5. Dezember
~Türchen 5~
5. Dezember
Die Wände des alten Hauses schienen zu atmen. Sie knarrten und ächzten bei jedem Luftzug, als würde das Gebäude selbst unter dem Gewicht seiner Vergangenheit leiden. Hermine spürte die Feuchtigkeit der alten Tapeten, die sich in dicken Streifen von der Wand lösten. Der Geruch von Moder und Staub hing schwer in der Luft, vermischt mit einem Hauch von etwas, das sie nicht einordnen konnte – ein süßlich abgestandener Gestank, der wie eine Warnung schien.
Sie saß auf dem kalten, schmutzigen Boden, eingeklemmt zwischen einer zerbrochenen Kommode und einer halb eingebrochenen Wand. Die Splitter des Holzes drückten sich in ihre Seite, aber sie bewegte sich nicht. Sie wusste, dass sie hier sicher war. Zumindest für den Moment.
Ihre Gedanken waren wirr, ihre Sinne stumpf. Was würde passieren, wenn sie gefunden würde?
Hermine schloss die Augen und lehnte den Kopf gegen die Wand. Die kalte Oberfläche war rau und unnachgiebig, ein seltsamer Trost. Sie wusste, dass sie irgendwann gefunden werden würde. Irgendjemand würde sie finden. Aber es war ihr egal.
Vielleicht wäre es Voldemort selbst, mit seinen grausamen Augen und dem unnachgiebigen Blick. Vielleicht Bellatrix, deren sadistisches Lächeln sie immer noch in ihren Träumen verfolgte. Oder vielleicht eine andere, unbekannte Gestalt, die nur einen Auftrag ausführte. Es machte keinen Unterschied.
Was war noch übrig von ihr? Nichts. Nicht mehr die Hermine Granger, die jedes Rätsel lösen konnte, die immer einen Plan hatte. Jetzt war sie nur noch eine Hülle, ausgehöhlt von Angst, Verzweiflung und der allgegenwärtigen Dunkelheit.
Würde sie kämpfen? Der Gedanke erschien absurd. Wofür? Für eine Zukunft, die nichts mehr zu bieten hatte? Für Menschen, die längst verloren sein könnten? Sie hatte keine Antworten. Sie hatte keinen Grund.
Ihre Finger fuhren über den Boden, tasteten über den Staub und die Risse. Sie spürte etwas Kaltes, Metallisches unter ihren Fingern – einen alten Nagel vielleicht, halb im Boden versunken. Es war kein Werkzeug, kein Schutz. Nur ein weiterer nutzloser Gegenstand in einer Welt voller Zerfall.
Wenn sie gefunden werden würde, könnte sie schreien. Aber wozu? Niemand würde sie hören, und selbst wenn, wer würde kommen? Die Muggel hatten dieses Haus längst aufgegeben, genauso wie sie die Hoffnung aufgegeben hatte, gerettet zu werden.
Das Knarren eines Balkens irgendwo über ihr ließ sie zusammenzucken, doch sie zwang sich, ruhig zu bleiben. Vielleicht war es nur der Wind, vielleicht auch nicht. Es war ihr egal. Sie öffnete die Augen nicht, lauschte nicht weiter.
Die Dunkelheit in diesem Haus war nicht anders als die in ihrem Inneren. Sie war tief, endlos, ein Teil von ihr geworden.
Vielleicht war es einfacher, wenn es so blieb. Wenn niemand kam.
Das Haus hätte ein Zuhause sein können. Vor langer Zeit vielleicht, als das Leben noch in diesen Räumen pulsierte, als Menschen hier lachten, lebten, liebten. Jetzt war es nur noch eine Ruine, genauso verlassen und verwahrlost wie sie selbst.
Ihre Finger fuhren über den staubigen Boden, zeichneten willkürliche Muster in den Dreck. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Die Zeit hatte längst keine Bedeutung mehr. Sie war hier, weil es kein „dort" mehr gab. Kein Ziel, keinen Plan.
