Kapitel 13
Als zur nächsten Erinnerung übergeblendet werden soll, schüttle ich nur schnell mit dem Kopf. »Hört auf damit! Ich kann das nicht. Es ist zu viel. Hört auf, mein Leben wie eine verdammte Rückblende zu behandeln, die man einfach abspielen kann, ohne hinschauen zu müssen, da eh schon jeder weiß, was da passiert.
Warum müsst ihr mich so quälen, wenn ihr doch schon längst wisst, wer ich bin und woher ich komme? Lasst mich damit in Ruhe und fällt mein beschissenes Urteil, damit ich es endlich hinter mir habe!«
Ich habe das Gefühl, mich einfach wieder von mir selbst zu entfernen. Als wäre ich ein Fremder in meiner eigenen Welt, die ich, laut diesen Kindern, doch selbst erschaffen habe. Muss Gott sich nicht auch so fühlen? Gefangen und gebrochen in einem Universum, das er selbst aufgebaut hat? Gerät es auch so oft außer Kontrolle und wuchert, als wäre es unbezähmbares Unkraut, das einen letztendlich einfach ersticken lässt, da man mittendrin steht?
Schöpfer sein, bedeutet gefangen in seinem eigenen Kopf zu sein. Die Gedanken schaffen eine Krankheit, die dich irgendwann dahinrafft, da sie es nie gut mit dir gemeint haben. Noch nie habe ich so viel Mitleid mit dem Mann jenseits der Wolken gehabt wie in diesem Moment.
Sofort bricht das Bild vor meinen Augen in sich zusammen. Deutlich höre ich das Brechen von Glas und sehe den Scherbenregen mit eigenen Augen. Tausende Farben fallen wie kleine Kometen vom Himmel und beerdigen sich selbst in der Schwärze zu meinen Füßen. Es fühlt sich wie ein Weltenbruch an.
Euphorie erfüllt mich. Es soll alles verschwinden. Die Kinder, der Spielplatz, mein Elternhaus, der Wald. Alles soll sich wieder in die Tiefen meines Unterbewusstseins verziehen und wie eine hungrige Meute auf meine dunkelsten Stunden warten. Dann wird es mir egal sein, dass die Erinnerungen aus den Schatten hervorbrechen und mich mit ihren Fängen und Klauen zerreißen. Sie werden meinen Verstand vergiften und in den Abgrund schicken. Doch dann wird es eh schon zu spät für mich sein.
Warum nur jetzt? Es hätte mir so gut gehen können, hätte man mir die Chance dazu gegeben. Verdammtes Schicksal, warum musst du nur so grausam sein? Ich habe leben wollen. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich mir etwas von all dieser dummen Scheiße versprochen.
Ich will einfach nur hier raus. Ob tot oder lebendig ist mir vollkommen egal. Die Gedanken werden sicher auch im Jenseits noch da sein und nichts wird sich ändern. Wenn ich zurück in meine Welt kehre, wird alles genauso sein wie zuvor. Warum also bin ich hier? Damit diese kleinen Quälgeister keine Langeweile haben? Damit sie sich über meine Vorstellung vom Tod und vom Leben beschweren und mich mit meinen Fehlern in der Vergangenheit quälen können?
Ich will das nicht. Diese Kinder können das nicht einfach mit mir machen. Ich habe ein Recht dazu, in verdammter Würde zu sterben. Ich bin schon auf dem Bürgersteig verblutet, weil irgendeine Flachzange übersehen hat, dass die Fußgängerampel grün, und die der Autofahrer rot gewesen ist. Habe ich es da nicht verdient, einfach gehen zu können, anstatt hier ein weiteres Mal vor mich hin zu sterben? Mein Inneres scheint bei dieser Reise durch meine Vergangenheit zu verrotten. Ich fühle mich leer und wund durch die vielen Tränen, die ich hier schon vergossen habe. Es muss aufhören.
