[15] Satoru


»Akane, richtig?«

»Ja, mein Kaiser«, antwortete die Kleine etwas schüchtern und blinzelte nur kurz zu mir hinauf.

Ich lächelte sie an. »Und wie gefällt es dir bisher im kaiserlichen Palast?«

»Gut, mein Kaiser. Alle sind sehr nett.«

Ich nickte zufrieden. »Das freut mich. Und ... wie ich höre, machst du eine gute Arbeit, Akane. Man sagte mir, die Vögel in den Volieren singen so schön wie schon lange nicht mehr.«

Ihre Augen begannen zu leuchten. »Ja, die Aufgabe macht sehr viel Spaß, mein Kaiser. Danke, dass ich das machen kann.« Ich nickte nur und lenkte sie in den Flur. »Dann sei doch so gut, und zeig mir mal, wie du dich bislang um meine Tiere gekümmert hast, kleines Vögelchen.«

Sie kicherte niedlich und sah sich dann jedoch um. »Aber hier lang geht es nicht in den Tiergarten.«

»Nein, aber ich möchte dir jemanden vorstellen, dem ein kleiner Spaziergang sicher auch guttun würde.«

»Oh, gehen wir zum General?«, fragte sie und ich musste bei dem Ton schmunzeln.

Sie hatte sich einen Narren an Dai gefressen.  »Nein, die Gesellschaft, die wir uns holen, ist besser.«

Wir liefen ein paar Minuten still weiter, bis wir letztlich an Kimikos Tür ankamen. Ich klopfte leise.

Ihre Zofe öffnete die Tür und sah mich überrascht an, bevor sie sich verbeugte. »Eure Hoheit. Die verehrte Kimiko wird gerade vorbereitet ...«, setzte sie an, aber da kam sie schon um die Ecke und man steckte ihr die letzte Haarnadel in die dunkle Mähne.

»Eure Hoheit«, begrüßte sie mich und sah mich überrascht an. Dann sah sie zu dem Mädchen. »Was führt Euch zu mir?«

Ich lächelte und neigte leicht den Kopf – was die alte Zofe fast dazu veranlasste, nach Luft zu schnappen. »Ich dachte mir, du hast eventuell Lust, mit mir und meiner wunderschönen Begleitung einen Spaziergang zu machen.« Ich deutete auf eine plötzlich verlegen aussehende Kleine und mein Lächeln wurde breiter. »Akane und ich wollten in den Tiergarten. Sie kümmerst sich neuerlich um meine Tiere und ich will mich selbst davon überzeugen, ob all das Lob um ihre Arbeit gerechtfertigt ist.«

Akane lächelte verlegen und sah dann zu Kimiko. »Eure Haarnadeln sind wunderschön, Dame Kimiko.«

Kimiko hatte sich wieder aufgerichtet und sah vom mir zu dem Mädchen. Ein Lächeln auf den Lippen hob sie ihre Hand und zog eine der Nadeln aus den Haaren.

»Ich habe eh zu viele davon«, merkte sie an und ging auf Akane zu. Kimiko kniete sich zu ihr und gab dem Mädchen die Haarnadel. »Für dich. Damit wirst du noch hübscher aussehen.«

Akane sah erst Kimiko überrascht an und dann die Haarnadel. Nickte jedoch eifrig und steckte den Schmuck ein. Kimiko erhob sich wieder und sah zu mir. »Ich hörte bereits davon und komme sehr gerne mit.«

Beeindruckend elegant wandte sie sich ab und forderte: »Bringt meine Schuhe.«
Kurz darauf liefen wir gemeinsam neben dem kleinen Mädchen her. Die Zofen und Wachen nahmen etwas Abstand, sodass uns Privatsphäre blieb.

Ich sah sie an. »Wie geht es deinem Rücken?«

»Es geht schon. Seid Ihr zurück seit-«, begann sie und sah zu Akane, die sie unentwegt anstarrte, »kann ich mich endlich vollständig auf meine Genesung konzentrieren. Wenn ihr versteh, was ich meine.«

Mein Blick verfinsterte sich, aber ich nickte. »Ich hatte ein ausgiebiges Gespräch mit meiner Frau.«

Ich beließ es dabei und langweilte Kimiko nicht mit den Details, wie geladen ich war und wie bockig die Kaiserin auf meinen Zorn reagierte.

»Also ich-«

»Sehe ich wirklich hübsch aus?«, unterbrach mich Akane und mir klappte der Mund zu. Okay, die höfischen Etikette hatte sie noch nicht gänzlich verinnerlicht.

