seine Betätigung zu holen, doch statt mich anzulächeln, wie ich es erwartet hatte, sprang mir seine Panik regelrecht ins Gesicht.
Ich runzelte die Stirn. »Was ist?«
Er sah zu meinem Onkel und obwohl dieser den Kopf schüttelte, raunte er: »Sie haben Kimiko.«
Meine Ohren erfassten seine Worte, doch mein Verstand hatte noch Probleme, sie zu verstehen. »Wer hat Kimiko?«
»Kato Hoshi, hat sie entführt und hält sie als Geisel.«
Ich ....
Nein.
Das musste wieder einer dieser Träume sein. Wahrscheinlich war ich noch gar nicht wach und lag noch, zum Schlafen gezwungen, auf dem Tisch, von dem ich eben so holprig gesprungen war.
Ich lachte kopfschüttelnd und musste mir die Seite heben, weil die Bewegung doch noch schmerzte. Ich lachte und lachte und lachte. Aber dann ... lachte ich nicht mehr und das Geräusch hing in dem Zelt und verschwand nur langsam.
Hoshi hatte Kimiko.
Er ... hatte sie mir genommen.
Plötzlich rauschten meine Ohren und nun wankte ich doch etwas zur Seite. Ich hielt mich an der Tischkante fest und atmete schneller. »Das kann nicht sein. Sie ... wie?«
Dai kam zu mir und stürzte mich, doch ich befreite mich aus seinem Griff. »Wir wissen nicht, wie er wusste, wo sie ist. Er kann sie unmöglich aus diesem Zelt mitgenommen haben, also muss er zugeschlagen haben, als sie sich erleichtert hat, oder auf dem Weg war, dir neuen Tee zu holen. Kimiko war ebenfalls bei den jungeren Soldaten, um ihnen Mut zuzusprechen. Möglich, dass er sie auch dort geholt hat. Aber«, erzählte Dai, »Woher er wusste, wann sie wo war, wissen wir nicht. Selbst ich wusste es nicht. Kimiko war nur selten außerhalb dieses Zeltes.«
»Wie lange?«
Dai sah mich an. »Sie haben sie gestern Nacht geholt. Aber gemerkt haben wir es erst heute Morgen.« Er biss die Zähne zusammen. »Yuri haben sie auch genommen.«
»Yuri auch?« Kälte breitete sich in mir aus und erfasste langsam meine Zellen. Selbst das Feuer könnte mich nicht mehr wärmen. Aber es war ohnehin eine andere Art von Frost, die mich nun umschlang.
Das hier war tödlich.
Dai klang besorgt, als er weiter sprach. »Ich habe nach Kimiko und dir sehen wollen, doch sie war nicht hier. Als ich sie suchte, sie aber auch sonst im Lager nirgendwo fand, kam auch schon der Bote.«
»Ein Bote?«
Er nicket. »Einer von Hoshis Männer. Er kam vor ein paar Stunden und hat uns darüber informiert, dass sie Kimiko haben.«
»Ihr habt ihn befragt?« Dai nickte und ich fragte: »Wieso?«
Ich kannte die Antwort eigentlich schon, also wunderte mich nicht, als mein Onkel eröffnete: »Er will ein Gespräch erzwingen. Mit dir. Nur dir. Ich denke, er erhofft sich-«.
»Ich weiß, was er sich erhofft!«, knurrte ich laut und richtete mich auf.
Hoshi wusste, was mir Kimiko bedeutet und nutzt sie nun, um mich zur Kapitulation zu zwingen. Da war ich mir sicher. Etwas anderes konnte er mit dieser törichten Tat kaum erzwingen wollen.
Mein Kopf schmerzte plötzlich wieder und ich biss die Zähne zusammen.
Mein Onkel öffnete den Mund, doch bevor nur ein weiter Ton seine Lippen verließ, hob ich die Hand und brachte ihn zum Schweigen.
»Kein Wort, Onkel.« Mein Blick bohrte sich in seinen und befahl Dai leise, er solle mir eine neue Rüstung und meine Waffen bringen. Er nickte und lief los.
»Satoru, du-«
»Ich sagte«, raunte ich. »Kein Wort. Ich weiß, dass du mir raten wirst, Kimiko einfach Hoshi zu überlassen. Aber du bist ein schlauer Mann und weißt demnach sehr wohl, dass das nicht passieren wird.«
Ich richtete mich auf und ging zu meiner Kleidertruhe. Da ich noch immer ohne Oberteil dastand, und zwar eine neue, aber kampfuntaugliche Hose trug, zog ich mir neue Untergewänder an. Ich wusch mir danach dürftig das Gesicht in der Wasserschale, bevor ich wieder mit ihm sprach. »Ich werde die zukünftige Kaiserin nicht einfach in den Händen des Feindes lassen, Onkel. Außerdem ... Ich liebe sie.«
Sein Blick wurde dunkel. »Mehr als dein Reich?«
Ich nickte, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Mehr als jedes Reich, jede Welt und jeden Gott. Sie ist alles für mich. Einfach ALLES.«
Wir sahen einander an.
Ruhig. Wachsam. Bedeutend.
Bis mein onkle die absolute Wahrheit in meinen Zügen lesen konnte und ebenfalls nickte. Dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus und er fragte: »Du hast einen Plan, oder?«
»Ich habe selten keinen.« Ich erwiderte sein Grinsen nicht, doch ich wusste, dass Flammen in meinen Augen aufloderten, so viel Entschlossenheit strahlte ich aus.
»Du wirst ihn töten?«
»Ich wäre nicht der legendäre Drache, wenn ich es nicht zumindest versuchen würde, oder?«
Mein Herz schlug wild in meiner Brust, doch ich zwang mich beharrlich dazu, irgendwie ruhig zu sein. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren. Durfte jetzt nicht darüber nachdenken, was er ihr antun könnte. Denn malte ich mir Bilder dessen aus, würde ich in dieses Lager stürmen, und jeden Mann mit purer Gewalt niedermetzeln.
Das Problem daran war nur, dass Hoshi, bis ich zu seinem Zelt gekommen wäre, wahrscheinlich bereits ihr Leben beendet hätte. Und wenn das geschah ...
Die Götter mögen verhindern, dass ich dann auf die Welt losgelassen werden würde.
»Bist du bereit dafür?«
Ihn zu töten? Bei lebendigem Leib zu häuten, weil er es gewagt hatte, die Frau zu berühren, die mein Herz in Händen hielt.
»Ja.«
»Er wird damit rechnen, dass du ihn umbringen willst.«
Ich grinste böse und weckte das Monster, das ich vor dem Schlaf noch versucht hatte wegzusperren. Jetzt bräuchte ich es. Ich wollte im Blutdurst vergehen und meinen Namen gab ich mit Freude ab und vergas ihn. Wenn es sie rettete, tat ich all das mit einer Freude, die ihresgleichen suchte.
»Das sollte er auch.«
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