Prom Is Cancelled

[19.12.2021]

TEIL I

Wenn man genau hinsieht, flackert die Lampe über uns minimal. Bald muss sicher der Haustechniker angerufen werden. Meine Atmung weist eine ähnliche Ungleichmäßigkeit auf. Anstatt auszuatmen, atme ich lieber noch ein paar Mal ein. „Wäre das jetzt der Moment, um mit dem Glühweintrinken anzufangen?", wende ich meinen Kopf ruckartig nach links. Auf ihren Fußballen auf- und abwippend grinst mich Paula von der Seite an. Es sieht schon beinahe gruselig aus, wie sie mich anschaut. „Zu heiß", erwacht sie aus ihrer Starre, „du kannst den Glühwein gar nicht schnell genug runterkippen, um etwas von dem Alkohol zu haben." Lachend nicke ich, „wohl wahr. Wie sieht das außerdem aus, wenn ich schon bei der Begrüßung nicht mehr weiß, wie ich heiße?"

Augenblicklich steigt die Hitze in meine Wangen auf. Ich brauche nur daran zu denken, dass ich gleich vergessen könnte, wie man richtig spricht, und schon macht mein Gesicht, was es will. Die Abbildung im Spiegel vor mir bestätigt meine Befürchtung, dass ich rot angelaufen bin. „Als hättest du jemals so viel getrunken, dass du deinen Namen vergessen hast. Da müssen wir erst die andere Seite des Mondes sehen, bevor das passiert", streicht sich die Blondhaarige zum wiederholten Mal über ihr braunes Oberteil. Dabei raschelt das goldene Lametta, das um die Ärmel gewickelt ist.

Nachdem der Plan der Jungs, einen Prom zu schmeißen, nicht ganz aufgegangen ist, feiern sie nun eine Weihnachtsparty mit dem klischeehaften Thema 'Ugly Christmas Sweater'. Paula hat sich direkt an ihren Schreibtisch gesetzt und ihren braunen Pullover persönlich 'verschönert', während ich mir auf die Schnelle einen im Shop von Wincent Weiss bestellt habe. Es ist nicht unbedingt die Definition eines hässlichen Pullovers, aber immerhin ist es ein Weihnachtssweatshirt.

„Wer weiß, was heute Abend alles so passiert", wackle ich mit meinen Augenbrauen, „vielleicht ändert sich auch die Umlaufbahn." Der sanfte Ruck unter unseren Füßen führt dazu, dass wir uns alarmiert ansehen. „Jetzt wird's ernst", quietscht meine Freundin, „jetzt kommt der Moment, auf den wir unser ganzes Leben gewartet haben." Grinsend heben wir unsere Hände auf Schulterhöhe, bevor wir unisono „Mehr oder weniger" rufen. Laut lachend wenden wir uns zu der Aufzugstür, deren Flügel jeden Moment auseinandergleiten müssten.

Es fühlt sich ein bisschen so an als wären wir die Protagonistinnen eines Films. Zu Anfang ist die Leinwand schwarz, aus den Boxen ertönt kein Laut. Partymusik setzt ein, das Bild wird von verschwommen auf scharf gestellt. Alles ist in ein oranges Licht getaucht. Und plötzlich tauchen zwei Mädchen auf der Leinwand auf - ungewollt natürlich schön geraten. Ihre Kleidung zeugt von einem guten Geschmack, was die heutige Mode betrifft. Sie erscheinen locker und zugleich elegant. Ihr Lachen ist kein Gelächter, sondern Balsam für jedermanns Gehör.

In meinem Ohr ertönt ein unangenehmes Quietschen. Als hätte jemand die Schallplatte angehalten. Möglicherweise die Schallplatte in meinem Gehirn, auf der dieser ganze Unsinn seinen Platz findet. Tatsächlich quietscht der linke Flügel der Aufzugstür. „Also das hätte ich jetzt nicht erwartet. Das wichtigste Hab und Gut ist nicht richtig in Schuss?", empört sich Paula, woraufhin ich nur ein entsetztes „Wie?" von mir gebe. Erst die flackernde Lampe, jetzt auch noch der quietschende Flügel.

Tief durchatmend treten wir aus dem Aufzug. Vergessen wir das mit der natürlichen Schönheit, dem Modegeschmack und der Eleganz von eben. Wie ein unbeholfenes Kind stolpere ich über die Schwelle. „Oh Gott", murmle ich erschrocken, während ich mich damit beruhige, dass wir beiden die einzigen im Aufzug waren. Jedoch werde ich eines Besseren belehrt, als ich aufblicke. Wir stehen nicht wie erwartet im Flur vor verschlossener Tür, sondern sind direkt sichtbar für alle die im Eingangsbereich der Elevator Mansion stehen. „Darauf hätte man uns aber durchaus vorbereiten können", beschwere ich mich.