Kopfschüttelnd erklärte ich, mit einem amüsierten Seitenblick zu Kimiko: »Ich wage sogar, zu behaupten, du bist das hübscheste Mädchen im ganzen Anwesen. Wenn nicht sogar im ganzen Reich, kleines Vögelchen.«

Sie kicherte und ihre Wangen färbten sich rot. »Aber Dame Kimiko ist auch schön.«

Ich sah besagte Dame an und nickte. »Wunderschön sogar.« Wir sahen einander an, bis ich wieder zu Akane blickte. »Aber selbst wenn Kimiko sehr schön ist, übertriffst du sie doch bei Weitem.«

Kimiko sah zu Akane, die erheitert kicherte, dann linste sie zu mir hinauf. »Ihr seid wirklich ein toller Mann.« Sie blinzelte, als sei ihr das einfach so rausgerutscht, doch ich schmunzelte leicht. Sie schloss den Mund und sah zu der Kleinen. »Ich muss dem Kaiser zustimmen. Es gab schon lange kein so hübsches Mädchen, wie euch hier. Soll ich sie dir ins Haar stecken«, fragte Kimiko, sah auf die Haarnadel und blieb stehen.

Akane nickte. »Ja, bitte.«

Kimiko nahm den Schmuck und steckte ihn so in das Haar des Kindes, dass es perfekt saß.
»Wunderschön«, erklärte sie dem Mädchen und richtete sich wieder auf. Das Mädchen nahm ihr Hand und lächelte Kimiko an.

»Wirklich süß, die Kleine.«

Ich nickte. »Das ist sie.« Doch der Gedanke, warum sie hier war, ließ mein Lächeln verschwinden. Ich räusperte mich und wir liefen schweigsam in den Garten. Beim ersten Käfig angekommen, erklärte uns das Mädchen lebhaft, mit Feuereifer und sehr detailliert, wie sie sich um den Singvogel, dessen Rasse ich nicht mal kannte, kümmerte.

Nach siebzig Käfigen, mit ebensovielen verschiedenen Vögel und Erklärungen später, saß ich völlig erschöpft auf einer Bank neben Kimiko. Akane spielte in der Blumenwiese und flocht einen Kranz aus perlweißen Blumen, während sie dabei ein Lied summte.

Ich sah Kimiko von der Seite an. »Ich würde sie gerne in deine Obhut geben. Akane meine ich«, erklärte ich spontan und legte den Kopf schief. »Sie ist zwar den größten Teil des Tages hier im Garten, doch ich dachte, etwas anständige Gesellschaft könnte nicht schaden.«

Sie sollte eigentlich nur meiner gehässigen Frau nicht in die Finger fallen, aber das würde ich Kimiko nicht so offen gestehen. »Vielleicht nimmst du sie ab und zu mit zu den Gesangsstunden oder dem Schwimmunterricht. Wenn du möchtest.«

»Und Ihr meint, ich bin diese anständige Gesellschaft? Ihr wisst schon, dass ich ziemlich stur und vorlaut sein kann? Fragt die Kaiserin, sie wird Euch das bestätigen.«

Kimiko schmunzelte und ich tat es ihr gleich.
»Oh, das ist mir schon klar, Fijiwara. Immerhin hätte eine weniger vorlaute Konkubine einfach meine Anfrage bestätigt und nicht erst erklärt, was ich längst weiß.« Ich hob die Hand und zog ihr dieses bescheuerten Nadeln aus dem Haar. Ich legte sie in ihre Handfläche und sagte: »Ich mag dein Haar offen, Kimiko.« Um meine Worte zu untermalen, strich ihr ihr durch eben jenes und ließ die Strähnen zwischen meinen Fingern hindurchgleiten. An den Spitzen angekommen, zwirbelte ich diese und führte sie an meine Nase.

Ich sah ihr entgegen. »Außerdem stehen sie dem kleinen Vögelchen ohnehin besser.«

Kimiko wurde rot und ich grinste.
»Ihr wisst, dass die Gesellschaft, gerade am Hofe von den Konkubinen erwartet, so auszusehen. Ich habe das nicht entschieden, mir andauernd so viele Haarnadeln ins Haar stecken zu lassen.« Sie sah zu Akane. »Ich werde sie bei mir aufnehmen und ihr einiges beibringen. Aber ... wo sind ihre Eltern?«

Sie sah mir wieder entgegen und ich konnte nicht verhindern, dass mein Kiefer mahlte. »Sie ist eine Weise, die wir in einem der Dörfer gefunden haben«, sagte ich vage und log damit nicht unbedingt. »Sie sah so hilflos aus und ... ich fragte sie, ob sie mit uns kommen möchte.« Ich grinste wieder, als ich daran dachte, wie schnell sie zugestimmt hatte. »Ich musste sie nicht lange überreden. Mal angesehen davon, dass ihr leider nichts blieb, an dem sie festhalten konnte, ist sie unheimlich in den General verliebt.«

»Verstehe, das ist ... schlimm«, sagte sie und fügte nach einer kleinen Gedankenpause lächelnd hinzu: »In den General?« Ihr lächeln verschwand jedoch recht schnell und als sie mich dann etwas fragte, versuchte, ich den Stich in meinem Herzen zu ignorieren. »Eure Hoheit, wann werdet ihr mich wieder besuchen?«

