7. Dezember
~Türchen 7~
7. Dezember
Das Licht blendete sie, schmerzhaft und unerbittlich. Hermine blinzelte mehrmals, ehe ihre Umgebung allmählich klarer wurde. Die Dunkelheit, die sie so lange umhüllt hatte, war verschwunden, ersetzt durch etwas, das ihr fast unwirklich erschien: Wärme. Weiche Stoffe umgaben sie, drückten sich gegen ihre Haut, und ein leichter Duft nach Holz und frischer Luft lag in der Nase. Sie lag in einem Bett. Einem echten Bett.
Das war das erste, was sie bewusst wahrnahm. Der Stoff der Decke war dick, fast luxuriös, und die Matratze unter ihr war weich, so weich, dass sie das Gefühl hatte, darin zu versinken. Ihre Finger glitten über das Laken – glatt, sauber. Sie runzelte die Stirn. Wo war sie?
Langsam setzte sie sich auf. Ihr Körper protestierte bei jeder Bewegung, ihre Muskeln waren schwer und träge, als hätte sie Tage geschlafen – oder gekämpft. Die Augen wanderten durch den Raum. Die Wände waren mit kunstvollen Tapeten bedeckt, deren Muster verblasst, aber noch erkennbar waren. Ein massiver Schrank stand in einer Ecke, ein hölzerner Stuhl neben einem kleinen Tisch. Alles wirkte alt, aber makellos, als wäre dieses Zimmer aus einer anderen Zeit gefallen.
Sie schwang die Beine über die Bettkante und setzte ihre Füße auf den kühlen Holzboden. Der Kontrast ließ sie kurz schaudern. Ihre Gedanken waren wirr, und die Erinnerung daran, wie sie hierhergekommen war, blieb verschwommen. War sie gestorben? War das eine Art bizarrer Zwischenzustand zwischen Leben und Tod?
Die Tür des Zimmers zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Langsam und vorsichtig, als könnte jede Bewegung etwas zerbrechen, stand sie auf. Ihr Körper fühlte sich an wie der einer Fremden, schwach und unbeholfen. Doch sie zwang sich vorwärts. Die Türklinke fühlte sich kalt unter ihren Fingern an, als sie sie herunterdrückte.
Der Flur dahinter war ebenso beeindruckend wie das Schlafzimmer. Breite Holzdielen, auf denen das Licht spielte, kunstvolle Verzierungen an den Wänden. Die Luft war schwer, aber nicht unangenehm, mit einem Hauch von etwas Vertrautem. Sie konnte es nicht benennen, aber es beruhigte sie.
Dann kam der Geruch. Warm, einladend, wie frisch gebackenes Brot und etwas, das sie nicht einordnen konnte, aber das Wasser in ihrem Mund zusammenlaufen ließ. Ihr Magen krampfte sich zusammen, und sie hielt inne, die Hand unbewusst auf ihren Bauch gelegt. Wann hatte sie das letzte Mal gegessen? Die Erinnerung daran war verschwunden, als hätte ihr Körper sie verdrängt, um die Leere erträglicher zu machen.
Instinktiv folgte sie dem Duft, ihre Schritte leise, fast vorsichtig, obwohl sie keine Ahnung hatte, wovor sie sich verstecken wollte. Sie bewegte sich durch die fremde Umgebung wie ein Schatten, bis sie schließlich in der Nähe einer Tür stehen blieb. Geräusche drangen zu ihr – leise, rhythmisch, das Klappern von Geschirr. Ihre Hand zitterte, als sie die Tür öffnete.
Was sie sah, ließ sie erstarren.
Draco Malfoy stand in der Küche. Es war ein Anblick, den sie sich nicht einmal in ihren absurdesten Träumen hätte vorstellen können. Er trug ein schlichtes weißes Hemd, dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, und rührte mit einem Holzlöffel in einer Pfanne, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Neben ihm auf dem Tisch standen ein Teller mit Brot, eine Kanne Tee und einige saubere Gläser.
Für einen Moment konnte sie nichts anderes tun, als ihn anzustarren. Es war ein Bild, das so absurd war, dass ihr Verstand Mühe hatte, es zu verarbeiten. Draco Malfoy, der Erzfeind ihrer Schulzeit, stand vor ihr, in einer Küche, kochend. Es passte nicht zusammen. Es konnte nicht passen.
„Du bist wach." Seine Stimme war ruhig, fast emotionslos. Er sah nicht einmal auf, als er sprach. Stattdessen nahm er die Pfanne vom Herd und schob den Inhalt – Rührei, erkannte sie jetzt – auf einen Teller.
Hermine wusste nicht, ob sie lachen, weinen oder einfach wieder umdrehen sollte. Alles an dieser Situation war falsch. Sie blieb wie angewurzelt stehen, ihre Gedanken ein chaotisches Durcheinander.
„Setz dich." Er drehte sich endlich zu ihr um, sein Blick kühl, aber nicht unfreundlich. „Du musst essen."
„Warum?" Ihre Stimme war brüchig, heiser. Sie musste sich räuspern, um überhaupt weitersprechen zu können. „Warum hast du mich gerettet?"
Draco zuckte mit den Schultern, als hätte sie ihn nach dem Wetter gefragt.
„Das ist eines der Landhäuser meiner Familie", sagte er schließlich. „Ich wusste, dass ich dich irgendwo verstecken musste. Du warst..." Er stockte, als suche er nach den richtigen Worten. „Du warst nicht in der Lage, dich selbst zu retten."
„Das beantwortet meine Frage nicht." Hermine machte einen Schritt vorwärts, die Knie zitterten unter ihr. „Warum, Malfoy? Du hättest mich einfach dort lassen können."
