6. Dezember
~Türchen 6~
6. Dezember
Draco Malfoy stand am Eingang des alten Hauses und starrte auf die verzogene Holztür vor sich. Ein modriger Geruch wehte ihm entgegen, während die Kälte der Nacht auf seiner Haut lag. Die Ruine schien ihn abzustoßen, als wolle sie ihn warnen, doch er schob den Gedanken beiseite.
Er hatte keine Wahl. Wenn sie irgendwo war, dann hier. Das war sein letzter Hinweis, der letzte Faden in einem Netz, das immer dünner wurde. Alles führte zu diesem Ort, und wenn er sich irrte... Nein, das durfte er nicht. Nicht jetzt.
Er hob den Zauberstab, murmelte leise „Lumos", und ein schwacher Lichtstrahl tauchte das Innere in kaltes Weiß.
Das Haus war tot. Im wahrsten Sinne des Wortes. Die Wände waren von Schimmel bedeckt, das Holz unter seinen Stiefeln knarrte bei jedem Schritt. Der Staub lag wie eine dicke Decke auf allem, und die Luft war schwer – fast erstickend. Es war mehr als Verfall; es war, als wäre dieser Ort ein Grab, in dem die Vergangenheit ruhelos verweilte.
Draco Malfoy tauchte aus der Dunkelheit auf wie ein Schatten, sein Atem flach und schwer. Das alte Muggelflachhaus, das vor ihm lag, war nichts weiter als ein Skelett vergangener Tage – morsche Balken, eingestürzte Dächer, Fenster, die wie blinde Augen in die Nacht starrten. Es schien kaum vorstellbar, dass jemand hier Zuflucht gesucht hatte, doch Draco wusste, dass dies der einzige Ort sein konnte. Sein letzter Hinweis, seine letzte Möglichkeit.
Granger musste einfach hier sein.
Er war in einer Spirale aus Scheitern und Zweifeln gefangen gewesen, verfolgt von dem Wissen, dass jede Spur, die er bislang verfolgt hatte, in Sackgassen geführt hatte. Doch dieses Mal würde er sie finden. Er hatte keine andere Wahl.
Der Slytherin holte tief Luft und ging durch das Haus. Der Geruch von Verfall schlug ihm immer wieder entgegen – ein widerlicher Mix aus Feuchtigkeit, Moder und Staub, der sich sofort in seinen Sinnen festsetzte und für einen Moment hatte er das Gefühl, das Haus selbst wolle ihn warnen, ihn zurückdrängen. Aber er blieb, zwang sich vorwärts.
Jeder Raum, den er betrat, war schlimmer als der vorherige: zerbrochene Möbel, verrottetes Holz, eine Kälte, die selbst mit seinem Mantel nicht zu vertreiben war. Und dann sah er sie.
Der Atem stockte ihm in der Kehle, als sein Zauberstablicht auf ihre zusammengesunkene Gestalt fiel. Granger.
Hermine saß an der Wand, halb verborgen im Schatten, ihre Knie an die Brust gezogen, als wolle sie sich vor der Welt verstecken. Doch selbst das schien sie nicht mehr zu können. Der Anblick traf ihn wie ein Schlag in den Magen.
Ihr Zustand war schlimmer, als er es sich hätte vorstellen können. Ihre Gestalt war so klein, so schmal, dass sie fast mit dem Schatten verschmolz. Ihr Gesicht war bleich, die Wangen eingefallen, die Lippen aufgesprungen und blutig. Sie wirkte zerbrechlich, als könnte sie bei der kleinsten Berührung zerfallen.
„Fuck...". Das Wort entkam ihm, ehe er es verhindern konnte, ein schwaches, schockiertes Flüstern, das in der Stille des Raumes fast unpassend klang.
Draco war wie gelähmt, unfähig, den Blick von ihr abzuwenden. Sein Herz schlug heftig, sein Mund war trocken. Das war eindeutig Hermine Granger, die Hexe, die nie nachgegeben hatte, die er immer als unerschütterlich angesehen hatte. Und jetzt... jetzt war sie nur noch eine Hülle ihrer Selbst.
Ihre Kleidung war zerrissen, schmutzig, als hätte sie diese seit Tagen, vielleicht Wochen nicht mehr gewechselt. Ihr Haar war eine wirre Masse, matt und verknotet, nicht mehr das lebendige Braun, das er aus Hogwarts kannte. Selbst ihre Hände, die immer so sicher und präzise gewesen waren , wirkten jetzt wie die einer Fremden – aufgeschürft, mit Schmutz unter den Nägeln, die fast alle abgebrochen waren. Ihre Hände ruhten schlaff auf dem staubigen Boden, ohne jede Spannung, als hätten sie die Kraft zum Greifen verloren.
Dracos Atem wurde schneller, ein dumpfes Pochen füllte seine Ohren. Hatte er sie so vorgefunden, weil sie kämpfte – gegen das Leben, gegen die Dunkelheit, gegen sich selbst? Oder hatte sie längst aufgegeben? Der Gedanke bohrte sich in seinen Schädel wie ein kalter Dolch.