Man könnte meinen, dass wir den lieben langen Tag nichts Anderes tun als zu meckern. Aber es ist eher so, dass alles, was die Elevator Boys tun, auf TikTok und Instagram so verdammt perfekt erscheint. Da ist man einfach froh, wenn nicht alles davon stimmt oder, wenn man sich ein bisschen lustig machen kann. Der Anteil der Menschen, die mich stolpern sehen haben, ist eher gering und von den Gastgebern ist zum Glück weit und breit nichts zu erkennen. „Wir gehen einfach rein, oder?", blickt mich Paula über ihre Schulter hinweg an. „Joa", zucke ich mit meinen Schultern, „wer die Tür offenlässt, lädt in seine Wohnung ein. Rein rechtlich wird das bestimmt anders gesehen. Muss ich mal mit Leo bei Gelegenheit bequatschen. Aber am Ende stehen wir hier wie bestellt und nicht abgeholt."

„So wird's ablaufen. Weil sie uns auch bestellt haben", lacht die Blondhaarige. „Natürlich, sie haben uns eingeladen", betone ich jede Silbe des letzten Wortes. „Weil wir sie so lange genervt haben, bis eine Einladung wohl das kleinere Übel war." Schmunzelnd versucht Paula mit gestreckten Hals mehr von der Wohnung auszumachen. „Wir haben nicht genervt. Wir haben das Gewinnspiel gewonnen", ziehe ich eine Grimasse. „Ich bin immer noch überrascht, dass sie uns ausgesucht haben", murmelt sie zum bestimmt hundertsten Mal. „Sie haben wahrscheinlich zu wenige Bekannte, da mussten sie nehmen, was sie kriegen können", scherze ich. „Und jetzt komm, sie vermissen uns bestimmt schon", zupfe ich eine Fluse von ihrem Lametta. „Du sagst das so, als ob sie richtig traurig wären, wenn wir nicht aufkreuzen", lacht meine Freundin. Empört öffne ich meinen Mund, „wer ist denn bitte nicht traurig, wenn wir der Gesellschaft fernbleiben?"

Auch wenn unser Gespräch zu großem Teil auf der ironischen Ebene abläuft, scheint es, als müsste Paula noch kurz wachgerüttelt werden. „Jetzt sei mal nicht so kritisch. Sonst bin ich immer die Kritische. Sei mal ein bisschen gehyped", hebe ich das letzte Wort besonders deutlich hervor. „Ich bin gehyped", versichert sie mir direkt. „Gut, dass du gehyped bist", nicke ich eifrig. „Bist du gehyped?", fragt die Blondhaarige. „Ich bin gehyped", wiederhole ich ihren Wortlaut. „Wir sind gehyped", rufen wir schließlich gemeinsam – vielleicht etwas zu laut – worauf hin wir wieder in Gelächter ausbrechen.

Dann durchqueren wir grinsend den recht schmalen Flur. Wenige Sekunden später stehen wir bereits im Gedränge, das sich rund um den großen Tisch angesammelt hat. So wie es aussieht, ist dort ein Buffet eines Caterers aufgebaut. Dennoch liegt der vertraute Duft von frischer Pizza in der Luft. Schmunzelnd erhasche ich einen Blick auf weniger weihnachtliche Pizzakartons, die von jemanden auf der Kante des Tisches gefährlich ausbalanciert werden. An meinem Handgelenk zieht mich Paula weiter durch die Menge, vorbei an Luis' und Benes Zimmer, bis ins Herz der Elevator Mansion. Die Balkontür ist auf Kipp und trotzdem ist es unglaublich warm im Raum. Der Fernseher ist mit einer Decke abgehangen, der Kamin angezündet und das Sofa wurde scheinbar ganz aus der Wohnung verbannt.

„Uh, da sind sie", haut Paula gegen meinen Oberarm, bevor sie nach rechts zeigt. Vor dem zweiten Balkon ist eine große Bar aufgebaut, an der einige Personen stehen. Zuerst entdecke ich die dunklen Haare von Jacob, dann Benes Lockenkopf. Quietschend packe ich an die Schulter meiner Freundin. „Und jetzt? Was machen wir jetzt?", frage ich plötzlich völlig überfordert. „Wir gehen zu ihnen hin und quatschen sie an", legt Paula das Offensichtliche dar, bevor sie doch innehält, „oder warten wir darauf, dass sie uns anquatschen?" Ratlos bleiben wir in der Mitte des Wohnzimmers stehen.

Fortsetzung folgt...

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