Der Park erscheint vor mir. Alles ist vollkommen unverändert. Selbst die beiden Foltermeister sitzen noch auf ihrer Wippe und spielen weiter, als würden sie sich in dem wohl ödesten Traum ihres Lebens befinden. Doch anstatt sich auf sich selbst oder ihren jeweiligen Gegenüber zu konzentrieren, starren sie mich an. Ihre Blicke brennen sich unter meine Haut und lassen mein Herz gefrieren. Wut steht ihnen beiden ins Gesicht geschrieben – jedoch könnten ihre Gesichtsausdrücke sich nicht mehr voneinander unterscheiden. Das Leben schaut wieder einmal beinahe besorgt drein, doch auch verurteilend, womit ihr Zorn so sanft wirkt, dass es schon lächerlich ist. Die Augen des Todes hingegen leuchten katzenhaft durch all den Hass, in dem er momentan regelrecht zu ertrinken scheint. Er scheint unerwartete Unterbrechungen wirklich von ganzem Herzen zu verabscheuen.
»Du kannst nicht einfach aufhören, wie es dir gerade passt«, zischt der kleine Junge ernst und angestrengt kalt, »Du musst dir das alles anschauen, bevor du gehen kannst. Das ist deine Aufgabe. Nur weil sie dir missfällt, kannst du sie nicht einfach beiseiteschieben und so tun, als wäre sie die nie gestellt worden.«
»Aber ich habe mir nicht ausgesucht hier zu sein. Genauso wenig wie ich mir diese sinnlos grausame Aufgabe selbst auferlegt habe. Das ward ihr. Ihr seid für das hier verantwortlich, nicht ich. Deswegen habe ich auch das Recht, mit allem hier abzuschließen, wann ich das für richtig halte. Ihr habt doch selbst gesagt, dass das hier meine Welt ist. Das alles hier ist meinem Unterbewusstsein entsprungen. Warum also habe ich nicht die Kontrolle darüber, was hier mit mir passiert?« Meine Hände ballen sich zu Fäusten, auch wenn ich nicht vorhabe jemanden zu verletzen. Wie sehr sie mir auch zusetzen mögen, es sind Kinder. Also zumindest sehen sie wie solche aus.
Nun mischt sich das Leben mit brüchiger Stimme ein.
»Glaubst du, uns gefällt es, dich leiden zu sehen? Oder hier zu sitzen und die ganze Zeit das Gleiche tun zu müssen? Wir sind alle hier, weil wir eine Aufgabe zu erfüllen haben. Niemand von uns ist für irgendwas hier allein verantwortlich. Deshalb wäre es unfair, wenn mein Bruder und ich unsere Aufgabe hier erfüllen, du dich aber einfach weigerst, deine überhaupt zu Ende zu bringen. Wir alle sitzen hier fest in diesem Randuniversum, in das keiner von uns gehört. Also hör endlich auf so egoistisch zu sein!« Sie scheint wieder einem Weinkrampf nahe zu sein. Doch darauf kann ich im Moment keine Rücksicht nehmen. Dafür bin ich viel zu sehr damit beschäftigt, nicht selbst zusammenzubrechen.
»Das hier ist reinste Folter! Ich kann das nicht. Da sterbe ich lieber direkt. Es tut mir leid, aber ich kann mir das alles einfach nicht noch einmal ansehen, ohne mich zu fragen, was ich wem auch immer getan habe, um diesen Schmerz und diese Erinnerungen zu verdienen. Bisher hatte ich in meinem Leben auf nichts einen aktiven Einfluss. Alles hat mit diesem Unfall angefangen, für den ich nichts kann. Finn ist gestorben und allein das hat mein Leben die letzten dreizehn Jahre zur Hölle auf Erden gemacht. Immer haben andere mein Leben bestimmt. Als wäre ich nur eine Schachfigur, die auf einem schwarz-weißen Feld immer nur in diese eine vorherbestimmte Richtung geschoben werden kann, ohne sich dagegen wehren zu können.«
»Sieh es doch einfach als Chance!«, wirft das Mädchen nun ein, »An diesem Ort kannst du alles Vergangene aufarbeiten und vielleicht als vollkommen neuer Mensch ohne diese Schmerzen und quälenden Gedanken wiedergeboren werden! Lohnt es sich etwa nicht dafür zu leiden? Dass du es später nicht mehr tun musst?«
Doch ich schüttle nur den Kopf. »Ich habe schon genug ertragen. Noch mehr aufgerissene Wunden brauche ich nicht.«
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