Er zwang sich, näher zu treten, Schritt für Schritt, sein Blick immer noch auf ihre reglose Gestalt gerichtet. Als er sich schließlich vor ihr niederkniete, spürte er, wie der Geruch von Verfall und Verzweiflung noch drückender wurde. Der Moder des Hauses schien sich mit der Stille um sie herum zu verweben, als gehöre sie hierher.
Draco konnte es nicht ertragen. Er hob die Hand, zögerte, ließ sie wieder sinken. Die Vorstellung, sie zu berühren, fühlte sich wie ein Eindringen an, und doch wusste er, dass er etwas tun musste.
„Granger..." Seine Stimme brach. Es war nicht der kalte, spöttische Ton, den er früher für sie reserviert hatte. Es war ein Flüstern, voller Unsicherheit, fast flehend.
Sie regte sich nicht. War sie bereits tot? Würde ihn das wirklich erleichtern?
Ihr Atem war kaum wahrnehmbar, ein sanftes Heben und Senken ihrer Brust, das so schwach war, dass es ihn noch mehr erschreckte. Doch er konnte es sehen. Ihre Augen waren geschlossen, die Wimpern ruhten wie Schatten auf ihren blassen Wangen, und für einen Moment hatte Draco Angst, dass sie nicht mehr da war.
Er schluckte schwer, seine Kehle fühlte sich rau an, trocken wie Sand. Sein Zauberstablicht flackerte leicht, als ob es die Spannung in der Luft spürte.
„Verdammt, Granger... Was ist nur mit dir passiert?" Seine Stimme war kaum mehr als ein Hauch, und doch hallten die Worte in seinem Kopf wider.
Er war gekommen, um sie zu finden. Um sie zurückzubringen. Doch nichts hatte ihn auf diesen Anblick vorbereitet. Hermine Granger, die er immer als unerschütterlich, nahezu unbesiegbar angesehen hatte, saß vor ihm, zerbrochen wie ein alter Spiegel, dessen Scherben nicht mehr zusammengefügt werden konnten.
Seine Hand zitterte, als er sie schließlich sanft auf ihre Schulter legte. Ihre Haut war kalt durch den dünnen Stoff ihrer Kleidung hindurch, und er spürte, wie sein Herz sich zusammenzog. Der Kontakt schien sie nicht zu wecken, schien sie nicht einmal zu berühren, als sei sie schon halb verschwunden, halb aus dieser Welt gerissen.
„Granger!" Diesmal war seine Stimme fester, fast scharf, ein verzweifelter Versuch, sie zurückzuholen. „Wach auf. Du kannst nicht... du kannst nicht einfach..."
Er verstummte, die Worte blieben ihm im Hals stecken. Er hatte keine Ahnung, was er sagen sollte, was überhaupt richtig wäre. Alles, was er wusste, war, dass sie hier nicht bleiben konnte. Nicht so. Nicht in diesem Zustand.
Verdammte Scheiße.
Draco fühlte, wie eine Welle von Zorn und Schuld ihn überwältigte. Auf wen war er wütend? Auf sie, weil sie sich so gehen ließ? Auf sich selbst, weil er nicht schneller gewesen war? Auf die Welt, weil sie es zugelassen hatte? Alles war zu viel, und doch musste er handeln.
Er zog seinen Mantel aus, ohne weiter nachzudenken, und legte ihn vorsichtig um ihre Schultern. Der Stoff war warm, schwer, ein Schutz gegen die kalte, feuchte Luft des Hauses. Sie rührte sich nicht, doch er bildete sich ein, dass ihr Atem ein wenig regelmäßiger wurde.
„Ich bringe dich hier raus", murmelte er, fast zu sich selbst, als ob die Worte ihn genauso überzeugen müssten wie sie. „Ich lass dich nicht hier sterben."
Es war fast schon absurd.
Draco kniete einen Moment länger da, das Licht seines Zauberstabs auf ihr Gesicht gerichtet, bevor er sich aufrichtete. Sie hochzuheben würde schwierig sein – sie war leicht, ja, aber er konnte ihre Zerbrechlichkeit spüren, als könnte jeder falsche Griff sie endgültig zerstören. Doch er hatte keine Wahl.
Mit äußerster Vorsicht schob er einen Arm unter ihre Knie und einen hinter ihren Rücken, hob sie an, so sanft, wie es ihm möglich war. Ihr Kopf fiel leicht an seine Schulter, ihr Haar war stumpf und trocken gegen seine Haut.
„Halte durch, Granger", flüsterte er. Seine Stimme war brüchig, aber er wollte es ihr versprechen, wollte es sich selbst versprechen. „Ich bringe dich hier raus."
Und mit ihr in seinen Armen, so zerbrechlich und doch so schwer auf seiner Seele, trat Draco Malfoy in die Dunkelheit des bereits frühen Morgens hinaus.
tbc...
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