[11] Satoru
Wir ritten durch das siebte Dorf.
Dai neben mir lenkte sein Pferd näher an meines. »Es ist das vierte Dorf, das überfallen wurde.«
Ich knurrte. »Ich weiß. Ich kann zählen, Dai.«
Meine Laune war seit einer Woche im Keller. Je näher wir den Dörfern kamen, die an den Grenzen meines Reiches lagen, desto schlimmer wurde die Verwüstung.
Erst waren es nur Überfälle und Plünderungen, dann kamen die ersten Verletzten.
Dann die Toten.
Dann nur noch Schutt und Asche.
»Wie viele Verstorbenen haben die Männer gezählt?«
»Zweihundert elf.«
Ich wirbelte herum. »Das ist mehr als die Hälfte der Bewohner.«
Bei den Göttern! Ich fluchte, denn mir war klar, das die Toten in den Trümmern noch nicht alle gezählt waren. Es musste also noch mehr sein.
Dai nickte nur und lenkte sein Pferd um einen Trümmerhaufen aus Asche herum. Ich sah mehrere verkohlte Körperteile und biss die Zähne zusammen.
»Ich nehme an, die Vorräte wurden geplündert? Waffen mitgenommen?«
Dai bejahte wieder. »Die Vorräte sind leer, die Felder ihrer Saat beraubt oder abgebrannt. Was das Dorf an Waffen gehabt hatte – wenn das überhaupt der Fall war – ist weg.«
»Frauen und Kinder?«
»Zum größten Teil mitgenommen oder so geschändet, dass unser Heiler nach ihnen sehen musste.« Dai biss die Zähne zusammen und zischte: »Die jüngste Überlebende, ein Mädchen, ist gerade 8 Jahre.«
Ich atmete tief ein, drängte Zorn und Mitleid beiseite und nahm mir vor, später noch persönlich bei den Überlebenden, die Dai schon gesprochen hatte, vorbeizuschauen und mir ein eigenes Bild zu machen.
Einen Entschluss fassend, sagte ich: »Biete allen Überlebenden an, mit in den Palast zukommen. Sie können dortbleiben und als Diener, Zofen oder sonst was arbeiten.«
Dais Miene wurde weicher. »Das habe ich längst getan.«
Ich sah ihn an. Er war ein guter Mann, ein treuer General und ein noch besserer Freund. »Danke.« Ich seufzte, rieb mir das Gesicht und sah mich weiter um. »Es ist also wie in den Dörfern davor.«
»Hast du etwas anderes erwartet, Satoru? In Gebieten wie diesen herrscht bereits Krieg. Es ist nur noch nicht entscheiden, wann und wo die entscheidende Schlacht geführt wird.«
Sein Ton was nun wieder unterkühlt, sodass ich ihn ansah. »Du bist der Meinung, das ich hätte auf dich hören sollen und früher Handeln müssen.«
Dai Kiefer spannte sich an. »Es wäre gut möglich gewesen, das wir dann, hätten so etwas vermeiden können.«
»Also ist es meine Schuld?«
Dais Blick wanderte zu mir. »Du weißt, das ich das so nicht gemeint habe.«
»Und du weißt, dass ich jedes verlorene Leben ohnehin in meiner Verantwortung liegt. Also kannst du es wohl auch sagen, wie es ist.«
»Satoru«, setzte er an, doch ich hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen.
»Schon gut, Dai.« Mit einem kleinen Hüpfer sprang meine Stute über ein Trümmerteil. »Lass uns einfach einen Weg finden, andere Dörfer vor einem Schicksal wie dem hier zu bewahren.« Ich ließ den Blick wieder umherwandern.
Meine Gedanken wanderten zu Kimiko und ihr Gesicht, blitzte vor meinem inneren Auge auf. Die Aufmerksamkeit nun wieder auf meinen General gerichtet, erkundigte ich mich: »Dai, kann ich dich etwas fragen?«
»Alles.«
Ich legte den Kopf schief. »Deine frühere Verlobte«, setzte ich an und sofort verspannte er sich. »Ihr lie-«.
Dai fluchte lauthals und sah sich um.
Etwas schoss surrend auf mich zu. Ich hörte die Vibration in der Luft und dann einen Einschlag. Meine Stute bäumte sich auf, sodass ich beinahe aus dem Sattel fiel, und sprang auf ihre Hinterbeine. Sie wieherte schmerzerfüllt, doch es stoppte, als sich ein neuer Pfeil in ihr Fleisch bohrte. Ein widerlicher Laut erklang, als das Geschoss sich ihn ihr Auge grub und sie zuckend umkippte. Ich sprang aus dem Sattel, ehe mein Tier lag, und suchte hinter einer halb zerfallenen Hauswand Deckung.
»Kazuko!«, rief ich, doch er tauchte schon mit Schwert in der Hand neben mir auf. Ich sah ihn an, meine Stimme ruhig. »Wo?«
»Rechter Hügel. Sieben Männer, soweit ich gezählt habe. Allesamt Bogenschützen.«
Ich bedeutete, dass ich verstanden hatte. Der Hügel war gute dreihundert Meter entfernt, also waren die Schützen ausgezeichnet, wenn man die Treffsicherheit beurteilte, mit der sie mein Pferd ausgeschaltet hatten.