Ich dachte darüber nach. Dachte darüber nach, wie oft ich Dai schon ansprechen wollte und es sogar hatte, aber ... Obwohl ich ahnte, nein, WUSSTE, dass sie mehr verband als nur ein Zwecksverlobung, stritten sie es beide weiter ab. Ich richtete mich auf und nahm ihre Hand. Ich verflocht unsere Finger und genoss die samtweiche Haut. »Soll ich dich denn besuchen?«

Sie erhob sich. »Ja, ich möchte, dass Ihr mich besucht. Ich ... möchte Euch meine Entscheidung mitteilen.«

Ich kniff die Augen zusammen und setzte zum Sprechen an, doch da rannte ein Diener auf meine Wache zu, die wiederum dann zu mir kam. »Eure Hoheit, es geht um ihre erste Konkubine. Sie sollten besser zu ihr.«

Ich ließ Kimikos Hand los und runzelte die Stirn. »Was ist mit ihr?«

Die Wache sah zu mir und lehnte sich vor, sodass Kimiko uns nicht hören konnte.
»Die Dame Risa, ihr Zustand ist kritisch, mein Kaiser.«

»Ihr Zustand? Nicht der des Kinds?«

Er schüttelte den Kopf. »Sie wird nicht mehr lange unter uns weilen. Der Heiler geht von Stunden aus. Großzügig gerechnet.«

Ich schloss die Augen, als Mitleid und bedauern mich flutete. Ich nickte, sah zu Kimiko und verschwendete keine Zeit.
»Bleib bei deinem Schützling«, forderte ich und rannte ohne Zögern los.

Großzügig geschätzt hatte Risa Stunden? Ich dachte, es ginge nur darum, ob sie das Kind verlor. Warum ging es ihr nun so schlecht?
Ich sprintete los, immer schneller und betrat dann schwer atmend das Zimmer. Mir entfuhr ein Fluch.

Risa lag in ihrem Bett, totenbleich, in einer Lache ihres eigenen Blutes. Es hatte sich in die Laken genässt und lief ihr zusätzlich aus mund, Nase, Augen und Ohren.

Ich lief zu ihr, schob die Heiler beiseite. Mein Blick huschte über ihre magere Erscheinung und das ausgemergelte Gesicht. Sie atmete flach und unregelmäßig. Ich sah die Heiler nicht an, als ich fragte: »Wie kann es sein, dass sie innerhalb eines Tages so abbaut?«

»Wir ... wissen es nicht, mein Kaiser. Aber ...«

»Aber?«, fragte ich gereizt, weil ich bereits einen Verdacht hegte. »Wir gehen von einer Vergiftung aus.«

»Gift«, wiederholte ich nur und biss die Zähne zusammen. Ich wusste, wer dafür die Verantwortung trug.

»Wie lange?«

»Wir dachten Stunden, aber es sind wohl eher Minuten.«

Ich nickte und als Risas Lieder flatterten und sie hustend Blut spuckte, setzte ich mich ungeachtet des Blutes auf das Bett.

Ich nahm ihre Hand. »Hey, meine Schöne. Wie geht es dir?«

»Sa ... toru«, setzte sie mit gebrechlicher Stimme an. »Ich ... ha ... be Angst.«

Ich nickte und strich ihr über die Wange. »Ich weiß, Risa. Aber ich bin bei dir. Du brauchst keine Angst haben. Dort wo du jetzt hingehst, wartet Frieden auf dich. Und wenn du etwas Glück hast, und das vermute ich stark, siehst du unsere Kinder, die hier nicht bei uns sein konnten.«

Ich glaubte meine Worte nicht, aber ihr halfen sie vielleicht. Trösteten sie – soweit man vor dem tot ein derartiges Gefühl zulassen konnte.

Sie hustete wieder und ich angelte nach einem feuchten Lappen, um ihr das Blut von den Lippen zu wischen. »Es ist gleich vorbei.«

Und das war es. Ich hatte genug Menschen am Ende ihres Lebens gesehen und wusste, wann Gevatter tot einem die Hand reichte.

Tränen mischten sich mit dem Blut, das aus ihren Augen floss und obwohl ich sie nicht liebte, schmerzte ihr Anblick unermesslich.

»Ja«, hauchte sie und ihr Atem stockte und flatterte dann schwach. »Ich ho-hoffe, i ... ich sehe un ... sere Ki ... nder. Satoru«, sagte sie und ihr Brustkorb bewegte sich langsamer. »Bitte ver ... zeih mir, dass ... i ... ich dir keinen ... Erben ... schenken konnte.«

Sie starb, noch ehe ich antworten konnte.
Ich senkte den Kopf und schloss die Augen.

Dann schickte ich alle aus dem Zimmer und trauerte einen Moment allein um eine gute Frau.

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