Viktualienmarkt: 25 ~ Pi
Daniel musterte mich nun deutlich offener und blinzelte dann. Seine Miene entspannte sich zusehends und er lächelte. Von der Arroganz von damals war wenig übrig geblieben. Die hatte ihm damals aber auch nur selten im Gesicht gestanden, wenn wir nur zu zweit gewesen waren. „Wie geht es dir?", fragte er leise. „Ich hab von dieser Geschichte mit Lütti gehört... Krasser Scheiß."
„Deshalb bin ich hier."
Ich schluckte und versuchte zu verstecken, wie sehr meine Hände zu zittern begannen, nachdem dieser Name gefallen war. Negative Bilder, positive Bilder, ich schob sie hin und her wie ich es in den letzten Wochen trainiert hatte. „Ich...wollte mit dir über damals sprechen... über... Jana... und L...." Ich bekam den Namen nicht über die Lippen. „Was passiert ist. Damals. Mit dem Foto." Und über die anderen Dinge, das sprach ich aber nicht aus.
Daniel nickte langsam. Als ob ihm das schon im Vorfeld klar gewesen sei. Er hob die Hand und winkte den Kellner zu uns an den Tisch. Er bestellte sich einen Milchkaffee und mir einen Cappuccino. Als der Kellner verschwunden war, dachte er einen Moment nach und holte dann tief Luft. Als ob er noch mal Sauerstoff tanken müsse, bevor er in eine unbekannte Tiefe tauchen würde. In eine Tiefe, vor der er Angst hatte, ob er daraus wieder auftauchen würde. Das Gefühl kannte ich nur zu gut.
„Das Foto...", sagte er langsam und strich sich nachdenklich über das Kinn.
Ich nickte langsam. „Dieses Bild... ich glaube, damit hat das alles angefangen." Ich hatte wirklich lange darüber nachgedacht und es lief immer wieder auf das Bild hinaus. Das Bild, das Daniel in Santorini von mir gemacht hatte.
„Es war ein gutes Bild..." Er lächelte versonnen und sah mich schräg an.
„Das tut jetzt nichts zur Sache", aber ich musste trotzdem auch lächeln. Wir hatten wirklich Spaß in diesem Urlaub – und das, obwohl wir uns zu Tode gelangweilt hatten. Und das Bild war wirklich gut gewesen. Wenn ich nicht sowenig angehabt hätte, vermutlich hätte ich es mir sogar ausgedruckt. Das Licht war gut gewesen und... „Der ganze Jahrgang kannte am Ende dieses Foto."
Daniel schluckte schwer. „Ja. Das tut mir immer noch sehr leid. Und ich schwöre bei Gott, ich war es nicht. Ich hätte dir das nie angetan, Sophie, nie." Er holte Luft und blies sie langsam aus. „Ich habe keine Ahnung, wie Lütti an das Bild gekommen ist. Vermutlich hat er es sich weitergeleitet – in Sport mein Handy geknackt oder so und drin rumgeschnüffelt." Er zuckte mit den Schultern.
„Wie soll er das gemacht haben?"
„Meine PIN war 1111." Er sah mich entschuldigend an. „Das wusste doch jeder." Daniel fuhr sich einmal durch die Haare. Der Seitenscheitel geriet kurz ins Wanken, fiel aber an Ort und Stelle zurück. „Es war nicht schwer, in einem unbeobachteten Moment mein Handy zu nehmen. Vermutlich war er im Training in der Umkleide oder so... Er saß in Mathe neben mir. Ich weiß noch, wie oft ich da immer meine PIN eingetippt habe. Der kannte die hundert Pro auswendig." Daniel seufzte schwer. „Ich bin mir auch sicher, dass er mir bekommen hat, dass ich das Bild von dir hatte" Er fuhr sich verlegen durchs Haar. „Ich, ähm, hatte es eine zeitlang als Hintergrundbild..."
„Was?!" Ich starrte ihn entsetzt an.
„Was denn? Das Bild war scharf! Wir hatten was miteinander, ich dachte... du weißt schon..." Er lief rot an.
„Daniel, wir hatten im Geheimen was miteinander! Du war mein schmutziges, kleines Geheimnis!"
„Ja, das war mir dann auch irgendwann klar, dass ich dir peinlich war."
„Du warst mir nicht peinlich, nur..."
Er zog skeptisch eine Augenbraue hoch und die Röte in seinem Gesicht wanderte in meins.
„Du bist ein Arsch", nuschelte ich und griff nach meinem Getränk und starrte auf dem Boden der Tasse, bis die Hitze in meinen Wangen einigermaßen verschwunden war. „Es war einfach nicht so eine gute Idee mit uns...", murmelte ich dann und spürte, wie er unruhig auf seinem Stuhl herum rutschte.
„Ja vermutlich." Er zog eine Grimasse. „Weh tat es trotzdem..." Dann lächelte er. „Wie eine glühende Stricknadel ins Herz."
„Daniel von Söder hat ein Herz? Ich dachte, da wäre nur so teeriger, schwarzer Klumpen." Ich lachte und sah, wie es um seine Mundwinkel zuckte.
„Können wir zu deiner Ausgangsfrage zurück kommen und mich nicht weiter fertigmachen?" Er tut so, als hätte ich ihn zutiefst verletzt. Irgendwie hat mir das gefehlt. Dieses Gefoppe mit ihm. „Jedenfalls muss sich Lütti das Bild gezogen haben und hat dann den Chat manipuliert. Die ganzen Screenshots, die Jana dir gezeigt hat, waren auf jeden Fall Fake. Er war nie in der Gruppe mit den Jungs. Ich hab das Bild da nie hochgeladen."