Es war einfacher so. Einfacher, nichts zu erwarten, nichts zu hoffen. Denn Hoffnung war das, was am meisten wehtat.
Ein weiteres leises Geräusch ließ sie aufhorchen. Es war nichts Besonderes –, vielleicht der Wind, der durch die Ritzen der alten Wände pfiff. Aber es erinnerte sie daran, dass sie hier war, allein, und dass die Welt außerhalb dieses Hauses weiterging, egal, was mit ihr geschah.
Würde irgendjemand sie vermissen? Würde irgendjemand überhaupt wissen, dass sie hier war? Was war mit Harry und Ron? Allen Anderen?
Sie schloss die Augen wieder und ließ ihren Kopf gegen die Wand sinken. Es war mühselig, darüber nachzudenken. Vielleicht würde sie gefunden werden, vielleicht nicht. Es spielte keine Rolle mehr. Die Dunkelheit war ihre einzige Gesellschaft geworden, und sie hatte sich daran gewöhnt.
Vielleicht war es besser so.
Besser, wenn niemand kam.
Wenn sie hier bliebe, dann gäbe es keine Entscheidungen mehr, keine Kämpfe. Kein „Was wäre wenn?" Sie war müde davon, nach Möglichkeiten zu suchen, nach Auswegen, nach Antworten. Es war einfacher, nichts zu wollen, nichts zu tun. Sie konnte einfach verschwinden – ein Geist in diesem verlassenen Haus, genauso vergessen wie die Geschichten, die sich vielleicht einmal hier abgespielt hatten.
Hermine öffnete die Augen wieder und blickte in die Schwärze vor sich. Ihre Finger fuhren über eine Rille im Holz des Bodens, tasteten die Unebenheiten ab, als könnten sie ihr etwas verraten. Doch da war nichts. Kein Muster, keine Bedeutung, nur die schlichte, unbarmherzige Realität eines alten, zerfallenen Hauses.
Hermine lehnte ihren Kopf gegen die Wand, spürte die kalte, raue Oberfläche an ihrem Hinterkopf. Ihre Augenlider fühlten sich schwer an, so schwer, dass sie fast schmerzten. Sie kämpfte kurz dagegen an, hielt ihre Augen geöffnet, doch die Dunkelheit, die sie umgab, machte es schwer, wach zu bleiben.
Ihr Atem wurde langsamer, tiefer, als ob ihr Körper selbst spürte, dass die Erschöpfung sie schließlich doch überwältigen würde. Ihre Finger, die eben noch über das Holz des Bodens geglitten waren, ruhten jetzt still, halb geöffnet, als hätte sie das Bedürfnis, etwas zu greifen – etwas, das nicht da war.
Die Gedanken in ihrem Kopf begannen sich zu verwischen. Das Knarren des Hauses, der pfeifende Wind durch die Ritzen, das dumpfe Tropfen in der Ferne – alles verschmolz zu einem gedämpften Hintergrundrauschen. Es war beruhigend, fast wie ein Wiegenlied, das sie dazu einlud, einfach loszulassen.
Ihr Kopf rutschte leicht zur Seite, und sie spürte, wie ihre Muskeln sich entspannten, eine nach der anderen. Die Schwere ihres Körpers war nicht mehr unangenehm. Sie fühlte sich nicht mehr wie eine Gefangene ihrer eigenen Müdigkeit – sie fühlte sich frei.
Ein letzter Gedanke flackerte durch ihren Geist, leise und flüchtig: Was, wenn sie nicht mehr aufwache? Doch es war nicht mehr von Bedeutung. Der Gedanke war da und verging, wie ein Blatt im Wind.
Die Dunkelheit umhüllte sie vollständig, und sie ließ sich hineinfallen, ohne Widerstand, ohne Angst.
Und dann war sie eingeschlafen.
tbc...
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