Ich lugte um die Ecke, doch ein neuer Pfeil sauste an mir vorbei und zwang mich, mich zurückzuziehen. »Kommen wir unbemerkt dort hin?«
»Nein.«
»Sind die anderen Soldaten in Sicherheit?«
»Ja«, Dai wagte auch einen Blick, aber ihn hinderten sie ebenfalls mit einem Geschoss daran, die Lage genauer zu inspizieren und so unsere Möglichkeiten auszuschöpfen.
Ich nahm meinen eigenen Bogen, den ich in einer Halterung an meinem Rücken trug und legte einen Pfeil an. Er war geschnitzt aus weißem Holz mit vergoldeter Spitze.
Prunkvoll, aber wunderschön. Und vor allem tödlich.
Ich schloss kurz die Augen, verbildlichte mir möglichst genau, aus welcher Richtung die Pfeile kamen, und spannte den Bogen weiter. Es knarrte und die Muskulatur unter meiner Haut spannte sich.
Als ich die Lider wieder öffnete, sah ich Dai an. »Ich schieße und lenke sie ab. In der Zeit, in der sie sich auf mich konzentrieren, suchst du einen Weg, sie auszuschalten.«
Er atmete genauso ruhig wie ich. Wir waren Kämpfer, Krieger, Soldaten.
»Wie viele Pfeile hast du im Köscher?«
»Zwanzig.«
Er kniff die Augen zusammen. »Also habe ich zehn Minuten.«
»Maximal.« Ich grinste. »Ich schieße verdammt schnell.«
Auch sein Mundwinkel zuckte. »Dann sieh zu, dass du auch treffsicher bist.«
Nickend wandte ich mich so, dass es losgehen konnte. »Auf drei. Eins ...«
Dai machte sich bereit. »Zwei ...«
»Drei!«, brüllte ich und stand auf.
Ich zielte, aber im Prinzip überließ ich meinen Körper alles. Mein Muskelgedächtnis arbeitete mit meinen Augen zusammen und ich schoss einen Pfeil nach dem anderen. So schnell, dass sie aussahen, wie weiße Vögel mit goldenen Schnäbeln. Sternschnuppen, die ihre Zeile durchlöcherten.
Meine ersten drei Schüsse trafen ihr Ziel, da war ich mir sicher. Doch nach dem ich sie ausgeschaltet hatte und der Überraschungseffekt vorbei war, wurden sie vorsichtiger und gingen in Deckung.
Ich sah, dass Pfeile nach recht abgefeuert wurde, dort hin, wo sie sicher Dai nährte. Mit einem Fluch auf den Lippen, versuchte, ich den Schützen ausfindig zu machen, schaffte es jedoch nicht, weil ein weiterer Feind wieder den Beschuss startete. Hinter einer halben Mauer suchte ich Deckung, nur eine Sekunde. Ich atmete tief ein und aus. Dai kam klar.
Es flogen Pfeile. Fünf, sechs sieben, acht, neun ... als ich bei siebzehnt angekommen war, hörte ich meine Soldaten kommen. Dunklere Pfeile folgten meinen und binnen kürzester Zeit, waren die sieben Männer Vergangenheit.
Ich lief mit den Soldaten auf den Hügel und fand Dai, der gerade sein Schwert aus der Brust eines Mannes zog. Bei ihm angekommen untersuchte ich ihn sofort mit Blicken nach Wunden und ...
»Wurde etwas lebensbedrohlich getroffen?«
Dai grunzte, als er sich einen Pfeil aus der Schulter und dann aus dem Bauch zog. »Ich denke nicht.«
Ich sah auf das Blut, dass langsam floss, und schätze die Lage selbst ein. »Geh zum Heiler.«
Er verneinte. »Es geht schon.«
»Geh, Dai.«
»Satoru«, setzte er an, ignorierte mich einfach und deutete auf die Toten. »Sieh hin.«
Ich folgte mürrisch seinem Blick und als ich jeden der Männer betrachtete, gefror mir das Blut in den Adern. »Sie sind nicht alle aus dem nördlichen Gebiet«, sagte ich und beugte mich zu einem Mann, der eindeutig keiner von Akeno Safujis Männern. »Der Mann hier ist aus dem Westen. Er ist einer von Hoshi Katos Soldaten«, stellte ich fest und zupfte an der Uniform, die ihn verriet.
Dai zeigte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf einen Körper hinter uns. »Und aus dem Osten. Das da, ist Kichi Yamamotos Familien Zeichen, oder? Der blaue Kranich.«
Ich richtete mich auf und sah sie mir nacheinander an. Als meine Soldaten ebenfalls ihre Schlüsse zogen, sahen sie mich nacheinander an. Mein Blick jedoch, war auf den Horizont gerichtet.
Dann Verkündete ich meinen Männern inoffiziell: »Akendo Safuji, Hoshi Kato und Kichi Yamato, Kaiser des Nordens, des Westens und des Osten, haben uns mit dem Angriff auf dieses und alle anderen Dörfer des südlichen Reiches, MEINEM Reich, den Krieg erklärt.«
Ich sah Dai an, der zurecht ziemlich angespannt aussah und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Geh jetzt, und lass deine Wunden so behandeln, dass du zumindest auf dem Pferd bleiben kannst.« Dann sah ich wieder meine Männer an.
Einen nach dem anderen. »Drei Reiche, haben uns den Krieg erklärt. Drei Feinde, gibt es zu schlagen. Mögen die Götter auf unserer Seite sein und die Ungerechtigkeit sühnen, die hier und in den anderen Dörfern passiert ist. Packt eure Sachen«, forderte ich auf, »und nehmet jeden mit, der mit uns kommen möchte. Wir kehren um.«
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