Ich ließ die Worte sacken. So etwas hatte ich mir schon gedacht. Irgendwie... Wenn ich daran dachte, wie Daniel damals in der Nacht in der Besenkammer vor mir gestanden hatte und versucht hatte, mich davon zu überzeugen, dass er mit der ganzen Geschichte nichts zu tun hatte, das hatte ich ihm damals schon geglaubt. So ein Arsch er sein konnte, aber das hätte er nicht getan. Er hätte dazu gestanden, vermutlich auch noch damit geprahlt. Aber er hätte niemals gelogen. Schon gar nicht hätte er mich angelogen.
„Aber die Jungs hatten das Bild..."
„Ja... weil Lütti es unter meinem Namen gepostet hatte. Er hat ein Fake-Profil erstellt und in der Gruppe gepostet." Daniel stöhnte. „Der hat meinen Account gehackt und das Bild dann hoch geladen." Es wunderte mich ein bisschen, wie wenig Scheu er hatte, in dieses heikle Thema einzusteigen und die pikanten Fakten auf den Tisch zu packen. „Der einzige, der das Bild wirklich nie gesehen hat und auch nicht davon gewusst hat, war Moritz. Mo hat sich aus diesem Gruppenchat einfach rausgehalten. Und ich stand da, wie der letzte Trottel. Das hat so ein Tempo aufgenommen, ich dachte, mich überrollt ein Zug... Ich hab geglaubt damals, ich sei der König der Schule." Er lachte bitter. „Die Zwei haben mir im letzten Jahr mit diesen scheiß Gerüchten alles kaputt gemacht. Mit dem Bild hat es angefangen. Ich würde pornografische Inhalte auf Social Media verbreiten. Dann die Gerüchte, mit den Mädchen..." Daniel sah mich an und sein Lachen erstarb. „Pi, ich wollte Jura studieren. Ich hatte im letzten Jahr ein Verfahren wegen versuchter Vergewaltigung am Hals. Die beiden haben mir meine Zukunft versaut."
Ich starrte ihn an und schluckte. So genau hatte ich all das nicht mehr mitbekommen. Ich hatte damals so sehr in meiner Depression wegen Carrie festgesteckt, dass ich froh gewesen war, dass ich das Abi überhaupt geschafft hatte. Natürlich hatte ich die Gerüchte über Daniel und die mutmaßliche Vergewaltigung gehört. Vorstellen hatte ich es mir nicht können. Er und ich waren immerhin kurze Zeit sowas wie zusammen gewesen. Und Daniel war ein Arsch, ja, aber er war kein Vergewaltiger. Im Gegenteil. Er war immer so bedacht gewesen, mir eben nicht weh zu tun, dass es fast schon langweilig gewesen war.
„Hast du damals gewusst, dass Jana und Lüttkenhaus... dass die Zwei diesen Pakt hatten?"
Er sah auf den Tisch und dachte eine Weile nach. „Nein. Ich hatte keine Ahnung. Die hatten ja auch nichts miteinander zu tun. Ich meine, Lütti ist dir nachgerannt, ja. Wie jeder." Er lächelte. Bei seinen Worten überkam mich eine Gänsehaut. Wenn ich daran dachte, dass Lüttkenhaus mir damals schon so offenkundig nachgestiegen sein soll und es mir nicht aufgefallen sein sollte, da wurde mir ganz anders. „Und Jana, die war besessen vom Meier. Ich meine: hallo? Wer soll denn da auf eine Verbindung gekommen sein? Die haben höchstens zehn Worte miteinander gewechselt."
Ich atmete durch. „Jana hat mein Pferd damals umgebracht."
Daniel sah mich an und sagte eine Weile nichts. „Ja, ich weiß..." Er seufzte schwer.
„Woher weißt du das?" Aber die Frage war rhetorisch. Er war von Bernicke befragt worden, das hatte ich in den Vernehmungsprotokollen gelesen. Aber das wollte ich von ihm selbst hören. Ich musste es von ihm selbst hören. Er würde als Zeuge in der Verhandlung aussagen, die im Januar beginnen würde.
Daniel schloss die Augen. „Weil ich weiß, wann die beiden Verhandlungen anfangen."
„Wieso weißt du davon?"
„Ich weiß nicht, ob ich dir das sagen darf..." Er atmete tief durch und sah nervös zur Tür. „Ich... Ich sollte gehen."
„Daniel." Ich griff über den Tisch und legte meine Hand auf seine. Er starrte darauf und zog seine sofort unter meiner heraus.
„Ich sollte wirklich gehen, Sophie. Das..." Er stand auf und griff nach seiner Jacke. „Es war schön dich zu sehen, aber es war keine gute Idee, dich zu treffen. Es tut mir leid, ich muss gehen..."
Verdutzt sah ich ihm nach. Was zum Teufel war in ihn gefahren?!
Nein. Auf gar keinen Fall würde ich mich von ihm so abfertigen lassen. Nicht, nach allem, was mir passiert war. Ich griff in mein Portemonnaie, knallte einen zwanzig Euro Schein auf den Tisch, griff nach meiner Jacke und eilte ihm hinterher.
..........
Der böse Wolf auf der Flucht? 🐺 🌲🌲🌲
Was haltet ihr von Södi? Good Guy? Bad Guy? Too much Seitenscheitel?
Bekommen wir 40⭐ zusammen? Dann hab ich direkt den Nachschub in der Hinterhand
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