„Vielleicht." Seine Stimme war ruhig, fast gleichgültig, aber die Spannung in seinem Kiefer verriet etwas anderes. „Aber ich habe es nicht getan.
Er war derjenige gewesen, der sie gefunden hatte. Obwohl sie es nie für möglich gehalten hatte, dass sie jemand überhaupt noch finden würde.
Hermine biss sich auf die Lippe. Ihr Blick wanderte zu dem Teller mit Essen. Der Duft war so verführerisch, dass sie sich schuldig fühlte, ihn zu ignorieren. Doch das Bedürfnis, Antworten zu bekommen, war stärker.
„Ich vertraue dir nicht", sagte sie schließlich.
„Gut", antwortete Draco ohne zu zögern. „Ich würde mir auch nicht trauen, wenn ich du wäre."
Hermine brauchte einen Moment, um die Bedeutung seiner Worte zu verstehen. Sie öffnete den Mund, wollte widersprechen, doch nichts kam heraus. Schließlich wich sie seinem Blick aus und ließ sich auf den Stuhl vor dem gedeckten Tisch sinken.
Sein ehrliches Eingeständnis brachte sie kurz aus dem Konzept. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Also tat sie das Einzige, was sie tun konnte: Sie griff nach dem Brot vor sich.
Draco beobachtete sie schweigend, seine grauen Augen kühl, aber nicht feindselig. Die Brünette spürte seinen Blick, doch sie ignorierte ihn und konzentrierte sich auf das Essen. Für jetzt reichte das. Die Fragen würden später kommen.
Sie wusste nicht, was sie mehr verunsicherte – die Tatsache, dass Draco Malfoy sie gerettet hatte, oder die Tatsache, dass sie tatsächlich dankbar war.
Hermine hielt die Gabel in der Hand, zögernd. „Du hast mich gerettet", begann sie, ohne ihn direkt anzusehen. „Das...hätte ich nicht erwartet."
Der Slytherin, der sich gerade eine Tasse Tee einschenkte, hielt inne. Seine Bewegungen waren flüssig, fast mechanisch, doch seine Schultern spannten sich bei ihren Worten an. „Was hätte ich sonst tun sollen, Granger? Dich dort verrotten lassen?"
„Das hätte doch..." Sie suchte nach den richtigen Worten, „...das hätte doch mehr zu dir gepasst."
Er lachte leise, ein Laut, der weder Freude noch Spott enthielt, sondern etwas Tieferes, Dunkleres. „Vielleicht früher. Aber wir sind nicht mehr wie früher, oder?"
Sie legte die Gabel beiseite, das Essen vor ihr vergessen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten auf dem Tisch. „Du hättest mich trotzdem einfach dort lassen können. Warum nicht?"
Er drehte sich zu ihr um, die Tasse in der Hand. Seine Augen waren kühl, aber da war etwas anderes in ihnen – eine Müdigkeit, die Hermine nicht erwartet hatte. „Weil ich es nicht konnte."
„Nicht konntest?" Sie lachte kurz, trocken und ohne Humor. „Seit wann kannst du nicht mehr egoistisch sein?"
Er lehnte sich gegen die Arbeitsplatte der Küche und betrachtete sie mit einem Blick, der sie fast herausforderte, weiter nachzufragen. „Seit ich gesehen habe, wie du aussahst, Granger. Verdammt, du bist halb tot da drin gelegen. Ich mag ein Arschloch sein, aber ich bin kein Mörder."
Noch nicht, dachte er bei sich.
Das ließ sie verstummen. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber das war es nicht.
„Du hättest jemand anderen holen können", flüsterte sie schließlich, mehr zu sich selbst als zu ihm.
„Wen? Deine Freunde? Die Auroren? Das Ministerium?" Er schnaubte verächtlich. „Falls du es vergessen haben solltest, wir haben einen Krieg verloren...es gibt nichts oder niemanden mehr."
Er sprach von „wir", als gehörte er nicht zu, denen die gewonnen hatten. Dabei war er ein Todesser. Sie sollte nicht einmal hier sein.
Die Gryffindor biss sich auf die Lippe. Er hatte recht, und das wusste sie. Trotzdem fiel es ihr schwer, das zu akzeptieren. Es durfte einfach nicht sein, dass sie die einzige war, die überlebt hatte.
„Also bist du jetzt mein Retter?" fragte sie schließlich, mit einem Hauch von Ironie in der Stimme.
Draco starrte sie an, und etwas in seinem Blick ließ sie innehalten. „Nein", sagte er leise. „Ich habe dich gerettet, weil ich es tun konnte. Nicht, weil ich ein Held sein will."
Das Schweigen zwischen ihnen war schwer, drückend. Hermine wandte ihren Blick ab und betrachtete wieder das Essen, das vor ihr stand. Es roch köstlich, und ihr Magen schrie nach mehr, aber sie konnte einfach nicht essen.
„Du solltest essen", riet er ihr schließlich, seine Stimme weicher als zuvor. „Du siehst aus, als würdest du bei der nächsten Windböe umfallen."
Hermine hob den Kopf und sah ihn an. Da war keine Spur von Spott in seiner Stimme, nur eine nüchterne Feststellung. Sie griff widerwillig nach der Gabel, nahm einen weiteren Bissen, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
„Danke", murmelte sie schließlich, die Worte schmeckten bitter in ihrem Mund.
Draco nickte knapp, als wäre das alles, was er von ihr erwartet hatte, und wandte sich wieder seinem Tee zu. Doch Hermine spürte, dass etwas zwischen ihnen unausgesprochen blieb – etwas, das sie beide noch nicht aussprechen konnten.
tbc...
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